von BILJANA VRHOVAC und MARC SPRUNGMANN
Der Streit um die Zentralisierung des Verfassungsschutzes hat nach der juristischen Binnendiskussion inzwischen auch die öffentliche Tagespresse erreicht. Medialer Anknüpfungspunkt war die Forderung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, dass das BfV künftig eine mit einem länderübergreifenden Direktionsrecht angereicherte Zentralstellenfunktion wahrnehmen können solle. Seine Länderkollegen setzen sich – wie nicht anders zu erwarten – öffentlich dagegen zur Wehr. Damit scheint ein zentraler Teil des Sicherheitsrechts nun zum neuen Zankapfel im „allgemeinen Föderalismus-Gerangel“ zu werden.
Länderübergreifendes Direktionsrecht
Nach § 2 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG unterhält der Bund für seine Zusammenarbeit mit den Ländern ein Bundesamt für Verfassungsschutz als Bundesoberbehörde. Mit einer streng am Wortlaut ausgerichteten Lesart ließe sich unbekümmert die Behauptung aufstellen, dass das BfV als unterstützende Einrichtung zugunsten der Länder eingerichtet sei und nicht, wie nun gefordert, anders herum. Bereits § 1 BVerfSchG, der die „Zusammenarbeitspflicht“ normiert, stellt den Bund und die Länder in ein Gleichordnungsverhältnis, dem ein länderübergreifendes Direktionsrecht – wie von Maaßen nachdrücklich gefordert – abträglich erschiene. Denn im Sinne des Erfinders scheint ein solches nicht zu sein. Vor diesem Hintergrund gibt jenes Postulat innerhalb der Länder allen Anlass zum Ärger. Überdies sieht § 7 BVerfSchG ohnehin bereits heute ein Weisungsrecht des Bundes vor, das jenes Nebeneinander von Bundes- und Landesbehörden nicht berührt und aus dem Gleichgewicht bringen will, was im Übrigen dadurch verdeutlicht wird, dass es überhaupt nur im Ausnahmefall des Staatsnotstands (und dann durch gemeinsame Ausübung des Kollegialorgans der Bundesregierung) eingreifen soll.
Zwar kennt das BVerfSchG mit § 5 Abs. 4 neuerdings eine Zentralstellfunktion des BfV. Jene beabsichtigt indes aber auch nur bloße Unterstützungsfunktionen. Die in § 5 Abs. 4 BVerfSchG verankerte Zentralstellfunktion des BfV vermag damit das „Föderalismus-Gerangel“ nicht zugunsten des Bundes zu entscheiden. Maaßens Absicht reicht mit der Forderung nach einem länderübergreifenden Direktionsrecht deutlich weiter als es die Zentralstellenfunktion derzeit hergibt. Vor dem Hintergrund der sich derzeit stetig verdichtenden Bedrohungslage ist eine solche zentrale Stellung des BfV durchaus sinnvoll. Ob es jedoch eines länderübergreifenden Direktionsrechts bedarf, ist skeptisch zu beäugen. Das länderübergreifende Direktionsrecht indes würde das wohl austarierte Verhältnis zwischen Bund und Ländern eindeutig zugunsten einer Stärkung des BfV verschieben.
Verschärfung der Bedrohungslage – und was daraus folgt
Unbestrittene Tatsache aber ist, dass sich die Bedrohungslage durch islamistischen Terrorismus, identitäre Bewegungen, sog. „Reichsbürger-“ oder „Selbstverwaltergruppierungen“ bis hin zum „klassischen“ Links- und Rechtsextremismus weiter vervielfältigt und ausdifferenziert hat ). Ohne Zweifel muss all diesen Phänomenen mit schlagfertigen und gut organisierten Nachrichtendiensten begegnet werden. Ihrem Auftrag entsprechend müssen Nachrichtendienste verfassungsfeindliche Strukturen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, effektiv ausforschen und somit wirksam agieren können, ohne indes präventiv-gefahrenabwehrrechtliche Ermittlungsaufgaben, die von jeher der Polizei zugewiesen sind, an sich zu ziehen. Daran gemessen erscheint gerade die sachliche und weniger die föderale Kompetenzaufteilung die eigentliche Problemstellung zu sein. Ob dieser Spagat zwischen effektiver Gefahrenabwehr einerseits und föderaler sowie sachlicher Kompetenztreue andererseits mit einer verstärkten Steuerungsfunktion des BfV, wie es im Koalitionsvertrag unter dem Stichwort der Novellierung des Bundesverfassungsschutzgesetzes nun angelegt ist, gelingen kann, kann mit guten Gründen hinterfragt werden. Die aktuelle Gesetzeslage gibt jedenfalls zum heutigen Stand weder eine Allzuständigkeit des BfV noch eine diesem kraft Verfassungsrechts zukommende „Verdrängungskompetenz“ her. Das Gegenteil ist vor dem klaren Hintergrund der Art. 30 und 83 GG der Fall. Daran dürfte im Übrigen auch Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG nichts ändern. Dieser erlaubt zwar die Errichtung einer Zentralstelle durch den Bund im Bereich des Verfassungsschutzes als Ausdruck bundeseigener Verwaltung; anders als Maaßen es jedoch für das BfV beabsichtigt, soll durch Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG allein eine „Koordinierungsfunktion“ gewährleistet werden – ohne dieser ein materiell aufgeladene länderübergreifendes Direktionsrecht aufzuerlegen.
Fazit
Diverse Probleme, die sich nicht nur im Sicherheitsrecht, sondern auch etwa im Falle des sog. Bildungsföderalismus zeigen, sind nun einmal Folge des im Grundgesetz verankerten – und erhaltenswerten – föderalen Systems. Dieses aus dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete föderale System garantiert den Ländern nach allgemeinem Verständnis ein substantielles Mindestmaß an Aufgaben und Befugnissen. Jedes sicherheitsbehördliche Versagen wird auch künftig den Ruf nach mehr Zentralisierung zur Folge haben. Richtig ist, dass jede sicherheitsbehördliche Fehlleistung einschneidende Konsequenzen zur Folge haben muss, um die Bürger vor dem verheerenden Schaden, der droht, zu schützen. Die Forderungen einer verstärkten Kompetenzverlagerung auf den Bund kann aber nicht stets und immer die einzige Antwort auf die Schwächen der vertikalen Gewaltenteilung bleiben. Möglicherweise liegen gerade in der Zusammenarbeit verschiedener Behörden die großen sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Als Reformimpuls ist der Vorstoß Maaßens nach einem länderübergreifenden Direktionsrechts zu würdigen. Die Debatte um die Zentralstellenfunktion des BfV ist insgesamt aber eher ein unnötiger Richtungsstreit als eine längst notwenige Positionierung.
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