§ 3 BVerfSchG weist dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Aufgabe zu, Informationen über Spionagetätigkeiten und verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, ohne indes einen Verwendungszweck zu formulieren. Aus einer unvollständigen Aufgabennorm resultierende Unsicherheit hinsichtlich des konkreten Aufgabenbereichs ist in einem derart grundrechtssensiblen Bereich nicht hinnehmbar. Lassen sich die notwendigen Verwendungszwecke daher durch Rückschlüsse aus Befugnisnormen gewinnen und kann so Rechtssicherheit geschaffen werden oder ist in dieser Sache legislativer Handlungsbedarf angezeigt?
Am 21.10. fand in Köln der JuWissDay 2017 unter dem Thema „40 Jahre „Deutscher Herbst“ – Neue Überlegungen zu Sicherheit und Recht“ statt. Im Rahmen der Diskussionen wurden auch die Aufgaben des BfV thematisiert, wobei insbesondere hinsichtlich des Umfangs und der Rechtsgrundlagen die Meinungen unvereinbar blieben. So zum Beispiel in der Frage, ob und bejahendenfalls auf welcher Rechtsgrundlage das BfV zur Vorfeldaufklärung im Rahmen der Terrorabwehr tätig wird.
Der Blick ins Gesetz hilft nur bedingt weiter. Der mit „Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden“ überschriebene § 3 BVerfSchG) formuliert nämlich nur Beobachtungsaufträge, die sich als „Extremismusbeobachtung“, „repressive Spionageabwehr“ (jeweils Abs. 1) und „präventive Spionageabwehr“ (Abs. 2) klassifizieren lassen. So stellt § 3 Abs. 1 BVerfSchG lediglich fest:
„Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über …“ (u. a. Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung, woraus sich nach überwiegender Ansicht die Aufgabe zur Sammlung von Informationen über den internationalen Terrorismus ergeben soll).
Damit erteilt der Gesetzgeber dem Bundesamt zwar den Auftrag zur Informationssammlung, jedoch ohne den Zweck dieser Tätigkeit zu bestimmen. Informationssammlung als Selbstzweck würde jedoch einen unverhältnismäßigen Grundrechtsreingriff darstellen, wäre mithin verfassungswidrig. Auf der Suche nach einem Verwendungszweck für die gesammelten Informationen ist man gezwungen, über § 3 BVerfSchG hinaus, etwa in § 16 BVerfSchG, zu blicken. Fraglich ist, ob der notwendige Verwendungszweck für die erhobenen Daten auch einzelnen Befugnisnormen des BVerfSchG entnommen werden kann. Namentlich könnte § 20 Abs. 1 BVerfSchG die Aufgabennorm § 3 Abs. 1 BVerfSchG um den Verwendungszweck der Vorfeldaufklärung zur Abwehr terroristischer Gefahren ergänzen. Doch ist dies tragfähig?
§ 20 BVerfSchG als Übermittlungsnorm
§ 20 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG verpflichtet das Bundesamt – unter weiteren Voraussetzungen – dazu, von sich aus Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, zur Verhinderung von Staatsschutzdelikten an die Polizei zu übermitteln. Damit statuiert die Norm eine Übermittlungspflicht und steht so zu Recht im dritten Abschnitt des BVerfSchG unter „Übermittlungsvorschriften“.
§ 20 Abs. 1 BVerfSchG (auch) als Aufgabennorm?
Die Interpretation des § 20 BVerfSchG als Aufgabennorm erscheint jedenfalls nicht auf den ersten Blick schlüssig und ist damit besonders begründungsbedürftig.
Erster Ansatzpunkt der Norminterpretation ist der, in der Frage der Aufgabenzuweisung leider nicht eindeutige, Wortlaut. Zwar nennt die Regelung die Abwehr terroristischer Anschläge durchaus beim Namen, indem sie vorschreibt, dass „die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich“ sein muss; allerdings manifestiert sich hierin nicht zwangsläufig eine Aufgabe für das BfV. Die Interpretation, wonach die Abwehr terroristischer Gefahren alleinig Aufgabe der Polizei und das Bundesamt lediglich zu Bereitstellung seiner, im Rahmen sonstiger Aufgaben erlangten Informationen verpflichtet ist, erscheint ebenso möglich. Dass das Amt die „ihm bekanntgewordenen Informationen“ zu übermitteln hat, lässt noch keinen zwingenden Schluss auf den Zweck der Informationserhebung zu.
Während der Wortlaut noch keine eindeutige Aussage zulässt, spricht die Systematik deutlich gegen die Qualifikation des § 20 Abs. 1 BVerfSchG als Aufgabennorm. § 20 BVerfSchG steht nämlich nicht im ersten Abschnitt „Zusammenarbeit, Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden“. Vielmehr wäre eine Aufgabennorm sinnigerweise in diesem Allgemeinen Teil vor den speziellen Regelungen zu vermuten. Zunächst ist die Aufgabe zu definieren, bevor die zur Aufgabenerfüllung eingeräumten Befugnisse normiert werden.
Im Rahmen der teleologischen Auslegung lassen sich für beide Seiten Argumente finden. Zum einen könnte die Regelung das BfV in ein Behördensystem zur Gefahrenabwehr integrieren wollen. Zum anderen könnte die Norm auch lediglich auf eine Verbesserung der Kommunikation der Sicherheitsbehörden bezogen sein, indem sie die Verwertung von Zufallsfunden beziehungsweise Nebenprodukten der Informationsgewinnung im Rahmen anderer Aufgaben ermöglicht.
In einer Gesamtschau sprechen die besseren Argumente gegen eine Interpretation des § 20 BVerfSchG als Aufgabennorm. Auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung hat § 20 BVerfSchG (im Entwurf noch § 15) von Anfang an bei den Übermittlungsvorschriften im dritten Abschnitt angesiedelt und als Befugnisnorm bezeichnet.
Befugnis-Aufgaben-Schluss
Abstrahiert hätte die Verwendung des § 20 BVerfSchG zur Aufgabenkomplettierung den Schluss von einer Informationsübermittlungsbefugnis auf eine Aufgabe dargestellt. Vom ausgeführten Beispiel abgesehen, lässt sich generell fragen, ob ein solcher Schluss von Befugnissen auf Aufgaben möglich ist.
Nach einhelliger Meinung ist es nicht möglich, von einer Aufgabe auf eine Befugnis zu schließen. Wie verhält es sich aber andersherum? Kann aus einer normierten Befugnis geschlossen werden, dass es auch eine entsprechende Aufgabe zugewiesen worden sein muss? Mithin bei Tätigwerden schon ein entsprechender Auftrag bestehen muss?
Zugegeben, diese Rückschlüsse erhöhen die Flexibilität der Verwaltung, ermöglichen sie doch, unvollständige Aufgabennormen den Behördeninteressen entsprechend anzupassen. Ferner fällt es schwer anzunehmen, dass Befugnisse übertragen werden, ohne zuvor eine entsprechende Aufgabe zuzuweisen.
Dennoch sprechen gewichtige Argumente gegen die Zulässigkeit von Befugnis-Aufgaben-Schlüssen. Zunächst verweist bereits die Notwendigkeit solcher Rückschlüsse auf mangelnde Rechtsklarheit. Komplettierungsbedürftige Aufgabennormen bieten Interpretationsspielräume, welche wiederum die Gefahr eines Dissenses zwischen dem vom Gesetzgeber Gewollten und der behördlichen Ausführung bergen. Viel entscheidender ist es jedoch, die Perspektive der Betroffenen einzunehmen: Insbesondere aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sollten die Adressaten hoheitlicher Maßnahmen, Aufgaben und Befugnisse der Behörden ohne Weiteres erkennen können. Die Begrenzungsfunktion einer eindeutigen Kompetenzverteilung darf den Flexibilitätserwägungen nicht zum Opfer fallen.
Fazit
Hieraus kann sich folglich weder das noch sich die Aufgabe zur Vorfeldaufklärung von Staatsschutzdelikten ableiten.
Ferner zeigt dieses Beispiel deutlich, welche Schwierigkeiten es bereitet, eine unvollständige Aufgabennorm durch Interpretation anderer, beispielsweise Befugnisnormen, zu komplettieren. Schwierigkeiten, die der Praxis und der Wissenschaft unnötigerweise bereitet werden. Vielmehr steht in dieser Angelegenheit der Gesetzgeber in der Pflicht, die notwendigen Korrekturen an § 3 BVerfSchG durchzuführen.
Die Verwendung der Information, und damit das konkrete Aufgabenfeld des BfV, ist eindeutig und klar zu normieren. Nur so kann die aktuelle, in einem grundrechtlich derart sensiblen Bereich wie dem Recht der Nachrichtendienste nicht hinnehmbare gesetzesbedingte Unsicherheit der Praxis behoben werden.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Lieber Maximimlian,
da Du mit Deinem Text offenbar auf meinen Wortbeitrag Bezug nimmst, verweise ich an dieser Stelle einfach mal auf den Beitrag, den ich zusammen mit Ralf Poscher zu diesem Thema verfasst habe (die Freischaltung kann ggf. noch etwas dauern): https://freidok.uni-freiburg.de/data/13690