von JAN MORAWITZ-BARDENHEUER
Der Wahlkampfauftritt von Stephan Brandner im September 2017 erhitzt weiter die Gemüter. Vor über hundert AfD-Anhängerinnen und Anhängern forderte der Rechtsanwalt aus Gera öffentlich die „Einknastung“ von Angela Merkel. Die Tatvorwürfe: Schleusung und Beihilfe zur Vergewaltigung in über tausend Fällen. Eine strafrechtliche Reaktion auf die „Rechtsausführungen“ von Stephan Brandner hat es nicht gegeben. Stattdessen konnte sich der Mythos einer kriminellen Kanzlerin in einigen Teilen der Gesellschaft etablieren. Im Folgenden soll beleuchtet werden wie es zu der Entstehung dieses Mythos kommen konnte und inwieweit die weite Fassung der Meinungsfreiheit ihn am Leben hält.
Hintergrund
Die Geburtsstunde des „Schleuser-Mythos“ schlug am 9. Oktober 2015. In einer Pressekonferenz erklärten die damaligen AfD-Parteivorsitzenden Frauke Petry und Alexander Gauland, dass sie gegen die Bundeskanzlerin Angela Merkel Strafanzeige stellen würden. Mit der wenige Wochen zuvor erfolgten Grenzöffnung sahen die Verantwortlichen den Tatbestand der Schleusung (§ 96 I Nr. 1 b AufenthG) als erfüllt an. Doch bereits kurze Zeit später wurde dieser Vorwurf aus juristischer Sicht ad acta gelegt. Die Staatsanwaltschaft Berlin bezeichnete die Anschuldigungen als „haltlos“ und stellte das Verfahren ein.
Warum äußert Stephan Brandner solch unvertretbare Rechtsauffassungen von denen er sicherlich selbst weiß, dass sie unzutreffend sind?
Die (strafrechtliche) Verantwortlichkeit der Bundeskanzlerin
Um die Brisanz der geäußerten Vorwürfe nachvollziehen zu können, muss man sich zunächst vor Augen führen, dass das Strafrecht gegenüber der Bundeskanzlerin oder dem Bundeskanzler eine besondere Funktion wahrnimmt. Zwar genießt die Bundeskanzlerin nach Art. 46 II GG Immunität, allerdings wird das darin enthaltene Schutzniveau gemeinhin überschätzt. Denn der Deutsche Bundestag hat diese bei einem hinreichend konkreten Tatverdacht der Ermittlungsbehörden bisher immer aufgehoben. Das Strafrecht und seine gerichtliche Durchsetzung fungieren vielmehr – neben der politischen Kontrolle in Form von Wahlen – als ein zusätzliches Kontrollelement gegenüber der Regierung. Bei einem entsprechenden Fehlverhalten ist also durchaus denkbar, dass sich die Bundeskanzlerin vor einem Strafgericht verantworten muss.
Die Anzeigen und Verdächtigungen als neue Waffen im politischen Diskurs?
Dass die AfD ein Instrument zur Kontrolle der Exekutive einsetzt, ist dabei im Ausgangspunkt unbedenklich und im Grundsatz sogar zu begrüßen. Denn insbesondere eine Oppositionspartei wie die AfD ist aufgrund ihrer Sachnähe zum Geschehen daran gehalten, alle Instrumente, die sie selbst für rechtlich indiziert hält, auch einzusetzen.
Problematisch wird die Anzeige jedoch dadurch, dass sich die Verantwortlichen der mangelnden Substanz ihrer Vorwürfe von Anfang an bewusst waren. Entsprechend ging es den Protagonisten der AfD nicht darum, geltendem Recht zur Durchsetzung zu verhelfen, sondern man sah in der Anzeige die Möglichkeit, auf die öffentliche Wahrnehmung der Kanzlerin Einfluss nehmen zu können. Denn selbst wenn nie ein Strafverfahren eröffnet wird, gehen viele Bürgerinnen und Bürger davon aus, dass an dem Strafbarkeitsvorwurf „etwas dran“ gewesen sein muss. In der Folge wird die als strafbar diskutierte politische Maßnahme (z.B. das Verhalten der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingskrise) von vielen als illegitim angesehen. Die politische Handlung erfährt eine Art Makel und der Handelnde wird stigmatisiert. Der Strafbarkeitsvorwurf führt so letztlich zu einer Art Manipulation der politischen Meinungsbildung.
In der Praxis zeigte diese Maßnahme natürlich nicht bei der gesamten Bevölkerung den gewünschten Effekt. Bei einigen Bürgerinnen und Bürgern schien sie jedoch einen Nerv getroffen zu haben. Bislang schlossen sich der Anzeige der AfD immerhin über tausend Bürgerinnen und Bürger an.
Politiker wie Stephan Brandner und Alice Weidel versuchen, diesen Ansatz noch über die Einstellungsverfügung hinaus fruchtbar zu machen. Sie erhalten den Mythos einer kriminellen Kanzlerin mit ihren öffentlichen Verdächtigungen aufrecht. Das Bild, das sie dem Bürger damit zeichnen, ist das einer gegenüber der Politik machtlosen Justiz.
Im Krieg und im politischen Meinungskampf ist alles erlaubt
Wie kommt es nun, dass populistische Politikerinnen und Politiker „falsche“ Anzeigen erstatten und öffentlich unhaltbare Verdächtigungen äußern können, ohne selbst hierfür belangt zu werden? Ironischerweise gelingt ihnen mit ihren häufig unvertretbaren Rechtsausführungen eine bemerkenswerte juristische Gratwanderung. Denn weder die Erstattung der Anzeige, noch die öffentlichen Verdächtigungen sind de lege lata strafbar.
Bei der Strafanzeige der AfD möchte man zunächst an eine falsche Verdächtigung in Tateinheit mit einer Verleumdung nach §§ 164 I, 187 I, 52 I StGB denken. Die falsche Verdächtigung scheitert jedoch daran, dass man in der Anzeige keine unwahren Tatsachen dargelegt hat. Man hat diese Tatsachen nur wissentlich rechtlich falsch eingeordnet. Aus demselben Grund scheidet auch eine Strafbarkeit wegen Verleumdung aus. Denn Rechtsaufassungen stellen Werturteile dar, die einen weitreichenderen Schutz durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG genießen.
Bei Stephan Brandner ist die Rechtslage auf Tatbestandsebene zunächst eine andere. Zwar ist seine Rechtsaufassung, Merkel habe sich als Schleuserin betätigt, ebenfalls ein nicht strafbares Werturteil. Dadurch, dass er in seinem Wahlkampfauftritt dieses Werturteil aber in diffamierender Form artikulierte, ist das Ehrgefühl von Frau Merkel verletzt worden. Die Aussage „wir schicken die alte Fuchtel in den Knast“ wegen „Beihilfe zur Vergewaltigung tausender deutscher Frauen“ verletzt die Person Angela Merkel in ihrem Achtungsanspruch und erfüllt den Tatbestand des § 185 I StGB. Insoweit wird das Recht auf freie Meinungsäußerung grundsätzlich durch das Ehrgefühl von Angela Merkel begrenzt.
Allerdings sind die tatbestandlichen Handlungen nach § 193 StGB gerechtfertigt. Danach entfällt die Strafbarkeit, wenn die Äußerung in der Wahrnehmung „berechtigter Interessen“ getätigt wurde. Das ist insbesondere im Bereich der Politik der Fall. Dabei wird zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 I GG sowie dem Ehrgefühl des Angegriffenen abgewogen. Das Bundesverfassungsgericht geht im politischen Diskurs dabei grundsätzlich von einer Vermutung zugunsten der freien Rede aus. Dabei sind nach Auffassung der Karlsruher Richter und Richterinnen auch stark polemische und überspitzte Formen der Meinungsäußerung grundsätzlich hinzunehmen, um einer „Lähmung und Verengung des Meinungsbildungsprozesses“ entgegenzuwirken. Selbst wenn das Werturteil also das Ehrgefühl des Gegners verletzt, wird dies im politischen Meinungskampf (fast) immer gerechtfertigt.
Die Instrumente sind vorhanden
Wie könnte man diesem Phänomen nun begegnen? Zwar vermag es im Ergebnis nicht zu befriedigen, dass eine Anzeige auch zur bloßen Diffamierung und politischen Stigmatisierung genutzt werden kann; eine Ausweitung der Strafbarkeit kommt hier jedoch dennoch nicht in Betracht. Denn der Gesetzgeber muss im Hinblick auf die Funktionalität der Strafrechtspflege das Risiko für den Anzeigenden so gering wie möglich halten. Andernfalls könnten die Anzeigen insgesamt rückläufig werden. Daneben droht die Gefahr von juristischen Schlammschlachten, in denen eine Anzeige mit einer Gegenanzeige quittiert wird. Vor diesem Hintergrund muss man es rechtspolitisch wohl hinnehmen, dass die Strafanzeige in manchen Fällen auch zur Diffamierung herangezogen wird.
Anders sieht es jedoch bei den Äußerungsdelikten aus: Das vom Bundesverfassungsgericht zugrunde gelegte Verständnis des Art. 5 I GG machte sich Stephan Brandner im Wahlkampf zu Nutze. Dabei ist der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Grundsatz zuzustimmen, dass man im politischen Meinungskampf mit Überspitzungen arbeiten darf und manchmal sogar muss. Allerdings sollte dies nicht so weit gehen, dass hierdurch eine Politik der reinen Diffamierung ermöglicht wird. Dieser Meinung war auch der Gesetzgeber und schuf in der noch jungen Bundesrepublik § 188 I StGB. Durch ihn wurde die üble Nachrede gegen Personen des politischen Lebens kriminalisiert, wodurch einer „Vergiftung des politischen Diskurses“ entgegengewirkt werden sollte. Hintergrund dessen waren die Erfahrungen aus der Weimarer Republik, als politische Gruppen die Diffamierung als Kampfmittel benutzten. Die strafrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit über § 193 StGB lässt diesen Schutzmechanismus jedoch weitgehend ins Leere laufen.
Nachzudenken wäre deshalb von der Seite des Bundesverfassungsgerichts darüber, von der quasi unwiderleglichen Vermutung zugunsten der Meinungsfreiheit abzurücken. Stattdessen könnte man differenzieren: Erfolgen die ehrverletzenden Aussagen systematisch und dienen lediglich der Diffamierung der Person, so sollte das Ehrgefühl auch noch im politischen Diskurs Vorrang haben. Wird jedoch gewissermaßen „im Eifer des Gefechts“ eine Zuspitzung formuliert, die der Untermauerung einer politischen Position dient, so soll sie weiterhin den Schutz des § 193 StGB genießen. Damit könnte man die Weichen zurück zu einem sachdienlichen Diskurs stellen und § 188 StGB zurück zur praktischen Bedeutung verhelfen.
Fazit
Die AfD hat in Strafanzeigen und strafrechtlich fundierten Verdächtigungen ein neues Mittel für sich entdeckt, im politischen Diskurs zu agieren und diesen zu beeinflussen. Dies führt mitunter dazu, dass sich der demokratische Diskurs immer weiter vom Austausch sachlicher Argumente entfernt. Zwar kann man juristisch kaum verhindern, dass politische Mythen („Schleuser-Merkel“) entstehen, allerdings sehr wohl der weiteren Ausnutzung dieses Phänomens begegnen. Sollte es bei der derzeitigen Interpretation des Strafrechts bleiben, so wird der Auftritt von Stephan Brandner auch im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen in Bayern nicht der letzte seiner Art gewesen sein.
Veröffentlicht unter CC NY NC ND 4.0.
4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für den interessanten Beitrag. Nur, bin ich nicht ganz Deiner Meinung, was die Qualifizierung des „Schleuser“-Vorwurfs als Werturteil angeht.
Rechtsauffassungen unterstehen nicht immer per se dem Schutz der Meinungsfreiheit. Die Verwendung rechtlicher Fachbegriffe wird von den Gerichten zwar in der Regel als Meinungsäußerung eingestuft. Allerdings nicht immer. Wenn nicht nur die Rechtsauffassung ausgedrückt werden soll, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten Taten hervorgerufen werden soll, die lediglich wertungsmäßig eingekleidet sind, dann handelt es sich um grundsätzlich beweisbare Tatsachen.
So kann die Bezichtigung der „Korruption“ oder „Bestechung“ als unwahre Tatsache gewertet werden, wie der BGH in seinem Urteil vom 27. April 1999 (VI ZR 174/97) angenommen hat.
M. E. lässt sich diese Argumentation auch beim Schleuser-Vorwurf heranziehen.
Beste Grüße!
as
Die Einseitgkeit dieses Artikels ist selbst für juwiss-Verhältnisse bemerkenswert.
Warum der Autor fest davon ausgeht, dass die Verantwortlichen um die vermeintliche Haltlosigkeit der Vorwürfe wissen, bleibt sein Geheimnis. Immerhin wird eine Strafbarkeit Merkels selbst von renommierten Strafrechtlern (zu denen der Autor gewiss nicht zählt) wie Holm Putzke erwogen und kann daher so abwegig nicht sein.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/fluechtlingspolitik-macht-sich-merkel-strafbar-13849749.html
Dass umgekehrt auch diverse AfD-Politiker Opfer von haltlosen Strafanzeigen werden, scheint ebenso am Autor und seinem Weltbild vorbeigegangen zu sein.
[…] JAN MORAWITZ-BARDENHEUER dismantles the myth spread by the German far-right AfD party that Chancellor Merkel has committed a criminal offence for “human trafficking” and asks about the limits of freedom of expression. […]
Ich stimme dd zu. Darüberhinaus: Interessant ist für mich immer wieder, wie „uralt/antiquier“ ein 21-jähriger (wie der Autor) argumentiert. Er übernimmt sämtliche Stilfloskeln ohne eigene Bedeutung von altbackenen Argumentationsmustern „älterer“ Autoren. Für mich ist im Ergebnis der Beitrag wisse. unbedeutend und eher der Kategorie „Ego-Selbstbefriedigung“ zuzuordnen.