Überwachungskameras, Überwachungsdruck, Überwachungsstaat?

von PHILIPP SCHÜPFERLING

Die schon länger bestehende Forderung nach automatisierter Gesichtserkennung zur Identifizierung von Straftätern flammte jüngst im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 erneut auf. Dabei ist der Begriff der automatisierten Gesichtserkennung mehrdeutig. Die Debatte um Kameraüberwachung kann daher nicht mit solchen undeutlichen Begriffen befeuert werden. Man muss verschiedene Fallgruppen unterscheiden. So beschäftigen sich die höchsten Gerichte sämtlicher Gerichtsbarkeiten schon lange mit dem Thema der Überwachungskameras – sei es im Nachbarstreit oder sei es als Dashcam im Straßenverkehr. Kommt nun aber künstliche Intelligenz mit ins Spiel, offenbart sich in der KI-Verordnung eine wundersame Lücke.

Die klassische Überwachungskamera

Der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zufolge ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) einer Person verletzt, wenn diese ohne deren Einwilligung (selbst in öffentlichen Bereichen) aufgezeichnet wird und diese Überwachung nicht im Einzelfall durch verfassungsrechtlich geschützte Positionen gerechtfertigt ist. Häufig ist ein Argument für die Rechtfertigung der Kameraüberwachung, dass diese zum Aufklären bzw. Verhindern von Straftaten dienen soll. Datenschutzrechtlich reicht das allerdings nur als berechtigtes Interesse im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, wenn die Gefahr der Straftaten größer ist als das allgemeine Lebensrisiko. Eine bloße allgemeine Befürchtung von Straftaten genügt nicht, es müssen tatsächliche handfeste Anhaltspunkte für eine erhöhte Gefahr bestehen – so das Bundesverwaltungsgericht. Bereits 2010 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sogar schon ausreichen kann, dass ein sogenannter Überwachungsdruck besteht. Die Kamera muss also nicht einmal tatsächlich aufzeichnen, es genügt schon die objektive ernsthafte Befürchtung, dass sie das tut.

Erhebung und Verwertbarkeit von Beweisaufnahmen im Zivilprozess

Im Zivilprozess darf grundsätzlich kein Beweis erhoben oder verwertet werden, der unter Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Person errungen wurde. Hierbei ist laut Bundesgerichtshof stets im Einzelfall abzuwägen, ob das Interesse an der Beweissicherung oder das Interesse am Schutz der Persönlichkeitsrechte überwiegt. Was nicht die Erhebung und Verwertung eines solchen Beweises rechtfertigt, ist ein sogenanntes schlichtes Beweisinteresse. In der entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat dieses stattdessen gefordert, dass die Überwachung zur Aufklärung schwerer Straftaten gedient haben muss oder dass man sich in einer Art notwehrähnlichen Lage befinden muss, wo man zum Beispiel telefonische Drohungen nur durch Aufnahme feststellen kann. Beispielsweise genügt demnach für die Verwertung eines Beweises aus Überwachung aber nicht, dass ein Nachbar sich bloß einen zivilrechtlichen Anspruch gegen einen anderen Nachbarn wegen Ruhestörung in Form von lauten Gesprächen sichern möchte.

Insbesondere: Die Dashcam im Straßenverkehr

Hinsichtlich Dashcams im Straßenverkehr fällte der Bundesgerichtshof 2018 ein wegweisendes Urteil. Auch die Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen ist eine Frage der Abwägung im Einzelfall. Auf jeden Fall unzulässig ist eine anlasslose, dauerhafte und flächendeckende Überwachung des Verkehrs. Stattdessen dürfen Dashcams nur Aufnahmen von kurzer Dauer herstellen und müssen diese automatisch in gewissen Intervallen löschen – es sei denn, es kam zu einem Unfall, wo die Aufnahme dann gespeichert wird. Diese Rechtsprechung überzeugt. Denn durch die kurze Dauer der Aufnahme und die automatische Löschung ist auch der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gering. Entscheidend ist letztlich, dass bei Dashcam-Aufnahmen die Fahrzeuge und nicht die Personen im Mittelpunkt der Aufnahmen stehen. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch dadurch deutlich abgeschwächt.

Automatische Gesichtserkennung – aber wie?

Nun zum Thema der automatischen Gesichtserkennung: Hier müssen verschiedene Fallgruppen unterschieden werden.

Zum einen besteht die Möglichkeit, Bilder von Personen, die festgenommen sind, mit einer polizeieigenen Datenbank zu überprüfen, um festzustellen, ob die entsprechende Person strafrechtlich auffällig war oder ist. Zieht man die Bilder nicht aus einer Datenbank, sondern aus dem Internet, wird eine größere Datenmenge abgeglichen und die Systeme der Polizei greifen auf mehr Inhalte zu. Ist aber ein eigenes Bild von einer Person freiwillig in das Internet gestellt worden, so hat diese Person auch damit zu rechnen, dass das Bild aufgerufen wird. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist hierbei keine allzu große Hürde.

Daneben gibt es Live-Gesichtserkennung, in der Kameras alle an einem öffentlichen Ort befindlichen Personen überprüfen und nach Übereinstimmungen mit Straftätern suchen. Folgt man der Rechtsprechung zum Überwachungsdrang, so spricht das zunächst gegen die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Überwachung. Orientiert man sich dagegen an der Rechtsprechung zu den Dashcams, kann diese Überlegung ins Wanken kommen. Denn wenn man die Aufnahmen direkt nach der Überprüfung auf Straftäter restlos löscht, so ist der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemindert. Nur so lässt sich auch ein Übereinstimmen mit dem Grundsatz der Datenminimierung (Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO) erreichen. Da aber hier – im Vergleich zu den Dashcams – tatsächlich Personen und deren Gesichter im Vordergrund der Aufnahme stehen statt bloßer Fahrzeuge, bleibt diese Frage tatsächlich offen. Für eine solche Live-Gesichtserkennung spräche aber das dazukommende Interesse an der Straftatenbekämpfung bzw. -verhütung, wenn damit schwere Straftaten verhindert werden und auch nur entsprechende Straftäter einen „Treffer“ im System ergeben.

Wird künstliche Intelligenz für eine der beschriebenen Erkennungsmethoden genutzt, hat sich die Frage nach der Rechtslage durch die Verordnung über künstliche Intelligenz ab dem 02.02.2025 (Art. 113 S. 3 lit. a KI-VO) verkompliziert. Denn gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. h KI-VO ist eine biometrische Echtzeit-Fernidentifikation mittels KI im öffentlichen Raum grundsätzlich verboten. Als Ausnahmen listet die Vorschrift jedoch die gezielte Suche nach Opfern von Entführung o.ä., bzw. nach vermissten Personen, das Abwenden einer konkreten, erheblichen und unmittelbaren Gefahr für Leib oder Leben, die Verhütung eines mindestens vorhersehbaren Terroranschlags oder das Aufspüren von potenziellen Straftätern. Umfasst sind als Straftäter aber nur solche, die schweren Straftaten (siehe Anhang II KI-VO), wie zum Beispiel Mord oder Vergewaltigung, beschuldigt sind. Eine solche Überwachung bedarf dazu der Genehmigung durch eine unabhängige Verwaltungsbehörde (Art. 5 Abs. 3 KI-VO).

Überraschenderweise ist von diesem Verbot aber das gesamte Internet ausgenommen (Erwägungsgrund 19 S. 8 KI-VO). Hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte ergibt das weniger ein Problem: Wer etwas öffentlich in das Internet stellt, muss damit rechnen, dass diese Bilder (heutzutage auch von KI) angesehen werden – man willigt quasi mit dem Upload darin ein und gibt seine Identität der Öffentlichkeit preis. Hinsichtlich der KI ist das aber eine gesetzgeberische Entscheidung, die dogmatisch schwer verständlich ist: Das Internet ist ebenso öffentlich wie ein Bahnhof – wenn nicht sogar noch öffentlicher, da nahezu alle dazu Zugang haben (Weiterführend zu dieser Thematik Johanna Hahn, Ein Anfang, mehr nicht, Verfassungsblog v. 11.12.2024).

Fazit und Ausblick

Während für die Konformität von klassischen Überwachungskameras mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht strenge Anforderungen gestellt sind, ist der Einsatz von Dashcams grundsätzlich bei einer automatischen Löschung in gewissen Intervallen zulässig. „Automatische Gesichtserkennung“ ist nicht gleich automatische Gesichtserkennung. Eine Live-Erkennung könnte eventuell zulässig sein, wenn ebenfalls eine automatische Löschung in gewissen Intervallen geschieht, wie bei Dashcams. Übertragbar ist diese Rechtsprechung jedoch nicht ganz, da bei Dashcams primär Fahrzeuge aufgenommen werden und bei Gesichtserkennung Menschen. Hier wird die Rechtsprechung erst neue Maßstäbe setzen müssen. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz zu diesem Zweck ist ebenfalls nur eingeschränkt zulässig. In der KI-Verordnung klafft jedoch ein riesiges Loch beim Schutz vor KI-Gesichtserkennung im Internet. Hier besteht Nachbesserungsbedarf, möglicherweise durch eine strengere staatliche Regelung Deutschlands.

Zitiervorschlag: Schüpferling, Philipp, Überwachungskameras, Überwachungsdruck, Überwachungsstaat?, JuWissBlog Nr. 31/2025 v. 14.03.2025, https://www.juwiss.de/31-2025/

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automatische Gesichtserkennung, Dashcams, DSGVO, KI-VO, Überwachungsdruck
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