von MARTIN MEIER
Nach der Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten musste die Wahl von Verfassungs wegen innerhalb von 60 Tagen durchgeführt werden. Diese Frist ist jedoch für Briefwähler aus dem In- und Ausland insbesondere wegen der verlängerten Postlaufzeiten kaum einzuhalten. Zeit, neue Wege zu gehen und zu fragen: Wie sollen Wahlen in Zukunft aussehen? Und welche Anforderungen stellt die Verfassung an digitale Wahlsysteme? Eine sinnvolle Ergänzung zur traditionellen Urnen- und Briefwahl könnte ein Blockchain-basiertes Wahlsystem sein.
Bisherige Erfolge dieser Technologie
In Japan und in der Schweiz wurde die Blockchain bereits erfolgreich bei Regionalwahlen getestet. Ebenso konnten im US-Bundesstaat West Virginia im Ausland stationierte Militärangehörige bei den Bundeswahlen 2018 über die Blockchain abstimmen. Aber auch in Deutschland gibt es bereits erste Versuche mit dieser Technologie: So wurde in Nordrhein-Westfalen mit der govchain.nrw eine Blockchain für die kommunale Verwaltung getestet, um beispielsweise Einwohnermeldebescheinigungen, Gewerbeanmeldungen und Führerscheine digital verfügbar zu machen.
Von Blockketten und dem Problem eines Konsenses
Untechnisch gesprochen kann man sich eine Blockchain als ein dezentral organisiertes Register vorstellen, das aus einem Netzwerk von Computern oder anderen Endgeräten besteht, die bildlich als Knoten (Nodes) bezeichnet werden und jeweils eine Kopie des Registers speichern. Die in den einzelnen Blöcken enthaltenen Daten werden fortlaufend gespeichert und mittels Kryptographie miteinander verknüpft werden, was zu der namensgebenden Verkettung führt und eine nachträgliche Veränderung nahezu ausschließt. Blockchains können in Bezug auf Sichtbarkeit (public/private) und Freigabeberechtigung (permissionless/permissioned) unterschiedlich ausgestaltet werden. Diese Flexibilität ermöglicht die Anpassung an unterschiedliche Anforderungen, um beispielsweise Transparenz und Datensicherheit im Wahlprozess zu gewährleisten. Dies bietet erhebliche Vorteile: Stimmen können fälschungssicher gespeichert werden, ohne das Wahlgeheimnis zu verletzen, gleichzeitig wird die Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Wahlprozesses erhöht.
Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, die Anonymität der Wähler zu wahren und gleichzeitig überprüfbare Ergebnisse zu erhalten. Dies kann die Blockchain mit ihrem Validierungsprozess lösen, d.h. wie sich das aus einzelnen Knoten bestehende Blockchain-Netzwerk auf die einzutragenden Daten einigt. Der bei Bitcoin verwendete Proof-of-Work-Konsensmechanismus bietet zwar eine hohe Sicherheit, ist aber aufgrund des enormen Energieverbrauchs ineffizient und umweltbelastend. Vielversprechend scheint der Zero-Knowledge-Proof zu sein, bei dem – allgemein gesprochen – Informationen wie eine Wählerstimme bestätigt werden, ohne sie mit anderen zu teilen.
Doch nicht alles, was glänzt, ist Gold. Gerade bei Blockchain-basierten Wahlsystemen gibt es auch Sicherheitsbedenken, etwa gegen Hackerangriffe oder Distributed-Denial-of-Service-Attacken (DDoS), bei denen Server so lange mit Anfragen „bombardiert“ werden, bis sie den Dienst verweigern und zusammenbrechen. Darüber hinaus müssen auch die Bedenken in Bezug auf den Datenschutz ernst genommen werden.
Ein Blick in das estnische i-Voting System
Die estnische Regierung nutzt eine Reihe von digitalen Innovationen, darunter eine hochentwickelte ID-Card, die WählerInnen für das i-Voting nutzen können. Um den Sicherheits- und Datenschutzbedenken zu begegnen, hat Estland eine neue Blockchain-Technologie entwickelt, die als State of the Art bezeichnet werden kann: die Keyless-Signature-Infrastructure (KSI). Diese garantiert mit kryptografischen Einweg-Funktionen maximalen Datenschutz.
Um in Estland dann online an einer Wahl partizipieren zu können, benötigt man einen internetfähigen Computer oder anderes Endgerät und eine digitale ID bzw. die ID-Card samt Kartenlesegerät. Sodann muss man sich mit dieser ID auf der Wahlwebsite registrieren und erhält dann die Liste mit KandidatInnen. Die Wahl muss durch eine PIN bestätigt werden, um eine unbewusste oder falsche Wahl zu vermeiden. Die elektronische Stimme wird dann ähnlich der Briefwahl in Deutschland in zwei digitale Briefe verpackt und an eine digitale Wahlurne verschickt. Mit einem QR-Code können die WählerInnen prüfen, ob ihre Stimme angekommen ist. Die abgegebene Stimme kann dabei bis zum Wahlschluss korrigiert werden. Und das kommt auch gut an, so wurden bei den estnischen Parlamentswahlen 2023 bereits 51 % aller Stimmen online abgegeben.
Was verlangt die Verfassung?
Die verfassungsrechtlichen Implikationen liegen dabei auf der Hand, deren Maßstab mit Art. 38 Abs. 1 GG klar festgehalten sind. Wahlen müssen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein. Trotz der Sicherheits- und Datenschutzbedenken, wird die rechtliche Zulässigkeit von Blockchain-basierten Wahlsystemen in der Literatur zunehmend anerkannt (ausführlich bereits Mast, JZ 2021, 237). Für die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Gleichheit der Wahl ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. Um eine geheime Wahl zu gewährleisten, ist neben der anonymen Speicherung der Stimme in der Blockchain, die als digitale Wahlurne fungiert, auch eine anonyme Stimmabgabe am Endgerät selbst erforderlich. Darüber hinaus sind Sicherheitsvorkehrungen gegen mögliche DDoS-Attacken zu treffen. Um die Wahlfreiheit zu gewährleisten, müsste zum Zeitpunkt der Stimmabgabe etwaige Wahlwerbung auf der Website bzw. App gesperrt werden, um eine unzulässige Beeinflussung zu verhindern. Auch eine Beeinflussung durch das soziale Umfeld müsste verhindert werden, z.B. durch eine nachträgliche Korrektur der Stimmabgabe bis zum Ende des Wahltages, was aber auch Vorkehrungen gegen eine doppelte Stimmabgabe voraussetzt. Vorbild könnte hier das i-Voting-System in Estland sein. Schließlich kann dem häufig vorgebrachten Argument eines digital divide, also einem Zugangshindernis für weniger technikaffine gegenüber technikaffinen Menschen, entgegengehalten werden, dass ein solches Konzept die traditionellen Wahlsysteme nur ergänzen, nicht aber ersetzen soll.
Seit der Wahlcomputer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müssen Wahlsysteme jedoch auch dem ungeschriebenen Grundsatz der Öffentlichkeit genügen. Das Urteil erging zur Wahl des 16. Deutschen Bundestages und erklärte die damalige Bundeswahlgeräteverordnung (BWahlGV) für verfassungswidrig, da die von einer niederländischen Firma gelieferten Wahlcomputer die erforderliche Öffentlichkeit der Wahl nicht gewährleisten konnten. Vielfach wurde aus diesem Urteil geschlossen, dass damit eine Digitalisierung des Wahlsystems ausgeschlossen sei. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass mögliche Manipulationen an einzelnen Wahlgeräten oder auch an der Software zu gravierenden Wahlfehlern führen können und damit das für die demokratische Legitimation notwendige Vertrauen nicht immer gewährleistet werden kann. Das Urteil legt damit die Anforderungen fest, die an digitale Wahlsysteme zu stellen sind.
Danach muss zum einen eine öffentlichkeitswirksame Überprüfung und zum anderen eine Ergebnisermittlung durch die Öffentlichkeit möglich bleiben. Dem könnte durch eine Open-Source-Lösung Rechnung getragen werden, die es nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch Institutionen wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt ermöglicht, die Sicherheit der Wahlsoftware zu überprüfen. Die als Knoten fungierenden Server könnten in einem Wahllokal betrieben und von den Wahlvorständen überwacht werden, wobei auch ein Betrieb durch Privatpersonen analog zu den ehrenamtlichen Wahlhelfern denkbar ist. Eine Überprüfung der Wahlberechtigung kann z.B. mittels Personalausweises und Multifaktor-Authentifizierung erfolgen. Durch die Blockchain-Technologie wird nicht nur der Verlust oder die Manipulation von Stimmen ausgeschlossen, sondern auch eine permanente Kontrolle aller Server durch Konsensmechanismen gewährleistet.
Allerdings muss das Wahlergebnis auch „ohne informationstechnische Spezialkenntnisse“ überprüfbar sein, eine rein digitale Anzeige der Stimme reicht dafür nicht aus. Diese „Laienkontrolle“ könnte durch die Unveränderbarkeit der kryptographischen Algorithmen gewährleistet werden, da Manipulationen aufgrund der Transparenz und Nachvollziehbarkeit ausgeschlossen wären.
Der Nutzen dieser Wahlsysteme außerhalb von Parlamentswahlen
Damit lässt sich festhalten, dass Blockchain-basierte Wahlsysteme das Potenzial haben, ein drohendes faktisches Zugangshindernis zum Wahlprozess für WählerInnen im In- und Ausland zu beseitigen, sofern die technische Ausgestaltung den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügt. Die hohen Hürden des Öffentlichkeitsprinzips gelten allerdings nur für Parlamentswahlen und die Aufstellung von Parteikandidaten; auf der Ebene von Volks- und Bürgerentscheiden könnten diese Systeme bereits zum Einsatz kommen, da hier eine Expertenkontrolle und eine einfache Stimmenspeicherung (vgl. Hackmann, K&R 2019, 777, 781) ausreichen.
Zitiervorschlag: Meier, Martin, Blockchain-basierte Wahlsysteme für mehr demokratische Teilhabe, JuWissBlog Nr. 12/2025 v. 05.02.2025, https://www.juwiss.de/12-2025/
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