In der Bundesrepublik gibt es etwa 62 Mio. Wahlberechtigte. Ihnen gegenüber stehen ca. 6 Mio. Menschen, die als Nichtdeutsche nicht wahlberechtigt sind, jedoch mitregiert werden.
„Parteien und Ausländer – Demokratische Partizipation in der Zuwanderungsgesellschaft“ war das Thema des Parteienwissenschaftlichen Symposions des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf am 19. und 20. April 2013.
Die Wahl als Königsdisziplin der Partizipation für „Vollmitglieder der Gesellschaft“
Zur Begrüßung betonte Professor Dr. Thomas Poguntke (Direktor PrUF, Düsseldorf) den Wert und die Bedeutung der Teilhabe am demokratischen Prozess. Er fragte, ob die Protestbewegungen innerhalb Europas als Hinweis auf Repräsentationsdefizite verstanden werden können. Anhand des Mayhew’schen Zitats „no taxation without representation“ verdeutlichte er einen möglichen Grund für ein Ausländerwahlrecht; allerdings habe bisher zu keiner Zeit Identität von Elektorat und Beherrschten bestanden. Er betonte die bidirektionale Arbeitsweise von Parteien, für die nicht wahlberechtigte Ausländer auf dem „politischen Markt“ womöglich keine attraktive Klientel seien. Eine mögliche Reform kenne zwei Alternativen: Anpassung des Wahlrechts oder Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts.
Dr. Rana Deep Islam (Stiftung Mercator) beschrieb anschließend, wie er den „intimen Moment des ersten Wahlakts“ nicht als Endpunkt, sondern gerade als Beginn der politischen Partizipation erlebt habe. Ob Menschen wahlberechtigt seien, könne als „Zufall“ bezeichnet werden.
Panel 1: Demokratie und Teilhabe
Im ersten, von Professor Dr. Manfred Stelzer (Wien) moderierten Panel zeigte PD Dr. Dirk Jörke (Greifswald) in seinem Vortrag „Der Fremde und die Herrschaft des Volkes“ in einem Dreischritt von Antike (Aristoteles, Cicero) über Neuzeit (Rousseau, Kant) zu (Post-)Moderne (Miller, Benhabib), wie ethos und demos im Wandel der Zeiten zueinander standen. Er stellte die These auf, die Partizipation „Fremder“ stärke die Demokratie als solche.
Professor Dr. Karen Schönwälder (MPI-MMG Göttingen) sprach sodann über „Maße und Formen der Zuwanderungsgesellschaft heute“. Ihr dynamischer Vortrag wusste mit einigen überraschenden Fakten aufzuwarten, so etwa, dass die Hälfte der Zuwanderer seit höchstens zwanzig Jahren in der Bundesrepublik lebt – und folglich die 80er und 90er Jahre in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken sollten. Auch sie erkannte eine beschleunigte und liberalisierte Einbürgerung als unbedingt notwendig.
Anschließend setze sich PD Dr. Julian Krüper (Düsseldorf/Bochum) unter dem Titel „Staatsbürgerschaft – Mythos und Bedeutung“ mit der Staatsbürgerschaft als „Recht auf Rechte“ oder „Türöffner zur gesellschaftlichen Partizipation“ auseinander; Neben Grundlagen des Staatsbürgerschaftsrechts (ius sanguinis/ius soli uvm.) und einer Betrachtung der Rationalität solcher Erwägungen hinterfragte er auch das binäre Denken der Juristerei kritisch.
Panel 2: Rechtliche Bedingungen der demokratischen Partizipation im Vergleich
Im zweiten Panel (Moderation: Professor Dr. Uwe Volkmann, Mainz) betrachtete Dr. Sebastian Roßner (Düsseldorf) die „Politisch-parteiliche Teilhabe von Ausländern nach deutschem Recht“, hierbei nahm die Darstellung der innerparteilichen Gremien breiten Raum ein. Auch er betonte, Ausländer seien für Parteien „auf dem politischen Markt kein solventer Kunde“. Folglich müsse – unabhängig davon, wie man den Volksbegriff des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verstehe – das Wahlrecht reformiert werden.
Die „Politisch-parteiliche Teilhabe von Ausländern in Frankreich“ untersuchte Dr. Yves-Marie Doublet (Assemblée nationale, Paris). Er kam zum Fazit, dass – obwohl Verfassungsgrundsatz – noch viel getan werden müsse, bis die sprichwörtliche Gleichheit auch im Themenbereich seines Vortrags erreicht sei.
Dr. Luicy Pedroza (Berlin) verglich unter der Überschrift „Wie halten es die Anderen? Partizipationsrechte von Ausländern bei Wahlen im Vergleich zu anderen Demokratien“ in englischer Sprache am Beispiel zahlreicher Staaten, in welchem Maß sog. „denizens“ partizipieren können. Sie schloss, dass insbesondere politische Eliten Einfluss auf den Umfang möglicher Beteiligung nehmen könnten.
Podiumsdiskussion 1: Was können Parteien lernen? Partizipation und Integration in anderen Bereichen der Gesellschaft
In der anschließenden Podiumsdiskussion ließen sich Michaela Dälken (DBG-Bildungswerk BUND), Landespfarrer Markus Schäfer (Landeskirchenamt NRW), Dr. Stephan Osnabrügge (Fußballverband Mittelrhein), Ursula Schwarzenbart (Global Diversity Management Daimler AG) als Vertreter außerparteilicher Organisationen von Professor Dr. Karl-Rudolf Korte (Duisburg-Essen) befragen. Die harmonische Runde zeigte anhand der unterschiedlichen Ansatzpunkte die Wichtigkeit von Partizipation und Vielfalt auf.
Panel 3: Problembewusstsein und Anpassung der Parteien
Im von Professor Dr. Uwe Jun (Trier) moderierten Panel am Samstag arbeitete Dr. Markus Linden (Trier) unter dem bündigen Titel „Partizipation statt Repräsentation? Nutzen und Grenzen außerparteilich-deliberativer Gremien für die Ausländerintegration – Ergänzung oder Ersatz für die innerparteiliche Integration?“ heraus, dass der Integrationsbegriff als „politische Leitmaxime“ gelte. Es folgte eine Begriffsbetrachtung anhand der Definitionen von Smend, Heller und Fraenkel, ergänzt um Habermas’ deliberativ-rationale Theorie der Entscheidungsfindung und die Sichtweise Luhmanns. Linden stellte jedoch heraus, dass der Begriff der Integration inzwischen auch zur Abgrenzung genutzt werde (Erdogan). Die Erkenntnis der anschließenden Darstellung von Expertenkommissionen und Selbstvertretungsgremien fasste er knapp zusammen: Sie wären eher „ Triebfeder politischer Benachteiligung“ denn hilfreiche Institutionen.
„Politische Repräsentation und Migranteninteressen“ präsentierte Dr. Andreas Wüst (Mannheim) in Form von Forschungsergebnissen zu den Fragen, welche spezifischen politischen Interessen Migranten haben, ob Parteien geeignete Partnerinnen zur Durchsetzung dieser Interessen sind und ob längerfristige Allianzen zwischen Migranten und Parteien bestehen. Er fasste zusammen, dass Aussiedler den Autochtonen in ihrer politischen Position am nahesten, die zweite Generation der übrigen Migranten autochtonen Positionen fremder als die erste sei und Migranten die Parteien als kompetente Partner im politischen Betrieb empfinden.
Jun.-Professor Dr. Andreas Blätte (Duisburg-Essen) („Parteinahe Organisationen von Einwanderern: Politisch-unternehmerisches Handeln im Ringen um Repräsentation“) stellte heraus, dass Parteien (als Stratarchien, Eldersweld, bzw. lose strukturierte Anarchien, Wiesendahl, verstanden) über umfassende ihnen nahestehende Organisationen verfügen. Diese schafften innerhalb der Parteien eine Art „Hausmacht“, indem sie die Erfolgsaussichten der Mitglieder verbesserten.
Podiumsdiskussion 2: Bedarf und Möglichkeiten der Reform
Professor Dr. Ulrich von Alemann (Düsseldorf) moderierte die anschließende Podiumsdiskussion. Hier trafen Dr. Günther Beckstein, MdL, Ministerpräsident a.D., CSU („Wir sind nicht das Sozialamt Europas!“), Monika Dülker, MdL, Landesvorsitzende B90/Grüne NRW („Europa ist Freizügigkeit!“), Michael Hartmann, MdB, Innenpolitischer Sprecher Bundestagsfraktion, SPD („Allen Parteien fehlt ein in sich konsistentes System hinsichtlich der Menschen mit Migrationshintergrund“), Armin Laschet, MdL, Landesvorsitzender CDU NRW („Die Aufstellung türkeistämmiger Kandidaten geht nur von oben und kann nicht aus der Basis erwachsen“), Bodo Ramelow, MdL, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE Thüringen („Wir sind das Land, aus dem die NSU-Täter kommen“) und Dr. Joachim Stamp, MdL, stv. Fraktionsvorsitzender FDP NRW, Sprecher für Integration („Herr Laschet, rufen Sie Herrn Laumann zur Ordnung!“), aufeinander. Neben altbekannten (teils jedoch überraschend deutlichen) Positionen und intensivem Schlagabtausch förderte die nonchalante Diskussionsführung von Alemanns („Herr Beckstein, sind Sie retardierende Kraft?“) auch unerwartete Wendungen, etwa erhebliche Differenzen innerhalb der Union oder Gemeinsamkeiten zwischen dieser und den Grünen, zutage.
Zusammenfassung und Schlusswort
Professor Dr. Martin Morlok, stv. Direktor PRuF (Düsseldorf) griff abschließend einige Erkenntnisse des Symposions auf. Über den Legitimationsgedanken kam er zum Volksbegriff, der eine Schlüsselrolle bei Fragen des Wahlrechts spiele. Die Verschmelzung von demos und ethos in der Demokratiegeschichte sei es, was nun zu Problemen führe. Er suchte nach möglichen Gründen von Exklusion und fand Selbstidentifikation und Selbstbestimmungswillen sowie (da zu keiner Zeit vorliegend von Morlok jedoch abgelehnt) die Notwendigkeit gesellschaftlicher Homogenität. Wolle man jedoch nicht, dass es „aufgrund eruptiven Auftretens irgendwann knallt“, sei eine Reform des Wahl- oder des Staatsbürgerschaftsrechts geboten. Andererseits dürfe man auch nicht vergessen, dass sogar einzelne Grundrechte bisher nur Deutschen i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG gewährt würden. Auch hier sei Reformpotential zu sehen. Schließlich sei aus seiner (juristischen) Position beim Wahlkreiszuschnitt nicht etwa auf die Zahl der Wahlberechtigten, sondern die der dort lebenden Menschen abzustellen, um gleiche Vertretung der – auch schon zuvor mehrfach als Maßstab erwähnten – Bevölkerung gewährleisten zu können.
Mit dem Symposion gelang es dem PRuF auch in diesem Jahr wieder, Vertreter aus Wissenschaft und Praxis zu einer inspirierenden Veranstaltung zusammenzubringen, die in zu erwartende Entwicklungen dieser relevanten Thematik hineinwirken wird.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Sehr interessanter Hinweis. Ist ein Tagungsband geplant?
Beste Grüße
Christoph
Ja, ein Tagungsband ist in Vorbereitung und wird bei Nomos erscheinen, voraussichtlich Ende 2013/Anfang 2014.