von PETER BIERI und ANDREAS MÜLLER
Kein Alkohol in der Fankurve, vorgeschriebene Anreisewege zum Auswärtsspiel, Körperdurchsuchungen ohne konkreten Verdacht: Ist dies nur ein von Fussballfans gezeichnetes Horrorszenario oder bald Wirklichkeit in der Schweiz? Jedenfalls sieht das sogenannte „Hooligan-Konkordat“ neu genau solche Massnahmen vor, um die Gewalt bei Sportanlässen in den Griff zu kriegen. Aber beginnen wir am Anfang:
Euro 2008 als Ausgangspunkt
Im Vorfeld der Fussballeuropameisterschaft in Österreich und der Schweiz 2008 und der Eishockey-Weltmeisterschaft 2009 (in Zürich und Bern) begann sich der schweizerische Gesetzgeber berechtigterweise mit Gewalt an Sportanlässen zu beschäftigen. Er revidierte in der Folge das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) und schuf Massnahmen, die gewaltbereite Fans bändigen sollten. Zu diesen „individualpräventiven Massnahmen gegen potentielle Täter“ gehörten Rayonverbote, Meldeauflagen und Polizeigewahrsam. Da das Polizeirecht klassischerweise eine kantonale Materie ist, blieben die meisten dieser Bestimmungen des BWIS nur für zwei Jahre in Kraft. Das rief nun die Kantone auf den Plan und sie schlossen zwecks Beibehaltung dieser Massnahmen gegen gewaltbereite Fans einen interkantonalen Vertrag (Konkordat) ab, der unmittelbar anwendbare Rechtsnormen enthält: das Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen; im Volksmund kurzerhand als Hooligan-Konkordat bezeichnet. Sämtliche Kantone haben das Hooligan-Konkordat ratifiziert und das Bundesgericht hat es im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle für vereinbar mit dem übergeordneten eidgenössischen und internationalen Recht erklärt.
An dieser Stelle soll keine Lehrstunde zum schweizerischen Staatsrecht abgehalten werden. Dennoch sei uns verziehen, dass wir einige Worte zu den Konkordaten (den öffentlich-rechtlichen Verträgen zwischen den Kantonen) verlieren. Diese bilden einen wichtigen Aspekt des kooperativen Föderalismus‘ in der Schweiz. Konkordate können rechtsgeschäftlicher oder – wie das Hooligan-Konkordat – rechtsetzender Art sein. Die Kantone treten den Konkordaten durch Beschluss der zuständigen Organe bei; dabei kann es ganz im Zeichen der direkten Demokratie freilich auch zu Volksabstimmungen kommen. Nach dieser staatsrechtlichen Klammerbemerkung kehren wir zur oben begonnenen Geschichte zurück: Die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren bemerkten nämlich bald, dass die Massnahmen im Konkordat nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten. Sie kamen sodann zum einzig logischen Schluss, dass die Massnahmen verschärft werden müssen und arbeiteten eine geänderte Version des Konkordats aus. Die geänderten und neuen Bestimmungen beinhalten beispielsweise, dass Rayonverbote länger dauern können oder dass die grössten Sportveranstaltungen einer Bewilligungspflicht unterliegen. Alkoholverbote (ausser für den VIP-Bereich) sind ebenso möglich wie Auflagen zur Art der Anreise der Auswärtsfans. Momentan erfolgen die Beitritte der Kantone zum geänderten Konkordat. Am 2. Mai 2013 befasste sich das Parlament des Kantons Zug mit dem Hooligan-Konkordat. Es stimmte dem geänderten Konkordat zwar knapp zu, ordnete aber zugleich an, dass eine Volksabstimmung durchzuführen sein wird (durch ein sogenanntes Behördenreferendum – eine schweizerische Besonderheit).
Aufstand der Fans
Verständlicherweise reagierten die Fans nicht mit überschwänglicher Freude. Doch mit welchen Mitteln können sie sich im schweizerischen Rechtssystem gegen das revidierte Konkordat zur Wehr setzen? Sie haben zwei Möglichkeiten, um dieses zu verhindern. Einerseits können sie in den Kantonen ein Referendum gegen den dortigen Beitrittsbeschluss ergreifen. Im Kanton Zürich war dieses Unterfangen bereits von Erfolg gekrönt: Das Referendum ist zustande gekommen, so dass am 9. Juni 2013 eine Volksabstimmung stattfinden wird. Im Kanton Bern werden aktuell Unterschriften gegen den Beitrittsbeschluss des Grossen Rates gesammelt. Andererseits kann beim Bundesgericht mittels einer (Individual-) Beschwerde eine abstrakte Normenkontrolle des Konkordats und damit die Aufhebung der verfassungs- und völkerrechtswidrigen Bestimmungen verlangt werden. Diesen Weg haben gemäss Neuer Zürcher Zeitung vier Fussballanhänger eingeschlagen. Das Urteil des Bundesgerichts ist noch ausstehend, wird aber weitherum mit Spannung erwartet. Das Bundesgericht wird die revidierten Normen nur dann aufheben, wenn sie keiner verfassungs- und konventionskonformen Auslegung zugänglich sind. Der blosse Umstand, dass die angefochtenen Normen in einzelnen Fällen auf verfassungswidrige Weise angewendet werden könnten, führt indessen noch zu keiner Aufhebung. Da die neuen Bestimmungen den rechtsanwendenden Behörden einen erheblichen Ermessensspielraum (fast ausschliesslich Kann-Formulierungen) belassen, sind die Aussichten der Beschwerden auf einen (Tor-)Erfolg eher gering; wahrscheinlicher erscheint ein Abseitspfiff des Bundesgerichts.
Besonders problematische Verschärfungen
Eine Handvoll vorgesehene Verschärfungen tritt speziell hervor: Im Zentrum steht die generelle Bewilligungspflicht (Art. 3a des Konkordats) für alle Fussball- und Eishockeyspiele mit Beteiligung der Klubs der jeweils obersten Spielkasse der Männer, d.h. nicht nur bei Meisterschafts- und Cupspielen, sondern auch bei Testspielen. Das allein führt eine beträchtliche zusätzliche Bürokratie nach sich. Die Bewilligung muss zudem zwingend klar und unmissverständlich formuliert, m.a.W. schriftlich sein, da bei der Verletzung von Auflagen Sanktionen explizit möglich sind (Art. 3a Abs. 4 des Konkordats). Zu diesen vielfältigen, mit der Bewilligung verknüpfbaren Auflagen gehört beispielsweise, dass die Behörde die Abwicklung der An- und Rückreise der Gästefans regeln kann, was unter zwei Aspekten problematisch ist: Erstens greift die Regelung erheblich in die persönliche Freiheit der Anhänger ein, da sie ihnen – je nach konkreter Ausgestaltung und sofern sie das Spiel im Gästesektor verfolgen wollen – verunmöglicht, mit anderen Transportmitteln als dem zur Verfügung gestellten Extrazug anzureisen (siehe dazu das Argumentarium der Konkordatsgegner). Zweitens verletzt die Massnahme das Störerprinzip, sind von ihr doch nicht nur die gewaltbereiten Individuen, sondern schlicht alle Gästefans betroffen. Ob daneben die vorgesehene Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (PBG) mit Blick auf das Ziel der Gewaltverhinderung sowohl geeignet als auch praktikabel ist, scheint ebenso fraglich: Gemäss diesem neuen Art. 12a PBG kann ein Transportunternehmen einer einzelnen Anhängerin tatsächlich den Transport verweigern, wenn sie – sogar ganz unabhängig davon, ob ihr Ziel der Gästesektor ist – anstatt mit dem angebotenen Extrazug mit einem fahrplanmässigen Zug reisen will. Für Spiele von Klubs unterer Ligen und anderer Sportarten besteht weiter die Möglichkeit, dass die rechtsanwendenden (!) Behörden einzelne Spiele für bewilligungspflichtig erklären können, wenn in deren Umfeld mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu rechnen ist (vgl. Art. 3a Abs. 1 des Konkordats). Dies ist aus verwaltungsrechtlicher Sicht zumindest als Sonderfall zu bewerten und führt unweigerlich zu Rechtsunsicherheit. Schliesslich reguliert die verschärfte Version des Konkordats auch die Personendurchsuchung (Art. 3b des Konkordats). Sie kann neu ohne konkreten Verdacht durch private Sicherheitsunternehmen über – durch die Polizei sogar unter – den Kleidern am ganzen Körper durchgeführt werden. Rechtsstaatlich problematisch scheint daran einerseits, dass die Untersuchung verdachtsunabhängig durchgeführt werden darf, andererseits, dass den privaten Sicherheitsunternehmen durch die offene Formulierung erhebliche Entscheidbefugnisse eingeräumt werden: Wer wird kontrolliert? Wie intensiv wird kontrolliert? Gehört der Intimbereich zum Körper? Eindeutige und verständliche Bestimmungen erscheinen in Anbetracht des staatlichen Gewaltmonopols in diesem Zusammenhang unumgänglich.
Es wird nichts so heiss gegessen, wie es gekocht wird
Die staatlichen Behörden reagieren auf gesellschaftliche Probleme, die sie kaum beherrschen können, zunehmend mit zusätzlichen Regulierungen und Repressionen. Diese Tendenz spiegelt sich auch in den Verschärfungen des Hooligan-Konkordats wieder. Andere Beispiele sind etwa das Ausländer- und Asylrecht, aber auch Verschärfungen im Strafrecht. Ob Einschränkungen, Zwang und die oftmals damit verbundenen fehlenden Differenzierungen probate Mittel zur Problemlösung darstellen? Eher nicht. Ein weiteres Problem des Konkordats ist die fehlende Vorhersehbarkeit der konkreten Umsetzung. Es enthält ein Potpourri an potentiellen Massnahmen und Auflagen, was zwar den rechtsanwendenden Behörden ein einzelfallorientiertes Vorgehen ermöglicht, aber keine Gewähr für Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit bietet. In diesem Sinn kritisieren wir denn auch keineswegs die Grundidee der Gewalteindämmung bei Sportveranstaltungen durch Konkordat, sondern vielmehr die zur Umsetzung getroffene Mittelwahl. Wobei auch hier (hoffentlich!) der gutschweizerische Mittelweg eingeschlagen werden wird: Die staatlichen Behörden werden nämlich ungeachtet des strengen Erlasses auch im Einzelfall mit Augenmass und damit verhältnismässig vorzugehen haben. Zudem haben die Vereine kein Interesse daran, ihre Anhänger_innen zu vergraulen. Und da sie es sind, welche etwa die privaten Sicherheitsunternehmen mit den Zutrittskontrollen beauftragen, werden sie durchaus Einfluss auf die Ausführung dieser Tätigkeiten nehmen können. Das verschärfte Konkordat ist somit zwar rechtsstaatlich teilweise heikel, bietet aber Spielraum für eine verfassungskonforme Anwendung. Gesunder Menschenverstand kann auch bei Sportveranstaltungen nicht schaden.