Im Zusammenhang mit den Beschlüssen des VG Berlin bezüglich der Zurückweisung von somalischen Asylsuchenden wurde auch die Unterstützung der Antragstellenden durch die NGO ProAsyl kritisiert. Die Deutsche Polizeigewerkschaft hat Strafanzeige erstattet (hier) und soll dabei den Verdacht geäußert haben, dass „möglicherweise durch den Verein Pro Asyl eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragt“ wurde (hier). Ungeachtet der strafrechtlichen Relevanz der Vermittlung von Rechtsdienstleistungen wirft die Unterstützung durch die NGO die Frage auf, inwiefern eine solche sich auf das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellenden auswirkt. Die Unterstützung von Rechtsschutzsuchenden durch Nichtregierungsorganisationen ist jedoch prozessual nicht zu beanstanden, verfassungsrechtlich geschützt und rechtsstaatlich betrachtet sinnvoll.
Das Eilverfahren als Paradebeispiel für strategische Prozessführung
Zunächst ist festzuhalten, dass die Unterstützung von Rechtsschutzsuchenden durch ideell-motivierte NGOs eine etablierte Vorgehensweise im Rahmen der sog. strategischen Prozessführung darstellt. Anders als bei konventionellen Gerichtsverfahren, bei denen es nur darum geht, eine konkret beeinträchtigte Rechtsposition durchzusetzen, wird bei der strategischen Prozessführung ein gerichtliches Verfahren betrieben, um (auch) ein darüberhinausgehendes Ziel rechtlicher, politischer oder gesellschaftlicher Art zu erreichen. Dazu leisten NGOs regelmäßig Unterstützungshandlungen etwa bei der Vorbereitung, Begleitung oder Finanzierung des Verfahrens. ProAsyl betont zwar in aktuellen Stellungnahmen, dass sie einzelfallbezogen Schutzsuchende bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützt (hier). Dass die Organisation mit einer stattgebenden Entscheidung aber zumindest auch grundsätzlicher die Rechtswidrigkeit der Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen gerichtlich feststellen lassen wollte, liegt jedoch nahe, auch weil die Organisation durchaus Erfahrung mit strategischen Prozessen aufweisen kann (z.B. hier, hier und hier).
Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis und der Missbrauch prozessualer Rechte
Es geht bei der Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses um das Interesse des Rechtsschutzsuchenden (und nur dessen!) daran, sein Rechtsschutzziel vor (einem bestimmten) Gericht durchsetzen zu dürfen.
Das Rechtsschutzbedürfnis fragt dabei in der Regel nicht, ob sein Interesse an der Rechtsdurchsetzung berechtigt ist (anders als bei der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO). Es wird also grundsätzlich nicht geprüft, ob der Rechtsschutzsuchende seine Rechtsposition überhaupt durchsetzen dürfen soll, sondern, ob der Kläger sein Rechtsschutzziel in dieser konkreten Art und Weise durchsetzen dürfen soll. Dementsprechend wird das Rechtsschutzbedürfnis verneint, wenn der Kläger sein Rechtsschutzziel sachgerechter, also einfacher, schneller oder umfassender erreichen kann.
Abweichend von diesem Sachgerechtigkeitskriterium wird das Rechtsschutzbedürfnis auch dann verneint, wenn sich die gerichtliche Geltendmachung der eigenen Rechtsposition als Missbrauch prozessualer Rechte darstellt.
Dieses Missbrauchskriterium leitet sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ab. Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Kläger objektiv erkennbar missbilligenswerte Ziele verfolgt, etwa wenn ein Recht ausschließlich ausgeübt wird, um einen anderen zu schädigen. Bei dieser Fallgruppe wird die gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit trotz einer möglichen Verletzung in eigenen Rechten beschnitten, weil auf einer Wertungsebene die gerichtliche Durchsetzung dieser Rechte von der Rechtsordnung abzulehnen ist. Diese Einschränkung beeinträchtigt die Rechtsschutzmöglichkeiten des Rechtsschutzsuchenden erheblich und steht daher in einem Spannungsverhältnis zur verfassungsrechtlichen Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Der Ausschluss des Rechtswegs bedarf daher einer besonderen rechtsstaatlichen Rechtfertigung, die nicht leichtfertig angenommen werden darf. Denn grundsätzlich ist es unbeachtlich, aus welcher Motivation heraus jemand gerichtlichen Rechtsschutz ersucht. Die Klagebefugnis, die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten, indiziert das Rechtsschutzbedürfnis. Eine Missbilligung und damit eine Verhinderung der Wahrnehmung prozessualer Rechte muss besonderen Ausnahmecharakter haben; die Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Missbrauchs sind verfassungsrechtlich bedingt eng zu ziehen.
Im Wesentlichen sind bei strategischen Verfahren, bei denen Dritte unterstützend tätig werden, zwei Konstellationen zu unterscheiden:
Hat der Rechtsschutzsuchende ein Interesse an der Durchsetzung seiner Rechte, weil er dadurch seine eigene Rechtsposition verbessern möchte, spielt es für die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses keine Rolle, ob die ihn unterstützenden Organisationen hauptsächlich andere, darüberhinausgehende Ziele verfolgen und der Erfolg im konkreten Verfahren für sie nur Mittel zum Zweck darstellt. Denn die gerichtliche Durchsetzung eigener Rechte zur Stärkung der eigenen Rechtsposition bzw. zur Beseitigung der eigenen Rechtsbeeinträchtigung ist der tragende Zweck gerichtlicher Verfahren im subjektiven Rechtsschutzmodell des Grundgesetzes. Gleiches gilt auch, wenn der Kläger zusätzlich zu seinem eigenen Interesse am prozessualen Erfolg die überprozessualen Ziele der ihn unterstützenden Organisationen etwa aus politischer Überzeugung mitträgt, und zwar auch dann, wenn das überprozessuale Interesse dem Interesse der Verbesserung der eigenen Rechtsposition deutlich überwiegt.
Komplexer sind Fallkonstellationen, in denen das Interesse des Rechtsschutzsuchenden am Verfahren sich darin erschöpft, das überprozessuale Ziel zu fördern, das Interesse an der Stärkung der eigenen Rechtsposition um ihrer selbst willen also vollständig hinter den Zielen der unterstützenden Organisation zurücktritt.
Solche Fälle dürften indes selten vorkommen und darüber hinaus in der Praxis nur schwer nachzuweisen sein, vor allem, weil nicht jede strategische Prozessführung offen agiert.
Aber auch bei einer solchen vollständigen Verdrängung liegt keine missbräuchliche Inanspruchnahme prozessualer Rechte vor. Denn die Konstellationen der strategischen Prozessführung mit ihren Unterstützungsdynamiken und überprozessualen Zielsetzungen erreichen die hohen Hürden, die wegen des Justizgewährleistungsanspruchs und der Rechtsweggarantie an eine Missbilligung der Ausübung prozessualer Rechte durch die Rechtsordnung zu stellen sind, nicht. Eine reine Schädigungsabsicht als Hauptanwendungsfall des Missbrauchs prozessualer Rechte und die Absicht der Bewirkung einer rechtlichen oder politischen Veränderung über den Einzelfall hinaus sind wertungstechnisch nicht auf derselben Stufe anzusiedeln.
Das Interesse, die mögliche Verletzung eigener Rechte und Rechtsgüter zu nutzen, um dadurch ggf. auf rechtliche oder politische Missstände aufmerksam zu machen oder um die Rechtslage für andere Betroffene zu verbessern, muss man nicht zwingend als „berechtigtes“ oder schützenswertes Interesse ansehen, obwohl viel dafürspricht, dass die Ausübung von eigenen Klagerechten für übergeordnete (Partikular-)Interessen eine legitime Ausübung grundrechtlicher Freiheiten darstellt. Es handelt sich aber zumindest um ein Interesse, welches die Grenzen von Treu und Glauben nicht überschreitet und daher eine für die Rechtsordnung unbeachtliche Motivation des Rechtsschutzsuchenden darstellt, die der judikativen Verwertung im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses entzogen ist.
Zur Legalität und Legitimität der Unterstützung
Im vorliegenden Fall lag das Rechtsschutzbedürfnis der Asylsuchenden vor, weil sie zumindest auch ein eigenes Interesse an der Stärkung ihrer Rechtsposition hatten. Dies zeigt auch der Umstand, dass die Antragstellenden sich nunmehr in Berlin befinden, um Asylanträge zu stellen (hier). Dass sie dabei mit ProAsyl von einer Organisation unterstützt wurden, die dadurch vielleicht auch grundsätzlicher die Rechtswidrigkeit von Zurückweisungen herausstellen wollte, ist für ihr Rechtschutzbedürfnis im vorliegenden Verfahren unerheblich.
Man kann aus der prozessualen Legalität eines solchen Vorgehens nun auch die grundsätzliche Legitimität einer so agierenden strategischen Prozessführung ableiten. Man kann auch aus anderen Gründen rechtlicher oder politischer Art eine solche Vorgehensweise missbilligen. Es spricht im Ergebnis jedoch wenig dafür, die rechtliche Unterstützung von systematisch in der Rechtsdurchsetzung beschwerten Personengruppen, die Stärkung von Grund- und Menschenrechten im Allgemeinen und die Kontrolle staatlichen Handelns am Maßstab von Recht und Gesetz einzuschränken, sofern sich diese Vorgehensweisen – wie hier – den Regeln der Judikative anpassen und unterordnen.
Zitiervorschlag: Nguyen, Nam, An der Grenze zum Rechtsmissbrauch? Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis im Lichte der Unterstützung von Antragstellenden durch die Organisation ProAsyl in Verfahren vor dem VG Berlin , JuWissBlog Nr. 59/2025 v. 27.06.2025, https://www.juwiss.de/59-2025/
Dieses Werk ist unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 lizenziert.