Rechte für Tiere? – Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Tierschutzrechts

von NINA KERSTENSTEINER

Der Stadtrat der US-amerikanischen Stadt Ojai hat in der vergangenen Woche eine Verordnung erlassen, die Elefanten ein Recht auf Freiheit zugesteht. Im Kontext der Tierrechtsbewegung stellt die Verordnung einen Meilenstein dar, da sie in den USA die erste ihrer Art ist, die Tieren Rechte gewährt. Lässt sich eine derartige Entwicklung auch in Deutschland vorstellen? Der Beitrag soll die Verordnung in den Kontext der aktuellen Entwicklungen im Bereich des Tierschutzrechts einordnen.

Die US-amerikanische Verordnung gewährt Elefanten innerhalb der Stadt Ojai in Kalifornien das Recht auf körperliche Freiheit. Die Stadt ist damit die erste in den USA, die einem Tier einklagbare Rechte einräumt. Die Verordnung wurde in Zusammenarbeit mit dem Nonhuman Rights Project entwickelt, einer gemeinnützigen Organisation, die sich der rechtlichen Verankerung von tierlichen Rechten verschrieben hat. Konkrete Folgen hat die Verordnung aktuell nicht – leben doch derzeit keine Elefanten in der Stadt. Dennoch kann der Verordnung richtungsweisender Charakter innerhalb der Diskussion um die Rechte von Tieren und Natur zugeschrieben werden.

Die Entwicklung ist im Kontext der weltweit zahlreich erhobenen Klagen hinsichtlich der Rechte von Tieren zu sehen. Während Affen und Elefanten vor US-amerikanische Gerichte ziehen, zogen hierzulande Robben vor das Verwaltungsgericht Hamburg und jüngst Ferkel sogar vor das Bundesverfassungsgericht. Auf den ersten Blick mag dies befremdlich erscheinen. Welchem Zweck dienen diese doch augenscheinlich hoffnungslosen Klagen? Und welche Motivation steht hinter diesen Bemühungen? Warum werden auf nationaler und internationaler Ebene zunehmend Rechtsstreite bei doch so vermeintlich offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten initiiert? Und doch scheinen die Prozesse Früchte zu tragen – hat doch nun die Stadt Ojai im Süden Kaliforniens eine entsprechende Verordnung erlassen.

Strategische Prozessführung

Die Verordnung in Ojai ist Ausfluss einer über Jahrzehnte angelegten strategischen Prozessführung des Nonhuman Rights Projects. Unter strategischer Prozessführung versteht man gemeinhin das Führen von Gerichtsverfahren mit dem Ziel, eine Wirkung zu erzielen, die über den konkreten Einzelfall hinausgeht. Die Ziele können dabei politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Art sein. So können auch Rechtsdurchsetzungsdefizite adressiert werden. Juristische Schritte werden in diesem Kontext oft von öffentlicher Aufklärung begleitet. Gewissermaßen ist strategische Prozessführung damit eine Art politische Rechtsmobilisierung oder sozialer Aktivismus – nur mit rechtlichen Argumenten. Im Gegensatz zur Politik kann die Justiz rechtliche Begehren nicht ignorieren. Im Bereich des Tierschutzrechts haben Tierschutzorganisationen in den letzten Jahren insbesondere auf dem amerikanischen Kontinent vermehrt Habeas-Corpus-Anträge im Namen von Tieren gestellt. Ein Habeas-Corpus-Antrag zielt darauf ab, durch gerichtliche Entscheidung die Freilassung eines unrechtmäßig Inhaftierten zu erreichen. Die zentrale Frage in diesen Habeas-Corpus-Verfahren lautet, ob die Tiere aus der Gefangenschaft freigelassen werden sollten, weil es sich um unrechtmäßig inhaftierte Personen handelt. Gretchenfrage ist damit, ob Tiere vor dem Gesetz als Personen angesehen werden. Bisher waren die meisten Fälle vor Gericht nicht erfolgreich, obwohl es in Lateinamerika bereits einige wenige Erfolge gab. Im Jahr 2016 erkannte ein argentinisches Gericht beispielsweise einen Schimpansen als Rechtsperson an. So könnten Tiere nicht als Sachen im Rechtssinne klassifiziert werden, weil sie empfindungsfähige Wesen seien. Im Jahr 2022 entschied das Verfassungsgericht in Ecuador, dass der Geltungsbereich der Rechte der Natur auch Tiere einschließt und somit Tiere Rechte besitzen.

Paradigmenwechsel?

Es scheint, als würden außerhalb Europas Tiere wiederholt als Rechtssubjekte anerkannt werden. Trotz anfänglicher Skepsis zeigten einige Fälle überraschende Ergebnisse. Insgesamt sind die Gerichte jedoch nach wie vor zurückhaltend. Ein klarer Trend zur Gewährung einer Rechtsfähigkeit von Tieren zeichnet sich derzeit noch nicht ab. In diesem Kontext kann der Verordnung der US-amerikanischen Stadt Ojai jedoch richtungsweisender Charakter zugeschrieben werden.

Der Status quo in Deutschland

Die Diskussion um animal rights entspricht der national geführten Diskussion um eine tierliche Rechtsfähigkeit. Gewiss müssen dabei insofern semantische Erwägungen berücksichtigt werden, als fraglich ist, ob bei der Gewährung von animal rights stets echte Rechte im Sinne der hiesigen Dogmatik gewährt werden. Im deutschen Rechtskontext stellt sich in Bezug auf die US-amerikanische Verordnung prospektiv die Frage, ob auch hierzulande Tieren ein Recht auf körperliche Freiheit zugestanden werden könnte – und sollte.

Erforderlichkeit einer Reform

Das deutsche Tierschutzrecht setzt auf materiell-rechtlicher Ebene hohe Standards, jedoch werden die Tiere lediglich objektiv-rechtlich geschützt. Der Zweck des deutschen Tierschutzgesetzes besteht darin, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Deutschland schützt die Tiere damit zwar um ihrer selbst willen, jedoch gehen damit keine Rechte der Tiere einher. Sie bleiben Objekte im Sinne des Gesetzes. Daran vermag selbst im Kontext des Zivilrechts der nobel klingende § 90a BGB nichts zu ändern, wenn Tiere doch nach § 90a S. 3 BGB dennoch als Sachen zu behandeln sind.

Der objektiv-rechtliche Schutz der Tiere führt im Kontext des strengen deutschen Individualrechtsschutzsystems dazu, dass Verstöße gegen Vorschriften des Tierschutzgesetzes nicht gerichtlich überprüfbar sind. Verdeutlicht werden soll dies anhand folgender Überlegung: Gemäß § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG obliegt es der zuständigen Behörde, Anordnungen zur Beseitigung festgestellter Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu treffen. Obwohl ihr dabei kein Entschließungsermessen zusteht, reagiert sie häufig nicht angemessen auf vorliegende oder drohende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Dies ist nicht zwangsläufig auf bösen Willen seitens der Behörden zurückzuführen, sondern geht mitunter auf Fehlanreize zurück. Die zuständigen Behörden sehen sich regelmäßig in einem Interessen- und Zielkonflikt, da sie von der Gewerbe- und Umsatzsteuer der ansässigen Tierhaltungsbetriebe profitieren. Ein behördliches – gesetzeswidriges – Unterlassen von Maßnahmen hat dabei in der Regel keine Konsequenzen, da keine Möglichkeit besteht, gerichtlich dagegen vorzugehen. Während Tiere nicht rechtsfähig sind, sind Tierschutzorganisationen nicht klagebefugt. Entsprechende Klagen sind insofern bereits unzulässig. Dies führt zu der paradoxen Situation, in der die Belange der Tierhalter vor Gericht gebracht werden können, während die Belange des Tierschutzes nicht einklagbar sind. Damit ist lediglich ein „zu viel“ an Tierschutz, nicht jedoch ein „zu wenig“ an Tierschutz gerichtlich überprüfbar – eine Praxis, die sich nicht nur rechtsstaatlichen, sondern auch demokratietheoretischen Bedenken ausgesetzt sieht. Das deutsche Individualrechtsschutzsystem stößt im Bereich des Tierschutzes an seine Grenzen. Gerade im Tierschutzrecht klaffen Soll-Zustand und Ist-Zustand in beträchtlichem Maß auseinander. Die Realität erfüllt die gesetzlich versprochenen Standards nicht. Selbst die Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung in der Verfassung vermag an dieser Beobachtung nichts zu ändern.

Dem strukturellen Vollzugsdefizit muss durch entsprechende Regelungen abgeholfen werden. In Betracht kommen hierfür etwa eine extensivere Auslegung der Schutznormtheorie durch die Gerichte, die bundesweite Einführung des Instruments der Verbandsklage im Bereich des Tierschutzrechts oder die rechtliche Anerkennung der tierlichen Rechtsfähigkeit, sei es durch gerichtliche Entscheidungen oder legislative Maßnahmen.

Rechtsfähigkeit für Tiere in Deutschland?

Den Weg der tierlichen Rechtsfähigkeit ging nun der Stadtrat in Ojai – ein Weg, den zunehmend mehr Gerichte und Gesetzgeber beschreiten. Auf den ersten Blick mag eine tierliche Rechtsfähigkeit für manchen Betrachter noch befremdlich erscheinen. Dabei ist die Rechtsfähigkeit doch gerade nicht naturgegeben, sondern konstruiert. Sowohl natürliche als auch juristische Personen sind rechtliche Konstrukte. Sie unterscheiden sich lediglich im Grund ihrer Rechtsfähigkeit. Bei natürlichen Personen basiert die Rechtsfähigkeit auf ethisch-moralischen Motiven, während bei juristischen Personen pragmatisch-ökonomische Gründe eine Rolle spielen. Dabei gewährt die geltende Rechtsordnung Teilrechtsfähigkeit, wo immer sie gebraucht wird. Die Fähigkeit zur Willensbildung und zur eigenständigen Interessenvertretung ist dabei nicht unbedingt erforderlich. Bei fehlender Handlungsfähigkeit besteht stets die Möglichkeit der Beiordnung eines Vertreters oder Treuhänders, wie dies bereits unter geltendem Recht für nichthandlungsfähige Rechtspersonen wie juristische Personen erfolgt. In diesem Zusammenhang ist die Gewährung einer partiellen Rechtsfähigkeit im Bereich des Verwaltungsrechts auch in Deutschland rechtlich möglich. Es lassen sich keine dogmatischen Gründe gegen die Konstruktion einer neuen Personenkategorie finden. Der Kreis der Rechtsfähigkeit ist nicht in Stein gemeißelt, sondern dynamisch und anpassungsfähig. Insgesamt lässt sich ein gesellschaftlicher Wertewandel in Bezug auf den Tierschutz und die Wahrnehmung von Tieren beobachten, der im Widerspruch zum bestehenden Recht steht. Die US-amerikanische Stadt Ojai hat diesem Wandel nun Rechnung getragen – wenn auch abzuwarten bleibt, welche konkreten Auswirkungen die Verordnung nach sich ziehen wird.

Zitiervorschlag: Kerstensteiner, Nina, Rechte für Tiere? – Aktuelle Entwicklungen im Bereich des Tierschutzrechts, JuWissBlog Nr. 59/2023 v. 17.10.2023, https://www.juwiss.de/59-2023/.

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