Von LOUISA HADADI
Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist. Seit dem 1. Oktober können geschlechtsspezifischen Umstände in Deutschland ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt werden. Diese Novelle des § 46 Abs. 2 StGB ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung zur konsequenten Verfolgung von Femiziden. Allerdings besteht insbesondere in Hinblick auf das gesellschaftliche Verständnis und das Verständnis der Rechtsanwender*innen hinsichtlich patriarchaler Gewalttaten noch großer Handlungsbedarf – ein gutes Gesetz muss auch angewendet werden, um Wirkung zu entfalten.
Täglich ein Femizidversuch in Deutschland
Der Begriff Femizid bezeichnet die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Hierbei handelt es sich nicht um einen isolierten Einzelakt, sondern um die „extremste und brutalste Form der Gewalt gegen Frauen“ (UN Statistical Framework, § 3) im größeren Kontext der patriarchalen Unterdrückung. Der Begriff ermöglicht es, die der Gewalttat zugrundeliegende patriarchal-strukturelle Dimension auszudrücken, um diese zu analysieren. Zu den der Gewalt zugrundeliegenden Gründen zählt der Ausschuss der Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women (CEDAW Committee) unter anderem patriarchales Besitzdenken und die Durchsetzung von Geschlechterstereotypen (General Recommendation No. 35, § 19).
Das Bundeskriminalamt (BKA) erfasst Femizide als solche nicht statistisch, wertet jedoch seit 2015 Partnerschaftsgewalttaten in seiner Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gesondert aus. Demnach stagniert die Zahl der durch ihren (ehemaligen) Partner getöteten Frauen bei etwa 110 bis 150 pro Jahr. Statistisch gesehen versuchte 2021 fast jeden Tag ein Mann in Deutschland, seine Frau umzubringen (301 polizeilich registrierte Vorfälle, S. 6); fast jeden dritten Tag gelang die Tötung (113 vollendete Tötungen und Körperverletzungen mit Todesfolge, S. 6). Relativ gesehen sind (versuchte) Femizide der Grund für fast 40 Prozent der gegen Frauen gerichteten Gewalttaten gegen das Leben (37,02 Prozent: insgesamt 813 Opfer, davon 301 im Partnerschaftskontext, S. 5). Diese hohe Femizidrate in Deutschland wurde jüngst vom CEDAW Committee kritisiert (Concluding Observations, § 31).
Lückenhafte bisherige Rechtsumsetzung
Bislang hatte die deutsche Justiz (scheinbar) lediglich die Möglichkeit, die besondere Dimension der Femizide durch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, § 211 Abs. 2 UA. 1 Alt. 4 StGB, anzuerkennen. Diese Generalklausel ist erfüllt, wenn die Motivation der vorsätzlichen Tötung nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verwerflich ist (MüKo StGB-Schneider, § 211 StGB Rn. 70). Sofern die Gerichte das Mordmerkmal bei einem Tötungsdelikt mit geschlechtsspezifischer Dimension annehmen, qualifizieren sie die Tat nicht nur hinsichtlich des Strafrahmens (lebenslange Haftstrafe), sondern ächten sie auch als gesellschaftlich besonders verwerflich.
Die judikative Praxis war jedoch bislang – jedenfalls in Bezug auf Taten von als deutsch gelesenen Menschen (siehe zur problematischen Andersbehandlung der Täter sogenannter „Ehrenmorde“ Foljanty/Lembke in KJ 2014, 298-315) – sehr zurückhaltend in der Anwendung der niedrigen Beweggründe bei Femiziden (Habermann, S. 125 ff.). Im Gegenteil zeigte die Justiz teils sogar Verständnis dafür, wenn ein Mann seine ehemalige Partnerin tötet, weil diese sich selbstbestimmt von ihm trennt. Aufsehen erregte ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2008, das das Mordmerkmal – wider der Einschätzung der Vorinstanz, die es wegen „überzogenem Besitzdenken“ (LG Bonn Rn. 121) des Angeklagten annahm – verneinte. Der Angeklagte, der seine ehemalige Partnerin niederstach (BGH Rn. 4), handle nicht aus niedrigen Beweggründen, weil „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“ (BGH Rn. 9). Mit der Formulierung „berauben“ bestätigte der BGH die objektifizierende Ansicht des Täters, der sich durch die Tötung seine ehemalige Partnerin „als ihm zustehendes Objekt“ sichern möchte.
Eine ähnliche rechtliche Einstufung nahm der BGH 2018 vor, als der Gerichtshof entschied, dass „[g]erade der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden [darf]“ (Rn. 10, diese Auffassung aufrechterhaltend im Oktober 2018, Rn. 10, und im Mai 2019, Rn. 8). Das höchste Strafgericht Deutschlands perpetuiert damit abermals das Besitzdenken des Täters und nimmt sogar eine Täter-Opfer-Umkehr vor, indem es der getöteten Frau gewissermaßen eine Verantwortung für ihren Tod zuspricht, wenn sie sich von dem Täter trennt (und damit häufig eine sowieso schon gewaltgeprägte Beziehung beendet). Diese höchst problematische Rechtsprechung führt dazu, dass Täter von Femiziden, solange sie deutsch gelesen sind, häufig eine vergleichsweise geringe Strafe erhalten.
Wink mit dem Zaunpfahl an die Justiz
Mit der Erweiterung des § 46 Abs. 2 StGB um „geschlechtsspezifische Umstände“ reagierte die Legislative auf Kritik und kam vor allem einer 2020 vom Deutschen Juristinnenbund erhobenen Forderung (S. 6) nach.
Die im Juli 2023 vom Bundestag verabschiedete und am 1. Oktober in Kraft getretene Novelle soll, der Begründung des Regierungsentwurfs zufolge, lediglich die bereits geltende Rechtslage, nach der geschlechtsspezifische Taten auch unter die in § 46 Abs. 2 StGB verankerten „sonst menschenverachtenden Beweggründe“ fielen, verdeutlichen und habe daher nur eine Klarstellungsfunktion (S. 47 f., 73). Demnach ist sich die Bundesregierung der Rechtsanwendungsdefizite bewusst und sieht die Gesetzesänderung auch als „Hinweis an die Rechtspraxis“, Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit auch im Kontext von Partnerschaftsgewalt stärker zu berücksichtigen (S. 47 f.). Gerade bei Trennungstötungen sei eine „geschlechtsspezifische […] Tatmotivation Anlass für die Rechtsanwendungspraxis, das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes im Sinne des § 211 StGB noch ernsthafter als bisher in Erwägung zu ziehen“ (S. 78).
Die Strafschärfungsmöglichkeit allein reicht nicht
Während die Erweiterung der Strafschärfungsmöglichkeit bei „geschlechtsspezifischen“ Umständen und die Kritik der Bundesregierung an der mangelhaften Rechtsanwendung zu begrüßen sind, besteht weiterhin großer Handlungsbedarf bezüglich der Erfassung der Gewalttaten, der Ausbildung der Richter*innen sowie der Prävention.
Zunächst bedarf es – jedenfalls in der PKS – einer konkreten Benennung der Femizide als solche, damit die strukturelle Dimension dieser Straftaten klar wird und alle Arten des Femizids erfasst werden. Eine ausdrückliche Bezeichnung des Femizids könnte die Aufmerksamkeit erhöhen und somit langfristig zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen, der weitere Tötungen verhindern könnte. Auch wenn die PKS (glücklicherweise) nicht verzerrende Begriffe wie etwa „Familientragödie“ verwendet, hat das Wort „Femizid“ eine wesentlich größere Prägnanz und Schlagkraft als das der „Partnerschaftsgewalt“. Zudem ist Partnerschaftsgewalt – das bisher von der PKS gewählte Kriterium – nur eine Untergruppe der Femizide; andere Frauentötungen aufgrund sozialer Geschlechterstereotype (zu den Ausprägungen des Femizids siehe hier und hier §§ 22 ff.) werden nicht gesondert erfasst.
Solange das oberste Strafgericht Deutschlands Täter von Femiziden auch als „Opfer“ einer vorangegangen Trennung sieht, können noch so viele Gesetzänderungen vorgenommen werden. Ein Frauenbild, das der Frau eine Mitschuld an ihrem Tod zuspricht, wenn sie selbstbestimmt eine Beziehung beendet, ist ausschlaggebend für die bisher eher milden Femizid-Urteile. Um das Verständnis von Gewalttaten gegen Frauen zu ändern und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass fast 40 Prozent der (versuchten) Tötungen von Frauen im Beziehungskontext stattfinden, braucht es eine bessere Ausbildung der Rechtsanwender*innen. In ihrem im Oktober 2022 veröffentlichten Bericht forderte auch GREVIO, eine Expert*innengruppe, die die Umsetzung der 2017 von Deutschland ratifizierten Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen überprüft, umfassende und systematische Schulungen (GREVIO-Bericht, §§ 92 ff.). Insbesondere Richter*innen, die im Namen des Volkes Recht sprechen und staatliche Sanktionen auferlegen, sollten wissen, wie Straftaten sich in einen strukturell-gesellschaftlichen Zusammenhang einfügen.
Schließlich sollten bereits im Vorfeld Maßnahmen ergriffen werden, damit es gar nicht erst zur Anwendung des Strafrechts kommen muss. Gesellschaftlich-patriarchale Vorstellungen – allen voran das männliche Besitzdenken und die Objektifizierung von Frauen – müssen sich ändern, Hilfsstrukturen für von Gewalt betroffenen Frauen müssen ausgebaut und berechtigte Ängste von Frauen (zur Kette gewaltvoller Ereignisse, die einem Femizid vorausgehen siehe Stufenmodell der Kriminologin Jane Mockton-Smith) müssen ernst genommen werden.
Eine feministische Analyse der StGB-Normen ist auch bezüglich Tötungsdelikten notwendig, um Missstände zu erkennen und zu beseitigen. Partnerschaftsgewalt ist vorwiegend ein Problem für Frauen, nur ein Bruchteil der Männer müssen ihre Tötung befürchten, wenn sie die Beziehung beenden. Um ein geschlechtergerechtes Strafrecht zu erreichen, muss die Justiz auch frauenspezifische Gefahren ernst nehmen.
Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen (anonym, kostenfrei, in 18 Sprachen, 24h/7d): 116 016
Zitiervorschlag: Hadadi, Louisa, Kriminalisierung von Femiziden: Gute Gesetze müssen gut angewendet werden!, JuWissBlog Nr. 60/2023 v. 19.10.2023, https://www.juwiss.de/60-2023/.
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ich denke, dass die Zahlen bei Androziden ähnlich aussehen. Geschlechterspezifische Gewalt kommt bei beiden Geschlechtern vor.
Mich überzeugt nicht, dass in dem Artikel jede Beziehungstat zwischen zwei ehemaligen Partnern zulasten der Frau wie selbstverständlich als „Femizid“ gesehen wird (siehe die Gleichsetzung im zweiten Absatz). Denn diese Beziehungstaten erfolgen – wie es der Name auch schon sagt – vor allem aufgrund der persönlichen Vorgeschichte einer emotionalen (Schein-)Verbundenheit, die ins Negative umschlägt. Herzschmerz, Kränkung, Eifersucht sind doch die ersten, vom Geschlecht unabhängigen Motive, weswegen es in partnerschaftlicher Beziehung zu Auseinandersetzungen kommt. Oder schlägt die Frau den untreuen Freund, „weil er ein Mann ist“ und ihn als „Besitz ansieht“? Sicherlich nicht. Das erkennt übrigens auch die Bundesregierung, wenn sie im Entwurf die Femizid-Trennungstaten explizit noch einmal also besonderen Fall von Trennungstaten erläutert. Das wurde beim Zitieren im Artikel freilich weggekürzt (siebter Absatz).
Ausgehend von dieser Entwertung des Femizid-Begriffs zur überbordend pauschalisierenden Kampffloskel, die auch sicherlich nicht im Sinne des Erfinders ist, wird schließlich sehr selbstbewusst der BGH nicht-verstanden und angegriffen, indem erneut jede Trennungstat pauschal als besitzdenkerisch motiviert gesehen wird. Die Besonderheiten von Trennungstaten, insbesondere die Berücksichtigung von gefühls- und triebsmäßigen Regungen, werden im Artikel schlicht ignoriert. Sie sind jedoch die letzte psychische Wallung, die zur Tötung führen. Und da gilt es wiederum zu prüfen, ob sie für sich auf einem Besitzdenken beruhen oder nicht. Die pauschale Unterstellung, das sei bei allen registrierten Partnerschaftsmorden so, nimmt der BGH zurecht nicht vor. Denn sie ist grob unsachlich.
Lieber Theodor Lammich,
entschuldigen Sie die späte Antwort, ich habe eben erst gesehen, dass Sie den gleichen Kommentar, den Sie auf LinkedIn gepostet hatten – und auf den ich schon vor einiger Zeit eingegangen bin – auch hier gepostet haben. Der Vollständigkeit halber daher auch hier meine Antwort auf Ihre Bemerkung:
Ja, nicht jede Tat im Partnerschaftskontext ist zwingend ein Femizid, aber bei Taten von Männern gegenüber ihren (ehemaligen) Partnerinnen ist dies aufgrund der existierenden patriarchalen Strukturen sehr naheliegend: Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer noch in weiten Teilen unterbewusst gewisse Vorstellungen vorherrschen (wie etwa der angesprochene Besitzanspruch, Stichwort strukturelle Gewalt). Dass die Tat im Partnerschaftskontext stattfindet, ist ein Faktor, der einen Femizid sehr nahelegt. Deshalb ist es mMn lobenswert, dass die PKS diesen Faktor seit 2015 gesondert auflistet. Wie im Text gefordert, braucht es aber eine klare Benennung der Femizide als solche, damit 1. klarer differenziert werden kann – was Sie ja letztlich auch fordern – und 2. auch solche Femizide erfasst werden, die nicht im Partnerschaftskontext stattfinden (und deshalb derzeit noch gar als solche nicht erkannt werden).
Das Narrativ der Beziehungstat ist in diesem Zusammenhang mMn abzulehnen. Es suggeriert – wie auch bislang vom BGH angenommen und von Zivilgesellschaft & Legislative kritisiert -, dass die Tat allein aus einer nachvollziehbaren Emotionalität heraus geschah. Dadurch wird der gesellschaftliche Kontext, in dem die Tat stattfindet, außer Acht gelassen. Frauentötungen finden nicht im Vakuum statt, sondern sind das grausame Extrem auf einem Kontinuum von (direkter und indirekter) Gewalt gegen Frauen. Genau wegen dieses gesellschaftlichen Kontextes lässt sich das Gegenbeispiel (Frau schlägt Mann aufgrund eines Besitzanspruchs [dies betrifft übrigens auch Ihren Kommentar, Herr Burger]) grds. schlecht konstruieren: Weil Frauen – im Gegensatz zu Männern – immer noch (trotz der zahlenmäßigen Gleichheit) strukturell marginalisiert sind, geschieht die Gewalttat (jedenfalls in Hinblick auf den Faktor „Geschlecht“) nicht aus einer gesellschaftlichen Übermachtposition heraus. Das lässt sich nicht zuletzt an den Zahlen erkennen: „Der Anteil bei Mord und Totschlag (versucht und vollendet) lag bei den Frauen höher als im Vorjahr (Anteil an allen weiblichen Opfern in diesem Deliktsbereich 37,0 %, bei den männlichen 3,9 %) und bewegt sich damit nach wie vor auf einem beachtlichen Niveau.“ (PKS 2021, S. 5)