Kalkül oder Inkompetenz: Wie die Ruhr-Uni das Streikrecht beschränkt

von JOEL S. BELLA *

Die Ruhr-Universität Bochum (RUB) hat in einem Vorgang, wie man ihn im Jahre 2023 von einer Universität nicht erwarten dürfte, das Streikrecht seiner Angestellten in evident rechtswidriger Weise beschränkt. Entgegen der ursprünglichen Behauptung der Universität sind Studentische Hilfskräfte nämlich sehr wohl streikberechtigt. Doch von vorn:

Hintergrund: Tarif- und Besoldungsrunde öffentlicher Dienst der Länder 2023

Seit dem 26.10.2023 laufen die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) streitet mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) um einen neuen Tarifvertrag für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, zu denen auch die Angestellten an öffentlichen Hochschulen sowie Universitäten gehören. Dabei fordert ver.di etwa eine Erhöhung der Tabellenentgelte von 10.5% (zur Einordnung: aufgrund der hohen Inflation während der letzten Monate würde dies keine Reallohnerhöhung bedeuten) und eine erstmalige Tarifierung der Arbeitsbedingungen von Studentischen Hilfskräften. Die TdL hat in der zweiten und bisher letzten Verhandlungsrunde am 03.11.2023 kein eigenes Angebot vorgelegt und die gestellten Forderungen abgelehnt, weshalb ver.di u.a. am 07.11.2023 zu einem Warnstreik an den Universitäten aufrief. Betroffen war auch die Ruhr-Universität Bochum.

Fehlerhafte Streikregelung

Mit Schreiben vom 07.11.2023, das JuWiss vorliegt, gab die Ruhr-Universität die internen Regelungen für den angesprochenen, am gleichen Tag stattfindenden Warnstreik bekannt. Der offiziellen Mitteilung war zu entnehmen, dass neben Beamten auch Studentische Hilfskräfte sowie Wissenschaftliche Mitarbeiter nicht berechtigt seien, an dem Streik teilzunehmen. Eine nähere Begründung erfolgte nicht.

Am 10.11.2023, also drei Tage nach dem in Rede stehenden Warnstreik, veröffentlichte die RUB ein weiteres Schreiben, in dem sie richtigerweise darauf hinwies, dass die ursprüngliche Meldung fehlerhaft war und Studentische Hilfskräfte und Wissenschaftliche Mitarbeiter sehr wohl hätten streiken dürfen.

Wie die Universität auf die Idee kam, SHKs und Wissenschaftliche Mitarbeiter seien nicht streikberechtigt, ist nicht nachzuvollziehen. So statuiert schon die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) „für jedermann und für alle Berufe“ das Recht, „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“. Bereits 1993 hat das BVerfG dazu entschieden, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur den Bestand der Gewerkschaften, sondern gerade auch ihre Betätigung schützt, soweit es um Mittel zum Abschluss von Tarifverträgen geht. „Ein solches Mittel ist auch der Streik“ (BVerfGE 88, 103 [114]). Davon ausgenommen sind gem. Art. 33 Abs. 5 GG nur Beamte, da das Streikverbot zu den hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums zählt (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juni 2018, Rn. 144). Privatrechtlich Angestellte im öffentlichen Dienst, wie etwa Studentische Hilfskräfte oder Wissenschaftliche Mitarbeiter an einer staatlichen Universität, sind allerdings keine Beamte und ihnen in dieser Hinsicht auch nicht gleichgestellt:

„Soweit der Staat von der Möglichkeit Gebrauch macht, Arbeitskräfte auf privatrechtlicher Basis als Arbeitnehmer zu beschäftigen, unterliegt er dem Arbeitsrecht, dessen notwendiger Bestandteil eine kollektive Interessenwahrnehmung ist.“ (BVerfGE 88, 103 [114]).

Es bestand also nie Anlass, die Streikberechtigung von SHKs und Wissenschaftlichen Mitarbeitern in Zweifel zu ziehen.

Kalkül oder Inkompetenz

Bei einer Universität, die über mehrere auf Arbeitsrecht spezialisierte Professoren verfügt, stellt sich natürlich auch für den unvoreingenommenen Betrachter die Frage nach einem etwaigen Kalkül.

Erfolgte die Meldung wissentlich falsch, um SHKs und Wissenschaftliche Mitarbeiter vom Streik abzuhalten? Befürchtete die Universität etwa eine so starke Streiklust bei den angestellten Studenten und Wissenschaftlichen Mitarbeitern, dass sie dieser mit Falschinformationen entgegenzuwirken suchte? Angesichts einer Bezahlung von 10 Cent über Mindestlohn für SHKs wäre diese Befürchtung jedenfalls begründet. Und auch angesichts der Forderung der Gewerkschaft, studentische Arbeitsverhältnisse erstmalig durch einen Tarifvertrag zu regeln und die Gehälter auf 16,50€/Stunde zu erhöhen, muss keine bösen Absichten haben, wer eine geplante Streikvereitelung durch die Universität unterstellt.

Abschließend beurteilen lässt sich die Intention der Universität nicht. Es bleibt aber ein Beigeschmack. Nun steht die Ruhr-Universität in der Pflicht, diesen Vorgang restlos aufzuklären und zukünftige Arbeitskämpfe nicht zu behindern.

Rechtliche Möglichkeiten

Ob es sich um eine geplante Aktion der Universität oder schlicht Inkompetenz zulasten ihrer Mitarbeitenden handelt, dürfte für die Frage nach der Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens allerdings keine Rolle spielen. Gem. § 612a BGB ist es dem Arbeitgeber verboten, an die zulässige Rechtsausübung seiner Arbeitnehmer nachteilige Maßnahmen zu knüpfen (Joussen, in: Beck OK Arb, § 612a Rn. 4). Zu der zulässigen Rechtsausübung gehört wie oben gesehen auch die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik. Indem die Universität ihren SHKs und Wissenschaftlichen Mitarbeitern das Streikrecht absprach, erklärte sie, dass eine Teilnahme an dem Streik arbeitsvertraglich unzulässig sei. Für jeden dürfte klar sein, welche Konsequenzen an ein vertraglich unzulässiges Verhalten geknüpft werden können, sodass es dahingehend keiner ausdrücklichen Erwähnung der Möglichkeit einer Abmahnung oder Kündigung für den Fall des Fernbleibens vom Arbeitsplatz bedurfte. Weil die Universität die Zulässigkeit der Teilnahme am Streik leugnete, mussten ihre Mitarbeitenden also mit nachteiligen Konsequenzen rechnen für den Fall, dass sie dennoch an dem Streik teilnahmen. Es liegt ein Fall der verbotenen Maßregelung vor, dem grundsätzlich mit einer Unterlassungsklage zu begegnen wäre (Baumgärnter, in: BeckOK BGB § 612a, Rn. 8). Aufgrund der eigens erfolgten Richtigstellung durch die Universität dürfte die dafür notwendige Wiederholungsgefahr aber zu verneinen sein. Möglich erscheint dann nur noch eine Klage gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme, wobei auch hier ein berechtigtes Interesse im Einzelfall darzulegen wäre. Auf Nachfrage erklärte ver.di, dass rechtliche Schritte gegen dieses Vorgehen in Planung sind.

 *Der Autor ist als Studentische Hilfskraft an der Ruhr-Universität Bochum angestellt und insofern persönlich von den oben geschilderten Vorgängen betroffen.

Zitiervorschlag: Bella, Joel Sadek, Kalkül oder Inkompetenz: Wie die Ruhr-Uni das STreikrecht beschränkt, JuWissBlog Nr. 68/2023 v. 05.12.2023, https://www.juwiss.de/68-2023/.

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