Rückwirkende Erhöhung der absoluten Obergrenze für Parteifinanzierung – Ende gut alles gut?

von RICO NEIDINGER

Der Bundestag diskutierte am Donnerstag, 09.11.2023, in (lebhafter) erster Lesung einen überfraktionellen Gesetzesentwurf zur Änderung des Parteiengesetzes, durch den u.a. die absolute Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung für das Jahr 2018 rückwirkend auf rund 184 Mio. Euro festgesetzt wird. Damit soll die Schieflage der Parteienfinanzierung seit der Nichtigerklärung der letzten Erhöhung zumindest teilweise „geheilt“ werden. So einfach, wie es scheint, ist es insbesondere mit Blick auf die Begründungsanforderungen nicht.

Ausgangslage und Auswirkung der Neuregelung

Nach der Nichtigerklärung der Anhebung der absoluten Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung für das Jahr 2018 auf 190 Mio. Euro durch das BVerfG in seinem letzten Urteil zur staatlichen Parteienfinanzierung im Januar 2023, trat die Rechtslage aus dem Jahr 2011 wieder ein. Danach lag die absolute Obergrenze durch Anwachsung des Preisindexes für 2018 bei rund 165 Mio. Euro (§ 18 II PartG). Die Parteien erhielten folglich seit 2018 mehr Geld als ihnen wegen der Kappung durch die absolute Obergrenze zustand und sahen sich seither der Gefahr erheblicher Rückforderungen ausgesetzt. Durch die nun geplante Gesetzesänderung soll die absolute Obergrenze für 2018 rückwirkend auf 184.793.822 Euro festgesetzt werden. Das hätte zur Folge, dass die Überzahlung zumindest geringer ausfällt als auf Basis der Rechtslage von 2011.

Grundsätze der Rückwirkung

Rückwirkende Gesetzesänderungen stehen prinzipiell in einem Spannungsverhältnis zu den aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Unterschieden wird zwischen der echten und der unechten Rückwirkung. Während die unechte Rückwirkung lediglich an tatbestandlich in der Vergangenheit begonnene aber noch nicht (vollständig) abgeschlossene Sachverhalte anknüpft und prinzipiell als zulässig angesehen wird, soll eine Norm bei der echten Rückwirkung auf Tatbestände angewendet werden, die vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossen sind. Die echte Rückwirkung ist grundsätzlich verboten. Ausnahmen bedürfen der Rechtfertigung. Dafür haben sich eine Hand voll Fallgruppen etabliert. Grundsätzlich ist es dem Gesetzgeber erlaubt, eine nichtige Bestimmung rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm zu ersetzen (BVerfGE 13, 261, 272). Darüber hinaus gilt das Rückwirkungsverbot nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht für begünstigende Gesetze (BVerfGE 23, 85, 93).

Zulässigkeit des Vorhabens

Wendet man die allgemeinen Grundsätze an, scheint man trotz der Einordnung als echte Rückwirkung, von einer Zulässigkeit des Vorhabens ausgehen zu können. Durch die Verfassungswidrigkeit der Anhebung der Obergrenze 2018 ist für die Parteien wegen der Rückforderungsgefahr eine Belastung entstanden, die durch die rückwirkende Anhebung zumindest teilweise beseitigt wird. Damit stehen wegen des begünstigenden Charakters der Anhebung Vertrauensschutzaspekte der Parteien einer Rückwirkung prinzipiell nicht entgegen (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, S. 26).

Fraglich ist aber, ob wegen der Materie der Parteienfinanzierung bei den allgemeinen Rückwirkungsgrundsätzen stehen geblieben werden kann, oder diese wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung zusätzlicher Einschränkungen bedürfen. Da Änderungen bei den Parteifinanzen in der Regel begünstigend sein dürften, wären rückwirkende Änderungen andernfalls stets zulässig.

Rückkoppelung mit der Begründungspflicht

Eine Einschränkung der Rückwirkungsmöglichkeit könnte sich aus der Logik der verfassungsgerichtlichen Schranken zur Anhebung der absoluten Obergrenze – insbesondere dem formalen Begründungsaspekt – ergeben.

Die Zulässigkeit der Anhebung der absoluten Obergrenze setzt gemäß dem BVerfG eine einschneidende Veränderung der Verhältnisse voraus, die das Parteiensystem in seiner Gesamtheit betreffen und von außen auf die Parteien einwirken und den Bedarf an personellen und sachlichen Ressourcen zur Erfüllung der den Parteien durch Art. 21 GG übertragenen Aufgaben in einem deutlich spürbaren und von den Parteien aus eigener Kraft nicht leistbaren Umfang erhöhen. Der Gesetzgeber hat dies entsprechend zu begründen.

Damit ist der zeitliche Ablauf klar: Erst bedarf es einer einschneidenden Veränderung der Verhältnisse, die der Gesetzgeber erkennt und begründet, um als Reaktion darauf die absolute Obergrenze anzuheben.

Die Feststellung der einschneidenden Veränderung setzt in der Regel einen Betrachtungszeitraum voraus, der in der Vergangenheit liegt. Nur im Falle einer signifikanten Aufgabenausweitung der Parteien durch den Gesetzgeber dürfte eine sofort feststellbare einschneidende Veränderung gegeben sein. Im Übrigen wird sich die Veränderung über einen „schleichenden“ Wandel ergeben. Bestätigt wird dies, wenn man den Aspekt der finanziellen Überforderung mitberücksichtigt. Erst wenn die Veränderungen nicht durch parteiinterne Anpassungen auffangbar sind und die Parteien zu überlasten drohen, ist eine Anhebung der absoluten Obergrenze zulässig. Auch hierbei handelt es sich weniger um einen exakt bestimmbaren Zeitpunkt als vielmehr einen fluiden Zeitraum, vor allem da es nicht auf eine einzelne Partei, sondern eine Gesamtschau der Parteien ankommt.

Mit der rückwirkenden Erhöhung verschiebt der Gesetzgeber den Anhebungszeitpunkt der absoluten Obergrenze, was sich auch auf die Begründungsanforderungen auswirkt. Sie können nur im Zeitpunkt des Erlasses der Gesetzesänderung erfüllt werden, müssen sich aber auf den Zeitpunkt der Anhebungswirkung beziehen. Liegt dieser im Vergleich zum Inkrafttreten des Änderungsgesetzes in der Vergangenheit, muss sich die Begründung auf Entwicklungen vor dem Anhebungszeitpunkt beschränken. Entwicklungen, die in den Zeitraum zwischen rückwirkender Anhebung und Gesetzeserlass stattfanden, können die Anhebung nicht tragen. Andernfalls unterliefe der Gesetzgeber die Begründungshürden zumindest teilweise. 

Dass die Gefahr nicht unbegründet ist, zeigt die Begründung des aktuellen Gesetzesentwurfs. Er beschränkt sich nicht auf die Entwicklungen bis 2018, sondern bezieht z.B. den Mitgliederentscheid über den SPD-Parteivorsitz 2019 oder den neuen digitalen Arbeitsstandard seit der Pandemie mit ein (S. 17f.). Das dafür in der Gesetzesbegründung angeführte Argument des „prognostischen Faktor[s]“ der Erhöhung (S. 24) überzeugt angesichts der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht.

Beschränkung der Rückwirkung zum Schutz des Parteiensystems?

Darüber hinaus beachtet die Annahme der Zulässigkeit der Rückwirkung unter Berufung auf die begünstigende Wirkung für die Parteien aber nur eine Seite der Medaille und ist damit vorschnell. Vielmehr ist auch die Funktion der absoluten Obergrenze zu beachten. Sie dient dem Schutz des Parteiensystems in seiner Gesamtheit vor einem nachhaltigen Akzeptanzverlust der Bevölkerung und adressiert damit weniger die subjektiven Finanzierungsansprüche der Parteien als ein objektives Verfassungsgut. Von diesem Standpunkt aus erscheint die Rückwirkung nicht automatisch günstig. Der Sinn und Zweck der absoluten Obergrenze ist beschränkend angelegt und spricht daher für eine zusätzliche Rechtfertigungsbedürftigkeit der Rückwirkung. Dafür spricht auch die Entscheidungsnähe der Parteien, was zentrales Begründungselement für die erhöhte Begründungsanforderungen des BVerfG ist. Das Verbot der Rückwirkung würde die formelle Begründungsanforderungen wirksam sanktionieren und ein „Nachschieben von Gründen“ quasi ausschließen.

Damit ist nicht gesagt, dass eine Rückwirkung im aktuellen Fall nicht in Betracht kommt. Vielmehr ließe sich zur Rechtfertigung auf die anerkannte Fallgruppe abstellen, dass eine neue Rechtsnorm, die sich im Nachhinein als ungültig erweist, durch eine rechtlich einwandfreie Norm ersetzt werden kann (vgl. Jarass/Pieroth/Jarass, GG Art. 20 Rn. 102). Dazu passte die Vorgeschichte der aktuellen Gesetzesänderung. Das BVerfG hat die Erweiterung der Kommunikationswege und -möglichkeiten im Zuge der Digitalisierung sowie der verstärkte Einsatz innerparteilicher Partizipationsinstrumente in seinem Urteil durchaus als einschneidende Veränderungen anerkannt, die eine Anhebung der absoluten Obergrenze rechtfertigen. Gescheitert ist die Anhebung nur an der unzureichenden Begründung. Würde der Gesetzgeber diese nachliefern, wäre eine Anhebung ab 2018 zulässig.

Sieht man das aktuelle Gesetzgebungsverfahren damit auch unter dem Aspekt der Lieferung einer einwandfreien Norm, erscheint die zeitliche Vermischung bei der Argumentation in der Gesetzesbegründung zusätzlich misslich und erhöht die Gefahr einer erneuten Beanstandung.

Zitiervorschlag: Neidinger, Rico, Rückwirkende Erhöhung der absoluten Obergrenze für Parteifinanzierung – Ende gut alles gut?, JuWissBlog Nr. 67/2023 v. 23.11.2023, https://www.juwiss.de/67-2023/.

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