Aller guten Dinge sind drei? – Überlegungen zum Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin

von JAN KEESEN und JACOB ULRICH

Der Parteiausschluss gegen Thilo Sarrazin, der als Nemesis die SPD mit Buchveröffentlichungen und der gleichzeitig stolzen Betonung seiner Parteimitgliedschaft immer wieder heimsucht, erhitzt die Gemüter in der Partei. Im Folgenden soll auf die Erfolgsaussichten des dritten Verfahrens eingegangen werden, insbesondere soll beleuchtet werden, welche Rechte der Partei einerseits und dem Parteimitglied andererseits zukommen und wie das weitere (schieds-)gerichtliche Verfahren nun abläuft.

Lars Klingbeil wirkte erleichtert: Auf Twitter teilt er mit, dass die Schiedskommission des Unterbezirks Charlottenburg-Wilmersdorf der SPD dem Antrag stattgegeben habe, Skandal-Autor Thilo Sarrazin aus der SPD auszuschließen. Sarrazin habe mit seinen Äußerungen der Partei Schaden zugefügt und gegen die Grundsätze der Partei verstoßen. Und: Rassistische Gedanken hätten in der SPD keinen Platz.

Die SPD versucht nun schon im dritten Anlauf, gegen Sarrazin ein erfolgreiches Ausschlussverfahren durchzuführen. Im Jahr 2010 wurde erstmals angestrebt, Sarrazin auszuschließen, damals wegen umstrittener Äußerungen über Migranten in einer Zeitschrift. Das Landesschiedsgericht der SPD Berlin lehnte einen Ausschluss mit der Begründung ab, die Äußerungen Sarrazins seien „zwar für die Partei sicherlich problematisch, doch sie können zugleich auch nützlich sein, indem sie die Diskussion voranbringen“. Die Volkspartei SPD müsse solch provokante Äußerungen aushalten. Ausschlussverfahren Nummer zwei (Anlass: Das Buch „Deutschland schafft sich ab“) kam erst gar nicht richtig in Fahrt: Nach einer schriftlichen Erklärung Sarrazins, sich zukünftig an die Grundsätze der SPD zu halten, zogen die vier Antragsteller ihre Ausschlussanträge zurück – was von vielen SPD-Mitgliedern als „Kuhhandel“ empfunden wurde.

Auch beim dritten Mal, diesmal aus Anlass der Veröffentlichung des Buches „Der neue Tugendterror“, möchte sich Thilo Sarrazin nicht kampflos geschlagen geben. In einem Interview kündigt er an, den innerparteilichen wie nötigenfalls auch den zivilrechtlichen Rechtsweg voll auszuschöpfen, und „gegebenenfalls auch bis zum Bundesverfassungsgericht“ zu ziehen. Insbesondere bemängelt er, dass ihn die Schiedskommission nicht auf sachlicher Ebene kritisiere, sondern bemängelt werde, dass er „überhaupt bestimmte Fragen untersuche“. Ein Parteiausschluss sei ein „unerhörter und beispielloser“ Vorgang, der die innerparteiliche Demokratie und damit auch die gesellschaftliche Demokratie in Frage stelle. Ist das so?

Auf Seiten der SPD: Organisationsfreiheit

Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt der Streitigkeit zwischen Sarrazin und der SPD bilden die in Art. 21 Abs. 1 GG jeweils verbürgten Rechte. Auf Seiten der SPD streitet ihre zur Parteienfreiheit gehörende Organisationsfreiheit. Danach kann sie neben ihrer Binnenstruktur auch ihren inhaltlichen Schwerpunkt durch innerparteiliche Meinungsaggregation bestimmen und hat so ein Gerüst an Grundüberzeugungen, mit dem sie sich im politischen Wettbewerb positioniert. Von ihren Mitgliedern kann sie erwarten, dass diese sich diesem Kern verpflichtet fühlen: Nur so kann die Partei sicherstellen, dass sie nach außen einheitlich als Vertreterin bestimmter Interessen auftritt. Wird durch das Verhalten einzelner in Frage gestellt, dass die Partei bestimmte Interessen wirkungsvoll vertritt, kann sie davon ausgehen, dass sich zumindest die rationalen Wähler von ihr abwenden. Auch Parteimitgliedern ist der „Markenkern“ der Partei von Nutzen: Sie können, wenn sie für öffentliche Ämter kandidieren, diesen zu einem Vertrauensvorschuss bei den Wählern ummünzen, denn die Wähler dürfen davon ausgehen, dass die Kandidierenden einer Partei für deren Grundüberzeugungen eintreten.

Auf Seiten Sarrazins: Mitgliedsrechte

Parteimitglieder haben dagegen das Recht, im innerparteilichen Diskurs ihre Meinung zu äußern und zu vertreten. Diesen Rechten steht freilich auch eine Treuepflicht gegenüber: Das Mitglied bekennt sich mit der Mitgliedschaft zur Einhaltung des Markenkerns der Partei. Das ist soweit nicht überraschend, handelt es sich bei dem Rechtsverhältnis zwischen Partei und Mitglied um ein vereinsrechtliches, das damit von wechselseitigen Rechten und Pflichten geprägt ist. Aber dieses Rechtsverhältnis wird stark von der Verpflichtung zur innerparteilichen Demokratie aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG geprägt: Daraus folgt, dass innerparteiliche Vorgänge demokratischen (Mindest-)Voraussetzungen genügen müssen. Die oben beschriebene Organisationsfreiheit der Parteien wird insoweit eingeschränkt. Indem der innerparteiliche Wettbewerb um Kandidaten und Ideen der politischen Willensbildung des Volkes quasi vorgeschaltet ist, muss er grundsätzlich denselben Regeln genügen. Folglich muss es für das einzelne Mitglied möglich sein, von der gängigen Parteilinie abzuweichen, denn auch die innerparteiliche Minderheit muss die Gelegenheit haben, zur Mehrheit zu werden. Nur so ist es möglich, dass sich Parteien inhaltlich fortentwickeln und auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren können. Eine Partei muss also grundsätzlich innerparteiliche Opposition aushalten.

Ordnungsmaßnahmen als Auflösung dieser Kollision

Dies gilt aber nicht unbeschränkt: Parteien sind Tendenzorganisationen. Mit anderen Worten: Dort, wo der Markenkern der Partei berührt ist, kollidieren die verfassungsrechtlichen Rechtspositionen der Partei und des Mitglieds. Diesen Konflikt löst das Parteiengesetz auf, indem es in § 10 Ordnungsmaßnahmen gegen Mitglieder vorsieht. Unter den strengen Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 PartG kann (mithin besteht ein Ermessen der Partei auch bei Vorliegen der Voraussetzungen davon abzusehen) ein Mitglied ausgeschlossen werden, wenn es „vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze [also den aus den individuellen Meinungen der Mitglieder aggregierten Überzeugungen] oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.“ Der Parteiausschluss muss angesichts des Totalverlustes der Mitgliedschaftsrechte als ultima ratio verstanden werden, der nur dann vorgenommen werden kann, wenn keine andere Möglichkeit mehr besteht, das querulatorische Mitglied im Zaum zu halten. Vor diesem Hintergrund bestehen jedenfalls mit Blick auf den Grundsatz innerparteilicher Demokratie keine Bedenken an Parteiausschlüssen generell. Ein Ausschluss Sarrazins ist also grundsätzlich möglich, wenn seine Veröffentlichungen dem Markenkern der SPD (wiederholt) widersprochen haben und er der Partei damit Schaden zugefügt hat. Ob das Vorgehen allerdings politisch klug ist, indem es dem sich als missverstandenen Literaten gerierenden Sarrazin und seinen Thesen weitere Aufmerksamkeit beschert, steht auf einem anderen Blatt.

Ausblick: Das weitere Verfahren

Wie geht es nun weiter? Nach § 10 Abs. 5 PartG entscheiden die nach der Schiedsordnung der Parteien zuständigen Schiedsgerichte über den Ausschluss. Die Schiedsordnung der SPD sieht in § 1 Abs. 2 vor, dass als Eingangsinstanz die Schiedskommission des jeweiligen Unterbezirks über Parteiordnungsverfahren wie den Ausschluss entscheiden. Dies ist im Fall Sarrazin nun geschehen. In Berufung gehen kann Herr Sarrazin bei der Schiedskommission des Bezirks, § 1 Abs. 3 lit. b SchO SPD. Wir erinnern uns: Hier scheiterte das erste Ausschlussverfahren. Als weitere Berufungsinstanz fungiert sodann die Bundesschiedskommission, § 1 Abs. 4 lit. b SchO SPD.

Sind die parteischiedsgerichtlichen Instanzen durchlaufen, kann noch vor den staatlichen Gerichten gegen die Entscheidung der Schiedskommissionen vorgegangen werden. Hier ist die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig. Der Prüfungsumfang der staatlichen Gerichte ist indessen vor dem Hintergrund der Organisationsfreiheit der Parteien eingeschränkt. So können die Gerichte zwar vollumfänglich überprüfen, ob die Schiedsgerichte das gesetzes- und satzungsmäßig erforderliche Verfahren eingehalten haben und auf der Basis richtiger Tatsachen entschieden. Darüber hinaus kann nur geprüft werden, ob die Entscheidung gesetzwidrig, unbillig oder willkürlich war. Sollte Thilo Sarrazin also bis zum Bundesschiedsgericht unterliegen, wird sich ein Obsiegen vor den ordentlichen Gerichten als schwierig gestalten. Dann wird abzuwarten sein, ob auch das Bundesverfassungsgericht noch angerufen wird. Spätestens dann rückt sicher auch wieder die Frage nach der innerparteilichen Grundrechtsgeltung ins Scheinwerferlicht. Damit ist zumindest eines sicher: Das Ausschlussverfahren wird zur Rechtsfortbildung im Parteienrecht beitragen.

Zitiervorschlag: Jan Keesen/Jacob Ulrich, „Aller guten Dinge sind drei? – Überlegungen zum Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin“, JuWissBlog Nr. 77/2019 v. 16.7.2019, https://www.juwiss.de/77-2019/

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Art. 21 GG, innerparteiliche Demokratie, Jacob Ulrich, Jan Keesen, Parteiausschluss, Parteienrecht
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