von JAN KEESEN
Die Alternative für Deutschland (AfD) macht immer wieder mit demokratieverachtendem Verhalten von sich reden, zuletzt, als Abgeordnete „Querdenker“ in den Bundestag einschleusten. Nicht erst seitdem wird öffentlich über eine Behandlung der AfD als „Verdachtsfall“ nachgedacht. Als weiterer Schritt sei auch ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD „nicht mehr auszuschließen“. Zur Crux könnte dabei jedoch werden, dass das Gros des problematischen Verhaltens von Mitgliedern des „Flügels“ ausgeht, die nur eine Minderheit der Partei ausmachen und einer gemäßigten Strömung innerhalb der Partei gegenüberstehen.
Schon heute ist die AfD gute Kundin der Verfassungsschützer, neben einzelnen Personen werden ganze Landesverbände und die „Junge Alternative“ beobachtet. In der Regel sind die überwachten Teile der Partei dem sog. „Flügel“ zugehörig. Diesen hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz im März als rechtsextrem eingestuft, woraufhin der AfD-Bundesvorstand beschloss, der „Flügel“ solle sich alsbald auflösen. Ernsthafte Zweifel bestehen daran, dass dieser Beschluss mehr war als „strategische Kosmetik“, gerade weil ihm keine personellen Konsequenzen folgten. Anlass zu dieser Vermutung gibt es, da der „Flügel“ zwar „organisatorisch ausdifferenziert“ ist, allerdings nie eine offizielle Vereinigung innerhalb der AfD war. Dass der „Flügel“ als Organisation immer noch erhebliche Macht hat, wurde zuletzt beim AfD-Parteitag in Kalkar deutlich. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die AfD aus mehr besteht als aus dem rechtsextremen „Flügel“. So gibt es innerparteiliche Vereinigungen und Landesverbände, die gemäßigt auftreten.
Neujustierungen der Parteiverbotsdogmatik
Seit dem Urteil des BVerfG zum zweiten NPD-Parteiverbotsverfahren 2017 gibt es nicht mehr nur das Parteiverbot als rechtliches Mittel gegen verfassungsphobe Parteien. Vielmehr hat sich, ausgelöst von dieser Rechtsprechung, ein ausdifferenziertes Präventionsregime entwickelt, dass als „Minusmaßnahme“ zum Parteiverbot (Art. 21 Abs. 2 GG) den Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung (Art. 21 Abs. 3 GG) vorsieht. Außerdem hat das BVerfG die Anforderungen an das Parteiverbot erhöht, indem es neben den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG „Potentialität“ als ungeschriebene Verbotsvoraussetzung fordert. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung müssen konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass die Partei ihre Ziele in Zukunft erreichen kann.
Die Neujustierung der Dogmatik zum Parteiverbot hat für zukünftige Verbote zur Folge, dass kleine radikale Parteien (wie die NPD) nicht verboten, sondern nur von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden können. Das Parteiverbot ist nur für diejenigen Parteien bestimmt, welche die personelle und parlamentarische Schlagkraft haben, die freiheitliche demokratische Grundordnung ernsthaft zu beeinträchtigen. Eine solche Schlagkraft kommt der AfD sicherlich zu. Dennoch offenbart sich beim Umgang mit der Partei ein aus der neuen Dogmatik resultierendes allgemeines Problem: Große Parteien versammeln regelmäßig ein weites Spektrum hinter sich, das selten so homogen verfassungsphob ist, dass dies die gesamte Partei prägt. Zwar ist die AfD erwiesenermaßen ein Tummelplatz für Rechtsextreme – sie ist allerdings auch Sammelbecken für Protestwähler, EU-Skeptiker und Wirtschaftsliberale. Ein Verbot wäre schon aus diesem Grunde schwierig, denn die Rechtsextremen sind zwar eine feste Größe in der Partei, den Ton geben sie jedoch (noch und jedenfalls auf Bundesebene) nicht an. Selbst wenn die Verhaltensweisen der Radikalen in der Partei aber ausreichten, um ein Parteiverbot zu begründen, stellt sich die politische Frage, ob man mit einem Verbot der AfD in Kauf nimmt, dass sich die „Gemäßigten“ in der Partei durch ein solches Verbot weiter radikalisieren.
Das Parteiverbot als Organisationsverbot
Um Möglichkeit und Sinnhaftigkeit eines Parteiverbots auszumachen, ist ein Blick auf die grundsätzliche Konzeption des Instruments hilfreich. Das Parteiverbot ist ein Organisationsverbot, das vor der „typischen verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeit“ (BVerfGE 25, 44, 56) von Organisationen schützt, denen ein Kampf gegen das demokratische Staatswesen ungleich einfacher fällt als einzelnen Individuen. Diese Gefahr gebietet es, gegen die Partei präventiv tätig zu werden. Bei der AfD besteht eine solche Organisationsgefahr durch den Zusammenschluss der „Flügel“-Mitglieder. Durch sie findet ein Schulterschluss der Partei mit radikalen Gruppierungen statt, sie gewähren Störern den Zutritt zum Bundestag und verbreiten rechtsextremes Gedankengut. Als Teil der AfD können die Parteimitglieder die Parteiorganisation (personelle Mittel, Parteiversammlungen) nutzen, um ihre rechtsextreme Agenda zu verfolgen. Dabei ist es besonders attraktiv, dies als Teil einer durch das Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 4 GG) geschützten Partei zu tun, sodass nicht die Exekutive, sondern nur das BVerfG über Verbotsmaßnahmen entscheiden kann. Das Parteienprivileg ist eine sinnvolle Regelung, denn es entzieht das Parteiverbot dem politischen Wettbewerb und verhindert somit, dass es zum Instrument zum Ausschalten unliebsamer politischer Wettbewerber führt. Genau hier liegt auch die Crux eines Verbots der AfD: Die Frage wäre dabei, inwieweit sich ein Verbot auf die rechtsextremen Machenschaften des Flügels bezieht oder inwieweit rechtspopulistische Überzeugungen, die von der AfD in den Parlamenten vertreten werden, in Kauf genommen werden müssen.
Die Untersagung eines Parteiteils als Minusmaßnahme
Anders als etwa bei der NPD geht bei der AfD jedoch ein deutlicher Riss durch die Partei. In den letzten Jahren ist überdeutlich geworden, dass es der „Flügel“ ist, der radikale Einstellungen vorantreibt. Wenn man angesichts dieser Umstände zum Ergebnis käme, dass die AfD als gesamte Partei nicht die Voraussetzungen für ein Verbot erfüllt, wohl aber der „Flügel“, drängt sich die Frage auf, ob auch ein Verbot dieses Parteiteils möglich wäre. De lege lata ist dies zu verneinen. Das Verbotssubjekt des Parteiverbotsverfahrens ist ausweislich des Art. 21 Abs. 2 GG eine „Partei“, die nach dem (verfassungsrechtlichen) Parteibegriff zu bestimmen ist. Aus der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG ist erkennbar, dass der Begriff sich auf die Gesamtpartei inklusive ihrer Sonderorganisationen bezieht (BVerfGE 144, 20, 23). Auch abseits der bisherigen Rechtsprechung erscheint eine Erstreckung von Art. 21 Abs. 2 GG auf bloße Parteiteile nicht möglich, da ein Teilverbot so unterschiedlich zum Komplettverbot ist, dass es ein aliud darstellte.
Anders sieht die Lage de lege ferenda aus. Das BVerfG ist der eindeutigen Meinung, dass eine Modifizierung des Regelungskonzepts, insbesondere hinsichtlich der Einführung von Instrumenten unterhalb der Schwelle des Parteiverbots, möglich sei (BVerfGE 144, 20, 202). Damit wäre es Aufgabe des verfassungsändernden Gesetzgebers, eine solche Möglichkeit zu schaffen. Das Teilverbot würde ebenfalls den Zweck verfolgen, eine von Parteigliederungen ausgehende Organisationsgefahr zu unterbinden. Als „Minusmaßnahme“ würde es jedoch weniger stark in die Rechte der Partei eingreifen. Zwar läge in dem Teilverbot ein erheblicher Eingriff in die Organisationsfreiheit der Partei. Wenn man diesen Eingriff hingegen mit den durch ein Parteiverbot beeinträchtigten Rechten der Partei vergleicht, ist er (bei Vorliegen ähnlicher Voraussetzungen) unter Umständen zur Zweckverfolgung ähnlich geeignet, jedoch weit weniger eingriffsintensiv. Die Gesamtpartei bekäme mit dem Teilverbot eine „zweite Chance“. Ihr würde es in der Zukunft obliegen, dafür Sorge zu tragen, dass sich entsprechende organisatorische Strukturen in der Partei nicht wieder hervorbilden. Sie bekäme die Möglichkeit, entsprechenden Entwicklungen durch Parteiausschlüsse und andere Maßnahmen entgegenzuwirken – schließlich hätte man es mit einer verfassungswidrigen (Teil-)Organisation zu tun. Würde es der Partei nicht gelingen, die verfassungsphoben Umtriebe in den Griff zu bekommen, wäre ultima ratio das Komplettverbot der Partei. Dies ließe sich sodann damit begründen, dass die Partei verfassungswidrige Organisationen in ihrer Mitte dulde und diese trotz einer entsprechenden Feststellung des BVerfG nicht wirksam bekämpfe.
Probleme ergäben sich jedoch hinsichtlich des Verbotssubjektes. Gut denkbar wäre ein Teilverbot einer Sonderorganisation der Partei. Parteiteile, die nicht offiziell als Sonderorganisationen verfasst sind, müssten ebenfalls Verbotssubjekt eines Teilverbots sein können, denn ansonsten könnte man sich durch eine „inoffizielle“ Organisationsstruktur dem Verbot entziehen. Jedoch müsste die Organisation so verfasst sein, dass sie einer Sonderorganisation gleichkommt und dies müsste auch in einem Verfahren nachgewiesen werden, etwa durch das Vorweisen von Mitgliederlisten, öffentlichen Auftritten, geplanten Treffen oder ähnlichem. Nur dann ließe sich begründen, dass von dem Parteiteil eine entsprechende Organisationgefahr ausgehe. Nicht möglich dürfte es jedoch nach wie vor sein, eine bloße politische „Strömung“ innerhalb einer Partei zu verbieten. Würde man das tun, wäre ein Gedankenverbot statuiert – dies soll das Parteiverbot jedoch gerade nicht sein und man käme in Konflikt mit Art. 79 Abs. 3 GG. Nach diesen Leitlinien wäre der „Flügel“ wahrscheinlich schon taugliches Verbotssubjekt für ein Teilverbot, denn laut Verfassungsschutz besteht bei diesem gerade eine ausdifferenzierte Organisation.
Das hier vorgeschlagene Teilverbot ist sicherlich nicht der Königsweg zur Durchsetzung wehrhafter Demokratie. Dennoch kann es ein Schritt auf dem Weg zur rechtlichen Bekämpfung extremistischer Parteien sein, die sowohl dem Parteienprivileg Rechnung trägt als auch eine realistische Eingriffsschwelle aufstellt.
Zitiervorschlag: Jan Keesen, Flügellose Demokratie – Das Verbot innerparteilicher Gliederungen als Minusmaßnahme zum Parteiverbot?, JuWissBlog Nr. 135/2020 v. 3.12.2020, https://www.juwiss.de/135-2020/.
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank für den sehr spannenden und informativen Beitrag. Besonders die Überlegungen zu dem Teilverbot sind aus meiner Sicht für die Dedatte sehr wertvoll.
Ich stimme zu, dass so ein Teilverbot ein hinreichend klar umrissenes Verbotsobjekt erfordert. Mich würde hier interessieren, wie Du in diesem Zusammenhang die Regelung des § 46 Abs. 2 BVerfGG bewertest. Geht diese nicht möglicherweise schon an die Grenze dessen, was an Teilverboten verfassungsrechtlich möglich ist?
Darüber hinaus würde ich widersprechen, soweit Du andeutest, der „Flügel“ sei ein ausreichend abgrenzbares Objekt. Gerade durch die (mehr oder minder durch den Verfassungsschutz veranlasste) „Auflösung“ des Flügels hat sich dieser ja einer klaren Erfassung zumindest zu entziehen versucht. Soweit noch Organisationsstrukturen vorhanden sind, dürfte es in Anbetracht eines Verbotsverfahrens nicht schwerfallen, diese Strukturen durch noch informellere Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu ersetzen und ein Verbot damit zu vereiteln.
Gerade in der Möglichkeit von Teilverboten sehe ich – wie ich bereits vor einiger Zeit im VerfBlog darzulegen versuchte – einen durchaus gefährlichen Eingriff in den politischen Prozess. Es ist aus meiner Sicht kaum wünschenswert, wenn politische Parteien allein wegen staatlicher Einflussnahme in den internen Diskurs verfassungstreu „gehalten“ werden. Vielmehr dürfte von diesen Parteien dann eine besondere Gefahr für die FDGO ausgehen, weil ihre Verfassungstreue gewissermaßen „künstlich“ am Leben erhalten wird. Insofern würde ich hier zu bedenken geben, ob das von Dir vorgeschlagene Teilverbot nicht möglicherweise mehr Schaden als Nutzen bringt.
Lieber Felix, besten Dank für diesen klugen und anregenden Kommentar!
Zu § 46 Abs. 2 BVerfGG: Diese einfachrechtliche Vorschrift ließe ggf. den Schluss zu, dass ein Verbot eines Parteiteils schon de lege lata zulässig wäre. Ich glaube, dass die Vorschrift verfassungswidrig ist. Folgt man der oben vertretenen Sichtweise des Verbotssubjekts (Partei), das in Art. 21 Abs. 2 GG ausdrücklich genannt ist, kann eine Rechtsfolge nach § 46 Abs. 2 BVerfGG nicht gewählt werden, wenn damit nur eine einzelne Untergliederung verboten wird. Dass es diese einfachrechtliche Vorschrift dennoch gibt (und auch in der Kommentarliteratur zum BVerfGG nicht grundlegend kritisiert wird), finde ich bemerkenswert und eine Erwähnung im Beitrag wäre wahrscheinlich sinnvoll gewesen. Jedenfalls birgt die Vorschrift einige Inkonsistenzen und ungelöste Probleme.
Zur Organisationsstruktur: Da stimme ich Dir zu, aber schon das Zerstören der „offenen“ Strukturen hielte ich für einen Erfolg. Im Moment wird behauptet, dass der Flügel (trotz Vorstandsbeschlusses) faktisch weiterbestehe und dies ein offenes Geheimnis innerhalb der AfD sei.. Ob das tatsächlich so ist, ist (noch) Spekulation und es wäre die Aufgabe des Verfassungsschutzes, als „Vorfeldmaßnahme“ zu einem Verbotsverfahren Ermittlungen anzustellen. Träfe es aber zu, muss es eine Möglichkeit geben, dieser Organisation trotzdem habhaft zu werden, auch wenn es keine auf den ersten Blick offenkundige Organisation (Website usw.) gibt. Dass Folge dessen ggf. ist, dass die Organisation informell weiterbesteht, ist freilich ein Parallelproblem zum Parteiverbot, wo ähnliche Folgegefahren bestehen.
Zum Argument, das Teilverbot sei ein gefährlicher Eingriff in den politischen Prozess: Auf jeden Fall ist es das (insb. wegen des Eingriffs in den parteiinternen Diskurs), aber das ist auch das (Komplett-)Verbot. Bei allen rechtlichen Maßnahmen gegen extremistische Parteien geht es um die Frage, ob die von ihnen ausgehenden Gefahren diesen Eingriff in den politischen Prozess rechtfertigen. Hier geht es meiner Meinung nach auch nicht darum, eine Partei künstlich am Leben zu halten, sondern darum, von einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei ausgehende Gefahren präventiv zu unterbinden. Ein Teilverbot käme gerade nur dann in Betracht, wenn ein Komplettverbot nicht statthaft wäre – und das ist nach BVerfG NPD II in den meisten Fällen relativ wahrscheinlich. In diesem Fall hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man sieht gute Gründe in der Schwelle, die das BVerfG für ein Verbot aufstellt – dann wären Minusmaßnahmen generell nicht anzudenken und es bliebe die Möglichkeit, Parteien politisch zu bekämpfen. Oder man überlegt sich, wie man verfassungsphobe Parteien anders in rechtliche Schranken weisen kann.