BVerfG sieht durch WindSeeG verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz verletzt

von NIKOLAS KLAUSMANN

Das BVerfG entscheidet in seinem aktuellen Beschluss: Aspekte des WindSeeG verstoßen gegen den durch die Verfassung garantierten Vertrauensschutz. Es handelt sich um eine wichtige Entscheidung im Kontext der Energiewende; auch mit Blick auf den Atom- und Kohleausstieg. Dieser Beitrag stellt die komplexen rechtlichen und energiewirtschaftlichen Zusammenhänge dar.

In seinem aktuellen Beschluss vom 30.06.2020 befasst sich das BVerfG mit der Frage, inwiefern der Gesetzgeber gegen durch die Verfassung garantierten Vertrauensschutz verstößt, wenn er mittels WindSeeG laufende Zulassungsverfahren von Offshore-Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone beendet. Im Ergebnis verpflichtet das Gericht den Gesetzgeber die hierdurch frustrierten Aufwendungen der Investoren zu ersetzten. Der Beschluss ist deshalb spannend, weil sich das Gericht -nach Atom- und Kohleausstieg- auch hier wieder mit einer grundlegenden Abwägungsentscheidung im Kontext von Markt und Regulierung beschäftigt.

Die Zulassung von Offshore-Windenergieanlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone

Offshore-Windenergie, also Stromerzeugung durch Anlagen auf See, ist ein wichtiger Pfeiler der Energiewende. Energieerzeugung offshore ist weniger volatil als die von Wind- und Photovoltaikanlagen an Land und damit planbarer. Ein Energieversorgungssystem, welches auch auf Offshore-Windenergieanlagen basiert, ist daher günstiger als die reine Versorgung mit auf Land erzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien. Es werden weniger Systemdienstleistungen benötigt, um Versorgungssicherheit zu garantieren.

Die See ist völkerrechtlich grob in das Küstenmeer, ein Gebietsabschnitt ab dem Festland, und die ausschließliche Wirtschaftszone, das seewärts an das Küstenmeer angrenzende Meeresgebiet, unterteilt. Während ersteres deutsches Hoheitsgebiet ist, unterliegt letztere nicht der deutschen Jurisdiktion. Während für die Zulassung von Anlagen im Küstenmeer ohne weiteres das bundesrechtliche Bauplanungs- und landesrechtliche Bauordnungsrecht Anwendung findet, musste für die ausschließlichen Wirtschaftszone ein eigenes Regelungsregime geschaffen werden. Dies ist deshalb legitim, weil einem Küstenstaat völkerrechtlich das souveräne Recht zur Genehmigung und Regelung der Errichtung, des Betriebs und der Nutzung von Anlagen zur Energieerzeugung aus Wind zusteht (Art. 56 Abs. 1 SRÜ). Der Gesetzgeber führte zunächst 2012 ein Planfeststellungsverfahren als Zulassungsregime ein (SeeAnlV). Die damit einhergehende Konzentrationswirkung sollte zu einer Entbürokratisierung und damit zu einem energie- und klimapolitisch wichtigen Anstoß von Windenergie auf hoher See führen. Doch stellte sich weiter die Netzanbindung der Anlagen als problematisch heraus. Denn die Bebauung verlief nach individueller Planung durch Investoren. Der durch andere Akteure durchgeführte Netzausbau konnte nicht ausreichend abgestimmt werden. Anlagen wurden nicht unmittelbar nach ihrer Fertigstellung an das Netz angeschlossen. Diesem Problem wollte der Gesetzgeber mit einem sog. „zentralen Modell“ Herr werden, dass sich im Gesetz zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (WindSeeG) aus dem Jahr 2017 findet. Der Gesetzgeber übertrug der Exekutive die Hoheit zur Auswahl der Bebauungsorte. Regelungstechnisch wurde hierfür die Anlagenzulassung mit dem Erhalt der EEG-Förderung verzahnt: Zugelassen werden nur Anlagen, die auch gefördert werden. Gefördert werden nur Anlagen, die eine Ausschreibung der BNetzA gewinnen. Solche Ausschreibungen finden wiederum nur für behördlich voruntersuchte Flächen statt. Voruntersucht können ausschließlich vorher im Flächenentwicklungsplan festgelegte Flächen werden. Kurz gesagt: Das WindSeeG bedeutet die Abkehr von der individuellen Auswahlmöglichkeit des Vorhabenortes durch Investoren. Es bedeutet das Etablieren einer behördlichen Entscheidungshoheit über die jeweiligen Vorhabenorte. Beides zur verbesserten Koordination der Netzanbindung.

BVerfG äußert sich zur Beendigung laufender Zulassungsverfahren

All dies steht wohl zunächst in der umfassenden Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers. Jedoch musste sich der Gesetzgeber offensichtlich auch mit solchen Projekten befassen, bei denen das Zulassungsverfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des WindSeeG bereits im Gange war – ein aus verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht schwieriges Gelände. Wie sollte deren Zulassungsverfahren weiter behandelt werden? Dafür beinhaltet das WindSeeG Übergangsbestimmungen, welche sog. Eintrittsrechte für bestehende Projekte definieren; ein aus Gesetzgebungssicht altbekanntes Vorgehen. In Ausnahmefällen konnten daher bereits laufende Projekte auch weitergeführt werden. Andere laufende Verfahren allerdings, so auch die der Beschwerdeführerinnen vor dem BVerfG, wurden unmittelbar beendet. Alle im Vorhinein individuell aufgewendeten Voruntersuchungskosten der Klägerinnen waren damit frustriert.

Ob dieses gesetzgeberische Vorgehen mit dem durch die Verfassung garantierten Vertrauensschutz vereinbar ist, hatte nun das BVerfG zu klären. Es kommt hier zu dem Ergebnis, dass die Regelung zwar nicht gegen Eigentumsgarantie und Berufsfreiheit verstößt, wohl aber wegen ihrer unechten Rückwirkung zu beanstanden ist. In der Folge muss sich der Gesetzgeber um eine Entschädigungsregelung kümmern. Vertrauensschutz gebietet die Verfassung im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG im Speziellen und im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG im Allgemeinen. Das Gericht kommt dabei zunächst zu dem Ergebnis, dass es mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar sei, wenn das WindSeeG die Zulassung von Offshore-Windenergieanlagen auf ein grundlegend neues Regelungssystem umstellt und hierdurch die nach früher geltendem Recht erledigten Verfahrensschritte einschließlich erlangter Genehmigungen und Planfeststellungsbeschlüsse ihre rechtliche Bedeutung verlieren. Denn die erteilten Genehmigungen und anderen Verfahrenspositionen bilden kein Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG. Schon der Schutzbereich ist daher nicht eröffnet. Insoweit bezieht sich das BVerfG auch auf sein wegweisendes Urteil vom 6. Dezember 2016 zum Atomausstieg. Anders sieht es bei Art. 12 Abs. 1 GG aus. Das BVerfG stellt fest, dass Art. 12 Abs. 1 GG schon nicht den von den Beschwerdeführerinnen geltend gemachten Vertrauensschutz wegen frustrierter Investitionen beinhaltet. Deshalb nimmt das BVerfG als Untersuchungsgegenstand die ganz grundsätzliche Architektur der Anlagenzulassungsregeln im WindSeeG in den Blick. Diese sieht vor, den Betrieb von OWA auf See zu unterbinden und nur im Fall eines Zuschlags und behördlicher Einzelzulassung zu erlauben. Diese Regelung fällt in den Schutzbereich des Grundrechts, der die Ausübung und die freie Wahl eines Berufs umfasst. Allerdings ist das Regelungsinstrument gerechtfertigt. Das WindSeeG ist geeignet, um die legitimen Ziele des Klima- und des Umweltschutzes zu erreichen. Daneben kommt keine weniger eingreifende Alternative in Betracht, denn insbesondere hat der Gesetzgeber ausreichende Übergangsregelungen getroffen, die den spezifischen Vertrauensschutzanforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügen. Dass die Beschwerdeführerinnen im Einzelfall nicht von diesen Übergangsbestimmungen profitieren, läuft diesem Ergebnis nicht entgegen. Jedoch, so das BVerfG, ist die unechte Rückwirkung, die mit der Umstellung einhergeht, nicht mit dem allgemeinen Vertrauensschutzgrundsatz (Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III GG) vereinbar. Obwohl Normen mit unechter Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig sind, können sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen ergeben. Letztere sind hier laut Gericht überschritten. Denn im Ergebnis sind die angegriffenen Vorschriften insoweit nicht erforderlich, als kein finanzieller Ausgleich für den Fall vorgesehen ist, dass die Beschwerdeführerinnen nach altem Recht manche Planungsarbeiten und Untersuchungen geleistet haben, die im Rahmen der Voruntersuchung noch verwertbar sind. Einen entsprechenden finanziellen Ausgleich zusätzlich zu integrieren, stellt ein milderes, aber ebenso geeignetes zur Verfügung stehendes Mittel dar. Das BVerfG schlussfolgert daher, dass der Gesetzgeber hier einen Kostenausgleich zu implementieren hat.

Abwägungsentscheidung in Spannungsfeld

Nach dem sog. Atom– und Kohleausstieg behandelt das BVerfG auch hier wieder eine Rechtsmaterie, die ein besonderes Spannungsfeld offenlegt: Dieses besteht aus für Marktwirtschaft grundlegenden privaten Investitionsentscheidungen und den hierfür im Falle eines Marktversagens notwendigen staatlichen Anreizmechanismen, sowie aus der Notwendigkeit einer vorausschauenden und an wissenschaftlichen Fakten orientierten Regulierungspolitik. Eine solche kann Klimaschutzerwägungen, aber eben auch Effizienzgesichtspunkte zum Ziel haben. Beides scheint im WindSeeG vereint zu sein. Leitplanken dieser weitläufigen legislativen Handlungsfreiheiten liefert jedoch die Verfassung, als deren Hüter das BVerfG, wie im vorliegenden Beschluss eindrucksvoll zur Schau gestellt, das letzte Wort hat.

In der kommenden Ausgabe der EnWZ (2020/12) wird ein Beitrag des Autors zu der Frage erscheinen, wie sich der hier diskutierte BVerfG-Beschluss auf Windenergievorhaben im Küstenmeer auswirkt.

EEG-Förderung, Energiewende, Entschädigung, Klimaschutz, Offshore-Windenergie, Planfeststellungsverfahren, Rückwirkung, Verfassungsrecht, Vertrauensschutz, Völkerrecht, Zulassung
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