Von FREDERIK FERREAU
Die Vorfälle an der Universität Hamburg rund um die Rückkehr von Bernd Lucke haben ein starkes Echo hervorgerufen. Eine zentrale Rolle bei den Protesten spielte der AStA der Uni, was die Frage aufwirft, ob und wie sich Studierendenschaften am politischen Meinungsbildungsprozess beteiligen dürfen.
Der Mittwoch des 16. Oktober war kein gewöhnlicher Tag an der Universität Hamburg: Für Bernd Lucke nicht, weil er nach seiner Zeit als Europaabgeordneter erstmals wieder eine Vorlesung als Professor halten sollte. Und für manchen Studenten sowie den AStA nicht, weil sie die Tatsache, dass der AfD-Mitbegründer und ehemalige Parteivorsitzender nun wieder an ihrer Uni lehrt und forscht, nicht unkommentiert lassen wollten. Unter dem Motto „Lucke lahm legen“ veranstaltete der AStA eine Kundgebung, an der circa 300 Studenten und Bürger teilnahmen. Im Anschluss der Kundgebung kam es zu einer bundesweit beachteten Störung der Vorlesung Luckes, von der sich der AStA inzwischen distanziert hat.
Zwar werden die Vorfälle politisch kontrovers diskutiert, rechtliche Konsequenzen muss der AStA aber offenbar nicht fürchten: Denn der die Rechtsaufsicht über die Studierendenschaft mitausübende Universitätspräsident (vgl. § 106 Abs. 2 Hamburgisches Hochschulgesetz – HmbHG) hielt es in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Hamburger Wissenschaftssenatorin für wichtig „festzustellen, dass Universitäten als Orte der Wissenschaft die diskursive Auseinandersetzung auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten müssen.“ Doch sind die vom AStA gewählten Protestformen tatsächlich von den gesetzlichen Aufgaben der Studierendenschaft gedeckt oder hat er seine Kompetenzen überschritten?
Die gesetzlichen Aufgaben der Studierendenschaft…
In nahezu allen Bundesländern bilden die Studenten einer Hochschule eine Studierendenschaft als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihre innere Verfasstheit schreibt zumeist einem „Allgemeinen Studierendenausschuss“ (AStA) die Funktion der Exekutive zu, welche die Studierendenschaft nach außen vertritt und die von einem direkt gewählten Studierendenparlament eingesetzt und kontrolliert wird. Die Aufgaben der Studierendenschaft variieren je nach Bundesland, umfassen aber regelmäßig auch die Vertretung ihrer Mitglieder in hochschulpolitischen Belangen sowie die Förderung der politischen Bildung ihrer Mitglieder. Als gesetzlich errichtete Körperschaft ist den Studierendenschaften eine eigenständige Aufgabenerweiterung versagt. Insbesondere können sie sich nicht eigenmächtig ein „allgemeinpolitisches Mandat“ – eine Ermächtigung zu Stellungnahmen in allgemeinpolitischen Debatten – erteilen: Ihre Aufgaben müssen gruppenbezogen bleiben und sich auf spezifische studentische Belange konzentrieren. Nur dann ist nach der Rechtsprechung des BVerwG (ebd., Rn. 20) der von einer Zwangsmitgliedschaft in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgehende Eingriff in das Grundrecht auf Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerechtfertigt.
In Hamburg vermittelt § 102 Abs. 2 S. 1 HmbHG den Studierendenschaften Aufgaben, die auf den erste Blick eine rechtliche Grundlage für eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit Werk und Wirken von Bernd Lucke zu bieten scheinen: Gemäß Nummer 2 des Katalogs zählt es zu den Aufgaben, „die politische Bildung und das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Studierenden sowie ihre Bereitschaft zum Einsatz für die Grund- und Menschenrechte sowie zur Toleranz auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung zu fördern“. Sofern also ein AStA Vorgänge an einer Hochschule zum Anlass für allgemeine politische Bildungsveranstaltungen nehmen will, ist dagegen nichts einzuwenden. Allerdings ist gerade die weite Formulierung der Aufgabe zur Förderung der politischen Bildung anfällig für Fehlinterpretationen: Politische Bildung meint lediglich die Bereitstellung von Informationen und Foren zur politischen Meinungs- und Willensbildung der Mitglieder. Keinesfalls darf ein AStA darauf die Verbreitung politischer Forderungen stützen; andernfalls würde ihm durch die Hintertür der Aufgabe zur Förderung politischer Bildung doch wieder ein allgemeinpolitisches Mandat erteilt. Organisiert nun ein AStA eine Kundgebung und artikuliert auf diese Weise eine eigene Auffassung, so verlässt er die „bloße“ politische Bildung und begibt sich damit außerhalb dieses Aufgabenbereichs.
Die öffentliche Artikulation eigener Meinungen ist einer Studierendenschaft nur im Rahmen ihrer Aufgabe zur Wahrnehmung der hochschulpolitischen Belange der Studierenden gestattet (§ 102 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HmbHG): Hier verfügt sie über ein politisches Mandat, das sie zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs berechtigt. Und sofern sich ein AStA öffentlich zu Werk und Wirken von Angehörigen seiner Hochschule äußert, liegt auch das für die Aufgabenwahrnehmung erforderliche studentische Gruppeninteresse vor.
…und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen
Durfte deshalb der AStA der Uni Hamburg aber auch eine Kundgebung im Vorfeld von Bernd Luckes Vorlesung veranstalten? Da sich Organe und Organwalter der Studierendenschaft mangels Grundrechtsfähigkeit nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen können, ist zu klären, welche Kommunikationsformen von der gesetzlichen Aufgabenzuweisung umfasst sind.
Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des BVerwG aus dem Jahre 2017 im Düsseldorfer „Licht aus“-Fall. Darin war erstmals höchstrichterlich zu klären, welchen kommunikativen Beschränkungen staatliche Organe außerhalb des Wettbewerbs politischer Parteien – worin ihnen seit langem durch das BVerfG strikte Neutralität verordnet ist (letztmalig im Wanka-Urteil, Rn. 50 ff.) – unterliegen; diese Konstellation dürfte auch vorliegend einschlägig sein, da der AStA Herrn Lucke nicht primär wegen seiner aktuellen parteipolitischen Funktion kritisiert hat. In seinem Urteil bewertete das BVerwG den öffentlichen Aufruf des Düsseldorfer Oberbürgermeisters zur Teilnahme an einer (Gegen-)Demonstration für rechtswidrig und verwies zur Begründung auf das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG: Die freie Bildung der öffentlichen Meinung sei Ausdruck eines demokratischen Staatswesens, „in dem sich die Willensbildung des Volkes frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei“ vollzieht (…). Einem Amtsträger in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion ist deshalb eine lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verwehrt“ (BVerwG ebd., Rn. 28).
Das Gericht zieht somit dem Wirken öffentlich-rechtlicher Körperschaften im politischen Meinungsbildungsprozess Grenzen, um eine freie Auseinandersetzung der Bürger untereinander und damit letztlich einen vom Demokratieprinzip geforderten Meinungs- und Willensbildungsprozess „von unten nach oben“ zu gewährleisten. Der Vorrang der Bürger vor staatlichen Stellen im politischen Meinungsbildungsprozess kann aber nur durch Beschränkung der zulässigen Kommunikationsformen staatlicher Stellen erreicht werden. Und wenn nach der Rechtsprechung des BVerwG bereits der staatliche Aufruf zur Teilnahme an einer (Gegen-)Demonstration rechtswidrig ist, so ist im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch die Veranstaltung einer Versammlung selbst durch eine staatliche Stelle rechtswidrig. Stützen lässt sich dieser rechtliche Befund zusätzlich auf zwei faktische Überlegungen: Zum einen handelt es sich bei Versammlungen um besonders wirkmächtige und oftmals erhöhte mediale Beachtung erfahrende Kommunikationsformen. Zum anderen erfordert die Veranstaltung von Versammlungen einen erhöhten sachlichen, personellen und finanziellen Aufwand, welchen staatliche Stellen unter Rückgriff auf ihre aus öffentlichen Mitteln generierte Ressourcen im Regelfall leichter bewältigen können als gesellschaftliche Vereinigungen
Demnach sind staatliche Stellen im Allgemeinen und der AStA der Universität Hamburg im Besonderen nicht berechtigt, Versammlungen abzuhalten. Die Befugnis einer Studierendenschaft zur Wahrnehmung hochschulpolitischer Belange ihrer Mitglieder gestattet lediglich die Abgabe öffentlicher Stellungnahmen. Und auch hierbei genießt ein AStA nicht die gleiche kommunikative Freiheit wie die Bürger bei Gebrauch ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit: Vielmehr ist der AStA bei seiner kommunikativen Betätigung seinerseits an die Grundrechte sowie die rechtsstaatlichen Grundsätze von Willkürfreiheit und Verhältnismäßigkeit gebunden. Hieraus folgert das BVerwG im „Licht aus“-Urteil ein Sachlichkeitsgebot für amtliche Äußerungen: Werturteile dürften nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen, sondern müssten einen im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigte Tatsachenkern aufweisen; zudem dürften sie den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten (ebd., Rn. 27), was man als Zurückhaltung in Inhalt und Ausdruck bei amtlichen Äußerungen interpretieren kann.
Doch ein Fall für die Rechtsaufsicht
Mit der Veranstaltung einer Kundgebung hat der AStA der Uni Hamburg Kommunikationsformen gewählt, die nicht mehr von seinen gesetzlichen Aufgaben umfasst sind. Stattdessen hätte der AStA von vornherein auf eine diskursive Auseinandersetzung in der Uni-Öffentlichkeit setzen sollen, möglicherweise wäre es dann auch nicht oder nicht in diesem Ausmaß zu den äußerst unschönen Szenen im Nachgang zur Kundgebung gekommen. Um solche Vorfälle künftig zu vermeiden, sollte die Rechtsaufsicht über die Studierendenschaft der Uni Hamburg ihre bisherige Haltung zu den Ereignissen am 16. Oktober noch einmal überdenken und die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen gemäß § 107 HmbHG ergreifen.
Zitiervorschlag: Ferreau, Demo statt Diskurs: Der AStA-Protest gegen Bernd Lucke als Aufgabenüberschreitung der Studierendenschaft?, JuWissBlog Nr. 93/2019 v. 18.10.2019, https://www.juwiss.de/93-2019/.
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