Tagungsbericht zum JuWissDay 2016 „Digitalisierung und Recht“

von ANIKA KLAFKI, TINA WINTER und FELIX WÜRKERT

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Am Samstag waren zahlreiche Vertreter*innen der jungen Wissenschaft im Öffentlichen Recht in Hamburg zu Gast, um die öffentlich-rechtlichen Herausforderungen der digitalen Revolution zu diskutieren. Besonders glücklich waren wir neben den exzellenten Vorträgen über unser lebhaftes diskussionswütiges Publikum! Vielen Dank für eine sehr bereichernde Tagung an alle Beteiligten. Impressionen vom JuWissDay 2016 findet Ihr hier.

Das wissenschaftliche Programm der Tagung wurde vom ehemaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar eröffnet. In seinem Vortrag „Regulatorische Leitplanken der Digitalisierung am Beispiel des Datenschutzes“ zeichnete er die Entwicklungslinien der Regulierung nach, um zu illustrieren, wie neue technische Herausforderungen gesetzlich erfasst werden können. Er zeigte dabei auf, dass beständige rechtliche Innovationen erforderlich sind ebenso wie transnationale Kooperation. Es bedürfe in Zukunft neuer intelligenter technikbezogener Regelungstechniken, die über Verbot, Erlaubnis und Einwilligungsvorbehalte hinausgehen. Dabei forderte er, den Verbraucher besser zu schützen und nicht nur die Wettbewerbsbenachteiligungen durch die Monopolstellung von Google und sonstigen Informationsmediäre in den Blick zu nehmen. Schaar betonte weiterhin, dass Technikregulierung technikneutral sein müsse, um einen langfristigen Steuerungseffekt zu erreichen. Hoffnungsvoll kam er zu dem Schluss, dass es auf europäischer Ebene gelingen kann, Privatsphäre und Selbstbestimmung zu schützen. Die komplette Eröffnungsrede findet ihr live und in Farbe auf unserer Facebook-Seite.

Im anschließenden ersten Panel referierte Theresa Witt über die Digitalisierung der Demokratie durch e-Partizipation. Dabei maß sie der digitalen Bürgerbeteiligung eine „Türöffnerfunktion“ bei. Gleichwohl konstatierte sie, dass trotz der bequemen Partizipationsmöglichkeiten über den Heim-PC bislang immer noch vor allem gesellschaftliche Eliten sich beteiligen, während die breite Masse inaktiv bleibt. Man könnte also böse formulieren: „e-Partizipation als elitäre Partizipation“. Zumindest biete die Digitalisierung aber einen Zugewinn an selbstbestimmten Informationsmöglichkeiten. In verfahrenstechnischer Hinsicht stellte Theresa auf die Funktion des Beteiligungsformats ab. Sofern es darum gehe, Informationen zu sammeln, sei ein anonymes Beteiligungsformat denkbar, während der Identitätsfeststellung im Falle der Repräsentationsfunktion bzw. der Legitimitätsvermittlung der Beteiligung hohe Bedeutung zukomme. Hinsichtlich der normativen Anforderungen, die an Online-Partizipationsmodelle zu stellen sind, legte Theresa vier Maßstäbe fest: Transparenz, das Demokratieprinzip als Optimierungsgebot, ein Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nur über eine Verwirklichung dieser Prinzipien in der e-Partizipation könne die Gemeinwohlorientierung hoheitlicher Betätigung geschützt werden. Die an den Vortrag anschließende, von Anna von Notz moderierte Diskussion wurde von der grundsätzlichen Frage bestimmt, inwieweit die repräsentative Demokratie durch Bürgerbeteiligung gestärkt oder geschwächt wird.

Christian Ernst setzte sich im zweiten Panel mit der Frage auseinander, inwieweit es im Rahmen algorithmischer Entscheidungsfindung rechtlich zulässig ist, personenbezogene Daten zu nutzen. Dabei warf er die Frage auf, ob es überhaupt einen Unterschied macht, ob Algorithmen oder Menschen Entscheidungen treffen, wenn sie bei der Entscheidungsfindung dieselben Faktoren einbeziehen. Er stellte dabei die Vor- und Nachteile der algorithmischen Entscheidungen dar. Zwar sei die automatisierte Entscheidungsfindung in hohem Maße rational, könne aber auch bestehende gesellschaftliche Benachteiligungen zementieren und dadurch zu Diskriminierungen führen. Im Zuge einer normativen Betrachtung legte Christian offen, dass sich die Rationalität von mathematisch arbeitenden Algorithmen der rechtlichen Werteordnung zu unterwerfen habe. Es bedürfe daher vielfach einer menschlichen Verantwortungsübernahme von automatisierten Entscheidungen. Er verwies insoweit auf die Regelung des § 6a BDSG. Die von Mirka Möldner geleitete Diskussion kreiste um Fragen der Vollzugs-, Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten des im Vortrag entwickelten menschlichen Entscheidungsvorbehalts.

Im dritten Panel referierte Thomas Hammer über die Sicherheit im Zeitalter der Digitalisierung und beleuchtete dabei die durch den technologischen Fortschritt bedingten immer weitergehenden Möglichkeiten, aus bestehenden Eingriffsbefugnissen in das Fernmeldegeheimnis durch die Sicherheitsbehörden Datenzusammenhänge zu erkennen, die früher nicht offensichtlich waren. Dabei legte er den Fokus insbesondere auf den Datenschutz und analysierte vor allem die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) und die Verkehrsdatenerhebung (§ 100g StPO). Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und des veränderten Kontextes der Erhebung von Verkehrsdaten folge aus dem verfassungsrechtlichen Schutz des Fernmeldegeheimnisses, dass der Gesetzgeber höhere Hürden für sicherheitsrechtliche Datenerhebungen vorsehen müsse, um die betroffenen Grundrechte effektiv zu schützen. Insbesondere sei es im Zeitalter einer zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft und der fortschreitenden technischen Entwicklungen nicht mehr zeitgemäß, Verkehrsdaten wegen deren hohen Aussagegehalts über die Lebensumstände der betroffenen Personen weniger zu schützen als Inhaltsdaten. In der von Hannfried Leisterer moderierten Diskussion wurde über den mangelnden Rechtsschutz Betroffener und die Praxis der Sicherheitsbehörden in Deutschland gesprochen.

Im letzten Panel beschäftigte sich Christian Djeffal mit der Digitalisierung der Verwaltung, eGovernment und dem „Internet of Things“. Anhand verschiedener Beispiele, wie etwa einem Roboter für Justizvollzugsanstalten und digitalisierten Entscheidungsmechanismen verwaltungsrechtlicher Entscheidungsfindung verdeutlichte er das Veränderungspotential des technologischen Fortschritts für die Exekutive. Dabei setze er sich ausführlich mit den daraus resultierenden Chancen und Gefahren auseinander. Vor diesem Hintergrund diskutierte er den neuen § 35a VwVfG, wonach ein Verwaltungsakt nur dann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden kann, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht. In der Diskussion, die von Tobias Brings-Wiesen moderiert wurde, ging es vor allem darum, ob durch die zunehmende Automatisierung nicht die Einzelfallgerechtigkeit abhandenkomme und wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in atypischen Fällen gewährleistet werden könne.

Auf das letzte Panel folgte der Servicevortrag von Thomas Hartmann zu Open Access und Veröffentlichungsstrategien. In einem äußerst kurzweiligen Vortragsformat erläuterte er die Potentiale von Open Access Veröffentlichungen, führte in Lizenzierungsfragen ein und erläuterte die drei grundsätzlichen Veröffentlichungsmöglichkeiten, nämlich 1. Veröffentlichung in einem klassischen Verlag, 2. Open Access-Veröffentlichung und 3. Erstveröffentlichung in einem klassischen Verlag mit Zweitveröffentlichung im Open-Access-Format. Dabei machte er jedoch deutlich, dass bei einer Veröffentlichung in einem Verlag in der Regel alle Nutzungsrechte auf lange Zeit übertragen werden. Lediglich bei Tagungsbeiträgen sei oftmals die Zweitveröffentlichung unproblematischer möglich, da man als Autor – anders als in der Funktion des Herausgebers – oftmals keinen Vertrag zur Rechteübertragung unterzeichne. Außerdem ermöglicht § 38 UrhG die Zweitveröffentlichung von in Zeitschriften erschienen Beiträgen nach einem Jahr, sofern nichts anderes vereinbart ist.

Schließlich wurde Daniel Mattig mit seinem Post „Wahlfach: Legal Technology“ als Gewinner der Schreibwettbewerbes geehrt. Ihm wurde feierlich ein Freiticket zur 57. Assistententagung 2017 in Hagen überreicht. Daran schloss sich ein Netzwerk-Treffen der Vertreter*innen des Völkerrechtsblogs, des Grundundmenschenrechtsblogs, des Asylrechtsblogs und des JuWissBlogs an, wo über Akquise-Methoden, die Organisation der Redaktion, Qualitätssicherung, die Finanzierung der Blogs und die Vernetzung der Blogs beraten wurde. Abends feierten die Tagungsteilnehmer*innen gemeinsam im Hörsaal in St. Pauli die gelungenen Beratungen des Tages.

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