Ebola – Zur Notwendigkeit international finanzierter Medikamentenvorräte

von ANIKA KLAFKI

Anika Klafki (512x640)Die Ebola-Katastrophe illustriert das verhängnisvolle Spannungsverhältnis zwischen internationalem Gesundheits- und Wirtschaftsrecht. Angesichts der Lockerungen des Patentrechts für Arzneimittel im Falle gesundheitlicher Notstände in Entwicklungsländern ist es für die Pharmaindustrie nicht mehr attraktiv, Medikamente gegen epidemische Krankheiten in diesen Regionen zu entwickeln. Um die Forschung für solche Medikamente voranzutreiben, bedarf es neuer finanzieller Anreize. Dabei bieten sich international finanzierte Medikamentenvorräte an. Eine rechtliche Notwendigkeit, sich an globalen Gesundheitsvorsorgemaßnahmen zu beteiligen, könnte sich für Nationalstaaten aus der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit ergeben. Denn in einer globalisierten Welt stellen Seuchenausbrüche kein regionales, sondern ein weltweites Gesundheitsrisiko dar.

Abhängigkeit des Gesundheitsrechts vom internationalen Wirtschaftsrecht

Das internationale Gesundheitsrecht ist in hohem Maße vom internationalen Wirtschaftsrecht abhängig. Bis heute ist in Art. 2 der Internationalen Gesundheitsvorschriften das Ziel genannt, globale Gesundheits- und Handelsinteressen auszugleichen. Obwohl sich das internationale Gesundheitsrecht seit dem SARS-Ausbruch 2002/2003 rasant fortentwickelt hat, beweist die Ebola-Katastrophe in Westafrika, dass es noch immer im Schatten ökonomischer Gesichtspunkte steht. So wurde bereits ein Serum entdeckt, dass sich im Tierversuch als wirksames Medikament gegen Ebolaviren erwiesen hat. Ein Zulassungsverfahren für den Menschen ist jedoch nicht zu erwarten. Nicht etwa, weil das Serum für den Menschen unverträglich ist, sondern weil das Test- und Zulassungsverfahren, das Summen von bis zu 1 Mrd. Euro verschlingen kann, sich für die Pharmaindustrie nicht lohnt. Gleichwohl werden die Medikamente jetzt – ungeachtet der möglichen Nebenwirkungen – auch zur Behandlung der betroffenen Menschen eingesetzt. Allerdings sind die bisher nur an Tieren getesteten Arzneimittel knapp und werden nicht in ausreichenden Mengen produziert.

Während neue pharmazeutische Produkte in den Industrieländern dank des internationalen Patentrechts (TRIPS-Agreement) zu hohen Preisen verkauft werden können, finden solche Präparate in Entwicklungsländern angesichts der dortigen geringen Kaufkraft keinen Absatz. Auch aus dem zu erwartenden Massenabsatz in Seuchengebieten ergeben sich aufgrund der in Art. 31 TRIPS-Agreement geregelten Patentrechtseinschränkungen keine finanziellen Anreize, Arzneimittel zu entwickeln. Darin ist nämlich vorgesehen, dass im Falle eines „nationalen Notstandes“ oder bei „äußerster Dringlichkeit“ örtlichen Pharmakonzernen Zwangslizenzen zur Produktion von Generika erteilt werden dürfen und bei fehlenden Produktionskapazitäten in den betroffenen Ländern sogar ausländische Unternehmen befugt sind, Generika dorthin zu exportieren (Art. 31 bis TRIPS-Agreement). Durch die Doha-Deklaration wurde klargestellt, dass es im Zuständigkeitsbereich der betroffenen Länder liegt, einen solchen Notstand oder Zustand äußerster Dringlichkeit festzustellen. Die Auswirkung auf die gegenwärtige Ebola-Krise ist paradox: Obwohl die Öffnung des Patentrechts im Zuge des Kampfes gegen HIV/AIDS als eine wesentliche Errungenschaft des internationalen Gesundheitsrechts gefeiert wurde, erweist sie sich nun als ökonomisches Hindernis für weitere Forschungen: Zulassungsverfahren für Arzneimittel, die aktuelle Seuchen in wirtschaftlich schwachen Regionen bekämpfen sollen, lohnen sich dadurch nicht mehr. Sobald ein wirksames Arzneimittel entdeckt ist, kann in den betroffenen Entwicklungsländern eine Zwangslizenz erteilt und der Markt mit billigen Generika geschwemmt werden, so dass das entwickelnde Pharmaunternehmen keine Chance hat, die Forschungs- und Zulassungskosten durch hohe Gewinnmargen im Arzneimittelvertrieb auszugleichen.

Zur Notwendigkeit international finanzierter Medikamentenvorräte

Die Situation ist ethisch nicht vertretbar: Während die Risiken für Seuchenausbrüche in Entwicklungsländern hoch sind, sind deren Reaktionsmöglichkeiten mangels volkswirtschaftlicher Ressourcen eng begrenzt. Besähe ein Mensch unter dem Rawl’schen Schleier des Nichtwissens über seinen Stand und seine Herkunft die gegenwärtige Risiko- und Ressourcenallokation, würde er sie wohl kaum als fair empfinden. Schließlich hängt die Verfügbarkeit von für den Menschen zugelassenen Medikamenten derzeit nicht von persönlicher Leistung des Einzelnen oder individueller Bedürftigkeit ab, sondern allein von der Zugehörigkeit zu einer im Durchschnitt einkommensschwachen Gruppe.

Doch wer hat Schuld an dieser ethisch nicht hinnehmbaren Situation und wer trägt die Verantwortung? Die Pharmakonzerne anzugreifen, ist nicht zielführend. Dies zeigt sich deutlich an den Auswirkungen der Patentrechtseinschränkung. Pharmaunternehmen unterliegen als Marktteilnehmer ökonomischen Gesetzen und sind daher nicht in der Lage, ethische Standards ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Konsequenzen zu verfolgen. Vielmehr ist es Aufgabe des „Leviathans“, das gesellschaftliche Zusammenleben nach Wertungsgesichtspunkten zu ordnen. Im Angesicht grenzüberschreitender Seuchen können einzelne Staaten hier kaum Maßstäbe setzen. Ein gemeinsames Vorgehen – etwa über die Weltgesundheitsorganisation – könnte jedoch eine gerechtere und effektivere Verteilung medizinischer Ressourcen ermöglichen. Eine naheliegende Lösung des Problems wäre etwa ein international finanzierter Medikamentenvorrat für hochinfektiöse Krankheiten mit hohen Sterberaten. Der hierdurch garantierte Absatz böte den nötigen finanziellen Anreiz zur Entwicklung entsprechender Medikamente für die Pharmaindustrie. Der zentral von der Weltgesundheitsorganisation verwaltete Medikamentenvorrat könnte zudem gezielt am Ausbruchsort eingesetzt werden.

Rechtliche Handlungspflicht der Nationalstaaten im Angesicht globaler Gesundheitsrisiken

Eine globale Medikamentenbevorratung bleibt jedoch Utopie, sofern keine finanziellen oder gar rechtlichen Anreize zur Verwirklichung eines solchen modernen gesundheitspolitischen Ansatzes gegeben sind. Eine rechtliche Basis für ein nationalstaatliches Engagement an globalen Medikamentenvorräten ließe sich aus der staatlichen Pflicht ableiten, das Leben und die Gesundheit der eigenen Bürger zu schützen. Der Schutz des Lebens und der menschlichen Gesundheit findet sich schließlich in jeder demokratischen Verfassung wieder. Diese Schutzgüter sind betroffen, denn aus Seuchenausbrüchen in anderen Ländern resultiert in einer globalisierten Welt auch stets ein Risiko für die Ausbreitung im eigenen Staatsgebiet. Im Risikoverwaltungsrecht ist anerkannt, dass Risiken als das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Höhe der Folgeschäden für die staatlich geschützten Rechtsgüter zu definieren sind (vgl. etwa § 2 Nr. 23 ProdSiG). Je höher das Risiko nach dieser Berechnung ist, desto mehr staatliche Ressourcen müssen zur Vorsorge verwandt werden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine weltweite Ebola-Pandemiekatastrophe wird trotz des hohen Ansteckungspotentials durch den Tröpfcheninfektionsweg von medizinischen Experten ausgehend vom bisherigen Seuchengeschehen als eher unwahrscheinlich bewertet. Träte eine solche Pandemie-Katastrophe jedoch ein, wären die Folgeschäden riesig. Das Virus hat eine Sterblichkeitsrate von über 50% und steht damit auf einer Stufe mit dem viel gefürchteten Vogelgrippevirus. Neben der humanitären Tragödie, die eine solche Pandemie in Deutschland verursachen würde, wären auch die ökonomischen Folgen durch Arbeitsausfälle, Handels- und Reisebeschränkungen immens. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Verwirklichung staatlicher Schutzpflichten einen weitgehenden Gestaltungsspielraum, der sich nicht auf eine einzelne konkrete Maßnahme verdichten lässt. Medikamente global statt national zu bevorraten und zu verwalten, ist aber im Hinblick auf das im Sicherheitsrecht maßgebende Effektivitätsprinzip vorzugswürdig. Schließlich können Infektionskrankheiten im Ursprungsland viel besser bekämpft werden, als wenn sie sich – unter Ausbildung verschiedener Mutationsstufen – über den Erdball verteilen. Kommen nationalstaatliche Vorräte dagegen erst zur Anwendung, wenn die Krankheit die eigenen Grenzen überschritten hat, werden damit auch höhere Infektionsraten im eigenen Staatsgebiet in Kauf genommen, als wenn die Krankheit bereits zuvor im Keim erstickt worden wäre.

Dass Risiken mit sogar noch geringerer Eintrittswahrscheinlichkeit an anderer Stelle zum staatlichen Einsatz hoher Geldsummen geführt haben, lässt sich am Beispiel des Atomausstiegs belegen. Diese Entscheidung ist ebenfalls ein Produkt staatlicher Risikoabwägung: Obwohl das Risiko eines atomaren Störfalls auf deutschem Boden naturwissenschaftlich als äußerst gering eingestuft wird, werden die jährlichen Milliardenkosten des Atomausstiegs durch die Schadenshöhe im Eintrittsfalle begründet. Auch wenn die Risiken höchst unterschiedlich sind, so sind die betroffenen Rechtsgüter vergleichbar: Es geht um die Abwägung zwischen menschlichem Leben und Gesundheit einerseits und die Kosten der Risikoprävention andererseits. Freilich wären die langfristigen Folgen einer Atomkatastrophe je nach Unfallschwere erheblicher. Gleichzeitig kostet die Beteiligung an einem internationalen Medikamentenvorrat aber deutlich weniger als der nationale Atomausstieg, der angesichts des Ausbaus der Atomenergie in den umliegenden Ländern ohnehin nur lückenhaften Schutz bietet. Dass die derzeitige Entscheidung über die Risikovorsorge in Bezug auf lebensbedrohliche, veränderliche Keime in Deutschland also grundsätzlich anders ausfällt als bezüglich der Atomenergie, folgt nicht aus der verfassungsrechtlichen Güterrelation. Der unterschiedliche Umgang mit den Bedrohungen ist vielmehr ein Produkt subjektiver Risikowahrnehmung. Denn wie Ulrich Beck schon 1986 wusste: Nur wenn Menschen Risiken als real erleben, sind sie real.

 

Anika Klafki, Ebola, Gesundheitsrecht, Gesundheitsvorsorge, Sozialrecht, Verfassungsrecht, Völkerrecht
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Oliver Daum
    29. August 2014 12:14

    Hallo Anika,

    das ist ein interessantes Thema und sicherlich eines, welches in der Zukunft weiter zu verfolgen ist.

    Du schreibst, dass ein globaler Medikamentenvorrat notwendig geworden sei und dass alle Staaten verfassungsrechtlich verpflichtet wären, das Leben und die Gesundheit der eigenen Staatsangehörigen zu schützen. Weiter führst Du – meiner Meinung nach richtig – aus, dass hieraus zwar nicht per se auch konkrete Pflichten abgeleitet werden können. Dass aber aufgrund des „im Sicherheitsrecht maßgebenden Effektivitätsprinzips“ die globale Beteiligung vorzugswürdig erscheine als ein ausschließlich nationales Engagement der Seuchenbekämpfung.

    Auch wenn sich diese Argumentation durchaus schlüssig lesen lässt, so könnten doch gewisse Prämissen in Frage gestellt werden. Denn zum einen hat nicht jeder Staat eine Verfassung und daher mag ich bezweifeln, dass jeder Staat auch eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit seiner Angehörigen hat (der von Dir angegebene Link kann meine Zweifel leider nicht ausräumen). Zum anderen ließe sich, darüber sind wir uns ja einig, aus der Pflicht zum Schutz des Lebens (menschenrechtlich oder verfassungsrechtlich?) nicht ohne Weiteres auf eine konkrete Pflicht zur Beteiligung an einem globalen Medikamentenvorrat schließen. Ein wenig „aus der Luft gegriffen“ (ich entschuldige mich für diesen Ausdruck) wirkt denn auch das „im Sicherheitsrecht maßgebende Effektivitätsprinzip“.

    Wäre es nicht vielleicht auch eine Möglichkeit, die Beteiligung an einem globalen, respektive internationalen Medikamentenvorrat auf eine menschenrechtliche Pflicht zu gründen anstatt auf nationales Verfassungsrecht?

    Beste Grüße aus Trier
    Oliver

    Antworten
    • Anika Klafki
      31. August 2014 10:36

      Lieber Oliver,

      vielen Dank für Deinen Diskussionsbeitrag. Gerne werde ich dazu kurz Stellung nehmen.

      Eine menschenrechtliche Herleitung wäre sicherlich auch denkbar. Allerdings dürfte es hier noch schwieriger sein, echte Handlungspflichten der Nationalstaaten zu begründen. Darüber hinaus finden menschenrechtliche Erwägungen m.E. in der real-politischen Praxis leider oftmals wenig Gehör. Für mich war es daher besonders interessant aufzuzeigen, dass es für die Nationalstaaten auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse wichtig ist, globale Risiken auf internationaler Ebene zu bekämpfen.

      Selbst wenn es Staaten gibt, die keinen verfassungsmäßigen Schutz des menschlichen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit garantieren (was wohl nicht entscheidend davon abhängt, ob es eine Verfassungskodifikation gibt oder nicht), stellt dies meine Idee nicht grundsätzlich in Frage. Denn es würde schon ausreichen, wenn einige wirtschaftlich einflussreiche Staaten sich gemeinsam zu diesem Schritt entscheiden würden. Der hierdurch entstehende außenpolitische Druck und der Anreiz für besonders epidemiengefährdete Staaten könnte hier sein übriges tun, um breite Teile der Staatengemeinschaft auf lange Sicht in das globale Gesundheitsvorsorgeprogramm zu integrieren. Die globale Klimapolitik dürfte ein Beispiel für ein solches schrittweise erfolgendes, freilich mühevolles Vorgehen sein.

      Wir sind uns einig, dass auch im Hinblick auf den Effektivitätsgedanken keine konkrete staatliche Handlungspflicht zu globalen Gesundheitsvorsorgemaßnahmen besteht. Warum das Effektivitätsprinzip aber aus der Luft gegriffen sein soll, erschließt sich mir nicht. Im klassischen Polizeirecht ist die legitimatorische Kraft der „Effektivität der Gefahrenabwehr“ allgemein bekannt. Auch im Katastrophenabwehrrecht wird die Effektivität als maßgebendes Prinzip verstanden (siehe dazu instruktiv Walus, Katastrophenorganisationsrecht, S. 23 ff.). Ebenso ist die Risikovorsorge der Effektivität verpflichtet (vgl. etwa BVerfG 49, 89, wo „zweckmäßiges“ Handeln gefordert wird). Drohenden Schäden soll schließlich in sachgerechter Weise begegnet werden. Auch der gewisse Verzicht auf demokratische Verfahren im Rahmen verfassungsrechtlicher Notstandsbestimmungen, die sich im internationalen Verfassungsrechtsvergleich vielfach finden, erfolgt zur Gewährleistung größerer Effektivität. Dass globale Vorsorge im Angesicht globaler Seuchenrisiken zudem sachgerechter ist, als die nationale, habe ich im Text versucht darzulegen. Daraus folgt keine konkrete Handlungspflicht. Ein staatlicher Mitteleinsatz zu internationalen Medikamentenvorräten ließe sich davon ausgehend aber besonders gut legitimieren.

      Viele Grüße
      Anika

      Antworten
      • Hallo Anika,

        da muss ich einmal nachhaken:
        Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Du eine verfassungsrechtliche Pflicht eines jeden Staates auf der Welt zur Beteiligung an einem globalen Medikamentenvorrat begründen willst. Aber zur Begründung lediglich deutsches Recht, insbesondere das „im Sicherheitsrecht maßgebende Effektivitätsprinzip“ heranziehst. Nun bin ich mir nicht sicher, ob das von Dir so verstandene Effektivitätsprinzip überhaupt in anderen Rechtsordnungen existiert (daher der Ausdruck „aus der Luft gegriffen“). Im Grunde genommen mag ich bezweifeln, dass das vergleichsweise elaborierte und detaillierte deutsche Recht auch auf andere Verfassungen übertragbar ist, um eine Pflicht zur Beteiligung an einem internationalen Medikamentenvorrat zu begründen. Aber genau so habe ich Deinen Text samt Kommentar verstanden.

        Grüße, Oliver

        Antworten

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