Waffen-Ausbildungsmission der Bundeswehr im Nordirak: Die Rolle des Deutschen Bundestages muss gestärkt werden

von JANA HERTWIG

Jana Hertwig2Die Bundesregierung hat sich nun doch dazu durchgerungen, den Deutschen Bundestag vor der Lieferung von Waffen und Munition an die nordirakischen Kurden und der Einweisung in die Handhabung der Waffen zu beteiligen. Für den kommenden Montag ist eine Sondersitzung des Bundestages vorgesehen. Der Bundestag darf beraten. Entscheiden soll er nach den Vorstellungen der Bundesregierung aber nicht. Die Bundesregierung schränkt die Beteiligungsrechte des Bundestages bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland ein, da die Einweisung in die Waffentechnik dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfällt und keine Ausnahmen greifen.

Grundsatz: Vorherige konstitutive Zustimmung des Bundestages

Seit der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1994 zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte muss die Bundesregierung für einen auswärtigen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr die grundsätzlich vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einholen. Das BVerfG stellte in dem Urteil fest, dass es Sache des Gesetzgebers sei, „die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.“ Zehn Jahre später verabschiedete der Bundestag das entsprechende Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG), dessen § 1 Abs. 2 die vom BVerfG geforderte Zustimmungsbedürftigkeit normiert.

Wann es sich um einen zustimmungsbedürftigen Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte handelt, führt § 2 Abs. 1 ParlBG näher aus. Danach müssen Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten sein. Das BVerfG hat das Kriterium des Einbezugs in eine bewaffnete Unternehmung in der sogenannten AWACS-Entscheidung näher konkretisiert. Danach kommt es darauf an, „dass nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten ist.“ Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen die nordirakischen Kurden von deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort in die Handhabung der gelieferten Waffen eingewiesen werden – und zwar voraussichtlich in der Kurden-Hauptstadt Erbil, welche ca. 160 km von den Kämpfen entfernt liegt. Aufgrund der räumlichen Nähe besteht durchaus die Möglichkeit, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Einweisung in die Waffentechnik in die bewaffnete Auseinandersetzung der Kurden mit der Extremisten-Organisation Islamischer Staat konkret einbezogen werden. Der Bundestag muss deshalb der Einweisung durch deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Entsendung in den Nordirak zustimmen. Demgegenüber ist die Waffenlieferung an sich nicht von der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages abhängig, denn das ParlBG bezieht sich ausschließlich auf den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes – und nicht auf die Lieferung von Material wie Waffen und Munition.

Ausschlussgrund: Vorbereitungs- und Planungsphase sind kein Einsatz i.S.d ParlBG

Nicht erfasst vom Geltungsbereich des ParlBG werden indes Vorbereitungs- und Planungsphasen. So bestimmt § 2 Abs. 2 ParlBG, dass vorbereitende Maßnahmen und Planungen kein Einsatz im Sinne dieses Gesetzes sind und folglich auch keiner Zustimmung des Bundestages bedürfen. Fraglich ist, ob die Einweisung in die Handhabung von Waffen durch deutsche Soldatinnen und Soldaten lediglich eine solche vorbereitende Maßnahme darstellt. Gemeinsames Merkmal der Vorbereitungs- und Planungsphase wird die räumliche Komponente sein. Vorbereitende Maßnahmen und Planungen bedürfen keiner Zustimmung des Bundestages, soweit sie innerhalb des Geltungsbereiches des deutschen Grundgesetzes stattfinden, weil hier der Bundestag noch einen gewissen Einfluss ausüben kann und Soldatinnen und Soldaten deutsches Staatsgebiet noch nicht verlassen haben. Die Einweisung der nordirakischen Kurden durch deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort soll außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes stattfinden. Die Einweisung ist deshalb keine vorbereitende Maßnahme mehr und gilt als Einsatz im Sinne des ParlBG. Der Bundestag muss zustimmen.

Vereinfachtes Zustimmungsverfahren: Modalitäten der vorherigen Zustimmung

Keine Ausnahme, aber eine Abweichung vom vorgeschriebenen Zustimmungsverfahren sieht § 3 Abs. 1 ParlBG vor, wonach bei Einsätzen von geringer Intensität und Tragweite die Zustimmung des Bundestages in einem vereinfachten Verfahren erteilt wird und dabei als erteilt gilt, „wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach der Verteilung der Drucksache von einer Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages eine Befassung des Bundestages verlangt wird.“ Wann ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist, hat der Gesetzgeber explizit definiert und sogar Beispielsfälle aufgelistet. Gemäß § 3 Abs. 2 ParlBG ist ein Einsatz dann von geringer Intensität und Tragweite, „wenn die Zahl der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten gering ist, der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um die Beteiligung an einem Krieg handelt.“ Die Bundesregierung will zwar lediglich ein paar Soldatinnen und Soldaten entsenden, so dass die Zahl durchaus als gering einzustufen ist. Gleichwohl ist der Einsatz aber von erheblicher Bedeutung, da die Einweisung in die Waffentechnik in einer Krisenregion erfolgen soll und die Lieferung an sich höchst kontrovers diskutiert wird. Darüber hinaus stellt die Einweisung in die Handhabung der Waffen eine Beteiligung an einem Krieg der kurdischen Peschmerga-Milizen im Nordirak im Kampf gegen die Extremisten-Organisation Islamischer Staat dar. Auch die letzte Voraussetzung des vereinfachten Zustimmungsverfahrens ist damit nicht gegeben. Alle drei Voraussetzungen müssen aber kumulativ vorliegen. Es bleibt damit beim Regelfall der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages im Plenum.

Gefahr im Verzug: Ausnahme vom Grundsatz der vorherigen Zustimmung

Einer vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages bedarf es ausnahmsweise dann nicht, wenn Gefahr im Verzug vorliegt und der Einsatz keinen Aufschub duldet, § 5 Abs. 1 ParlBG. Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist aber unverzüglich nachzuholen. Gefahr im Verzug ist anzunehmen, soweit der Bundesregierung keine Zeit verbleibt, den Bundestag einzuberufen. Zwar ist der Bundestag für den kommenden Montag zur Sondersitzung einberufen. In der Sitzung soll aber nur die umstrittene Waffenlieferung diskutiert werden – und gerade nicht die Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten zur Einweisung in die Waffentechnik. Die Bundesregierung hat aber durchaus noch einen gewissen zeitlichen Rahmen. Die nächste Sondersitzung des Bundestages könnte noch für Ende kommender Woche anberaumt werden. Von Gefahr im Verzug kann zurzeit nicht ausgegangen werden. Eine erst nachträgliche Zustimmung des Bundestages zur Einweisung in die Waffentechnik durch deutsche Soldatinnen und Soldaten würde nicht genügen.

Ausblick: Sondersitzung des Bundestages und mögliches Verfahren vor dem BVerfG

Mit Spannung ist deswegen die Sondersitzung des Bundestages am kommenden Montag zu erwarten. Der Bundestag muss zwar nicht der Waffenlieferung, wohl aber dem Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten zur Einweisung in die Waffentechnik zustimmen – und zwar vor der Entsendung in den Nordirak. § 3 Abs. 1 ParlBG sieht dafür vor, dass die Bundesregierung dem Bundestag den Antrag auf Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte rechtzeitig vor Beginn des Einsatzes übersendet. Dies wird die Bundesregierung zwar nicht mehr bis zum kommenden Montag schaffen. Der Bundestag wird deshalb ein weiteres Mal zusammen treten müssen, um über den Antrag der Bundesregierung abzustimmen. Die Sondersitzung am kommenden Montag wird deshalb allenfalls dazu dienen, die verschiedenen Meinungen für den Auslandseinsatz auszutauschen. Eine rechtsverbindliche und insbesondere gesetzeskonforme Zustimmung des Bundestages wird es am Montag noch nicht geben.

Fraglich bleibt, welche rechtlichen Handlungsmöglichkeiten dem Bundestag verbleiben, wenn – wie zurzeit beabsichtigt – die Bundesregierung nicht die Zustimmung des Bundestages zur Einweisung in die Waffentechnik durch deutsche Soldatinnen und Soldaten beantragt. Zwar gewährt § 8 ParlBG dem Bundestag ein Rückholrecht für die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, das heißt er kann die Zustimmung zu einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte widerrufen – und zwar jederzeit und ohne Angabe von Gründen. Das ParlBG trifft aber keine Regelung, was genau gelten soll, wenn der Bundestag gar nicht zugestimmt hat. Denkbar ist in diesem Fall eine analoge Anwendung des § 8 ParlBG (Rückholrecht) oder des § 5 Abs. 3 Satz 2 ParlBG, wonach der aufgrund von Gefahr im Verzug erfolgte Einsatz zu beenden ist, soweit der Bundestag den Antrag der Bundesregierung nachträglich ablehnt. Rückholrecht und Beendigung des Einsatzes sind derweil keine effektiven Mittel zur Durchsetzung der Rechte des Bundestages. Zu empfehlen wäre deshalb ein entsprechendes Organstreitverfahren vor dem BVerfG gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG, da die Mitwirkungsrechte des Bundestages und von Bundestagsabgeordneten bei der Entscheidung über den Einsatz deutscher Streitkräfte in Frage stehen. Aufgrund der Eilbedürftigkeit könnte das BVerfG den Zustand auch durch einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG vorläufig regeln.

Bundeswehr, Deutschland, Jana Hertwig, Nordirak, ParlBG, Waffen-Ausbildungsmission
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Oliver Daum
    30. August 2014 15:14

    Hallo Jana,

    vielen Dank, dass Du mit Deinem Beitrag meine Aufmerksamkeit auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der BW-Soldaten in den Irak gelenkt hast.

    Die Frage nach der Zustimmungsbedürftigkeit der – bisher geplanten – sechs Soldaten in den Irak ist eine schwierige Frage. Der Grund hierfür liegt m. E. darin, dass mangels eindeutiger judikativer Direktiven und Gesetze nicht ganz klar ist, ob auch konkret zu erwarten ist, dass die Soldaten im Irak auch in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen würden. Du argumentierst auf der Grundlage der geographischen Nähe zur Zone der Kampfhandlungen und dass damit die Möglichkeit für die Soldaten bestünde, in die dortigen bewaffneten Auseinandersetzungen einbezogen zu werden. Ich habe das Urteil von 2008 nun nicht wörtlich im Kopf, aber besagte das BVerfG darin nicht ausdrücklich, dass die Möglichkeit der bewaffneten Auseinandersetzung für die Zustimmungsbedürftigkeit des BT nicht ausreicht? Der tatbestandliche Unterschied zu 2008 liegt hier denn auch darin, dass deutsche Soldaten nicht unmittelbar in militärischen Operationen einer potentiellen Konfliktpartei involviert sind, sondern durch das Unterweisen in Waffentechniken lediglich im Vorfeld agieren und nicht Bestandteil militärischer Operationen sind. Dies könnte gegen die konstitutive Beteiligung des BT sprechen.

    Des Weiteren schreibst Du: „Vorbereitende Maßnahmen und Planungen bedürfen keiner Zustimmung des Bundestages, soweit sie innerhalb des Geltungsbereiches des deutschen Grundgesetzes stattfinden…“ Das klingt im ersten Moment wie eine These. Wenn sich das BVerfG zu „vorbereitenden Maßnahmen und Planungen“ geäußert hat (ich weiß es grad schlichtweg nicht), hätte das Gericht dies nicht in Hinblick auf den Auslandseinsatz festgestellt, sodass es für vorbereitende Maßnahmen und Planungen irrelevant ist, wo diese vorgenommen werden?

    Frische Grüße aus Trier
    Oliver

    Antworten
  • Die tatsächlichen Annahmen, auf denen die Schlussfolgerungen beruhen, sind m. E. äußerst unplausibel, eigentlich „an den Haaren herbeigezogen“:

    „Aufgrund der räumlichen Nähe besteht durchaus die Möglichkeit, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Einweisung in die Waffentechnik in die bewaffnete Auseinandersetzung der Kurden mit der Extremisten-Organisation Islamischer Staat konkret einbezogen werden.“

    Die Kampfhandlungen (überall mögliche reine Terroranschläge sind ja irrelevant)finden – wie ja gesagt wird – 160 km entfernt statt. Erbil ist strategisch ein höchst wichtiger Ort für die Kurden, für dessen Verteidigung bereits in sicherer Entfernung alles getan werden wird, übrigens auch von den USA (US-Generalkonsulat Erbil als Schutzobjekt). Daher erscheint die Möglichkeit, dass reine Ausbilder (die als solche ohnehin nicht kampffähig sind), „konkret einbezogen werden“ in bewaffnete Auseinandersetzungen mit ISIS, als ausgeschlossen.

    Rechtlich evident unplausibel ist m. E. Folgendes:

    „Gemeinsames Merkmal der Vorbereitungs- und Planungsphase wird die räumliche Komponente sein. Vorbereitende Maßnahmen und Planungen bedürfen keiner Zustimmung des Bundestages, soweit sie innerhalb des Geltungsbereiches des deutschen Grundgesetzes stattfinden, weil hier der Bundestag noch einen gewissen Einfluss ausüben kann und Soldatinnen und Soldaten deutsches Staatsgebiet noch nicht verlassen haben.“

    Wieso für „vorbereitende Maßnahmen und Planungen“ eine räumliche Komponente mitzuberücksichtigen sei, wird nicht begründet und ist auch nicht nachvollziehbar. Schon der Wortlaut gibt nichts dafür her. Vorbereitung und Planung sind „ortlos“. Entscheidend dagegen spricht übrigens systematisch, dass das ganze Gesetz nur für den „Einsatz … im Ausland“ gilt – da ist die räumliche Komponente und deswegen ist es völlig sinnlos, als „vorbereitende Maßnahmen und Planungen“ iSd § 2 II 1 ParlBG nur solche zu sehen, die im Inland stattfinden.

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