Am 6.2.19 hat GA Nils Wahl seine Schlussanträge zur sog. deutschen Pkw-Maut veröffentlicht. Mit zwei zusammenhängenden Gesetzen von Mitte 2016 will der Bund eine Wandlung von der Steuer- zur Nutzerfinanzierung der Bundesfernstraßeninstandhaltung herbeiführen. Deutsche AutofahrerInnen sollen aber, im Gegensatz zu ausländischen AutobahnnutzerInnen, nicht mehr zahlen als zuvor. Liegt darin eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit? GA Wahl verneint das und nutzt seine Schlussanträge für ein Plädoyer gegen Populismus.
Die Pkw-Maut und Österreichs Kritik
Die Pkw-Maut sieht vor, dass alle NutzerInnen deutscher Fernstraßen eine Abgabe (in Form einer Vignette) zu zahlen haben. Deutschen AutohalterInnen wird aber über eine Reduktion der Kfz-Steuer der Jahresvignettenbeitrag wieder gegengerechnet. Die Maut betrifft daher deutsche und ausländische VerkehrsteilnehmerInnen erst einmal gleichermaßen, erst durch die spätere steuerrechtliche Aufrechnung bei den in Deutschland ansässigen AutofahrerInnen entsteht ein Unterschied.
Nachdem ein erstes Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission angestrengt, aber nach einer Gesetzesänderung von deutscher Seite wieder fallengelassen wurde, klagt nun Österreich gegen Deutschland; einer der seltenen Fälle, in dem ein Mitgliedstaat im Rahmen des Verfahrens von Art. 259 AEUV tätig wird.
Österreich und die Niederlande, die sich der Klage angeschlossen haben, rügen vor allem eine Verletzung von Art. 18 AEUV, da durch die Kombinierung der Vignettenpflicht und der Kfz-Steuerreduktion eine mittelbare Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit vorliegen würde (Konsens bei allen Beteiligten ist, dass die in Deutschland ansässigen Kfz-SteuerzahlerInnen zumeist Deutsche sind).
Für sich genommen sind beide Rechtsgrundlagen diskriminierungsfrei – die Maut betrifft alle MarktteilnehmerInnen gleichermaßen und taugt daher als unterschiedslos geltende Maßnahme nicht zur Diskriminierungs- oder Beschränkungsgrundlage. Die Kfz-Steuer, deren Berechnungsgrundlage geändert wurde, fällt in ein originär mitgliedstaatliches Kompetenzgebiet. Da die Mitgliedstaaten hier in ihrer Mittelwahl grundsätzlich frei sind, kann die Kfz-Steuer nicht an den von Österreich vorgebrachten europarechtlichen Maßstäben gemessen werden. Österreich fordert aber, dass beide Maßnahmen zusammengelesen werden müssten. Die Auswirkungen dieser Kombination würden eine mittelbare Diskriminierung darstellen.
Die Argumentation von GA Wahl
GA Wahl widerlegt äußerst deutlich die österreichische Argumentation (zur Freude der deutsche Tagespresse) und schlägt dem EuGH vor, die Klage abzuweisen.
Er folgt insofern dem Argument Österreichs, dass er die beiden Rechtsgrundlagen zusammen liest und als Einheit betrachtet. Wenn gleiches nicht ungleich und ungleiches nicht gleich behandelt werden darf (Rn. 41), muss für eine Diskriminierungsprüfung in einem ersten Schritt eine Vergleichsgruppe zwischen den in Frage stehenden Parteien gebildet werden. Das sei Österreich aber methodisch nicht fehlerfrei gelungen (Rn. 48).
Die Maut werde alle betreffen, die mit ihrem Auto deutsche Fernstraßen benutzen, die Kfz-Steuer hingegen nur deutsche SteuerzahlerInnen. Die erste Vergleichsgruppe seien daher „AutobahnnutzerInnen“ – das treffe auf inländische und ausländische AutofahrerInnen gleichermaßen zu. Die Vergleichsgruppe der zweiten Maßnahme seien „Kfz-SteuerzahlerInnen“. Hier passten aber nicht beide Gruppen unter den Oberbegriff: ausländische AutohalterInnen würden niemals deutsche Kfz-Steuer zahlen müssen (Rn. 49). GA Wahl liest beide Maßnahmen konsequent zusammen und stellt im Ergebnis als Vergleichsgruppe auf „NutzerInnen deutscher Autobahnen, die der deutschen Kfz-Steuer unterliegen“ ab. Würde man, wie von Österreich verlangt, beide Maßnahmen in strenger Einheit betrachten, müsste das auch schon bei der Vergleichsgruppenbildung geschehen und nicht erst bei Betrachtung der monetären Auswirkungen. Alle, die unter die kombinierte Vergleichsgruppe fallen, würden aber gleich behandelt. Art. 18 AEUV sei demnach nicht betroffen. Diese Betrachtungsweise ist freilich sehr formalistisch und daher für Kritik anfällig. Der EuGH, der für seine kontextsensiblen Urteile bekannt ist, aber auch Literaturstimmen erhalten hier einen einfachen Zugriffspunkt für eine ablehnende Replik.
In seiner weiteren Argumentation zur Europarechtskonformität der deutschen Regelung – GA Wahl prüft vor allem Art. 34, 56 AEUV (Warenverkehr- und Dienstleistungsfreiheit) und Art. 92 AEUV – weicht GA Wahl teilweise die pedantische Zusammenschau der beiden Maßnahmen auf. Das kann man ihm als Inkonsequenz vorwerfen und daher die Schlussanträge insgesamt als verfehlt ansehen. Man kann aber auch überlegen, was hinter ihnen steckt.
Populismus und der Einfluss auf die Rechtmäßigkeit von Gesetzen
Ob die Maßnahmen von Deutschland EU-AusländerInnen diskriminieren, hängt davon ab, wie eng der EuGH die Verbindung der beiden Instrumente sieht. Schlüsselmomente für die Beurteilung der Verknüpfung der Maßnahmen sind ihr zeitlicher Zusammenhang und die dahinterstehende politische Intention.
Der zeitliche Zusammenhang der Maßnahmen besteht unstreitig, weil sie bewusst ein Gesamtpaket bilden. Selbst Österreich aber räumt ein, dass u.U. bei einem zeitlichen Auseinanderfallen der beiden Regelungen keine Diskriminierung zur Diskussion stünde (Rn. 67). Das führt zu der Absurdität, dass die Rechtmäßigkeit der Regelungen von ihrer Geburtsstunde abhängen würde. Im Zentrum bleibt also die Intention hinter der Maut.
Die Mauteinführung wurde von der CSU 2013 wahlkampftaktisch genutzt. Seehofer, der damalige Ministerpräsident Bayerns, stellte die diskriminierende Wirkung der Maßnahme gerade als gewünschte positive Auswirkung dar. Er drohte an, die Koalition mit der CDU für die Maut aufzukündigen und nutzte all sein politisches Gewicht für die Durchsetzung der Regelungen im Bundesrat. Auch Österreich nutzte das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland als Wahlversprechen vor der Nationalratswahl 2017. GA Wahl sieht darin einen Ausdruck von „Populismus und Souveränismus“ (Rn. 70).
Die Pkw-Maut kann unter einigen Gesichtspunkten (Umwelt, Verursacherprinzip) als gelungene Regelung gelten. Sie ist auch anderen, europarechtskonformen Straßennutzungsgebühren sehr ähnlich. Vielleicht nicht allein, aber doch hauptsächlich durch die politische Vereinnahmung liegt sie schwer im Magen. Das Verhältnis der Deutschen zu ihren Autobahnen (aktuell in der Debatte: Tempolimit), trägt ihr Übriges bei. Wie soll aber das Recht mit einem Gesetz umgehen, das an sich in Ordnung ist, aber durch die Polemik einiger Politiker einen faden Beigeschmack erhält?
GA Wahl lässt sich richtigerweise nicht blenden. Er entscheidet sich dafür, die Regelung nüchtern zu bewerten. Auf den ersten Blick lässt er die Populisten damit durchkommen, auf einen zweiten Blick aber nimmt er ihnen den Wind aus den Segeln. Sachlich und klar, mit Dogmatik und Methodik erläutert er, warum überhaupt keine Aufregung, dies- oder jenseits der Alpen notwendig sei. Deutsche AutofahrerInnen-first ist und bleibt kein rechtliches Argument. Die von GA Wahl vorgetragene Europarechtskonformität besteht nicht wegen des Arguments, sondern dessen ungeachtet.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Botschaft ankommt. Für postfaktische Argumentationen ist das Recht nicht zu haben – der Bewertungsmaßstab ist ein völlig anderer. Damit wird dem Populismus nicht Tür und Tor geöffnet, sondern dieser Argumentationsart ein Riegel vorgeschoben.
Zitiervorschlag: Stein, Deutsche AutofahrerInnen-first oder diskriminierungsfreies Europarecht? GA Wahl zur deutschen Pkw-Maut, JuWissBlog Nr. 19/2019 v. 18.2.2019, https://www.juwiss.de/19-2019/
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