von LUKAS WERNER
Lässt man ein Dutzend Juristen, Philosophen und Literaturwissenschaftler am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF, Universität Bielefeld) drei Tage lang über „Recht und Ästhetik“ diskutieren, dann ist es nicht verwunderlich, wenn Metaphern zu Verständigungsschlüsseln avancieren: Ästhetik fungiere als „Brille“, sie diene als „Leiter“ und das Zusammendenken von Recht und Ästhetik eröffne ein „weites Feld“.
Zunächst jedoch zum Eigentlichen: Im Rahmen des von Jörn Reinhardt (Hamburg) organisierten Workshops kam die geschichtliche Parallelität von Recht und Ästhetik in den Blick. In einem systematischen Sinne wurden Annäherungen von Recht und Ästhetik enggeführt, um so strukturelle Analogien herauszuarbeiten und die rechtskritischen Impulse eines solchen Zusammendenkens auszuloten. Darüber hinaus ging man rechtlichen Motiven in der Kunst und ästhetischen Elementen im Recht nach.
Historische Modelle: die Geburt von Recht und Ästhetik aus dem Geist des 18. Jahrhunderts
Mitte der 1930er Jahre behauptete der Philosoph Leo Strauss, es sei kein Zufall, dass „die volonté générale und die ‚Ästhetik‘ ungefähr gleichzeitig in die Welt gekommen sind“. Im „Bruch mit dem Rationalismus“, der laut Strauss die Ursache für diesen Zusammenfall war, sah Christoph Menke (Frankfurt) eine nur unzureichende Antwort. Er begriff Recht und Ästhetik als „Form- oder Struktureffekte einer spezifischen Operation der Selbstreflexion“.
Ludger Schwarte (Düsseldorf) hingegen interpretierte diese historische Koinzidenz als einen politisch folgenschweren Wendepunkt: Denn die „Artikulation des Schmeckens, das ästhetische Urteil“ sei „ein Ersatz für praktische Urteile, d.h. für politische Akte“. Damit wurde die „Freiheit der Kunst“ für Schwarte zur „andere[n] Seite der Expertenherrschaft“, mit der der Staat seine demokratische Legitimation verliere. In der Diskussion blieben Menkes geschichtsphilosophische Thesen – wohl aufgrund ihrer Folgenlosigkeit für die Gegenwart – unhinterfragt, Schwartes Überlegungen allerdings waren durch ihren politisch-utopischen Impetus grundlegender Kritik ausgesetzt.
Systematische Engführungen: Analogie und Kritik
Quer zu diesen historischen Makroerzählungen lagen die Versuche, systematisch Verbindungslinien zwischen Recht und Ästhetik zu ziehen. Joachim Lege (Greifswald) beispielsweise bestimmte das „Vermögen, in einem Rechtsfalls die bessere Lösung als die bessere Lösung zu erkennen und wahrzunehmen“, als das Ziel einer ‚juristischen Ästhetik‘: Folglich habe juristische Ästhetik nichts mit „Eleganz oder gutem Stil“ zu tun, „sondern mit der Gelungenheit einer Entscheidung“. Auch wenn die „Überzeugungskraft juristischer Entscheidungen“ auf der „Ästhetik des Syllogismus“ basiere, muss – so Leges Fazit – die ‚juristische Gelungenheit‘ nicht mit der ‚rechtlichen Richtigkeit‘ korrelieren.
Formen ‚juristischer Gelungenheit‘ zog Eva Schürmann (Madgeburg) implizit in Zweifel, als sie fragte, ob das „Recht eine Frage des Stils“ sei. In Anlehnung an den Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck und den Soziologen Pierre Bourdieu verstand sie Stil als „Ausdruck einer Haltung“, die unser Handeln „prädisponiert“. Das Wissen um den Stil einer Gesellschaft sei Ausgangspunkt einer „Rechtskritik“, die sich auf die „normative[n] Denkvoraussetzungen, auf Überzeugungen, die ein Kollektiv aufgrund eines kulturellen Wertehorizonts hegt“, zu richten habe – wie diese aber im Detail auszusehen hat, blieb offen.
Motivisch-thematische Annäherungen: Rechtliches im Ästhetischen und Ästhetisches im Recht
Im Gegensatz dazu überzeugte Sigrid G. Köhlers (Münster) genaue Lektüre des romantischen Schriftstellers Novalis. Obgleich das romantische Paradigma dem Recht als rationaler Maxime skeptisch gegenüber stand, denn man setzte vielmehr auf das Poetische, wurde es „keineswegs gleich verabschiedet“ – dies zeigte Köhler anschaulich anhand von Novalis’ Allgemeinem Brouillon und Glauben und Liebe oder Der König und die Königin. Die „Kompatibilität von Recht und Ästhetik“ gehöre bei Novalis in eine ‚Totalwissenschaft‘ (Novalis), die Grenzen zwischen einzelnen Disziplinen nicht kennt. Fabian Steinhauer (Frankfurt a.M./Weimar) drehte den Fokus: Aus der Perspektive der „Kulturtechniken des Rechts“ richtete er seinen Blick auf die Gemachtheit und Wirkungsmechanik von Hermann Jahrreiss’ System des deutschen Verfassungsrechts (1930) und Heinrich Triepels Vom Stil des Rechts (1947). Er diskutierte die Funktionsweise der Abbildungen in Jahrreiss’ Handbuch, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen lassen, und postulierte, dass Triepels Ästhetik auf „Verwunderung“ basiere. Was Jahrreiss und Triepel vergleichbar mache, seien – wie Steinhauer im Anschluss an den russischen Formalisten Viktor Šklovskij ausführte – Formen der ‚Entautomatisierung‘, mittels derer Kunst einen neuen Blick auf die entfremdete Alltagswelt generiere.
Metaphern: „Brille“, „Leiter“ und „Feld“
Grundlange dieser historischen, strukturellen und motivisch-thematischen Engführungen war ein diffuser Begriff von Ästhetik: denn sie wurde als Prozess der Formung durch sozio-historische Kontexte verstanden, als mediale Form, in der beispielsweise ein Rechtstext vorliegt, als Wahrnehmungsposition streitender Parteien oder als selbstreflexive Größe, durch die sich das Recht selbst bespiegeln kann. Gleiches galt für eine Reihe von Begriffen (wie beispielsweise ‚Stil‘), aber auch für das Recht: Der Begriff reichte vom Rechtssystem im Allgemeinen über juristische Texte (wie Triepels Vom Stil des Rechts) bis zur Denkstruktur, wie sie sich im juristischen Syllogismus ausdrückt.
Nicht nur darin zeigen sich die Grenzen eines Unterfangens, das mit „Recht und Ästhetik“ überschrieben ist. Als Christoph Menke nach der Bedeutung der Ästhetik für sein geschichtsphilosophisches Modell gefragt wurde, griff er auf ein bezeichnendes Bild zurück: „Die Ästhetik ist eine Leiter, die man wegwerfen kann“ – ein ernüchterndes Fazit. Für eine pragmatische Funktionalisierung der Ästhetik als „Brille“ machte sich hingegen Tim Wihl (Berlin) stark: Sie ändere den Blick auf das Recht und ermögliche damit ein selbstreflexives Moment. Das ist aber nur die eine Perspektive. Eine Engführung von Recht und Ästhetik darf, will sie keine interdisciplinary illusion (Julie Stone Peters) sein, nicht monodirektional von Seiten des Rechts gedacht werden. Es muss gleichermaßen die Frage danach gestellt werden, inwiefern das Recht Impulse für die Ästhetik geben kann.
Gilt es „Recht und Ästhetik“ als neues Forschungsprojekt – gleichsam als „Feld“ – zu etablieren und seine Möglichkeiten zu vermessen, ist – dies machte die Abschlussdiskussion des Workshops deutlich – zweierlei unabdingbar: Zwar garantiert ein sehr weites Verständnis der Begriffe ‚Recht‘ und ‚Ästhetik‘ Anschlussfähigkeit, aber damit geht die Gefahr einher, dass man letztlich über kategorial Verschiedenes spricht. Ein verbindlicher terminologischer Rahmen, der über einen intuitiven Konsens hinausgeht, ist deshalb unentbehrlich. Zweitens muss sich das Forschungsprogramm „Recht und Ästhetik“ ins Verhältnis setzen zu bestehenden Arbeitsfeldern. Zu denken wäre an ‚Law and Literature‘ oder ‚Rhetorik des Rechts‘, denn dort hat die Forschung bereits einige Vorarbeit geleistet. Oder konkret gefragt: Was kann ein ästhetisch (und nicht rhetorisch oder literarisch) sensibler Blick auf Recht offenlegen? Und wo liegt der Mehrwert eines juristisch geschulten Blicks auf Ästhetisches? Beantwortet sind diese Fragen nicht, eines bleibt deshalb zu tun: Man nehme eine Leiter, steige hinauf, setze seine Brille auf und lasse den Blick kritisch über das Feld streifen.