Vier Jahre sind Bremer Recht!

von MATTHIAS KLATT

Foto Matthias KlattIm Trubel um Jamaika, SPD-Debakel und AfD-Aufstieg ging fast unter, dass im Stadtstaat Bremen zusammen mit der Bundestagswahl ein Volksentscheid über die Verlängerung der Legislaturperiode stattfand (im Vorfeld wurde berichtet, die Bewohner*innen wüssten wohl selber gar nicht wirklich, dass dieser Entscheid stattfindet). Die Bürger*innen wurden gefragt, ob – wie in den anderen Bundesländern und bei der Europawahl üblich – nur noch alle fünf Jahre gewählt werden soll. Ein Vorschlag, der auch auf Bundesebene in letzter Zeit diskutiert wird und breite Zustimmung genießt.

Das Vorhaben scheiterte jedoch: rund 52 % der Teilnehmer sprachen sich gegen eine Verlängerung aus. Der taktisch klug gewählte Termin zusammen mit der Bundestagswahl ließ immerhin die sonst doch recht niedrige Beteiligung an Volksentscheiden auf 70 % ansteigen.

Die Länge der Wahlperiode ist dabei keinesfalls eine rein politische oder gar organisatorische Angelegenheit. Leitfaden für die Ausgestaltung der Amtszeit muss es sein, ob die jeweilige Praxis der demokratischen Legitimation staatlicher Herrschaft Rechnung trägt. Die Notwendigkeit demokratischer Legitimation ergibt sich aus dem Prinzip der Volkssouveränität, Art. 20 Abs. 2 GG. Daraus lässt sich selbstredend kein exakter Maßstab, also keine genaue Amtsperiode, aus der Verfassung ableiten. Es ist aber ebenso selbstverständlich, dass demokratische Legitimation einer wiederholten Bestätigung durch die Bürger*innen mittels Wahlen bedarf. Ein Blick auf die Entscheidung in Bremen und die Diskussion zeigen aber: dieser rechtliche Aspekt der Wahlperiode wird in den Hintergrund gedrängt.

Bremer Bürgerschaft lässt Argumentationstiefe vermissen

Im Zuge des Bremer Volksentscheids wurde von der Bürgerschaft mittels einer munter (böse Zungen würden behaupten: kindgerecht) illustrierten Broschüre versucht, die Vor- und Nachteile kurz darzustellen. Prominentestes, also ganz am Anfang stehendes, Pro-Argument: „Alle anderen Länder haben eine längere Wahlperiode als Bremen“. Und: „Es ist sinnvoll, wenn die Wahlperioden in allen Ländern gleich lang sind“. Warum genau das nun wirklich gewinnbringend ist, bleibt dem Leser selbst überlassen. Landtagswahlen finden ohnehin nie gleichzeitig statt, sodass ständige Fluktuation im Bundesrat dazugehört. Und überhaupt: Was soll den geneigten Bremer denn dazu verleiten, die gleiche Wahlperiode einzuführen wie der „Erzfeind“ Hamburg? Der Landesverband der Partei DIE LINKE meint hierzu treffend: „Das Argument, dass es in allen anderen Bundesländern inzwischen anders gemacht wird, sollte ein selbstbewusstes Bundesland wie Bremen nicht stören“. Vier Jahren sind eben Bremer Recht.

Aus bundes- und juristischer Perspektive könnte wohl allein die Homogenitätsklausel aus Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG einen Anhaltspunkt bieten. Doch auch dort ist nur von „demokratischen“ Grundsätzen die Rede, die ein Bundesland einhalten muss. Weiterhin also keine genauen Anhaltspunkte ersichtlich.

Pro-Argument Nummer 2: „Wenn die Wahlperiode länger ist, bleibt mehr Zeit für eine sachorientierte politische Arbeit“. Eines dieser Argumente, die auf den ersten Blick klüger scheinen, als sie es tatsächlich sind. Nur weil die Wahlperiode verlängert wird, heißt dies ja nicht, dass nun der Arbeitsaufwand der sonst vier Jahren Legislatur in fünf Jahren abzuarbeiten ist. Es kommt eben auch ein Jahr Mehraufwand dazu: ein Jahr mehr Haushaltsberatungen (im armen Bundesland Bremen kein Zuckerschlecken) und Bundesratsangelegenheiten geben genügend laufende Beschäftigung – ob langfristig geplanten Reformvorhaben dabei wirklich mehr Zeit verbleibt, ist mehr als zweifelhaft. Und: wenn die Wahlperiode länger ist, erwarten die Wähler*innen auch mehr von ihrer Regierung, sodass diese sich auch mehr vornehmen wird.

Rechtlich gesehen steht dahinter wohl das Bedürfnis nach effektiver und konstruktiver parlamentarischer Arbeit, zu welchem die Fünfprozenthürde eingeführt und vom BVerfG gebilligt wurde (BVerfGE 82, 322). Ein weiterer Aspekt demokratischer Volkssouveränität. Ob die längere Wahlperiode dazu wirklich einen Beitrag leisten kann, erscheint mehr als fragwürdig.

Pro-Argument Nummer 3: „Die Vorbereitung und Durchführung einer Bürgerschaftswahl kostet allein die Verwaltung knapp drei Millionen Euro“. Ein Argument, das auch derzeit beim aufgeblähten Bundestag oft zu hören ist. In einem klammen Stadtstaat mag man die Sparfreude noch verstehen, doch im Land wie Bund erscheint es mir traurig und unangemessen über die (vergleichsweise) geringen Kosten der Demokratie zu verhandeln. Der aufgeblähte Bundestag ist ein Problem, weil ein solcher Zustand die Arbeitsfähigkeit behindert und das System um Ausgleichs- und Überhangmandate niemand mehr versteht. (Ärgerlich – und eigentliches Kernproblem – ist, dass trotz Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts hier nichts passiert.) Die Frage hinter der Länge der Wahlperiode ist diejenige nach der demokratischen Legitimation von Parlamenten bei seltener stattfinden Wahlen. Tun wir doch nicht so, als sei dies wirklich eine Frage des Geldes. Ein rechtliches Argument ist es schon gar nicht.

Pro-Argument Nummer 4: Volksbegehren und Volksentscheid seien in Bremen vereinfacht worden. „Dies gleicht den geringeren Einfluss der Bürgerinnen und Bürger durch eine längere Wahlperiode aus“. Nun das ist mal wirklich ein inhaltlicher Anstoß: Können Volksbefragungen Wahlen tatsächlich ausgleichen?

Von außen betrachtet handelt es sich um den gleichen Bürgerakt: die Abgabe einer Stimme in einem geordneten staatlichen Verfahren. Durch die eine Prozedur wird jedoch eine Sachfrage mit einer simplen Ja-/Nein-Antwort entschieden, das andere legitimiert staatliche Parlamente und damit die Gesetzgebung. Das eine ist nach Bundesrecht derzeit nicht möglich, letzteres ist von der Verfassung zwingend gefordert (Art. 20 Abs. 2 S. 2, 38 Abs. 1 S. 1 GG). Nur weil die Wahlberechtigten einige Sachfragen in Befragungen mitentscheiden dürfen, ist das Parlament nicht besser demokratisch legitimiert. Die Sachfrage wird im Gegenteil ja gerade aus dem Parlament herausgetragen und durch ein öffentliches Verfahren ersetzt. Beide Verfahren haben also ihre Berechtigung, müssen jedoch strikt getrennt betrachtet werden. Aus Sicht des Verfassungsrechts, kann eine dem GG fremde Volksbefragung die demokratische Parlamentswahl nicht aufwiegen.

Bei den durch die Bürgerschaft zusammengestellten Contra-Argumenten sticht vor allem diese Formulierung ins Auge: „Deshalb bedeutet die Verlängerung der Wahlperiode einen Machtverlust der Bürgerinnen und Bürger zugunsten der in die Bürgerschaft entsandten Abgeordneten und letztlich zugunsten der Landesregierung, also des Senats“. Zunächst ist die Formulierung des „Machtverlustes“ schon erstaunlich. In einer Demokratie ist dieser gerade eingeplant: Bürger wählen Parlamente, diese wählen Regierungen damit diese demokratisch legitimierte Macht (wenn man es so bezeichnen möchte) auszuüben.

Entscheidend ist aber: Wenn das Parlament und damit auch mittelbar die Regierung weniger oft – und damit schwächer – demokratisch legitimiert ist, nehmen die Institutionen dadurch selbst Schaden. Es ist nicht so, dass den Bürgern etwas genommen und den Organen dadurch etwas geschenkt wird. Von verringerter demokratischer Legitimation profitiert: niemand!

Bundesdeutsche Diskussion

Auch im Bund wird nun kräftig über diese Frage diskutiert. Die Parteien sind sich wohl einig, dass eine Verlängerung notwendig ist. Ein beliebtes Argument: durch Koalitionsverhandlungen und Wahlkampf würde die Wahlperiode zu stark verkürzt.

Es stellt sich doch die Frage, ob nicht eher die Zeiten der Verhandlungen und des Wahlkampfes gekürzt werden könnten. Warum bedarf es derart detaillierter (stolze 185 Seiten bei der „Großen Koalition“ 2013) Koalitionsverträge für immerhin „nur“ vier Jahre Regierung? Ist ein derartiges Konzept in einer globalisierten schnelllebigen Welt überhaupt zeitgemäß – immerhin müssen Regierungen ohnehin flexibel und schnell entscheiden. Und auch juristisch betrachtet ist eine solche Vereinbarungen keinesfalls notwendig für eine demokratisch legitimierte Arbeit eine Regierung. Daher: auf das Wesentliche beschränken! (Zugegeben: den derzeitigen „Jamaika“-Parteien muss eine längere Zeit bei dieser Premiere zugestanden werden.)

Wenn dieser Wahlkampf eines gezeigt, dann dass er in Zukunft etwas kürzer (dafür etwas prägnanter) sein dürfte. Im Interesse der Politiker, die nach der zehnten „Wahlarena“ nur noch gebetsmühlenartig-wiederholte Grundsatzantworten herausbekommen, der Bürger, die nach der zehnten „Wahlarena“ sich nur noch Fragen, wen es da eigentlich sonst noch in der FDP außer Christian Lindner gibt, und im Sinne der Medien, die deutlich mehr auf Politik der aktuellen Regierung fokussiert sein könnte, statt monatelang über Wahlumfragen, Würselen oder Wunschkoalitionen zu berichten. Ein kürzerer Wahlkampf könnte für prägnantere Debatten sorgen und Ermüdungserscheinungen der Wähler verhindert. Und das ist auch für das Recht entscheidend: Ein solcher Wahlkampf ist letztlich auch ein Beitrag zur stärkeren demokratischen Mobilisierung der Wähler und sorgt damit letztlich für ein stärker demokratisch legitimiertes Parlament.

Mut zum Recht

So politisch determiniert das Thema auch scheint, letztlich verbirgt sich ein elementarer rechtlicher Aspekt dahinter. Alles geht zurück auf die Frage effektiver und durch das Volk demokratisch legitimierter Herrschaft. Die Verfassung bleibt hier wage, doch scheint ohne große Umschweife zu gelten: Je länger die Wahlperiode, desto schwächer die demokratische Legitimation des Parlaments. Das gilt erst recht in aufgewühlten und schnelllebigen Zeiten, in denen sich Umstände, Regierungshandeln und damit auch die politischen Ansichten der Bürger rascher ändern. Was die nächsten vier (oder fünf) Jahre bringen, erscheint schwieriger hervorzusehen denn je zuvor. Ändernde Umstände ändern die Politik – und starke politische Wendungen bedürfen rechtlicher Legitimation. Daher sollte für die Wahlperiode gelten: So kurz als möglich, so lang wie nötig. Und das heißt auch: So lange es keine zwingenden Argumente für eine längere Periode gibt (das sollte der Beitrag aufzeigen), sollte diese nicht angetastet werden.

Der Bremer Bürgerschaft sei bei aller Kritik an Argumentationstiefe doch auch ein Lob zugesprochen: Eine derart wichtige Frage demokratischer Teilhabe im Rahmen eines Volksentscheids (durch einstimmigen Beschluss der Bremer Bürgerschaft eingesetzt) dem Bürger zu überlassen, ist vorbildlich. Auf Bundesebene geht das nicht. Und deshalb wird die verlängerte Wahlperiode hier bald – ohne großartige Diskussion – kommen.

Matthias Klatt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter einer internationalen Anwaltskanzlei und promoviert an der Universität Hamburg im Bereich Verfassungs- und Europarecht.

Bremer Bürgerschaft, Legislaturperiode, Matthias Klatt, Volksentscheid
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