Hauptausschuss im Bundestag

Was unschön war wird unerträglich

von THOMAS WIERNY

foto_wierny_juwiss In seiner ersten Sitzung nach der Konstituierung hat sich der 19. Deutsche Bundestag am Dienstagvormittag zunächst mit der Einsetzung von Ausschüssen beschäftigt. Im Ergebnis arbeitet das Parlament nun erst einmal mit nur drei Ausschüssen. Einer von diesen dreien ist der sog. „Hauptausschuss“. Die erneute Nutzung dieses Instrumentes nach 2013 bedarf einer erneuten Überprüfung. Schließlich ist die Situation in der aktuellen Legislaturperiode eine andere.

Wir blicken zurück in das Wahljahr 2013. Nachdem die FDP mit Verlusten in ungefährer Höhe ihres Wahlergebnisses von 2017 knapp an der 5%-Hürde scheiterte und es der AfD damals noch nicht gelungen ist, in den Deutschen Bundestag einzuziehen, waren fünf Parteien im Parlament vertreten. Gewinne von knapp acht bzw. knapp drei Prozent bei Union und SPD führten zu einer Opposition, deren stärkste Fraktion, Die Linke, gerade einmal 8,4% der Wählerstimmen gewinnen konnte. Somit war die Bildung einer großen Koalition nur eine Formsache. Zum Zeitpunkt der dritten Sitzung am 27. November 2013 war bereits absehbar, dass es eine Frage weniger Tage bis Wochen sein dürfte, bis inhaltliche Einigungen zwischen den beiden großen Parteien erzielt sein würden. Dies bestätigte sich in der Wahl der Bundeskanzlerin am 17. Dezember 2013. Nur zwei Tage später wurden die ständigen Ausschüsse eingesetzt und lösten den Hauptausschuss ab. Die Übergangslösung existierte damit für knappe drei Wochen. Der Hauptausschuss beschäftigte sich in dieser Zeit mit vier Gesetzentwürfen, bei dreien bestand parteiübergreifender Konsens, der vierte fand die Zustimmung der zu diesem Zeitpunkt noch zukünftigen Koalition.

November 2017 – keine Regierung in Sicht

Das könnte in dieser Legislaturperiode etwas anders aussehen. Im wahrsten Sinne des Wortes neben der FDP ist auch die AfD im 19. Deutschen Bundestag vertreten. Das mit 709 Abgeordneten nach dem Scheitern einer Reform des Wahlrechts zweitgrößte Parlament der Welt teilt sich nun also in sieben Parteien und sechs Fraktionen auf. Die Mehrheitsbildung wurde mit der frühen Absage der SPD an die Übernahme von Regierungsverantwortung weiter erschwert. Wie sehr, das hat der Abbruch der Sondierungsgespräche von CDU, CSU, FDP und Bündnis90/Die Grünen gezeigt. Der weitere Verlauf ist völlig offen. Die Bildung einer großen Koalition hat die SPD – meines Erachtens respektlos noch vor dem vom Bundespräsidenten erbetenen Gespräch „diplomatisches Foulspiel“, Die Zeit) – auch unter den neuen Gegebenheiten erneut ausgeschlossen. Zwar hat die geschäftsführende Bundeskanzlerin bereits erkennen lassen, dass sie eine Minderheitsregierung für keine gute Lösung hält – sie ist jedoch nicht die Einzige, die eine solche führen könnte. Darüber, wie auch über eine etwaige Auflösung des Bundestages, entscheidet letztlich bekanntermaßen auch nicht sie, sondern alleine der Bundespräsident.

Fristen für den Vorschlag des Bundespräsidenten zur Wahl eines Bundeskanzlers oder einer Bundeskanzlerin kennt das Grundgesetz nicht. Folgen die Parteien seinem Aufruf und loten die Möglichkeiten von Duldungen oder anderen Koalitionen noch aus, so könnte es Monate dauern, bis Klarheit über die Zukunft der Exekutivverantwortung in der Bundesrepublik herrscht.

Der Hauptausschuss – verfassungswidrig…

Grund genug, sich die Argumente gegen das Instrument „Hauptausschuss“ noch einmal anzusehen. Diese habe ich vor politisch exakt vier Jahren gemeinsam mit Charlotte Heppner herausgearbeitet. Sie haben sich bis heute nicht verändert. Mit dem 47 Abgeordnete umfassenden Hauptausschuss bleiben 662 Abgeordnete bei den Vorberatungen von Gesetzentwürfen außen vor. Lediglich weitere 18 Abgeordnete dürfen sich in den beiden anderen Ausschüssen mit Petitionen bzw. Wahlprüfungs-, Immunitäts- und Geschäftsordnungsfragen auseinandersetzen. Eine angesichts der grundgesetzlich vorgesehen relativ kurzen Legislaturperioden (zur Diskussion siehe auch Matthias Klatt im JuWiss-Blog) nötige frühzeitige Spezialisierung und Einarbeitung in Fachbereiche wird dem Großteil der Abgeordneten damit faktisch unmöglich gemacht – wer möchte schon ohne Ausschusssitz in die Tiefen des Energiewirtschaftsrechts einsteigen um anschließend im Kulturausschuss zu sitzen? 93% der gewählten Volksvertreter werden so für eine womöglich lange Zeit „ohne gewichtige, an der Funktionstüchtigkeit des Parlaments orientierte Gründe von jeder Mitarbeit in den Ausschüssen ausgeschlossen“, um mit den Worten des Bundesverfassungsgerichtes zu sprechen. In diesen subjektiven Mitwirkungsrechten der Abgeordneten manifestieren sich letztlich Interessen der Allgemeinheit.

Nicht außer Acht gelassen werden darf auch der nach wie vor zwischen den dort benannten Ausschüssen differenzierende Wortlaut des Grundgesetzes. Insofern bleibt es bei der Bewertung von 2013, dass zumindest der Petitionsausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium nicht durch einen Hauptausschuss ersetzt werden können, da bei diesen Ausschüssen nicht die Aufgabe, sondern die Installation des Gremiums betont wird und damit in den Vordergrund tritt. Für alle weiteren Ausschüsse streiten nach wie vor die Argumente der besseren Reaktionsfähigkeit kleinerer Ausschüsse sowie die Möglichkeit der eingehenderen Beschäftigung mit den zu verhandelnden Themen bei der Verteilung der Last auf mehrere Schultern. Und von diesen Schultern gibt es reichlich viele.

… aber bequem?

Zurecht betonte der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Die Linke, Jan Korte, dass gerade in Zeiten einer politisch nur eingeschränkt handlungsfähigen Bundesregierung das Parlament umso mehr „voll und ganz handlungsfähig“ sein müsse und appellierte an die Abgeordneten: „Wir sind […] gewählt und jeder hat hier einen Job zu machen. Ganz egal, was für eine Regierung es gibt und wann es sie gibt.“ Eingebracht wurde von der Fraktion Die Linke wie auch 2013 ein Antrag zur Einsetzung einer Vielzahl von Ausschüssen, der sich an dem Zuschnitt der Ministerien der vergangenen Legislaturperiode orientiert. Zurecht sieht Kortes Fraktion in dieser Situation die Möglichkeit, über Parteigrenzen hinaus sachorientierte Mehrheiten zu bilden und damit das Bild des Bundestages in der Öffentlichkeit zu stärken. In der Tat lassen Gepflogenheiten wie zu Protokoll gegebene Reden, Fraktionszwang und als Besonderheit dargestellte Deklaration von „Gewissensfragen“, die die Abgeordneten von diesem Zwang „freistellen“ sollen, das Herz eines Anhängers des Parlamentarismus nicht wirklich höher schlagen. Und es ist Korte gleichfalls zuzustimmen, wenn er hervorhebt, dass die Zuschnitte und Besetzungen der Ausschüsse jederzeit an veränderte Gegebenheiten anpassbar sind, was das Argument des Abwartens der Regierungsbildung deutlich schwächt. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Michael Grosse-Brömer beschreibt das Instrument des Hauptausschusses indes als das „elegantere“ und meint damit wohl das angenehmere – schließlich kann auf diese Weise eine zweite Runde der Postenverteilung vermieden werden.

Kommt da noch was?

Von Seiten der übrigen Parteien, die hier noch nicht erwähnt wurden, war denn auch in der Debatte zu hören, die übrigen Ausschüsse sollten „unverzüglich“ bzw. „umgehend“ eingesetzt werden, da die Regierungsbildung nicht absehbar sei. Bleibt zu hoffen, dass sich entsprechende Mehrheiten – fraktionsübergreifend und sachorientiert – finden lassen und diese nicht von den nun anstehenden Gesprächen fast aller Parteien miteinander beeinflusst und möglicherweise doch verhindert werden. Schließlich wird der Hauptausschuss von einer Mehrheit im Bundestag als „effizienter“ und fähig angesehen „vollumfänglich“ und „vertieft“ zu beraten. Und bequem ist er zudem.

Hinweis der Redaktion: Der Autor hat bereits 2013 zum damaligen Hauptausschuss gemeinsam mit Charlotte Heppner hier publiziert: Der „Super-Ausschuss“ – Einer für (fast) alle(s)?

Veröffentlicht unter CC BY NC ND 4.0

Ausschüsse, Bundestag, Große Koalition, Hauptausschuss, Jamaika, Parlamentsrecht, Thomas Wierny
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