von PATRICK KIRCHNER
Im Sommer 2011 machten Medienberichte die Runde, wonach in größerem Umfang ein Verkauf von Kampfpanzern des Typs Leopard 2 von Krauss-Maffei Wegmann nach Saudi-Arabien geplant sei. Angesichts der angespannten Sicherheitslage in der Zielregion vor dem Hintergrund des sog. „Arabischen Frühlings“ wurden diese kontrovers diskutiert. Parlamentarier richteten schriftliche und mündliche Fragen sowie entsprechende Nachfragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages an die Regierungsvertreter. Diese jedoch blieben unter Berufung auf die generelle Geheimhaltung der Arbeit des damit befassten Bundessicherheitsrats allesamt unbeantwortet. Drei grüne Abgeordnete wollten sich damit nicht abfinden und riefen das Bundesverfassungsgericht an. Dessen kürzlich veröffentlichte Entscheidung fand ein überwiegend negatives Echo.
Ablehnung der Antwortpflicht bei Voranfragen überrascht nicht
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum grundsätzlich weitreichenden Auskunfts- und Informationsrecht des Bundestages und den korrespondierenden Rechtfertigungsmöglichkeiten für die Geheimhaltung durch die Bundesregierung jedoch sind nicht neu. Sie liegen vielmehr ganz auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung in ähnlich gelagerten Fällen. Danach kann die Bundesregierung den weitreichenden Informations- und Kontrollrechten des Bundestages, die aus Art. 38 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgen, nur unter Berufung auf gleichrangige Verfassungsgüter wie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, das Staatswohl oder den Schutz der Persönlichkeitsrechte Betroffener entgegentreten.
Angesichts dieser Maßstäbe ist die Ablehnung einer Antwortpflicht hinsichtlich üblicher Voranfragen, mit denen die Genehmigungsmöglichkeit für geplante Exporte im Vorfeld in Erfahrung gebracht werden kann, folgerichtig. Denn zu dieser Zeit ist der Willensbildungsprozess innerhalb der Regierung noch nicht abgeschlossen und über die Erteilung einer Genehmigung noch nicht abschließend entschieden. In diese Entscheidungsprozesse soll das Parlament nicht eingreifen können. Kritikern der Entscheidung ist zwar zuzugeben, dass Abgeordneten somit lediglich die Möglichkeit haben, bereits getroffene Entscheidungen zu kritisieren und Debatten über künftige Entscheidungen anzuregen, ohne unmittelbaren Einfluss auf den Ausgang laufender Verfahren nehmen zu können. Doch entspricht dies der auch in anderen Bereichen anerkannten dominanten Rolle der Bundesregierung und der entsprechend schwächer ausgeprägten Rolle des Bundestages in Fragen der Außenpolitik. Hier ist das Parlament oftmals auf einen Nachvollzug bereits geschaffener Fakten verwiesen.
Wirksame parlamentarische Kontrolle bedingt Einsicht in entscheidungserhebliche Faktoren
Als problematisch erweisen sich vielmehr die durch das Urteil begrenzten Möglichkeiten des Bundestages nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens. Denn auch wenn das Bundesverfassungsgericht dem Parlament in dieser Phase entsprechende Rechte im Grundsatz zubilligt, kommen die eingeräumten Freiräume der Bundesregierung sehr weit entgegen: Die Regierung muss nur über die „positive Genehmigungsentscheidung“ (Abs.-Nr. 179), nicht jedoch über versagte Genehmigungen informieren, und die Darlegungspflicht der Regierung beschränkt sich mehr oder weniger auf die Genehmigungsfrage als solche. Die Gründe, die zu der Entscheidung geführt haben, umfasst sie nicht.
Zwar ist es richtig, dass die Pflicht zur vollständigen Offenlegung des Willensbildungsprozesses dessen geschützte Freiheit und Offenheit auch nach Abschluss des Verfahrens beeinträchtigen und durch „Vorwirkungen“ (Abs.-Nr. 170) einen geradezu vermeidenden Einfluss des Bundestages auf diesen Vorgang bewirken kann. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Begründungspflicht generell nicht anzuerkennen ist. Den Weg zur Entscheidungsfindung zu erläutern – etwa welche Regierungsmitglieder sich mit welchen Argumenten für oder gegen die Erteilung der Genehmigung ausgesprochen haben – ist das eine, die Gründe für die einmal gefundene gemeinsame Entscheidung darzulegen das andere. So erkennt das Gericht denn auch an, die Regierung sei „nicht verpflichtet, über den Inhalt und den Verlauf der Beratungen im Bundessicherheitsrat und über das Abstimmungsverhalten seiner Mitglieder Auskunft zu geben“ (Abs.-Nr. 172).
Gerade weil „Rüstungsexportentscheidungen […] in der Regel eine diplomatische Dimension“ (Abs.-Nr. 177) haben und damit von erheblichem politischem Gewicht sind, können sie nicht als Verwaltungsinterna behandelt und geheim gehalten werden. Die von der Bundesregierung vorgegebenen Verwaltungsvorschriften tragen nicht umsonst den Titel „Politische Grundsätze“. Eine wirksame parlamentarische Kontrolle dieser hochpolitischen Entscheidungen ist aber nur möglich, wenn die entscheidungserheblichen Faktoren in gewissem Umfang bekannt gemacht werden, womit die Antragsteller aber nicht durchdringen konnten. Und genau darin liegt das Dilemma: Es dürfte verfassungsrechtlich kaum geboten sein, dass entsprechende Angaben per se verweigert werden können, sondern nur, wenn auch im konkreten Einzelfall Gefahren für Staatswohl oder Persönlichkeitsrechte überwiegen. Ohne Begründungen seitens der Regierung zu erhalten, ist es für die Abgeordneten aber kaum möglich, dies nachzuvollziehen und sich gegebenenfalls (verfassungs)gerichtlich gegen die Versagung von Angaben zur Wehr zu setzen. Dies würde aber gerade in diesen sensiblen Fällen bedingen, dass die zugehörigen Angaben eben doch in gewissem Umfang publik werden.
Beschränkte Kontrolle durch kleines Gremium wäre besser als gar keine Kontrolle
Vorgeschlagen wurde daher im Vorfeld der Entscheidung, einen gegebenenfalls erforderlichen Geheimnisschutz durch Geheimhaltungsmaßnahmen auf Seiten des Bundestages wie etwa die Einrichtung eines kleinen Kontrollgremiums nach dem Vorbild bereits bestehender Stellen zu gewährleisten. Die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts, wonach zwar der „Erhalt zusätzlicher Informationen“ und damit eine „Steigerung der Kontrolltiefe“ (Abs.-Nr. 197) möglich wäre, was aber angesichts des Ausschlusses eines Großteils der Abgeordneten unverhältnismäßig sei, sind wenig überzeugend: Besser als Informationen gar nicht zur Verfügung zu stellen und damit eine parlamentarische Kontrolle faktisch auszuschließen, wäre es doch, diese Informationen wenigstens einem Teil der Parlamentarier zur Verfügung zu stellen und so wenigstens ein Mindestmaß an Kontrolle durch einen Teil der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu ermöglichen. Dass eine solche Praxis „in keinem Verhältnis zu den Einbußen für die Funktion der Kontrolle“ (Abs.-Nr. 197) stünde, ist kaum nachzuvollziehen, denn nach der jetzigen Rechtslage gibt es de facto gar keine Kontrolle. Gleiches gilt für eine Information unter der Ägide der Geheimschutzordnung des Bundestages. Sicher ist es richtig, dass die Informationen dann „nicht in den öffentlichen Meinungsbildungsprozess überspiel[t]“ (Abs.-Nr. 201) werden könnten. Das können sie aber erst recht nicht, wenn die Informationen nicht einmal von der Regierung an den Bundestag übermittelt werden. Die angeführten Überlegungen würden nur durchgreifen, wenn gar keine Auskünfte außerhalb dieses Sonderregimes erfolgen müssten. Die auch nach dem aktuellen Urteil preiszugebenden Informationen könnten aber schließlich an die Parlamentsöffentlichkeit gelangen, zusätzliche jedoch nur unter erhöhten Geheimhaltungsmaßnahmen.
Bedauerlich, aber aus Sicht eines Rechtsprechungsorgans nachvollziehbar ist ferner, dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht zu der umstrittenen Frage geäußert hat, ob die Genehmigung durch den Bundessicherheitsrat, dem faktisch die eigentliche Genehmigungsbefugnis zukommt, da eine Befassung der Bundesregierung mit seiner Entscheidung nicht mehr stattfindet, mit den Vorgaben des Art. 26 GG vereinbar ist. Dies darf zwar mit guten Gründen bezweifelt werden, die Delegationsmöglichkeit spielte jedoch für den konkret zu entscheidenden Fall keine Rolle und konnte vom Gericht daher offengelassen werden.
Ausblick: Parlamentsmitwirkung nur bei ausdrücklicher Anordnung im GG?
Insgesamt war die Entscheidung damit keineswegs so überraschend, wie dies in ersten Reaktionen anklingt. Die bisherige Praxis, nur vage statistische Angaben im Rüstungsexportbericht zu machen und zu den Entscheidungen des Bundessicherheitsrats selbst dort gar keine Auskünfte zu geben, scheint selbst die Regierung als zu restriktiv erkannt zu haben. Anders ist die bereits erfolgte Änderung der entsprechenden Rechtsgrundlage kaum zu erklären. Man rechnete offenbar schon damit, hierzu aus Karlsruhe angehalten zu werden. In Einzelfragen aber fallen die Abwägungsergebnisse doch einseitig zugunsten der Regierung aus. Praktisch dürften die vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Informationsansprüche der Abgeordneten wenig effektiv bleiben, sind sie doch auf das binäre „Ja“ oder „Nein“ einer Genehmigung beschränkt und mangels Begründungspflicht kaum überprüfbar.
Diese eher weniger parlamentsfreundliche Tendenz klingt auch an, wenn es im Urteil beiläufig heißt, eine „Mitwirkung des Parlaments bei der Ausübung von Staatsfunktionen komm[e] nur dort in Betracht, wo sie durch das Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist.“ (Abs.-Nr. 141). Angesichts der zuvor aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG hergeleiteten zentralen Rolle des Parlaments in einer Demokratie hätte hier durchaus auch die umgekehrte Aussage stehen können, wonach das Parlament seine Rechte immer dann ausüben können sollte, wenn das Grundgesetz dies nicht mit guten Gründen ausschließt.