Der integrierte Jura-Bachelor – nicht nur Tante Gertrud freut es

von MANUEL BEH

Die juristische Fakultät der Universität Trier führt zum Wintersemester 2023/24 einen integrierten Bachelor-Studiengang ein. Dabei können die Studierenden mit den regulären Prüfungsleistungen während des Examensstudiums einen zusätzlichen Abschluss erwerben, bevor sie sich zur staatlichen Pflichtfachprüfung anmelden. Im Fachbereich wird über den Mehrwert dieser Neuerung angeregt diskutiert. Die Bandbreite reicht von unumstößlicher Skepsis bis hin zur bedingungslosen Befürwortung. Dieser Beitrag möchte aufzeigen, dass die Einführung des Bachelorstudiengangs doch zumindest einen Versuch wert ist.

Ein Beitrag zu mehr Anerkennung

Insbesondere Studierende aus Nicht-Juristen-Familien kennen diese Situation: Es ist Weihnachten, die Familie sitzt im großen Kreis beisammen. Irgendwann erhebt Tante Gertrud das Wort und fragt unüberhörbar, wie weit man mit dem Jura-Studium sei – vielleicht ergänzt um den Zusatz, dass seit Studienbeginn schon einige Zeit vergangen ist. Die anderen Gespräche verstummen und alle Blicke richten sich auf einen. Die Erklärung, dass gerade das neunte Semester begonnen hat, aber noch kein Abschluss erreicht ist, sondern man sich „schon“ für das Examen angemeldet hat oder dies erwägt, sorgt nicht nur für ungläubig-geringschätzende verwandtschaftliche Mienen, sondern erzeugt zwangsläufig einen Rechtfertigungsdruck. Und dies völlig ohne Grund. In Trier hätte dieser Studierende bereits mindestens zwölf Klausuren, vier Hausarbeiten sowie eine Seminararbeit erfolgreich absolviert. Was fehlt, ist ein dies nachweisendes und honorierendes Zertifikat. Diese Anerkennung sichert die Universität Trier mit der Einführung eines integrierten Jura-Bachelors.

Von der Angst des Scheiterns

Das Trierer Bachelor-Modell setzt alle im Examensstudium notwendigen universitären Nachweise von der Zwischenprüfung über die großen Scheine bis zum Schwerpunktstudium voraus – nur die staatliche Pflichtfachprüfung bleibt außen vor. Als Bachelor-Arbeit firmiert die verpflichtende Seminararbeit im Schwerpunkt. Die Studienzeit ist auf sechs Semester angelegt. Wer möchte, kann sich unmittelbar im Anschluss weiterhin dem Staatsteil widmen. Die Voraussetzungen zur Anmeldung hat man bereits in Gänze erworben.

An dieser Entwicklung scheiden sich im allgemeinen wie fakultätsinternen Diskurs die Geister. Wird uns Juristen gemeinhin jeglicher Humor abgesprochen, so bedarf es nur eines Reizthemas zum vermeintlichen Gegenbeweis. In der lebhaften, bisweilen mit selten erlebter Leidenschaft geführten Debatte wird dem integrierten Jura-Bachelor unmittelbar der Stempel eines „Jodeldiploms“ aufgedrückt. Der Vergleich eines seit der Bologna-Reform europaweit anerkannten Abschlussformats mit der Parodie aus Loriots legendärem Sketch mag im ersten Moment amüsieren. Doch ist er im Kern nichts anderes als eine Demütigung der Jura-Studierenden und ihrer studienbedingten Leistungen sowie ein vernichtendes Abtun ihrer Sorgen und Nöte. Die Phase des Ersten Staatsexamens ist für sich genommen bereits eine herausfordernde Zeit. Doch schwebt über allem, bewusst oder unbewusst, das Damokles-Schwert des Scheiterns. Nach zwei, spätestens drei Versuchen ist Schluss.

Prüfungsrechtliches Sicherheitsnetz

Viele Stimmen sind sich einig, dass das System der juristischen Ausbildung einer Reform bedarf. Wenn es jedoch um die Frage geht, wie eine solche auszugestalten ist, fächert sich das Meinungsbild. Das Modell eines integrierten Bachelors hat nicht den Anspruch, den gordischen Knoten einer allumfassenden Neustrukturierung zu zerschlagen. Im Gegenteil. Er stellt einen Kompromiss zwischen konservativ-bewahrenden Kräften und Befürwortern einer Neuausrichtung dar. Die Befähigung zum Richteramt setzt auch weiterhin nach § 5 I DRiG zwei Examina voraus. Wenn die Fakultäten und Landesgesetzgeber daran nichts ändern können, so haben sie es dennoch in der Hand, neben dem etablierten Modell ein Sicherheitsnetz zu integrieren. Der Stress und die hohe Arbeitsbelastung sind Teil des Systems, möglich erscheint es aber, die Angst und den psychischen Druck zu reduzieren. Wer das Examen final nicht besteht, dem bleiben nicht nur Abitur und Führerschein, sondern ein qualifizierter Hochschulabschluss.

Ein Abschluss – mit Grenzen

Dass der Vergleich mit Loriots „Jodeldiplom“ hinkt, wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass die Bachelor-Urkunde nicht nur der gerahmten Zierde im heimischen Wohnzimmer zu dienen bestimmt ist. Es werden neue Karrierewege und Studienkombinationen möglich, indem Masterstudiengänge in anderen Disziplinen und/oder im Ausland angeschlossen werden können. Wer das Jura-Studium begonnen hat, ist nicht mehr mit den Scheuklappen der Examina behaftet. Studierende haben so die Chance, sich interdisziplinär ausbilden zu lassen. Im Inland ist juristische Expertise ohne Examina in Unternehmen, Versicherungen oder Behörden gefragt; im nahen luxemburgischen und französischen Ausland ist ein Berufseinstieg mit Bachelor nicht ungewöhnlich.

Nichtsdestotrotz muss einem klar sein: Studierende, die Richterin, Staatsanwalt oder Rechtsanwältin werden möchten, dürfen beim Bachelor-Abschluss nicht verharren!

Jede Note zählt!

Hauptargument, warum die Bologna-Reform an der deutschen Juristenausbildung weitgehend abgeprallt ist, war das Ziel, deren hohe Qualität zu bewahren. Es ist offensichtlich, dass ein Bachelor nicht dasselbe Lern- und Leistungsniveau sowie dieselbe Belastungsfähigkeit attestiert wie ein Examen. Doch ändern sich am Grund-, Haupt- und Schwerpunktstudium zwei wesentliche Dinge:

Zum einen können Prüfungen im Rahmen eines Bachelor-Studienganges nur drei Mal wiederholt werden. Dies hat vor allem Auswirkungen in den Trierer Übungen für Fortgeschrittene. Die Klausuren und Hausarbeiten können dort nicht mehr beliebig oft geschrieben werden. Hierdurch kann der misslichen Situation entgegengewirkt werden, dass man sich erst in der Examensvorbereitung gründlich mit den juristischen Prüfungsinhalten auseinandersetzt. Studierende sind zwangsweise angehalten, von Anfang an zu lernen.

Zum anderen ist das Credo „vier gewinnt“ im eigenen Interesse zu überdenken. Während im Examensmodell die Studienleistungen notwendige Voraussetzung zur Examensanmeldung sind, ohne dass ihnen eine über das Bestehen hinausreichende Bedeutung zukam, zählt nun jede einzelne Note. Es ist zu wünschen, dass damit eine größere Motivation verbunden sein wird, bereits in diesen Prüfungen das Optimum zu erreichen. Ein Ausverkauf juristischer Bachelor-Abschlüsse lässt dies insgesamt nicht erwarten.

Eine Reform von unten

Die juristischen Fakultäten im Land sind mit den Sorgen und Nöten der Studierenden Semester für Semester konfrontiert. Wir Mitarbeitende kennen dies aus eigener Erfahrung oder durch unsere tägliche Arbeit. Daher verwundert es nicht, dass der Impuls, einen integrierten Bachelor in Trier einzuführen, aus der Fakultät selbst stammt – unterstützt von allen Statusgruppen. Anders als in Niedersachsen (S. 101), Nordrhein-Westfalen (S. 86) und Schleswig-Holstein (S. 113), in denen die Schaffung eines solchen Studiengangs in den jeweiligen Koalitionsverträgen aufgeführt ist, existiert eine solche politische Absichtserklärung im rheinland-pfälzischen Koalitionsvertrag nicht. Sicherlich braucht es die Initiative von unten, um nicht im föderalen, politischen Reformdiskurs zu versanden. Der integrierte Bachelor ist ein Experiment, dessen praktische Erprobung lohnt. Jedenfalls erlaubt diese Reform beim Essen mit Tante Gertrud ein besinnliches und frohes Weihnachtsfest.

 

Zitiervorschlag: Beh, Manuel, Der integrierte Jura-Bachelor – nicht nur Tante Gertrud freut es, JuWissBlog Nr. 15/2023 v. 13.04.2023, https://www.juwiss.de/15-2023/.

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Bologna-Reform, Erstes Staatsexamen, Integrierter Bachelor, Reform der Juristenausbildung, Universität Trier
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