Sechs Fragen an… Prof. Dr. Winfried Bausback, Bayerischer Staatsminister der Justiz

Interview im Rahmen der 58. Assistententagung Öffentliches Recht in Regensburg

von JUWISS-REDAKTION

Am Eröffnungsabend der 58. Assistententagung gab der amtierende Bayerische Staatsminister der Justiz Prof. Dr. Winfried Bausback ein Grußwort, in dem er in Erinnerungen an seine eigene Assistentenzeit schwelgte und Einblicke in die Bayerische Richterfortbildung gab. Freundlicherweise stand er uns darüber hinaus für ein kurzes Interview zur Verfügung.

JuWiss: Die diesjährige Assistententagung steht unter dem Oberthema „Richterliche Abhängigkeit – Rechtsfindung im Öffentlichen Recht“. Wann und warum haben Sie sich in Ihrer juristischen Karriere das erste Mal mit dem Thema und den Realitäten richterlicher Abhängigkeit auseinandergesetzt?

Bausback: Sie haben Ihre Frage – angelehnt an das Thema der Tagung – sicher bewusst provokant formuliert. Ich glaube, Sie und die diesjährige Tagung wollen damit Wissenschaft und Praxis für ein Phänomen sensibilisieren, das ich etwas anders beschreiben würde. Ich würde vielleicht vom „menschlichen Faktor“ bei der Entscheidungsfindung sprechen. Natürlich lässt sich dieser Faktor trotz aller fachlichen und persönlichen Qualifikation und Fortbildung nie ganz ausblenden. Richterinnen und Richter sind Menschen, die – wie wir alle – durch ihre Herkunft und Erziehung, ihre Grundüberzeugungen, Erfahrungen, Erlebnisse und ihr soziales Umfeld geprägt werden. Ich finde es daher ganz zentral, dass sich unsere Richterinnen und Richter bei ihren täglichen Entscheidungen dessen bewusst sind. Dieses – wenn Sie so wollen – „richterliche (Mit-)bewusstsein“ macht unsere Richterinnen und Richter aber nicht „abhängig“! Die richterliche Unabhängigkeit ist und bleibt ein zentraler Grundpfeiler unseres Rechtsstaats. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine kleine Anekdote: Ein hoch anerkannter Ordinarius, mit dem ich während meiner Privatdozentenzeit ein längeres Gespräch führte, meinte zu mir, dass kein Jurist ohne eine ethische Basis erfolgreich arbeiten könne. Diese Ansicht teile ich uneingeschränkt. Ich würde daher sagen: Das Bewusstsein um die eigene Prägung und eine feste ethische Basis sind unerlässlich für unseren Rechtsstaat, denn sie machen die Richterinnen und Richter noch unabhängiger!

JuWiss: Die Auseinandersetzung mit den (empirischen) Umständen richterlicher Entscheidungsfindung hat in der rechtswissenschaftlichen Literatur lange keine bedeutende Rolle gespielt und war vor allem Soziolog*innen und Politikwissenschaftler*innen vorbehalten. Liegt eine Befassung hiermit überhaupt innerhalb des rechtswissenschaftlichen Erkenntnisinteresses? Oder sollte sich die Rechtswissenschaft darauf beschränken, normative Maßstäbe für die Arbeit der Judikative zu entwickeln?

Bausback: Im Zentrum der Rechtswissenschaft steht sicherlich die Norm und um sie herum die Rechtsdogmatik. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch einen Blick über den Tellerrand hinaus wagen und den Dialog mit anderen Wissenschaften wie etwa der Soziologie oder der Psychologie suchen sollten. Interdisziplinäres Denken gehört längst auch in der Rechtswissenschaft zum Standard. Ich halte beispielsweise die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche unbewussten Faktoren die richterliche Entscheidungsfindung beeinflussen können, nicht nur für spannend – sie ist auch äußerst praxisrelevant. Schon seit Jahren ist diese Thematik deshalb auch fester Bestandteil unserer Richterfortbildung. So ist etwa das Thema „Richterliche Unabhängigkeit und richterliches Selbstverständnis“ in Bayern seit langem Gegenstand der Einführungstagungen für neu eingestellte Richter. Auch die Deutsche Richterakademie bietet Tagungen an, die sich mit Aspekten der richterlichen Entscheidungsfindung befassen.

JuWiss: Auch in der Juristenausbildung dominiert nach wie vor eine normative Perspektive. Jungen Student*innen wird der Wert richterlicher Unabhängigkeit vermittelt, die tatsächlichen Umstände richterlicher Entscheidungsfindung aber werden allenfalls in Wahlseminaren behandelt. Bereits 2012 hat der Wissenschaftsrat angeregt, dass sich auch Jurastudent*innen stärker mit nachbarwissenschaftlichen Erkenntnissen befassen sollten, um die Reflexivität in Bezug auf das eigene Fach zu erhöhen. Glauben Sie, dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema richterlicher Abhängigkeit einen festen Platz in der juristischen Ausbildung – im Studium oder im Referendariat – haben sollte?

Bausback: Nach unserer bayerischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen sollen Absolventen in der Lage sein, in der Rechtspraxis eigenverantwortlich tätig zu sein und den vielseitigen und wechselnden Anforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Hierfür benötigen die angehenden Juristen zweifellos nicht nur ein fundiertes Fachwissen, juristisches Verständnis und die Fähigkeit, methodisch und wissenschaftlich zu arbeiten. Sie müssen sich immer auch ihrer Verantwortung bewusst sein: Der Verantwortung gegenüber den von der Entscheidung unmittelbar betroffenen Menschen, aber auch ihrer Verantwortung gegenüber der Rechtsordnung. Der Rechtsstaat braucht Juristen, die ein klares Bewusstsein von der Bedeutung ihrer Tätigkeit haben und die zugleich wissen, welche Folgen ihre Entscheidungen im Gesamtsystem des Rechts nach sich ziehen. Es genügt daher nicht, wenn sich die Juristenausbildung allein mit prüfungsrelevanten Rechtsgebieten beschäftigt. Wir müssen den Studierenden vielmehr stets auch das Verständnis der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des Rechts vermitteln. Ob jedoch im Rahmen der Pflichtausbildung konkrete Unterrichtsveranstaltungen zur „richterlichen Abhängigkeit“ richtig verortet wären, halte ich – unabhängig davon, dass ich den Begriff nicht sonderlich schätze – für zweifelhaft: Wir haben schließlich in Deutschland keine spezielle Ausbildung für Richter, sondern die Ausbildung ist für alle Juristen einheitlich.

JuWiss: Zurzeit werden in mehreren europäischen Ländern Rückschritte im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Judikative von politischer Einflussnahme beklagt. Inwieweit handelt es sich bei der Abhängigkeit der Justiz von externen Einflüssen und persönlichen Voreingenommenheiten schlicht um eine anzuerkennende Realität? Inwieweit muss solchen Entwicklungen, etwa auch durch die EU oder andere Mitgliedstaaten, entgegengetreten werden? Wie sollte eine solche Reaktion aussehen?

Bausback: Grundsätzlich gilt: Jeder Mitgliedstaat ist in der Ausgestaltung seiner Rechts- und Verfassungsordnung frei. Er unterliegt insoweit auch nicht der Kontrolle durch die EU. Eine Grenze bilden allerdings die vom Mitgliedstaat selbst eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Hierzu gehören auch die Grundwerte der Europäischen Union nach Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union. Die richterliche Unabhängigkeit ist ein ganz wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit. Sie gehört zu den gemeinsamen Gründungswerten, auf welche sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet haben. Diese Werte müssen wir unbedingt bewahren.

JuWiss: In den letzten Jahren sah sich das Bundesverfassungsgericht immer wieder politischer Kritik ausgesetzt. Sie haben etwa in der FAZ gefordert, dass das Gericht die Religionsfreiheit neu denken“ solle. Wie sollte ein Dialog zwischen der Politik und dem Bundesverfassungsgericht ausgestaltet sein, der einerseits eine mögliche politische Vorbefasstheit der Verfassungsrichter*innen thematisieren kann, gleichzeitig aber deren Stellung als unabhängiges Verfassungsorgan respektiert?

Bausback: Selbstverständlich verfügen die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts – ebenso wie alle Richterinnen und Richter – über eigene politische, aber auch weltanschauliche Überzeugungen. Das ist auch gut und richtig so. Dass sie sich davon in ihrer Entscheidungsfindung wesentlich beeinflussen lassen, glaube ich jedoch nicht. Auch in meinem FAZ-Beitrag zur Religionsfreiheit habe ich dies keinesfalls unterstellt. Vielmehr bin ich überzeugt davon, dass sie ihre persönliche Überzeugung nicht über das Recht stellen. Meines Erachtens ist es gerade eine der Stärken des Gerichts, dass seine Richterinnen und Richter die unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und weltanschaulichen Strömungen des Landes widerspiegeln. Geschichte und Gegenwart des Bundesverfassungsgerichts zeigen, dass sich die Richterinnen und Richter der Bedeutung ihrer Aufgabe als „Wächter“ unserer Verfassung stets bewusst sind und ihr Amt entsprechend verantwortungsbewusst ausüben. Dazu gehört auch der „judicial self-restraint“, die richterliche Selbstbeschränkung als Ausdruck des Grundsatzes der Gewaltenteilung: Die Rechtsprechung soll keine Gestaltungsfragen beantworten oder vorwegnehmen, die in den originären Bereich der legislativen oder exekutiven Staatsgewalt fallen. Gegenstand des Dialogs zwischen dem Gericht und der Politik sollte daher nicht die etwaige politische „Ausrichtung“ einzelner Richterinnen oder Richter sein. Vielmehr geht es um einen Diskurs über das adäquate Verständnis der zentralen Inhalte unseres Grundgesetzes. Dabei muss es Politikern selbstverständlich möglich sein, die Sichtweise des Gerichts zu kritisieren – ohne dabei die Integrität und Würde des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan in Frage zu stellen.

JuWiss: Zum Schluss: Gibt es etwas, was Sie der jungen Wissenschaft im Öffentlichen Recht mit auf den Weg geben möchten?

Bausback: Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich Ihren Enthusiasmus, der ja auch in der Teilnahme an der Assistententagung zum Ausdruck kommt, möglichst Ihr ganzes Berufsleben erhalten können – egal wohin es Sie im Weiteren verschlägt.

Die Fragen stellte Nico Schröter

ATÖR 2018, Interview, Richterliche Abhängigkeit, Winfried Bausback
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