Beobachtungen zum polnischen Gesetz über die Organisation der 24. UN-Klimakonferenz
Ende Januar hat der polnische Sejm ein Gesetz verabschiedet, das Fragen rund um die Organisation der 24. UN-Klimakonferenz regelt, die im Dezember in Katowice stattfindet. Das Gesetz verbietet Spontanversammlungen während der Konferenz und erlaubt die anlasslose und heimliche Speicherung persönlicher Daten. In der Medienöffentlichkeit weitestgehend unbemerkt geblieben (ein Bericht der Deutschen Welle über die Klimakonferenz erwähnt das Gesetz mit keinem Wort), hat es unter Umwelt-Organisationen und Klima-Aktivist_innen für umso größeres Aufsehen gesorgt.
Art. 22 des Gesetzes sieht ein ausnahmsloses Verbot spontaner Versammlungen während der gesamten Konferenzdauer zwischen dem 26. November und dem 16. Dezember 2018 auf dem Gebiet der Stadt Katowice vor. Art. 17 erlaubt der polnischen Regierung, zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung personenbezogene Daten zu speichern. Soweit aus inoffiziellen Übersetzungen ersichtlich, ist die Speicherung von Daten nicht nur dann erlaubt, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Person konkret eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Daten aller Teilnehmer_innen der COP24 können ohne konkrete Gefahr bis zum 31. Januar 2019 gespeichert werden, und zwar auch, ohne die betroffenen Personen zu informieren. Das Klimasekretariat hat bestätigt, dass den gastgebenden Ländern der Klimakonferenz seit 9/11 die bei der Anmeldung gespeicherten personenbezogenen Daten auf Anfrage weitergegeben werden. Die Women and Gender Constituency, eine der neun anerkannten zivilgesellschaftlichen Gruppierungen bei der UN-Klimakonferenz, hat die polnische Regierung dazu aufgerufen, das Gesetz aufzuheben. Außerdem appelliert die Gruppe an die Vereinten Nationen, insbesondere das Klimasekretariat und das Hochkommissariat für Menschenrechte, sowie die Europäische Union, auf eine Aufhebung des Gesetzes hinzuwirken. Auch der Staatenvorstand der Aarhus-Konvention wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu aufgerufen, auf die polnische Regierung einzuwirken. Was ist von den beiden Gesetzesvorschriften aus menschenrechtlicher Sicht zu halten?
Öffentliche Sicherheit und Ordnung I: Spontanversammlungen und Versammlungsfreiheit
Das Recht auf friedliche Versammlung ist als Klassiker politischer Freiheitsrechte in Art. 21 des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBürgR) und Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgeschrieben, die Polen beide ratifiziert hat. Zwar ist eine rechtliche Regulierung von Versammlungen, etwa eine Notifizierungspflicht, grundsätzlich möglich. Spontanversammlungen sollten aber, so der UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, gesetzlich anerkannt werden und keiner Benachrichtigungspflicht unterliegen (Rn 91). Der Menschenrechtsausschuss, der zur Überwachung des IPBürgR bestellt ist, spricht gar von einem Recht auf Spontanversammlung (Rn 49). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat deutlich gemacht, dass Spontanversammlungen unter bestimmten Umständen als unmittelbare Antwort auf politische Ereignisse ein gerechtfertigtes Mittel der politischen Meinungsäußerung sein können, und dass unter solchen Umständen die Auflösung einer solchen Versammlung, nur weil sie nicht angemeldet wurde, die Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig einschränkt.
Eine Versammlung – auch eine Spontanversammlung – kann zwar aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verboten oder aufgelöst werden. Das ist von vergangenen Klimakonferenzen – insbesondere der Pariser Klimakonferenz vor drei Jahren – nicht unbekannt. Während damals Maßnahmen unter dem Ausnahmezustand gegen Umweltaktivist_innen zwar kontrovers diskutiert wurden, gibt es doch erhebliche Unterschiede: In Paris waren dem Versammlungsverbot zuerst das Attentat im Bataclan und dann intensive Debatten über die Durchführbarkeit von Versammlungen angesichts der Terrorgefahr vorausgegangen. Ein auf Monate im Voraus beschlossenes präventives und absolutes Verbot von Spontanversammlungen gab es nicht. Ein solches Verbot ist ohne konkreten Anhaltspunkt für die Gefahr einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unverhältnismäßig und mit europäischen und internationalen Menschenrechtsstandards, die Polen anerkannt hat, nicht vereinbar.
Öffentliche Sicherheit und Ordnung II: Speicherung aller Anmeldedaten und Datenschutz
Die Speicherung personenbezogener Daten unterfällt dem Recht auf Privatheit in Art. 17 IPBürgR und Art. 8 EMRK; Art. 8 der EU-Grundrechtecharta schreibt darüber hinaus explizit ein Recht auf Schutz personenbezogener Daten fest (und wäre angesichts der weiten Auslegung des Art. 51 GrCh durch den EuGH und der EU-Datenschutzrichtlinie wohl auch anwendbar). Das Datenschutzrecht als in stetigem Wandel begriffenes und zunehmend komplexes Feld, gerade im Mehrebenensystem, kann hier nur schemenhaft angerissen werden. Es gilt, wie der UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf Privatheit ausgeführt hat, grundsätzlich das Prinzip der Zweckbindung und Zweckbeschränkung: Die Speicherung von persönlichen Daten muss an einen bestimmten Zweck gebunden und zu diesem verhältnismäßig sein; nach Ablauf der für die Zweckerreichung notwendigen Zeit müssen die Daten gelöscht werden und dürfen ohne Zustimmung der betroffenen Person nicht anderweitig verwendet werden. Diese Prinzipien finden Ausdruck in Art. 8 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta sowie in Art. 9 des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten des Europarates.
Soweit ersichtlich, soll die Speicherung der Daten dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Verhütung von Straftaten dienen. Diese Zwecke sind im chapeau des Art. 17 des polnischen Gesetzes genannt. Hier lässt sich fragen, ob die Speicherung der Daten aller teilnehmenden Personen der COP24 durch die polnische Regierung überhaupt ein probates Mittel zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist. Wenn man dies bejahte, müsste die Speicherung verhältnismäßig sein. Dabei spielt eine Rolle, dass die Daten heimlich gespeichert werden können: Das Gesetz sieht explizit vor, dass eine Speicherung ohne Wissen und Zustimmung der betroffenen Personen möglich sein soll. Im Bereich der Telekommunikationsüberwachung hat der EGMR deutlich gemacht, dass gerade das Element der Heimlichkeit Maßnahmen besonders willküranfällig macht. Das polnische Gesetz sieht explizit die Anwendbarkeit internationaler Verträge auf die Vorschrift des Art. 17 vor. Konsequenz daraus ist, dass eine heimliche, anlasslose Speicherung der personenbezogenen Daten aller Teilnehmer_innen der COP24 nicht ohne weiteres durchgeführt werden darf.
Welche Verpflichtungen für das UN-Klimasekretariat?
Dies führt zu einem letzten Punkt: Zur Speicherung der Daten ist die polnische Regierung auf die Kooperation des UN-Klimasekretariats angewiesen. Denn die Teilnehmer_innen an der COP24 registrieren sich über das Klimasekretariat. Die Anmeldedaten werden durch das Klimasekretariat für künftige Anmeldungen gespeichert und – so ein Sprecher des Sekretariats – auf Anfrage auch an das Gastgeberland weitergegeben, insbesondere, um die Ausstellung von Visa zu ermöglichen. Inwieweit unterliegt diese Datenweitergabe menschenrechtlichen Verpflichtungen? Eine unmittelbare Anwendung der genannten menschenrechtlichen Standards scheidet aus, da das Klimasekretariat nicht Vertragspartei menschenrechtlicher Verträge ist. Allerdings ist anerkannt – wenn auch in der Begründung im Einzelnen umstritten – dass Grundsätze menschenrechtlicher Standards, wie sie im Rahmen internationaler Organisationen verhandelt, debattiert und verabschiedet werden, diese auch verpflichten können. Während die Weitergabe der Daten an die polnische Regierung zum Zwecke der Visaausstellung datenschutzrechtlich kein Problem darstellt, ließe sich durchaus überlegen, ob das Klimasekretariat angesichts der expliziten gesetzlichen Grundlage, Daten aller Teilnehmer_innen anlasslos und geheim zu speichern, Garantien von der polnischen Regierung verlangen müsste, diese Norm in ihrer jetzigen Form unangewendet zu lassen, um seiner eigenen menschenrechtlichen Verpflichtung hinreichend nachzukommen.
Die Möglichkeit der heimlichen und anlasslosen Speicherung personenbezogener Daten ist für die zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht zuletzt deswegen so beunruhigend, weil sie mindestens subjektiv zu einer hohen Unsicherheit darüber führt, was mit den eigenen Daten geschieht und ob hieraus Konsequenzen im Heimatstaat zu befürchten sind. Gerade Umwelt-Aktivist_innen sind, so der letzte Bericht des UN-Sonderberichterstatters zu Menschenrechtsverteidiger_innen, besonders häufig und zunehmend Ziel von Repressalien, von Einschränkungen ihrer Arbeit über physische Gewalt bis hin zu dokumentierten Todesfällen. Die Ankündigung, möglicherweise Daten gerade zivilgesellschaftlicher Teilnehmer_innen zu speichern, hat das realistische Potenzial, die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der anstehenden Klimakonferenz zu verringern. Hier kann das Klimasekretariat durch entsprechende Zusicherungen, Daten nicht oder nur in Einzelfällen weiterzugeben, entgegenwirken.
Zwischen Rechtsschutz und politischer Verhandlung
Welche Schritte können sonst unternommen werden? Das Gesetz wurde am 29. Januar 2018 von Präsident Duda gegengezeichnet und ist in Kraft. Selbstverständlich stünde es dem polnischen Gesetzgeber frei, das Gesetz wieder aufzuheben oder die beiden hier diskutierten Vorschriften entsprechend zu ändern. Welche nationalen Rechtsmittel in Polen gegen das Gesetz bestehen, ist der Verfasserin nicht bekannt – hier wäre u.a. interessant, welche Rolle etwa die polnische Ombudsperson spielt. Sollte das Verbot von Spontanversammlungen bis zur Klimakonferenz unverändert bestehen bleiben, bestünde die Möglichkeit, sich im konkreten Einzelfall darüber hinwegzusetzen: Angesichts der recht eindeutigen Rechtsprechung dürfte die Auflösung einer Spontanversammlung unter Berufung auf Art. 22 des Gesetzes jedenfalls vor dem EGMR keinen Bestand haben. Hierzu müsste allerdings zunächst der nationale Rechtsweg ausgeschöpft werden, und zwar auch der nationale einstweilige Rechtsschutz im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem EGMR. Außerdem ist die Aussicht auf eine nachträgliche gerichtliche Bestätigung der Rechtswidrigkeit einer Versammlungsauflösung für Aktivist_innen ein nur schwacher Trost. Eine abstrakte Normenkontrolle vor dem EGMR existiert nicht.
Auch mit Blick auf den Datenschutz wäre bei Fortbestand des Gesetzes zunächst der nationale Rechtsweg zu beschreiten; man könnte hier zusätzlich zum EGMR (nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs) über eine Vorlagepflicht an den EuGH nachdenken. Formale Rechtsmittel zur Feststellung und etwaigen Durchsetzung einer Pflicht von Seiten des Klimasekretariats, auf den sicheren Umgang mit Teilnehmer_innen-Daten hinzuwirken, gibt es nicht – hier ist politische Lobbyarbeit der betroffenen Organisationen gefragt, sowohl beim Klimasekretariat selbst als auch bei relevanten Instanzen des UN-Menschenrechtssystems: den UN-Sonderberichterstattern zum Recht auf Privatheit und zu Menschenrechtsverteidiger_innen sowie zum Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit etwa, die sämtlich individuelle Kommunikationen entgegennehmen. Hier zeigt sich einmal mehr: Der auf das Individuum und die einzelne Menschenrechtsverletzung zugeschnittene Rechtsschutz, insbesondere vor dem EGMR, ist bei einer Konstellation wie der hiesigen, wo durch ein Gesetz politischer Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen ausgeübt werden soll (so die Einschätzung von Greenpeace Polen), wenig passend. Es ist denn auch wenig überraschend, dass die Reaktion bislang eine vor allem politische war – allerdings eine, in der auch rechtliche Argumente zum Tragen kommen.
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