von SAMIR FELICH
„Weil es um Fragen von Leben und Tod geht, ist eine politische Legitimation, aber auch eine rechtliche und ethische Begründung absolut erforderlich.“ (Brigadegeneral Alois Bach)
Die Diskussion um den beschlossenen Beitrag Deutschlands im Kampf gegen den IS konzentriert sich derzeit überwiegend auf die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsgrundlagen für den Einsatz in Syrien. Auf der anderen Seite steht oftmals ein „pawlowscher Reflex“ der Bundestagsopposition, die sich beim Klang der Wörter „Bundeswehr“ zusammen mit „(Auslands-)Einsatz“ bereit macht, den Weg nach Karlsruhe zu beschreiten. Es gleicht bei fast jedem Einsatz der Streitkräfte im Ausland einem Ritual der Opposition, die Letztentscheidung durch das Verfassungsgericht zu suchen (zuletzt Operation Pegasus). Eine Überprüfung des Syrieneinsatzes durch das Verfassungsgericht wird allerdings schon prozessualen Hindernissen begegnen.
1994 bedurfte es eines beeindruckenden Karlsruher Auslegungsvermögens, um in der Out-of-Area Entscheidung den konstitutiven Parlamentsvorbehalt in Form eines bloßen Parlamentsbeschlusses in der Verfassung zu entdecken. Das ParlBetG hingegen regelt lediglich „Form und Ausmaß der Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland“. Die Grundlage für den Einsatz bleibt allerdings – außer bei Gefahr im Verzug – der konstitutive Parlamentsbeschluss. Diese Form des Parlamentsbeschlusses ist es nunmehr, die eine verfassungsgerichtliche Überprüfung erheblich behindern wird.
Verfahrensarten vor dem BVerfG
Ob und mit welchem Verfahren eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des Mandats für den Einsatz in Syrien bzw. des Zustimmungsbeschlusses des Bundestages erreicht werden kann, ist zweifelhaft. Die Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht sind zu recht limitiert und stehen nicht der Überprüfung jeder politischen Meinungsverschiedenheit offen. Vorschnell möchte man sich anschicken ein Normenkontrollverfahren oder ein Organstreitverfahren für die Zustimmung zum Syrien-Einsatz in Betracht zu ziehen.
Abstrakte Normenkontrolle
Nach Art. 93 I Nr. 2 GG geht es im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle um die „förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze“. Eine Abstimmung im Bundestag zum Einsatz der Streitkräfte im Ausland ergeht allerdings als (konstitutiver) Beschluss des Bundestages und nicht in Gesetzesform. Ob ein schlichter Parlamentsbeschluss des Bundestages als „Bundesrecht“ verstanden werden kann, bleibt daher zweifelhaft, weil durch diesen nicht unmittelbar eigenes Recht gesetzt wird. Zwar sollen schlichte Parlamentsbeschlüsse, wenn sie funktionell an die Stelle eines Gesetzes treten und damit gesetzesersetzenden Charakter haben, einen tauglichen Antragsgegenstand darstellen. Allerdings wurde dies bisher nur vereinzelt im Rahmen parlamentarischer Zustimmungsbeschlüsse zu Staatsverträgen angenommen. Ausschlaggebend war dabei auch, dass nach dem jeweils maßgeblichen Landesverfassungsrecht der normative Teil des Staatsvertrags durch den Zustimmungsbeschluss zu Landesrecht im Range eines Gesetzes erhoben wurde (BVerfGE 90, 60 [84]).
Im Falle eines Parlamentsbeschlusses zum Streitkräfteeinsatz im Ausland hingegen würde der Bundestag lediglich der Streitkräfteeinsatzentscheidung der Bundesregierung zustimmen. Da weder die Entscheidung der Bundesregierung noch der Zustimmungsbeschluss einen gesetzesersetzenden Charakter haben, scheidet daher die Überprüfung des Zustimmungsbeschlusses des Bundestages als tauglicher Antragsgegenstand aus. Natürlich steht die Ausweitung der abstrakten Normenkontrolle auf den Zustimmungsbeschluss zum Streitkräfteeinsatz de lege ferenda offen. Allerdings müsste diese zugleich streng begrenzt werden auf genau diese Art von Beschlüssen. Eine generelle Anwendung der abstrakten Normenkontrolle auf Zustimmungsbeschlüsse könnte andernfalls dazu führen, dass die Arbeit des Bundestags (bei entsprechendem Quorum) durch endlose Verfahren, die gegen jeden Beschluss gerichtet sind, zum Erliegen gebracht werden könnte.
Darüber hinaus bedarf die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG eines Viertels der Mitglieder des Bundestages als Antragsberechtigte (vgl. zur Problematik das anhängige Organstreitverfahren in Sachen „Minderheiten- und Oppositionsrechte“). Bei der derzeitigen Sitzverteilung (und dem Abstimmungsergebnis) im Bundestag ein eher unwahrscheinliches Unterfangen.
Organstreitverfahren
Das Organstreitverfahren als Alternative verspricht ebenso wenig Erfolg. Dies zeigte schon der Versuch im Rahmen der Beteiligung der Bundeswehr an NATO-Operationen gegen Jugoslawien: „Das Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht“. Eine Antragsbefugnis einer (Oppositions-)Fraktion oder einzelner Mitglieder des Bundestages ist nicht ersichtlich, weil weder ihre eigenen, noch die Rechte des Deutschen Bundestages verletzt sein können. Denn wenn der Bundestag den Zustimmungsbeschluss nach ordnungsgemäßem Verfahren annimmt, ist weder der einzelne Abgeordnete in seinem eigenen Recht, noch der Bundestag in seinem Recht auf den „Parlamentsvorbehalt“ verletzt. Darüber hinaus ist das Organstreitverfahren keine objektive Beanstandungsklage. Der Deutsche Bundestag sei kein umfassendes „Rechtsaufsichtsorgan“ über etwaiges formelles oder materielles verfassungswidriges Handeln der Bundesregierung.
Auch das Argument eines Handelns ultra vires durch den Bundestag wurde vom BVerfG verworfen. Es fehle einer Fraktion, die Antragsbefugnis „weil die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Bundes, Streitkräfte in einem System kollektiver Sicherheit einzusetzen, grundsätzlich geklärt ist (BVerfGE 90, 286) und die Rechte der antragstellenden Fraktion sich insoweit auf eine ordnungsgemäße Beteiligung an dem Verfahren beschränken, in dem der Bundestag dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte seine vorherige konstitutive Zustimmung erteilt hat.“
Denkbar bleibt, dass sich das BVerfG 2007 eine „Hintertür“ im Organstreitverfahren zum erweiterten ISAF-Mandat offengehalten hat. Dort überprüft es, ob das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit (NATO) noch der „Wahrung des Friedens“ i.S.d. Art. 24 II GG dient. Die Grundlage hierfür fand es darin, dass im Rahmen eines Organstreitverfahrens der Verstoß gegen das Gebot der Friedenswahrung nur als verfassungsrechtliche Grenze des Integrationsprogramms eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit bedeutsam werden kann. Allerdings soll dies im Organstreitverfahren nur deshalb überprüft werden, weil die Vertragsgrundlage des Bündnisses der Verantwortung des Deutschen Bundestages unterliegt.
Verwaltungsgericht oder Verfassungsbeschwerde?
Was bleibt? Die Option einer Verfassungsbeschwerde durch einen unmittelbar betroffenen Soldaten, der in den Einsatz geschickt wird oder als Vorgesetzter seine untergebenen Soldaten dorthin befiehlt? Fraglich wäre dabei schon, auf welches Grundrecht (Gewissensfreiheit?) ein betroffener Soldat sich beziehen könnte. Bedingt durch die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde müsste sich ein betroffener Soldat jedenfalls grundsätzlich wegen der Rechtswegzuweisung nach § 82 I SG an die Verwaltungsgerichtsbarkeit wenden.
Eine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Einsatzes gerichtlich zu überprüfen, könnte über Umwege durch § 10 des Soldatengesetzes, im Rahmen einer Feststellungsklage, bestehen. Nach § 10 IV SG darf der Vorgesetzte „Befehle nur zu dienstlichen Zwecken und nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen.“ Im Hinblick auf die Bindung an Recht und (Grund-)Gesetz, müsste sich daher jeder Vorgesetzte (der einen Einsatzbefehl erteilt) mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Einsatz im Rahmen eines „Systems kollektiver Sicherheit“ gemäß Art. 24 Abs. 2 GG vorliegt oder die Bundeswehr zur „Verteidigung“ im Sinn des Art. 87 a II GG eingesetzt wird. In seinem Lissabon-Urteil hat das BVerfG noch offengelassen ob die EU ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 II GG darstellt. Zwar ist die UN ein anerkanntes System kollektiver Sicherheit, hier wäre dann aber die Frage zu beantworten, ob die Sicherheitsratsresolution 2249 auch als Ermächtigung innerhalb dieses Systems anzusehen ist oder nur auf das Recht auf (kollektive) Selbstverteidigung abgestellt wird.
Wie schon das BVerwG im Rahmen der „Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen“ bei der (vermeintlichen) Beteiligung der Bundeswehr im Rahmen der Invasion des Iraks feststellte, „[…] gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Verwendung der Streitkräfte der Bundeswehr auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 2 GG im Rahmen eines „Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ zu den Aufgaben, zu deren Erfüllung sie eingesetzt werden dürfen, soweit der Einsatz entsprechend den Regeln des betreffenden Systems erfolgt, also insbesondere mit der UN-Charta vereinbar ist. Ein Befehl, der diesen Anforderungen nicht genügt und diesen Rahmen nicht einhält, dient keinem „dienstlichen Zweck“ im Sinne des [Soldatengesetzes]. […] Diesbezügliche Streitfragen müssen gegebenenfalls im Einzelfall von den dafür zuständigen Gerichten entschieden werden, denen die (letztverbindliche) Klärung strittiger Rechtsfragen durch das Grundgesetz anvertraut ist[…].“
Eine etwaige Feststellungsklage oder einstweilige Anordnung müsste also darauf gerichtet sein, ob ein entsprechender Befehl des Vorgesetzten an seine unterstellten Soldaten, sich an dem Einsatz in Syrien zu beteiligen mit den Regeln des Völkerrechts, sowie unserer Verfassung vereinbar ist. Der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird eine entsprechende Vorlagefrage an das BVerfG im Rahmen der konkreten Normenkontrolle allerdings verwehrt sein. Vorlagefähig sind nur förmliche Parlamentsgesetze des Bundes und der Länder sowie Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen. Bezüglich des Zustimmungsbeschlusses des Bundestages würde sich die fehlende Gesetzesqualität, wie oben erläutert, auch hier auswirken. Eine Überprüfung von § 10 SG ist abwegig, weil diese Norm gerade verfassungskonformes Verhalten einfordert. Auf diesem Wege würde letztlich dem BVerwG die Auslegung obliegen, ob ein Einsatz(befehl) dem (Völker-)Recht und (Grund-)Gesetz entspricht.
Ein zweifelnder (sich auf seine Gewissensfreiheit berufender) Befehlsempfänger müsste sich grundsätzlich nach der WBO gegen den Befehl beschweren. Allerdings hat dies keinen Suspensiveffekt. Da § 11 SG durch § 3 WBO unberührt bleibt, könnte der Empfänger den Befehl auch verweigern, sofern „kein dienstlicher Zweck“ vorliegt. Praktisch würde dies zur Einleitung eins truppendienstgerichtliches Disziplinarverfahren oder eines strafrechtlichen Verfahrens, § 19, § 20 WStG führen. Das BVerwG oder der BGH im Strafverfahren, müssten dann eine Letztentscheidung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes treffen oder es wie in der Entscheidung zur „Befehlsverweigerung aus Gewissengründen“ offen lassen, wenn die Befehlsverweigerung auf Gewissensgründe gestützt wird.
Die Politik re(a)giert, der Soldat marschiert.
Eine gerichtliche Entscheidung zu den völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Syrien Einsatz ist vorerst nicht zu erwarten. Es wird deutlich, dass Verfassungsorgane Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung, systembedingt durch das Konstrukt des konstitutiven Parlamentsvorbehaltes, nicht dem Verfassungsgericht zur rechtlichen Beurteilung vorlegen können. Die derzeitige Rechtslage lässt verfassungsprozessrechtlich keinen unmittelbaren Zugang zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Parlamentsbeschlusses für einen Einsatz der Bundeswehr zu. Wenn der politische Wille vorhanden ist, die Bundeswehr als weiteres Mittel der Außenpolitik zu nutzen, so sollte dies auch in verfassungs- und völkerrechtskonformer Weise geschehen. Es ist bedauerlich, dass die rechtliche Ungewissheit auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen wird.
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Vier Monate später: https://www.bundestag.de/presse/hib/201604/-/421116