von SEBASTIAN THO PESCH
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt haben Deutschland und die Niederlande einen jahrhundertealten Grenzstreit befriedet. Der völkerrechtliche Vertrag wurde bereits im Herbst 2014 unterzeichnet; über das Zustimmungsgesetz wird aber erst jetzt im Bundesrat und im Bundestag beraten. Ohne tatsächlich eine Grenze zu ziehen, haben die beiden Nachbarstaaten damit den Streit eingefangen und wahrscheinlich dauerhaft eingefroren.
Worum wird gestritten?
Der Streit zwischen Deutschland und den Niederlanden im Küstenmeer geht auf unterschiedliche Ansichten zum korrekten Verlauf der Staatsgrenze in der Ems zurück. Grundsätzlich bestimmen sich in Flüssen verlaufende Grenzen nach dem sog. T(h)alwegprinzip. Danach verläuft die Grenze am jeweils tiefsten Punkt des Flusses. Auf eine Grenzziehung in der Ems nach diesem Prinzip berufen sich die Niederlande. Deutschland hingegen beruft sich auf einen Lehnsbrief aus dem Jahr 1464. Danach soll die Grenze an der westlichen Niedrigwasserlinie der Ems verlaufen, die gesamte Ems also in deutschem Staatsgebiet liegen. Als Konsequenz müssten niederländische Schiffe, welche die niederländischen Häfen Delfzijl und Eemshaven anfahren wollen, immer die inneren Gewässer Deutschlands durchqueren. Noch deutlicher sind die Auswirkungen der deutschen Ansicht außerhalb der Emsmündung: weil die Ufer der Ems nach Norden hin immer weiter auseinandergehen, würde ein deutsches Küstenmeer weit vor die niederländische Küste einschneiden.
War der Grenzverlauf bislang vollständig ungeregelt?
Nein. Bereits 1960 haben Deutschland und die Niederlande einen ersten Ems-Dollart-Vertrag (Hier, ab BGBl. S. 602 oder S. 151 im pdf) geschlossen (dazu auch im Detail hier). Darin wird zunächst ein Vertragsgebiet definiert (siehe das rot umrandete Gebiet in der Grafik oben). Für dieses Vertragsgebiet verabredeten die Parteien eine Zusammenarbeit „im Geiste guter Nachbarschaft“ (Art. 1). Der Vertrag regelt viele praktische Fragen. Die Frage des Grenzverlaufes berührt der Vertrag jedoch explizit nicht: „Jede Vertragspartei behält sich insoweit ihre Rechtsstandpunkt vor.“ (Art. 46). Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, dass Küstenstaaten ein Küstenmeer von bis zu 3 sm beanspruchen dürfen. Das Vertragsgebiet erstreckt sich konsequenterweise ebenfalls – nur –bis zu 3 sm ins Meer.
Bereits zwei Jahre später vereinbarten die beiden Nachbarländer eine Mittellinie durch das Vertragsgebiet (Art. 1 sowie die angehängte Karte des Zusatzabkommens). Diese Linie grenzt die Zuständigkeiten bezüglich der Gewinnung von Erdöl und Erdgas zwischen den Niederlanden bzw. Deutschland ab (Art. 4). In den folgenden Jahren wurde der Ems-Dollart-Vertrag weiter geändert, inhaltlich erweitert, konkretisiert, und erneut inhaltlich erweitert. Das ursprüngliche Vertragsgebiet blieb dabei stets unangetastet.
Der jenseits des Küstenmeers liegende Festlandsockel wurde zwischen Deutschland und den Niederlanden 1964 abgegrenzt. Der südlichste Punkt der dort gezogenen Linie beginnt am nördlichsten Ende des Ems-Dollart-Vertragsgebiets (Art. 1), sodass alle Meereszonen nunmehr lückenlos vertraglich erfasst waren. Auch wenn nach wie vor keine Einigung über den Verlauf der (Staats-) Grenze im Küstenmeer bestand, so waren sich die Parteien über die Abgrenzung des Festlandsockels (und implizit der AWZ) einig. Zudem war der Streit um die Küstenmeergrenze durch die Ems-Dollart-Verträge soweit eingefroren, dass das Fehlen einer Grenze in der Praxis keine Probleme verursachte.
Warum ist der Grenzstreit aufgeflammt?
2010 wurde von deutscher Seite der nordwestlich vor Borkum liegende Windpark „Riffgat“ genehmigt. In der Zwischenzeit hatten allerdings sowohl die Niederlande (1985) wie auch Deutschland (1994) ihr Küstenmeer auf eine Breite von 12 sm erweitert. Diese Erweiterung erfolgte auf der Grundlage des 1982 beschlossenen Seerechtsübereinkommens (SRÜ), was in Art. 3 Küstenstaaten ein bis zu 12 sm breites Küstenmeer erlaubt. Der Windpark sollte aber außerhalb des alten 3 sm breiten Küstenmeers – und damit auch außerhalb des Vertragsgebiets des Ems-Dollart-Vertrages – errichtet werden. Nach deutscher Ansicht ist für die Genehmigung im deutschen Küstenmeer das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg zuständig. Nach niederländischer Ansicht liegt der Windpark zumindest teilweise in niederländischen Küstengewässern, was eine niederländische Baugenehmigung erfordern würde. Durch die Erweiterung des deutschen und des niederländischen Küstenmeers hatte sich nämlich zwischen 3 und 12 sm ein Bereich aufgetan, der weder von den Ems-Dollart-Verträgen erfasst war (die gelten nur bis 3 sm) noch vom Festlandsockelvertrag geregelt wurde (der gilt nur für den Festlandsockel und nicht für das Küstenmeer; rechtlich beginnt der Festlandsockel aber erst jenseits des Küstenmeers, siehe Art. 76 Abs. 1 SRÜ). Mehr dazu im Detail hier. Zwischenzeitlich verursachte zudem eine bei Google Maps falsch eingezeichnete Grenze zusätzliche Verwirrung.
Wie wurde der Streit gelöst?
Der Kompromiss war erneut pragmatisch. Der „Vertrag vom 24. Oktober 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Nutzung und Verwaltung des Küstenmeers zwischen 3 und 12 Seemeilen“ soll wie bisher die Frage des Verlaufs der Staatsgrenze nicht berühren (Art. 4). Allerdings wird in dem Bereich zwischen 3 und 12 sm wieder eine Linie gezogen, welche die Zuständigkeit der beiden Länder in bestimmten Verwaltungsfragen abgrenzt (Art. 5), sodass der Windpark „Riffgat“ allein von deutschen Behörden genehmigt werden kann. Diese Linie ist mit der alten Festlandsockelgrenze identisch (Art. 6). Man könnte auch sagen, dass durch diese Linie praktisch alle Fragen bis auf die der Staatsgrenze selbst entschieden wurden. Im Ergebnis wurde die Idee des bereits bestehenden Ems-Dollart-Regime also auf den Bereich zwischen 3 und 12 sm übertragen.
Zusammenfassung
Der Küstenmeer-Verwaltungsvertrag 2014 ist der (vorerst?) letzte Mosaikstein zur Regelung des Grenzstreits zwischen den beiden Nachbarstaaten. Nach der Erweiterung der Küstenmeere durch Deutschland und die Niederlande ist der Streit über den Verlauf des Küstenmeers damit zwar nicht beigelegt, wohl aber eingehegt. Er zeigt, dass Grenzkonflikte selbst ohne eine abschließende Lösung so weit rechtlich geregelt werden können, dass es derzeit praktisch keine Probleme gibt. Damit könnte die hier gefunden friedliche Lösung ein Muster für andere seerechtliche Grenzstreitigkeiten sein. Probleme können aber bei innerstaatlichem Recht entstehen, das einen territorialen Bezug aufweist. Solange der Grenzverlauf (auf expliziten Wunsch der Parteien!) nicht geklärt ist, kann im Zweifelsfall eine Norm, die an deutsches Staatsgebiet anknüpft, nicht angewendet werden. Ein einfaches Gesetz, wonach die Zuständigkeitsgrenzen aus den Ems-Dollart-Verträgen für die Anwendung innerstaatlichen Rechts als Staatsgrenze gilt, könnte dem Abhilfe schaffen.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Völkerrechtlich darf dieser Grenzabschnitt(von Rottumeroog/Borkum bis zur südlichen Seite des R(h)eiderlandes in dieser Form eigentlich nicht sein, weil sie das Siedlungsgebiet des friesischen Volkes zerschneidet.