von TJORBEN STUDT
Nachdem am 24.05.2023 im Rahmen eines bundesweiten Polizeieinsatzes 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft München und des Bayrischen Landeskriminalamtes wegen des Verdachts gegenüber Mitglieder der „Letzten Generation“ (im Folgenden LG) in Bezug auf die Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB durchsucht wurden, stellt sich erneut die Frage, ob die LG tatsächlich als kriminelle Vereinigung eingeordnet werden kann.
Weitreichende Eingriffsbefugnisse und Einschüchterungseffekt
Die Frage ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Verdacht hinsichtlich des Vorliegens einer kriminellen Vereinigung weitreichende Eingriffsbefugnisse seitens der Ermittlungsbehörden zulässt – wie die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO), die Onlinedurchsuchung (§ 100b StPO) und die akustische Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO).
Diese haben nicht nur hinsichtlich der Informationssammlung über die LG an sich erhebliche Bedeutung, sondern könnten weitreichende Einschüchterungs- und Abschreckungswirkungen einer klimapolitischen Beteiligung im Rahmen der Aktionen der LG zeitigen.
Die Voraussetzungen der Bildung einer kriminellen Vereinigung § 129 StGB
Bei der folgenden Betrachtung wird vornehmlich das Vorliegen der in § 129 Abs. 1 S. 1 StGB aufgestellten Voraussetzungen an die kriminelle Vereinigung bezüglich der LG in den Blick genommen. Dabei wird vorausgeschickt, dass – wie sich aus Berichte der Welt und des Focus ergibt – die Voraussetzungen der Legaldefinition an die Vereinigung gem. § 129 Abs. 2 StGB relativ unproblematisch erfüllt sein dürften (s. auch hier).
Vereinigungserfordernis nach § 129 Abs. 1 S. 1 StGB
Weitaus problematischer ist jedoch die Beantwortung der Frage, ob die LG auch das Vereinigungserfordernis des § 129 Abs. 1 S. 1 StGB erfüllt. Danach muss der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.
Der Zweck oder die Tätigkeit müssen dabei verbindlich auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein. Dabei ist Verbindlichkeit als vorbehaltlose Festlegung auf die Verwirklichung von Straftaten zu verstehen. Notwendig, aber auch ausreichend, ist, dass der gemeinsame Wille zur Begehung von Straftaten fest gefasst und nicht nur vage oder insbesondere vom Ergebnis weiterer Willensbildungsprozesse abhängig ist.
Denn § 129 StGB schützt die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Hinblick auf die Erhaltung des öffentlichen Friedens als allgemeines Sicherheitsgefühl. Dabei soll nicht bloß der Strafschutz in das Vorbereitungsstadium vorverlagert, sondern die von kriminellen Vereinigungen ausgehende Bedrohung für die Allgemeinheit in den Blick genommen werden, die im Falle der Planung und Begehung von Straftaten von festgefügten Organisationen aufgrund der ihnen innewohnenden Eigendynamik für die öffentliche Sicherheit ausgehen könnte. Die Annahme einer kriminellen Vereinigung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass deren bloße Existenz das allgemeine Sicherheitsgefühl beeinträchtigt und die strafrechtlichen Einzelfalldelikte eine gruppenspezifische Qualität erlangen, was zu einem „Klima der Angst“ in der Bevölkerung führen kann.
Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Vereinigungserfordernis dann durch die LG erfüllt, wenn die von ihr in den Blick zu nehmende Aktionsform der Sitzblockade eine Straftat darstellt. Dabei ist insbesondere eine strafbare Nötigung gem. § 240 StGB regelmäßig Gegenstand der Diskussion. Auch wenn die Rechtsprechung die Nötigungsstrafbarkeit bisher überwiegend bejaht hat, ist dies in der Rechtswissenschaft umstritten und ebenfalls nicht höchstrichterlich entschieden – dies ist insofern für die Annahme des § 129 Abs. 1 S. 1 StGB entscheidend, weil beim Entfallen der Strafbarkeit der Aktionsform das Vereinigungserfordernis eo ipso zu verneinen ist.
Unter der streitig bleibenden Prämisse, dass die Sitzblockaden eine strafbare Nötigung darstellen, ist davon auszugehen, dass jedenfalls die Tätigkeit der LG auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sein dürfte. Die gewählten Protestformen sind regelmäßig solche, welche durch den gezielten Rechtsbruch besonders viel (mediale) Aufmerksamkeit hervorrufen sollen – überdies belegte (bis zur Beschlagnahme) die Website der LG selbst, dass es das Ziel sei einen quantitativ so umfangreichen Protest in Form von Sitzblockaden zu organisieren, dass die Polizei und Strafverfolgungsbehörden mit dessen Bewältigung überlastet wären.
Berücksichtigung klimapolitischer Anliegen der LG
Dieses Bestreben stellt eine Gefahr für den öffentlichen Frieden – zu der auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zählt – dar und delegitimiert den Rechtsstaat.
Dabei ist zwar grundsätzlich nicht zu ignorieren, dass es bei den Klimaprotesten um die Erhaltung der menschlichen Lebensgrundlage geht. Allerdings sieht das Gesetz eine derartige Bewertung des insofern hehren Anliegens der LG nicht vor. Mag man auch dafür streiten, dass § 129 StGB eine Fehlkonstruktion – wegen des umfangreichenden Anwendungsbereiches auf politische Gruppen ungeachtet deren Zielsetzung – darstellt und die aktuelle Gesetzeslage die Herausforderungen des Klimaschutzes nicht in den Blick nimmt, so geht diese Argumentation an der Legitimationswirkung des Rechts vorbei, weil dann eine moralische Unterscheidung des verfolgten Anliegens vorgenommen wird, welche § 129 StGB gerade nicht vorsieht.
Dagegen ließe sich letztlich nur einwenden, dass durch Art. 20a GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.S.d. des Klimabeschlusses des BVerfG gerade auch eine verfassungsrechtliche Erhöhung des Anliegens der LG erfolgt, welche bei der Auslegung und Anwendung des § 129 StGB im Hinblick auf die geplanten Straftaten zu beachten sein könnte. Eine Inanspruchnahme der Anliegensberücksichtigung bspw. durch Rechts-/Linksradikale-Gruppierungen oder ähnliche – wie es Thomas Fischer prophezeit – droht überdies nicht, weil es diesen gerade an der verfassungsrechtlichen Adelung ihres Anliegens fehlt.
Das Erfordernis einer Erheblichkeitsschwelle
Es stellt sich allerdings darüber hinaus die Frage, ob § 129 StGB wegen des erheblichen Anwendungsbereiches und der damit verbundenen Strafandrohung sowie der erheblichen strafprozessualen Eingriffsbefugnisse im Einklang mit der Verfassung (Art. 20 GG) steht und nicht vielmehr über den Wortlaut hinaus noch eine besondere Erheblichkeit der geplanten Straftaten notwendig ist, um dieser Uferlosigkeit zu begegnen.
Dafür streitet einerseits bereits die Gesetzesbegründung des Bundestages bezüglich der jetzigen Fassung des § 129 StGB, welcher die Verfassungsmäßigkeit der Norm gerade in den Blick nimmt und deswegen für die begangenen Straftaten eine erhebliche Gefahrbedeutung für die öffentliche Sicherheit fordert. Darüber hinaus kann dieses Erheblichkeitserfordernis auch nicht deshalb abgelehnt werden, dass das Gesetz in § 129 Abs. 1 S. 1 StGB gerade eine Beschränkung auf Straftaten, die im Höchstmaß mindestens mit Freiheitsstrafe von zwei Jahren bedroht sind, vorsieht, weil der Gesetzgeber ausdrücklich „darüber hinaus“ eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit gefordert hat.
Ebenso wenig liegt im Erheblichkeitserfordernis ein Verstoß gegen EU-Recht. Zwar wurde die jetzige Fassung des § 129 StGB in Umsetzung des Rahmenbeschluss 2008/841/JI der EU geschaffen. Allerdings ist der Gesetzgeber mit der Festlegung der in Bezug genommenen Straftaten unter dem Vorschlag des Rahmenbeschlusses von Freiheitsstrafen mit einem Höchstmaß von min. zwei bis fünf Jahren zurückgeblieben und hat weiterhin auch auf die Begrenzung verzichtet, dass sich die zusammenschließenden Personen einen unmittelbaren oder mittelbaren finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil verschaffen wollen. Einer Begrenzung der in Bezug zu nehmenden Straftaten kann das insofern weitergehende EU-Recht daher nicht entgegenstehen.
Insofern würden die von der LG gewählte Aktionsform der Straßenblockade zwar eine Beeinträchtigung des Rechtsgutes der Handlungsfreiheit gem. § 240 StGB darstellen. Daraus mag aber nicht zwingend eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit folgen. Ein von § 129 StGB bezweckt abzuwehrendes „Klima der Angst“ dürfte nicht vorliegen, weil nicht ersichtlich ist, dass die Bürger*innen durch die Wirkung der Blockaden vom Autofahren abgehalten werden – vielmehr besteht lediglich ein gegenüber dem vorgenannten Angstklima niedrigschwelligerer Unmut in der Bevölkerung über die Aktionen. Die bloß abstrakte Angst bei der Fahrt mit dem Auto in einen Stau zu geraten, dürfte zudem letztlich nicht ausreichen, weil es sich um ein grundsätzlich alltäglich drohendes Risiko beim KFZ-Verkehr handelt und darüber hinaus auch keine gravierenden Rechtsgütereinschränkungen drohen. Sofern auch der Angriff auf kritische Infrastruktur – wie der Verdacht des Zudrehens der Ventile einer Öl-Pipeline – in Frage steht, könnte diese Beurteilung allerdings anders ausfallen.
Schlussbemerkungen
Die Einordnung der LG als kriminelle Vereinigung mag zwar auf den ersten Blick naheliegen, allerdings offenbart § 129 StGB bei genauerer Betrachtung erhebliche Schwierigkeiten eine derartige Qualifikation wegen der verfassungsrechtlichen Implikationen ohne weiteres vornehmen zu können.
Überdies ist aus rechtspolitischer Sicht zu bemerken, dass der Eindruck einer politisch motivierten Strafverfolgung unbedingt zu vermeiden ist. Dieser Eindruck könnte aber durch die bei Annahme des § 129 StGB erfolgenden Hochstufung der Individualstrafbarkeit der Aktivisten zu einem gesamtheitlichen Kollektivstrafvorbehalt erweckt werden, wenn gleichzeitig notwendige Klimaschutzmaßnahmen aus dem öffentlichen Diskurs gedrängt werden und eine Abqualifiktion der Klimaschutzbewegung im gesamtheitlichen Kontext erfolgt.
Zitiervorschlag: Studt, Tjorben, Die „Letzte Generation“ als organisierte Kriminalität? – ein Überblick zu § 129 StGB, JuWissBlog Nr. 34/2023 v. 08.06.2023, https://www.juwiss.de/34-2023/
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Gelungener Beitrag, die die auftretenden Probleme anspricht. Nur zwei Gedanken dazu:
Zu Art. 20a GG sei die Frage gestellt, ob dadurch tatsächlich die verfassungsrechtliche Erhöhung des Anliegens für Bürger (!) eintritt. Es handelt sich um einen Handlungsauftrag an den Staat, nicht an das Volk. Aus dem GG lassen sich insofern aus zahllosen Kompetenznormen vermeintliche und tatsächliche „Aufträge“ ermitteln, die gerade zur von Fischer befürchteten Uferlosigkeit führen könnten. So könnten sich Rechtsextremisten etwa den Art. 16a II GG mit derselben Begründung zunutze machen.
Zur Erheblichkeitsschwelle wäre einzuwenden, dass ein Grundlage für die Berücksichtigung eines solchen Tatbestandsmerkmals schlicht fehlt – denn es steht schlicht nicht im Gesetz. Nun besteht zwar im Strafrecht ein Analogieverbot, aber es darf teleologisch reduziert werden. Nur hat der Gesetzgeber selbst im StGB oft genug Tatbestandsmerkmale mit „Erheblichkeitsgrenzen“ versehen, sodass der Verzicht auf sie nicht nahelegt, dass der Gesetzgeber hier wirklich den Anwendungsbereich einschränken wollte. So finden sich Anforderungen an die „Erheblichkeit“ eines Handelns etwa in den §§ 184h Nr. 1, § 188 I, 201a II, § 225 III Nr. 2, § 233 II Nr. 3 StGB (die Aufzählung lässt sich fast endlos fortsetzen, das Wort „erheblich“ kommt im StGB allein 81 Mal vor). Es erscheint vor dem Hintergrund der häufigen Verwendung dieses Wortes im StGB nicht überzeugend, nun zu unterstellen, der Gesetzgeber habe dies eigentlich doch in § 129 StGB einbauen wollen, es aber dann vergessen und habe es über die Gesetzesbegründung „retten“ (?) wollen.
[…] Sicherheit und Ordnung innewohnt, die von einzelnen Mitgliedern nicht mehr steuerbar ist (Dazu: https://www.juwiss.de/34-2023/). Die oben genannten Parameter könnten aber hilfsweise auf den verfolgten – strafrechtlichen – […]