von LARS NIELSEN
Die sog. Klimakleber haben die Problematik der Sitzblockaden, die bereits im Rahmen der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung diskutiert wurde, wieder in den Fokus gerückt. Die Entwicklung der BVerfG-Rechtsprechung ist beachtlich, aber im strafrechtlichen Diskurs nicht beliebt. Wie sich nach den letzten BVerfG- Entscheidungen Sitzblockade und Nötigung zueinander verhalten, soll daher beleuchtet werden.
Gewalt durch Nichtstun: Zweite-Reihe
Ob passive Anwesenheit (Sitzen) überhaupt Gewalt iSd § 240 I StGB sein kann, ist mittlerweile klar. Während früher ein vergeistigter Gewaltbegriff jede physische Kraftentfaltung, die zu einer auch nur psychischen Zwangswirkung führt, ausreichen ließ, wurde ein derart weiter Gewaltbegriff mit der zweiten Sitzblockadeentscheidung des BVerfG verworfen. Die bloße körperliche Anwesenheit und ein daraus folgender psychische Zwang genügt nicht (BVerfG NJW 1995, 1141). Nach der darauffolgenden Zweite-Reihe-Rechtsprechung (BGH NJW 1995, 2643) erfährt die erste Reihe keine physikalische Zwangswirkung, sondern lediglich eine psychische; der Fahrer darf oder will nicht gegen die Blockade fahren, könnte es aber. Die zweite Reihe ist hingegen durch die eingekeilte erste Reihe einer physikalischen Barriere ausgesetzt. Dadurch, dass die Nötigung kein eigenhändiges Delikt ist, kann sie den Blockierenden auch zugerechnet werden.
Rechtswidrigkeit erst durch Verwerflichkeit
Tatbestandlichkeit heißt aber noch nicht Strafbarkeit. Während die Rechtswidrigkeit üblicherweise durch das Vorliegen des Tatbestands indiziert und nur durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen wird, enthält § 240 II StGB eine spezielle Regelung. Die Rechtswidrigkeit ist hier positiv festzustellen. Notwendig ist, dass die angewandte Gewalt (Mittel) oder deren Motivation (Zweck) oder das Verhältnis beider zueinander (Zweck-Mittel-Relation) als verwerflich anzusehen sind. Die BGH-Rechtsprechung stellt auf ein erhöhtes Maß an sittlicher Missbilligung ab (BGH NJW 1962, 1923 f.). Auch diese Definition enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, die nach dem BVerfG die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG zu achten haben (BVerfG NJW 2002, 1031, 1033 f.).
Dabei ist mehreren Missverständnissen vorzubeugen: Erstens schafft Art. 8 GG keinen neuen Rechtfertigungsgrund für tatbestandsmäßiges Verhalten (BVerfG NJW 1987, 43). Ein erfüllter Tatbestand wird nicht durch eine gemeinschaftliche Begehungsweise rechtmäßig. Vielmehr ist die Eröffnung des Schutzbereiches notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Fehlen einer Verwerflichkeit bei Sitzblockaden. Das BVerfG verlangt entsprechend eine Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten (BVerfG NJW 2002, 1031, 1033 f.).
Versammlungsfreiheit
Die Versammlungsfreiheit hat nach dem BVerfG schlechthin konstituierende Bedeutung für die Demokratie (BVerfG NJW 1985, 2395 f.). Es ist zwischen Schutzbereich und Einzelfallabwägung der kollidierender Grundrechte zu differenzieren.
Schutzbereich: nicht nur Feelgood-Versammlungen
Versammlungen sind die gemeinsame Teilhabe am öffentlichen Meinungsbildungsprozess. In Abgrenzung zur bloßen Ansammlung wird daher das Zusammentreffen mehrerer zur gemeinsamen Meinungsäußerung vorausgesetzt. Nach Art. 8 I GG sind jedoch nur Versammlungen erfasst, die friedlich und ohne Waffen stattfinden.
Friedlichkeit
Früher wie heute wird die Friedlichkeit teilweise bezweifelt. Erstens steht die Friedlichkeit jedoch neben der Waffenlosigkeit, kann also nicht bereits durch die niedrige Schwelle der strafrechtlichen Gewaltbegriffs der Nötigung ausgelöst werden, da diese selbst passive Handlungen im Sinne der Zweiten-Reihe-Rechtsprechung erfasst (BVerfG NJW 2002, 1031, 1033). Vielmehr sind darunter „Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, oder Ausschreitungen“ zu verstehen (BVerfG NJW 2002, 1031 f.). Zweitens kann der Schutzbereich nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Blockade diene der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit. Letzteres ist schließlich gerade Wesensmerkmal der Versammlung (BVerfG NJW 2011, 3020 Rn. 35).
Selbsthilfe oder Teilhabe
Das Kernproblem des Zwangs als Protestmittel wird vom BVerfG auf Ebene der Teilhabe diskutiert. Bezwecken die Demonstranten nicht primär an der Meinungsbildung teilhaben zu wollen, sondern diese zu ersetzen, liegt schon keine Versammlung nach Art. 8 I vor. Diese Konstellation wird auch als selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener konkreter Forderungen bezeichnet. Leider führen diese abstrakten Formulierungen zu vielen Missverständnissen. Zunächst kann nicht jede Einwirkung auf die Meinungsbildung oder die Lebensführung Außenstehender als selbsthilfeähnlich und damit als Ausschlusskriterium des Versammlungsbegriffs genügen. Vielmehr ist das Konfrontieren der (Mehrheits-) Gesellschaft mit unliebsamen Themen gerade die disruptive Schärfe des Versammlungsrechts. Eine Versammlung, die nur nicht-störend fernab von potentiell Beeinträchtigten stattfindet oder bereits im Ausgangspunkt Konsens ist, kann kaum noch einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung leisten. Eine gewisse nötigende Wirkung auf Außenstehende wird bei Ausübung des Versammlungsrechts fast immer gegeben sein (BVerfG NJW 1987, 43, 47).
Abzugrenzen ist damit die Blockade als Selbstzweck und das demonstrationsspezifische Nahziel. Bei letzterem kommt der Nötigung eine dienende Funktion für die Versammlung zu. Man könnte statt vom Kommunikationszweck auch vom Mittelziel sprechen, denn „Zweck der Sitzblockade [ist es], Aufmerksamkeit zu erregen und so einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten“ (BVerfG NJW 2011, 3020 Rn. 41). Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 I GG stoppt keine Autos, um Autos zu stoppen. Sie stoppt auch keine Autos, um selbst unmittelbar den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Vielmehr stoppt sie Autos, um symbolisch und öffentlichkeitswirksam, auf die Thematik hinzuweisen. Sie ordnet sich damit gerade in den demokratischen Willensbildungsprozess außerhalb des Parlaments ein, statt diesen zu ersetzen.
Die Abgrenzung soll kurz beispielhaft vorgenommen werden:
- BVerfG NJW 2002, 1031 BvR 433/96 (Selbsthilfeähnlichkeit bejaht)
- Mehr als 600 Sinti und Roma blockierten über 24 Stunden lang mit unterschiedlichsten Fahrzeugen die Autobahn, um nach Verweigerung der Einreise ein Gespräch mit dem Hohen Flüchtlingskommissar in Genf zu erzwingen.
- BVerfG NJW 2011, 3020 (Selbsthilfeähnlichkeit verneint)
- Demonstranten blockieren die Zufahrtsstraße einer Kaserne der US-Streitkräfte auf deutschem Boden, um gegen eine geplante US-Intervention im Irak zu protestieren. Die blockierten Fahrer selbst waren nicht an der in Rede stehenden Intervention beteiligt.
Im ersten Beispiel mag es zwar auch um Erregung von Aufmerksamkeit gegangen sein, primär sollte aber solange Druck aufrechterhalten werden, bis das Gespräch stattfindet. Die Autobahnblockade diente also nicht gerade der Erregung von Aufmerksamkeit für eine Teilhabe an der Meinungsbildung, sondern sollte unmittelbar ein gewünschtes Ergebnis erzwingen. Im Kasernenfall ging es den Demonstranten nicht darum, die Intervention selbst (etwa einen Konvoi) unmittelbar zu stoppen. Das Blockieren einiger Armeefahrzeuge ist nicht geeignet, den Stopp der Intervention selbst zu erzwingen. Vielmehr fungieren die Fahrzeuge als Symbol für die Intervention und sollen so Aufmerksamkeit generieren. Das Blockieren der Fahrzeuge ist nur Nahziel, welches das Mittelziel (Erregung einer kritischen Öffentlichkeit) und die Kommunikationsart (Sitzblockade) ermöglicht. Das Fernziel (Verhinderung einer Intervention) soll durch öffentliche Aufmerksamkeit angestrebt werden, nicht unmittelbar durchgesetzt werden.
Abwägung im Einzelfall statt Floskeln
Das BVerfG entscheidet sich wie üblich nicht etwa für ein Grundrecht als höherrangig oder unverletzlich, sondern verlangt vor dem Hintergrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit eine präzise Abwägung im jeweiligen Einzelfall (BVerfG NJW 2002, 1031, 1034). Damit besteht gerade kein Raum für Floskeln, wie sie in der Laepple-Entscheidung des BGH zu finden waren. Dabei sollen die Versammlungsteilnehmer zwar über die Art und Mittel entscheiden, aber nicht darüber, was andere hinzunehmen haben. Die Abwägung bezieht sich damit auf das Verhältnis zwischen Beeinträchtigungsmittel (Sitzblockade, Nahziel) und Kommunikationszweck (Mittelziel). Das BVerfG stellt dafür Kriterien bereit, die man auch als demonstrationsspezifische Umstände bezeichnen kann. Diese sind nicht abschließend, sondern nur „insbesondere“, „unter anderem“ zu berücksichtigen:
- Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte Dauer und Intensität der Aktion
- vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die
- Dringlichkeit des blockierten Transports
- Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand
Nicht verwechselt werden dürfen Kommunikations- / Versammlungszweck und das Fernziel. Ob ein Fernziel (Umweltschutz) wertvoll ist oder nicht, muss nach dem BVerfG nicht berücksichtigt werden (BVerfG NJW 1987, 43). Nach dem BGH handelt es sich ausschließlich um eine Frage der Strafzumessung (BGH NJW 1988, 1739). Ferner darf die Absicht der Nötigung als Mittel zur Aufmerksamkeitsgenerierung für einen Beitrag zur Meinungsbildung nicht negativ gewertet werden, denn sie begründet den Schutzbereich gerade (BVerfG NJW 2011, 3020 Rn. 41). Die herumspukende Formulierung der „sozialadäquaten Nebenfolge“ in Abgrenzung zur gezielten Gewalt ist in der Entscheidung nicht mehr zu finden.
Intensität und Dauer
Wie bei jeder Grundrechtskollision kommt es auch die Intensität an. Diese steht zwangsläufig in einer Wechselwirkung zur Dauer. Eine kurzweilige aber sehr intensive Beeinträchtigung kann schwerer wiegen als eine längere, aber weniger intensive Beeinträchtigung. Auf dieser Ebene kann es auch eine Rolle spielen, ob etwa nur die allgemeine Handlungsfreiheit beeinträchtigt wird, oder ob etwa auch andere Grundrechte beeinträchtigt werden. Als besonders intensiv dürften auch bestimmte Differenzierungskriterien, etwa die in Art. 3 III 1 GG genannten, bei der Auswahl der Blockierten gelten. Über dieses Kriterium lassen sich auch vergleichende Argumente im Bezug auf rechtsradikale Demonstrationen („kauft nicht bei Ausländern“) wie bei Fischer § 240 Rn. 47 lösen. Für das zeitliche Element erscheint mir ein Vergleich zur Beeinträchtigung durch eine klassische, sich bewegende Demonstration sinnvoll. Niemand käme auf die Idee, einen Traktorkonvoi der Nötigung zu bezichtigen, obwohl dieser ebenfalls die Straßen verstopft. Wenige Minuten werden daher in aller Regel hinzunehmen sein.
Planung
Die Intensität kann durch Planung minimiert werden. Vielfach diskutiert werden hier etwa Rettungswege von Feuerwehr und Rettungsdienst. Je besser Rettungsgassen ermöglicht und Zufahrtsstraßen gemieden werden, desto erträglicher wird die Blockade.
Sachbezug zum Protestgegenstand
Unbeteiligte sollen möglichst geschont werden. Man könnte insofern im Unbeteiligtsein eine Typisierung besonderer Intensität sehen. Schon der Charakter als Abwägung zeigt, dass es sich nicht etwa um ein Ausschlusskriterium handelt. Jedoch sinkt dadurch der Maßstab der hinzunehmenden Beeinträchtigungen. In unserem Fall wird häufig darauf hingewiesen, dass Autofahrer keine Politiker seien und deshalb schon gar nicht blockiert werden dürften. Das überzeugt jedoch nicht. Ähnlich wie bei einer Sitzblockade vor einer US-Kaserne fungieren die Autofahrer hier als Symbolfiguren (ähnl. BVerfG NJW 2011, 3020 Rn. 43) der Forderung.
Selbstverständlich besteht ein Sachzusammenhang zwischen der Forderung nach Klimaschutz in Form eines Tempolimits und den Autofahrern, die durch die Regelung betroffen wären. Auch würden – wie das BVerfG in Rn. 43 offenbar selbst erkennt – ansonsten Sitzblockaden nur gegen Politiker oder Regierungen möglich sein. Das Versammlungsrecht würde damit zu einer Art Sitzpetition vor dem Bundestag verkommen.
Kompliziert, aber richtig
Im Ergebnis zeigt sich eine für Grundrechtskollisionen typische Abwägungsentscheidung, die bei der Auslegung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte vorzunehmen ist. Dies mag für einige unbefriedigend sein, ist jedoch in einer freiheitlichen Gesellschaft üblich. Unterschiedliche Freiheitsbetätigungen können nicht mit „klarer Kante“ begrenzt werden, sondern müssen im Einzelfall abgewogen werden. Dies gilt umso mehr, wenn es sich gerade auch um Minderheitsrechte handelt. Dadurch dass eine rechtfertigende Notwehr schon auf Ebene des rechtswidrigen Angriffs eine rechtswidrige Nötigung iSd § 240 I, II StGB voraussetzt und von der Frage der Gebotenheit abhängt und damit doppelt komplex ist, ist von pauschalen Tipps zur kalten und ggf. blutigen Räumung der Sitzblockaden abzuraten.
Zitiervorschlag: Nielsen, Lars, Sitzblockaden, Nötigung und die Versammlungsfreiheit, JuWissBlog Nr. 21/2023 v. 21.04.2023, https://www.juwiss.de/21-2023/.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Eine Anmerkung zum Begriff „Kommunikationszweck“ und den Fernzielen:
Auf Twitter kam das Thema angeregt durch eine Entscheidung des AG Freiburg im Breisgau (https://openjur.de/u/2461049.html) (vgl. Rn. 34 ff., 51 ff.) auf. Darf ein Strafgericht die Gewichtigkeit des Umweltschutzes (vgl. Art. 20a GG) nun auf Ebene der Rechtswidrigkeit beachten oder nicht? Zugegebenermaßen ist es etwas strittiger als im stark gekürzten Beitrag dargestellt. Mein Verständnis des Begriffs „Kommunikationszweck“ als getrenntes Konstrukt vom Fernziel, kann man auch anders sehen.
In BVerfG NJW 2002, 1024 (SB3) heißt es zunächst:
„aa. Ob eine Handlung als verwerfliche Nötigung zu bewerten ist,
lässt sich ohne Blick auf den mit ihr verfolgten Zweck nicht
feststellen. Maßgebend ist aus dem Blickwinkel des GG Art 8
insofern der Kommunikationszweck, den die Versammlung
verfolgt. Daher ist für die Abwägung bedeutsam, dass die
Demonstranten mit ihrer Aktion zu einer die Öffentlichkeit
angehenden, kontrovers diskutierten Frage – der friedlichen
Nutzung der Atomkraft – Stellung beziehen wollten.
bb. Insofern ist vorliegend das Anliegen der Demonstranten, für
ihren Standpunkt öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen, bei
der strafrechtlichen Prüfung der Verwerflichkeit des Handelns
notwendig zu berücksichtigen.“
und
„um das kommunikative Anliegen, die Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit für ihren politischen Standpunkt, auf spektakuläre Weise zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben.“
Daraus kann man mein Verständnis eines wertungsfreien Kommunikationszwecks iSv Erregung von Aufmerksamkeit für *irgendein* öffentlich interessantes Thema (Abgrenzung: Events wie Loveparade) ableiten.
Dann heißt es:
„Es ist den Gerichten insofern verwehrt, das kommunikative Anliegen inhaltlich zu bewerten und sein Gewicht in der Abwägung je nachdem zu bestimmen, ob sie die Stellungnahme als nützlich und wertvoll einschätzen und ob das verfolgte Ziel nach gerichtlicher Beurteilung zu billigen ist oder nicht.“
Das BVerfG nutzt in SB3 einen Kommunikationszweckbegriff mit zwei Elementen: Ein finales Element so wie oben beschrieben und ein inhaltliches Element, d.h. Abschaffung der Atomkraft oder Bekämpfung des Klimawandels. Ansonsten wäre die Ablehnung einer inhaltlichen Bewertung wohl nicht notwendig gewesen. Letztere stellt aber auch klar: Wie wertvoll oder anerkannt ein Thema (etwa Klimaschutz) ist, muss nicht berücksichtigt werden.
In BVerfG NJW 2011, 3020 (SB4) wird nun auf SB3 verwiesen und es heißt:
„Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt.“
Also auch hier keine Bewertung des Inhalts an und für sich
„Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen […] Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben “
Es geht damit nicht um eine Wertung des Versammlungsthemas an und für sich, sondern um eine Wertung des Zusammenhangs (!) zwischen dem finalen Element des Kommunikationszwecks, also der Funktion der Versammlung (Erregung von Aufmerksamkeit für die Meinungsäußerung), und dem Versammlungsthema (etwa Einführung eines Tempolimits für den Klimaschutz). Das „Fernziel“ wird also nur final-formell Inhalt des Begriffs „Kommunikationszweck“. Ein Rückgriff auf die (Un)wertigkeit ist daher unangebracht.
Es sollte hinsichtlich der inhaltlichen Dimension bei der Einordnung in die Kategorie Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung, d.h. der Abgrenzung zu reinen Events, bleiben. Diese erschöpft sich fast vollständig im o.g. finalen Element. Ob ein Thema etwa von der Verfassung besonders anerkannt wird (etwa Art. 20a GG) oder nicht, sollte für die Verwerflichkeit irrelevant sein. Vor dem Hintergrund der Abwägung halte ich das inhaltliche Element nur dann für relevant, wenn es darum geht, ob ein Sachzusammenhang zu den Versammlungsmodalitäten besteht. Auch hier geht es letztlich um die Erregung von Aufmerksamkeit. Diese Argumentationsfigur kennen wir bereits aus der „symbolischen“ Blockade einzelner, „unbeteiligter“ Soldaten, die aber symbolcharakter für eine Intervention haben (vgl. SB4).
Für die Abwägung kommt es damit auch über den Begriff des „Kommunikationszweck“ nicht auf eine materielle Bewertung des Versammlungsthemas bzw. Fernziels an. Es kommt aber u.a. darauf an, ob zwischen dem Kommunikationszweck einer jeden Versammlung – Erreichung von Aufmerksamkeit für das jeweilige Versammlungsthema – und der Art und Weise (Ort, Zeit, Blockierte) ein Zusammenhang besteht. Nur insoweit erlangt das Versammlungsthema Bedeutung. Prägnant formuliert: Der Kommunikationszweck ist nicht identisch mit dem Fernziel, sondern stellt einen funktionalen Bezug zu diesem her.