Der „Fair and Equitable Treatment“-Standard als Demokratieproblem

von ANDREAS KERKEMEYER

KerkemeyerDer Standard der „billigen und gerechten“ Behandlung von ausländischen Investitionen – „Fair and Equitable Treatment“-Standard, kurz: FET-Standard – findet sich in nahezu jedem Investitionsschutzabkommen. Er gehört zu den in Investitionsschutzabkommen geschützten standards of investment protection, bei deren Verletzung ausländische InvestorInnen Staaten vor Investor-Staat-Schiedsgerichten auf Schadensersatz verklagen können. Der FET-Standard ist mittlerweile fester Bestandteil in Investor-Staat-Schiedsverfahren. Nicht nur ist er der wohl am häufigsten angeführte Klagegrund (S. 357), nach Angabe der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) rügen auch die meisten erfolgreichen Klagen eine Verletzung des FET-Standards (S. 1).

Die Problematik des FET-Standards ergibt sich aus dem Umstand, dass die betreffenden Klauseln regelmäßig unbestimmt formuliert sind und es deshalb unklar ist, welche Verpflichtungen aus dem Standard resultieren. Deshalb kommt den Investor-Staat-Schiedsgerichten die Aufgabe zu, den FET-Standard zu konkretisieren. Jede Beschreibung der problematischen Aspekte des FET-Standards muss darum an der schiedsgerichtlichen Praxis ansetzen.

Der Schutz der „Stabilität der Rechtsordnung“

In verschiedenen Schiedssprüchen, etwa im Fall Occidental Exploration and Production v. Ecuador oder im Fall Enron v. Argentina, ist von Investor-Staat-Schiedsgerichten anerkannt worden, dass der FET-Standard auch die „Stabilität der Rechtsordnung“ („stability of the legal and business environment“) schützt. Die Überlegung dahinter ist, dass Investitionen, die sich in der Regel durch die langfristige Anlage von Kapital auszeichnen, anfällig für sich ändernde Rahmenbedingungen sind. Die Anforderungen, die aus dem FET-Standard abgeleitet werden, können also weitreichend sein.

Bei der Prüfung der Fallgruppe der „Stabilität der Rechtsordnung“ wird von den Schiedsgerichten darauf abgestellt, ob seitens der Empfangsstaaten die „legitimen Erwartungen“ („legitimate expectations“), die ausländische InvestorInnen zum Zeitpunkt ihrer Investition hatten, frustriert wurden. Die reichlich unbestimmten Rechtsbegriffe „gerecht“ und „billig“ werden so durch den nicht minder unbestimmten Begriff der „legitimen Erwartungen“ ersetzt, was die Prüfung nicht voraussehbarer macht. Dies ist für die InvestorInnenseite von Vorteil, da so der FET-Standard von den angerufenen Schiedsgerichten recht flexibel gehandhabt werden kann. Für das Regulierungsinteresse der betroffenen Staaten ist dieser Ansatz aber problematisch, da auf ihrer Seite eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit herrscht. Auch wenn im Laufe der schiedsgerichtlichen Praxis Kriterien entwickelt worden sind, mit denen verhindert werden soll, dass prinzipiell jede legitime Erwartung von ausländischen InvestorInnen geschützt wird – etwa in den Fällen Duke Energy v. Ecuador und Methanex v. United States of America –, ist zu konstatieren, dass von Investor-Staat-Schiedsgerichten das aufseiten ausländischer InvestorInnen bestehende Interesse an der Kontinuität rechtlicher Regelungen prinzipiell als schützenswert anerkannt worden ist. Dies steht offensichtlich in einem Spannungsverhältnis zum demokratischen Prozess, der sich durch einen kontinuierlichen Wandel auszeichnet.

Hinzu kommt die Gefahr, dass demokratisch legitimierte Gesetzgeber, aufgrund der teilweise sehr hohen Schadensersatzzahlungen, zu denen Staaten in Investor-Staat-Schiedsverfahren aufgrund der Verletzung des FET-Standards oder anderer standards of investment protection verurteilt werden, vor dem Erlass neuer oder schärferer Regulierungsmaßnahmen zurückschrecken. Diese Gefahr besteht, wenn entweder in vergleichbaren Fällen schon Staaten wegen vergleichbarer Regulierungen verurteilt worden sind oder ausländische InvestorInnen mit der Erhebung einer Klage vor einem Investor-Staat-Schiedsgericht drohen, um ihnen missliebige Regulierungen zu verhindern (S. 2 f.). Dieses Problem kann als „regulatory chill“ bezeichnet werden.

Von der Kritik am FET-Standard zur Kritik der Investor-Staat-Schiedsverfahren

Es dürfte aber verkürzt sein, nur die Auslegung des FET-Standards durch Investor-Staat-Schiedsgerichte zu kritisieren. Wenn man davon ausgeht, dass mit dem internationalen Investitionsschutzrecht versucht wird, ein Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse ausländischer InvestorInnen an Investitionssicherheit und dem Regulierungsinteresse von Staaten und supranationalen Organisationen aufzulösen, wird ersichtlich, dass es sich um einen dauerhaften Konflikt handelt. Dieser betrifft regelmäßig auch eine Vielzahl öffentlicher Belange.

Mit den gegenwärtigen Investor-Staat-Schiedsverfahren erscheint es jedoch nur bedingt möglich diesen Konflikt so auszubalancieren, dass auch Belange, die nicht den Schutz von Investitionen betreffen, wie Umweltschutz oder das Regulierungsinteresse, immer hinreichend berücksichtigt werden. Denn bislang stellen Investor-Staat-Schiedsverfahren immer eine Einbahnstraße dar: Klagen dürfen nur InvestorInnen, verklagt werden regelmäßig Staaten. Hinzu kommt die kontrovers diskutierte Praxis der Besetzung der ad hoc gebildeten Schiedsgerichte mit drei SchiedsrichterInnen, die in der Regel auch als AnwältInnen in anderen Investor-Staat-Schiedsverfahren auftreten. Außerdem ist es, wie van Harten (S. 40 f.) betont, für die Unabhängigkeit der SchiedsrichterInnen problematisch, dass diese pro Fall bezahlt werden und bislang nur InvestorInnen vor Investor-Staat-Schiedsgerichten klagen können.

Es bedarf also neben der Kritik der Auslegung des FET-Standards durch die Schiedsgerichte auch einer Kritik der bisherigen Ausgestaltung der Investor-Staat-Schiedsverfahren. Außerdem erscheint auch die Möglichkeit einer restriktiveren Fassung von FET-Klauseln in Investitionsschutzabkommen nicht als Allheilmittel, um den weiten Anwendungsbereich des FET-Standards wirksam einzuschränken, solange die Investor-Staat-Schiedsverfahren in ihrer bislang üblichen Form beibehalten werden.

Ausblick – Die FET-Klausel im geplanten CETA-Abkommen

Dass FET-Klauseln mitunter Gefahren für das Regulierungsinteresse der Empfangsstaaten ausländischer Investitionen bergen können, wird auch daran deutlich, dass im geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, dem Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA-Abkommen), die entsprechende Klausel eher restriktiv gefasst worden ist. In Art. X.9 (10. Kapitel) CETA-Abkommen wird der Standard durch eine enumerative Aufzählung umschrieben. Ferner werden einige unbestimmte Rechtsbegriffe zur Klarstellung genauer definiert. Zudem ist die Möglichkeit vorgesehen den Standard durch eine interpretative Erklärung des Trade Committee einzuschränken. Er kann aber auch durch eine derartige Erklärung erweitert werden.

In Art. X.9 Abs. 4 (10. Kapitel) CETA, der den Schutz von „legitimen Erwartungen“ aufseiten der InvestorInnen regelt, wird zudem klargestellt, dass diese nur dann geschützt sind, wenn es seitens des Empfangsstaates eine „specific representation“, also eine Art „konkrete Zusicherung“, in Bezug auf die Investition gab. Es ist allerdings recht offensichtlich, dass sich ein wesentlicher Streitpunkt in künftigen Investor-Staat-Schiedsverfahren, die auf der Grundlage des CETA-Abkommens initiiert werden, um die Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs drehen wird. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie sich die schiedsgerichtliche Praxis weiterentwickelt.

Der Beitrag ist Teil unseres Online-Symposiums „Freihandel vs. Demokratie 2.0“, das wir zusammen mit dem Völkerrechtsblog organisieren. Parallel zu diesem Post erscheint auf dem Völkerrechtsblog der Beitrag von Thomas Trentinaglia zu „fair and equitable treatment“ und Eigentumsschutz.

#trademocracy, Andreas Kerkemeyer, CETA, fair and equitable treatment, Freihandel vs. Demokratie
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Andreas Kulick
    22. April 2015 16:39

    Lieber Andreas,

    zu den „specific representations“ gibt es eine ausgedehnte und durchaus bereits recht differenzierte Spruchpraxis (vgl. für eine Zusammenfassung z.B. M. Postesta, ICSID Review 2013, 88 (105 ff.). Artikel X.9(4) CETA ist gerade mit Blick auf diese Rechtsprechung geschaffen worden, um diese Entwicklungen in weiten Teilen der Rechtsprechung nun verbindlich in CETA festzuschreiben. Auf die genannte Rechtsprechung können künftige Tribunale Bezug nehmen und werden dies mit Sicherheit auch tun.

    Beste Grüße,

    Andreas

    Antworten
    • Andreas Kerkemeyer
      28. April 2015 10:13

      Lieber Andreas,

      das Urteil Methanex v. United States of America hatte ich zwar erwähnt, aber leider bei der Diskussion des FET-Standards im CETA-Abkommen nicht deutlich gemacht, dass das Kriterium der „specific representation“ in der schiedsgerichtlichen Praxis entwickelt worden ist. Sicherlich wird auf die schon ergangene Rechtsprechung in Zukunft zurückgegriffen werden. Die spannende Frage ist nur, ob diese Normkonkretisierung ausreicht, um den Tatbestand hinreichend einzuschränken. Potestà gibt ja auch zu bedenken, dass das Abstellen auf „legitime Erwartungen“ stets eine gewisse Flexibilität mit sich bringt (ICSID Review 2013, 88 (122)).

      Beste Grüße,

      Andreas

      Antworten
  • Blickensdörfer
    26. April 2015 16:58

    Das Interesse an Investitionen ist ein polit-ökonomisches. Es erscheint als ein politisches und als ein ökonomisches Interesse.

    Das Interesse an ein Recht auf Schutz von Investitionen ist nicht nur des Investors Interesse. Denn nicht nur der Investor hat „legitime Erwartungen“ („legitimate expectations“) an seine Investitionen „geknüpft“.

    Es sind auch politische „legitime Erwartungen“. Mit diesen wird der Schutz von Investitionen, werden Investitionsschutzrechte begründet.

    Gibt es kein Investitionsschutzrecht, kein allgemeines Schutzrecht für Investitionen, dann fehlt es an politische „legitime Erwartungen“.

    Werden nur Schutzrechte für transnationale Investitionen bestimmt, aber keine Schutzrechte für nichttransnationale Investitionen, dann fehlte es wiederum an demokratischer Legitimation für das Fehlen politischer „legitimer Erwartungen“ an nichttransnationale Investitionen.

    Schutzrechte, die nicht oder eben nur für bestimmte Investitionen gelten sollen, müssen deshalb nicht nur demokratisch legitimiert, sondern sie müssen mit politischen „legitimen Erwartungen“ begründet sein.

    Diese Begründung ist notwendige Voraussetzung für die Bestimmung solcher Schutzrechte – ganz gleich ob für transnationale Investitionen oder nichttransnationale Investitionen -.

    Solche Schutzrechte sind also aber nur dann hinreichend begründet, wenn die damit verbundenen „legitimen Erwartungen“ polit-ökonomisch demokratisch legitimiert sind.

    Antworten

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