Am 25. März trat die neuste Grundgesetzänderung in Kraft: Mit dem neuen Art. 143h GG wurde die Schaffung eines Sondervermögens „Infrastruktur“ ermöglicht. Diese Grundgesetzänderung wirft jedoch zahlreiche verfassungsrechtliche Auslegungsfragen auf. Der Beitrag zeigt, dass die Mittel des Sondervermögens nicht entgegen der Zielsetzung der Klimaneutralität eingesetzt werden dürfen. Denn es wäre widersprüchlich, wenn ein Sondervermögen, das auch Klimaneutralität fördern soll, zugleich klimaschädliche Vorhaben ermöglicht.
Verfassungsrechtliche Konkretisierung des Art. 20a GG
Systematisch fügt sich Art. 143h GG in die Übergangs- und Schlussbestimmungen des Grundgesetzes ein. Er steht in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen befristeten oder zweckgebundenen Finanzbestimmungen und bildet kein neues Staatsziel. Anders als etwa Art. 20a GG – der Umweltschutz als allgemeines Staatsziel formuliert und vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten Klimabeschluss auf Klimaschutz erweitert wurde – ist Art. 143h GG erkennbar als Finanzkompetenznorm mit spezifischer Zielsetzung konstruiert.
Gleichwohl kann die explizite Nennung des Klimaneutralitätsziels als Verfassungskonkretisierung des Staatsziels aus Art. 20a GG ausgelegt werden. Der ehemalige Justizminister Marco Buschmann hält diese Auslegung jedenfalls für möglich. Die Aufnahme des Jahresziels 2045 ins Grundgesetz bestätigt und präzisiert das bereits vorhandene Anliegen, ohne allerdings dessen rechtliche Natur zu verändern. Art. 20a GG bleibt die zentrale, umfassende Klimaschutznorm im Grundgesetz, die – anders als Art. 143h GG – jede staatliche Gewalt bindet. Das neue Sondervermögen kann insoweit als spezifische Antwort des Verfassungsgebers auf die Forderung gesehen werden, die Klimaschutzanstrengungen zu intensivieren.
Die Zweckbindung „Klimaneutralität“ gibt inhaltliche Grenzen der Mittelverwendung vor
Der Wortlaut des neu eingefügten Art. 143h GG legt eine doppelte Zweckbindung des Sondervermögens fest: Es soll für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 verwendet werden. Beide Zwecke sind im Verfassungstext gleichrangig nebeneinandergestellt – nicht im Sinne einer Verbindung, sondern als autonome Investitionsziele. Das bedeutet: Eine Investition muss nicht zugleich beiden Zielen dienen. Auf den ersten Blick ist es verfassungsrechtlich zulässig, auch Maßnahmen zu finanzieren, die allein der Klimaneutralität oder allein der Infrastrukturentwicklung zuzuordnen sind.
Diese Offenheit führt dazu, dass der für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehene Anteil von 100 Milliarden Euro ausdrücklich nicht die Obergrenze für klimaschutzbezogene Ausgaben darstellt. Je nach politischer Schwerpunktsetzung könnten auch die verbleibenden 400 Milliarden Euro vollständig dem Klimaziel oder der infrastrukturellen Modernisierung gewidmet werden.
Gleichzeitig wirft die Parallelität der beiden Zwecke die Frage auf, ob Infrastrukturinvestitionen, die dem Ziel der Klimaneutralität entgegenstehen, vom Wortlaut gedeckt sind. Zwar wird „Infrastruktur“ im Gesetz nicht näher definiert – dem allgemeinen Begriffsverständnis nach umfasst sie ein breites Spektrum öffentlicher Einrichtungen und technischer Grundversorgung: Verkehr, Energie, Digitalisierung, Bildung, Wasser, Gesundheit. Diese Offenheit birgt das Risiko, dass auch klimaschädliche Projekte finanziert werden könnten, etwa der Ausbau fossiler Verkehrsinfrastruktur oder emissionsintensiver Industrieansiedlungen.
Allerdings spricht die systematische Stellung beider Zwecke im Verfassungswortlaut dafür, dass zwischen ihnen ein funktionales Verhältnis besteht. Während die Klimaneutralität eine konkrete Zielsetzung formuliert, handelt es sich bei der Infrastrukturentwicklung lediglich um eine Maßnahme, die unter anderem der Umsetzung dieses Ziels dienen kann. Zielsetzung und Maßnahme stehen damit nicht auf derselben Ebene. Wenn man eine Vergleichsebene bilden will, dann allenfalls zwischen der Klimaneutralität als Ziel und der im Entschließungsantrag hervorgehobenen Modernisierung. Infrastrukturmaßnahmen sind dabei ein Mittel zur Modernisierung und Transformation. Vor diesem Hintergrund kann das Verhältnis der beiden Zwecke auch nicht umgekehrt werden: Es wäre widersinnig, Maßnahmen zu ermöglichen, die dem im selben Artikel ausgesprochenen Ziel der Klimaneutralität zuwiderlaufen. Gleichzeitig müssten Investitionen in die Klimaneutralität auch der Modernisierung dienen, was wohl meist der Fall sein wird.
Der Verfassungsgeber hat beide Zwecke bewusst in einen gemeinsamen Artikel aufgenommen und ihnen damit einen systematischen Zusammenhang gegeben. Zwar verwendet der Gesetzestext ein einfaches „und“, was grammatikalisch keine wechselseitige Bedingung schafft. Dennoch sind nach allgemeinen Regeln der Verfassungsinterpretation (insbesondere im Lichte von Art. 20a GG) Normzwecke möglichst widerspruchsfrei zu verwirklichen. Klimaneutralität ist kein beliebiges Staatsziel, sondern verfassungsrechtlich geboten. Daraus folgt, dass Infrastrukturmaßnahmen jedenfalls nicht evident den Klimaschutzzielen zuwiderlaufen dürfen.
Im Sinne der Auslegung ist daher zu fordern, dass zumindest keine Maßnahmen gefördert werden dürfen, die den Klimazielen aktiv zuwiderlaufen. Der verfassungsrechtliche Anspruch ergibt sich hier sowohl aus dem Zweck der Norm – dem Abbau des Modernisierungsstaus durch eine nachhaltige Transformation, wie sich aus dem Entschließungsantrag ergibt – als auch aus der Bezug zu Art. 20a GG.
Daraus ergibt sich eine dreistufige Differenzierung denkbarer Investitionen aus dem Sondervermögen für die Infrastruktur:
- Klimaschützende Maßnahmen, die sowohl Infrastruktur modernisieren als auch dem Klimaschutz dienen (z. B. Schienenverkehr, Ladeinfrastruktur, energetische Sanierungen),
- Klimaneutrale Infrastruktur-Maßnahmen, die keine negativen Emissionswirkungen entfalten, bei denen aber auf klimaschonende Umsetzung zu achten ist (z. B. Schulbau, digitale Infrastruktur),
- Klimakontraproduktive Infrastruktur-Maßnahmen, die den Treibhausgasausstoß erhöhen oder verfestigen (z. B. Straßenbau mit Kapazitätsausweitung, fossile Energieprojekte) – deren Finanzierung mit dem verfassungsrechtlich formulierten Ziel der Klimaneutralität kritisch zu sehen ist.
Damit lässt sich zusammenfassend festhalten: Der Wortlaut des Art. 143h GG erlaubt eine flexible Mittelverwendung, setzt dieser aber durch die gleichrangige Nennung der Klimaneutralität substanzielle inhaltliche Grenzen.
Einheit der Verfassung verstärkt die Zweckbindung
Art. 143h GG ist nicht isoliert zu lesen, sondern im Kontext von Art. 20a GG. Aus dieser Norm leitet das Bundesverfassungsgericht eine intertemporale Freiheitssicherung ab, wodurch die Regierung verpflichtet ist, Klimaschutz voranzutreiben. Heutige Entscheidungen bezüglich des Klimaschutzes dürfen keine rechtlich vermittelte Gefahr für die unverhältnismäßige Einschränkung der Grundrechte künftiger Generationen darstellen. Allerdings könnte die Verwendung der Mittel aus dem Sondervermögen für Infrastrukturprojekte, die den Klimazielen zuwiderlaufen, zukünftige Generationen mit höheren Emissionsreduktionspflichten belasten und somit ihre Freiheitsrechte beeinträchtigen.
Investitionen, die mit den Klimaschutzzielen unvereinbar sind, würde somit einen innerverfassungsrechtlichen Widerspruch erzeugen – etwas, das durch schonenden Ausgleich zwischen Verfassungswerten zu vermeiden ist. Der Gesetzgeber und die Verwaltung müssen Art. 143h GG im Lichte des Art. 20a GG verstehen. Eine teleologische Reduktion des Art. 143h GG ist geboten, um z. B. den Neu- oder Ausbau fossiler Infrastruktur von der Finanzierung auszunehmen.
Zudem drängt sich eine klimaverträgliche Ausgestaltung des Infrastrukturbegriffs aus allgemeinen Grundsätzen auf. Das jüngste Gutachten von Calliess und Kirchhof unterstreicht genau diesen Punkt mit verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Argumenten. Die Autoren betonen, dass Klimaschutz für den Staat rechtlich bindend ist und keine freiwillige Umsetzung darstellt. Insbesondere verstoße ein Abschwächen einmal etablierter Klimaschutzniveaus gegen die Verfassung – „wer Klimaschutz abschwächt, handelt verfassungswidrig“. Es gäbe ein Verschlechterungsverbot im Klimaschutz. Darunter wird das Prinzip verstanden, dass einmal erreichte Umwelt- und Klimaschutzniveaus nicht unterschritten werden dürfen.
für den Klimaschutz nicht ersatzlos gestrichen werden können. Förderungen, wie etwa für den Umstieg auf erneuerbare Wärmequellen, dürften nur wegfallen, wenn der Umstieg weg von fossilen Energieträgern auf anderem Weg gesichert würde.
Implikationen für das Umsetzungsgesetz
Wie dargelegt, würden Finanzierungsschwerpunkte, die kurzfristig der infrastrukturellen Modernisierung dienen, langfristig jedoch den Ausstoß von Treibhausgasen erhöhen, gegen die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der beiden Normen verstoßen. Ein entsprechendes Umsetzungsgesetz muss daher klare und verbindliche Vorgaben enthalten, um Investitionen rechtssicher zu gestalten und spätere verfassungsrechtliche Beanstandungen – und damit haushaltspolitische Verwerfungen – zu vermeiden.
Zwei Optionen bieten sich zur Ausgestaltung der Verwendung des Sondervermögens an:
Erstens bietet sich ein umfassender Prüfmechanismus mit einer verbindlichen Klimaverträglichkeitsprüfung jedes größeren Vorhabens, das aus dem Sondervermögen finanziert werden soll, an. Diese sollte dokumentiert erfolgen und auf unabhängiger Expertise beruhen. Bei jedem Projekt muss nachgewiesen werden, dass das Vorhaben emissionsmindernd oder klimaneutral ist – oder, sofern Emissionen unvermeidbar sind, geeignete Kompensationsmaßnahmen vorgesehen sind. Andernfalls besteht die Gefahr, dass trotz guter Absichten klimaschädliche Investitionen bewilligt werden. Gerade in politischen Drucksituationen – etwa zur schnellen Konjunkturbelebung – droht die Klimawirkung von Investitionen in den Hintergrund zu treten. Verfassungsrechtlich wäre dies höchst problematisch, da es die durch Artikel 20a GG normierte Staatszielbindung zum Klimaschutz unterlaufen würde. Ein strukturierter Prüfmechanismus wirkt dem entgegen und macht die abstrakte verfassungsrechtliche Klimabindung im Haushaltsvollzug konkret handhabbar: Vor jeder Ausgabeentscheidung muss nachgewiesen werden, dass das Vorhaben im Einklang mit den Klimazielen steht.
Zweitens könnte alternativ oder ergänzend ein klar definierter Katalog ausgeschlossener Vorhaben eingeführt werden, der nachgewiesen der Klimaneutralität entgegenstehende Vorhaben enthält. Ein solcher Negativkatalog würde Vorhaben systematisch kategorisieren und diejenigen ausschließen, die mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 unvereinbar sind – etwa der Neu- oder Ausbau fossiler Infrastrukturen. Der Katalog könnte sich an den drei oben genannten Investitionskategorien orientieren. Ein solcher Katalog würde nicht nur die Haushaltsführung vereinfachen, sondern auch die Mittelvergabe beschleunigen.
Verfassungsgemäß nur bei strikter Einhaltung des Zwecks
Das neu-geschaffene Infrastruktur-Sondervermögen ist ein wirkungsvolles Instrument mit einem großen Spielraum, das jedoch an verfassungsrechtliche Voraussetzungen sein sollte. Verfassungsrechtlich zulässig ist dieses Sondervermögen nur, solange die Mittel zweckgebunden für Infrastruktur und der Erreichung von Klimaschutzzielen eingesetzt werden und tatsächlich der Aufstockung von Investitionsausgaben dient. Art. 143h GG ist somit als Angebot und Auftrag zugleich zu verstehen: Er ermöglicht erhebliche Neuinvestitionen, verlangt aber im Gegenzug Disziplin bei deren Verwendung. Dies könnte in Bezug auf die Klimaneutralität mit einem Prüfmechanismus am einfachsten sichergestellt werden.
Zitiervorschlag: Schlichter, Emmanuel, Sondervermögen Infrastruktur: Investitionsschub mit klimaneutraler Zweckbindung, JuWissBlog Nr. 38/2025 v. 23.04.2025, https://www.juwiss.de/38-2025/
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