von LORENZ BODE
Das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) treibt seine Blüten. Auch im Strafvollzug. Dürfen Gefangene nun straffrei Cannabispflanzen im Haftraum ziehen? Zugegeben: Die Frage klingt kurios, vielleicht sogar provokant. Sie hat aber einen ernsten Hintergrund. Es muss geklärt werden, wie weit die von der Politik beabsichtigte Legalisierungswirkung des KCanG tatsächlich reicht.
Ein Blick ins KCanG erleichtert die Rechtsfindung. In § 2 Abs. 1 Nr. 2 KCanG ist ein grundsätzliches Cannabisanbauverbot geregelt. Wer dagegen verstößt, kann sich nach § 34 KCanG strafbar machen. Es gibt aber (straffreie) Ausnahmen von diesem Verbot. Eine Ausnahme stellt „der private Eigenanbau von Cannabis nach § 9“ dar (§ 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KCanG). § 9 KCanG besagt in Absatz 1, dass Menschen ab 18 „im Geltungsbereich dieses Gesetzes an ihrem Wohnsitz oder an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt der private Eigenanbau von insgesamt nicht mehr als drei Cannabispflanzen gleichzeitig erlaubt“ ist.
Gefangene im deutschen Erwachsenenstrafvollzug gehören zu diesem gesetzlich vorgesehenen Personenkreis. Für den legalen Anbau müssen sie – Stichwort „privater Eigenanbau“ – die Pflanzen für den privaten Eigenkonsum ziehen. So weit, so unproblematisch.
Lage, Lage, Lage
Kniffelig wird es, wenn man den Ort des Anbaus näher in den Blick nimmt. Der Gesetzgeber spricht vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt. Passend dazu existieren im KCanG sogar Legaldefinitionen, nämlich in § 1 Nr. 16 und Nr. 17 KCanG, die hier aber nicht wirklich weiterhelfen. Denn dort ist diese besondere Lage nicht berücksichtigt: Gefangene Menschen, die unfreiwillig in einer Justizvollzugsanstalt in einem Haftraum untergebracht sind.
Jörn Patzak (in: Patzak/Fabricius, 11. Aufl. 2024, KCanG § 1 Rn. 39) vertritt deshalb die Auffassung, dass Hafträume unabhängig von der Haftdauer nicht als Wohnung oder gewöhnlicher Aufenthalt gelten können. Ich stimme teilweise zu: Eine Justizvollzugsanstalt ist – auch wenn es um längere Zeiten geht – alles andere als ein gewöhnlicher Aufenthaltsort.
Die Wohnsitzfrage hingegen ist strittig. Schon 1996 stellte das Bundesverfassungsgericht (NStZ 1996, 511) klar, dass der Haftraum nicht vom Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst ist. Art. 13 GG garantiert in Absatz 1 die Unverletzlichkeit der Wohnung. Es gibt in der Rechtslehre aber einige Stimmen, die den Haftraum als Wohnung ansehen. Damit wäre er taugliches Tatobjekt im Rahmen des Hausfriedensbruchs (§ 123 Abs. 1 StGB). Zu ihnen gehört Johannes Koranyi. In seinem Aufsatz „Der Schutz der Wohnung im Strafrecht“ führt er aus, dass „der Haftraum vom Vollzugsinsassen zweifelsohne als Unterkunft genutzt wird und dies zwar regelmäßig gegen seinen Willen, aber doch auf der Grundlage einer bewussten Entscheidung, namentlich der für die Strafverhängung und -vollstreckung zuständigen Organe“ (JA 2014, 241, 243). Diese Sicht wird unterstützt durch die Tatsache, dass die meisten Landesstrafvollzugsgesetze Vorschriften über eine freiwillige Wiederaufnahme in die Anstalt enthalten. Auf Grundlage dieser Vorschriften können Betroffene nach der Entlassung in der Anstalt bleiben oder wiederaufgenommen werden; ein Beispiel dafür ist § 49 Abs. 1 des Berliner StVollzG.
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht später selbst entschieden, dass der Haftraum keineswegs irgendein Raum ist, sondern ein Ort der Privatsphäre und des Rückzugs. Im Beschluss aus dem Jahr 2020 (HRRS 2021 Nr. 3) heißt es, der Haftraum sei für den Gefangenen „regelmäßig die einzige (verbleibende) Möglichkeit, sich eine gewisse Privatsphäre zu schaffen und ungestört zu sein“.
Diese Erwägungen wiederum sind auf den Wohnsitzbegriff im KCanG übertragbar. Mehr noch: Gemessen am Sinn und Zweck, den Cannabiseigenanbau per Gesetz auf den Wohnraum zu begrenzen, dürfte es im KCanG weniger um die vom Bundesverfassungsgericht aufgemachten Problempunkte der Betretungsbefugnis als um die schlichte Abgrenzung eines privaten Raumes von der Öffentlichkeit (im Sinne des befriedeten Besitztums) gehen. Denn der KCanG-Gesetzgeber betreibt mit dieser Abgrenzung Risikovermeidung – vor allem, was den gewerblichen Anbau und Handel (Stichwort: Schwarzmarkt) sowie den Zugriff für Kinder angeht. Passend dazu unterscheiden sich nicht nur die Freimengen beim Besitz von Cannabis in § 3 Abs. 1 und 2 KCanG je nachdem, ob sich die Person am Wohnsitz oder außerhalb des Wohnsitzes beziehungsweise des gewöhnlichen Aufenthaltes aufhält. Sondern auch der Umgang durch Kinder und Jugendliche sowie der Handel mit Cannabis bleiben dem Gesetz nach ausnahmslos verboten (vgl. § 2 Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 3 KCanG).
Straffrei, aber …
Vor diesem Hintergrund kann man den Haftraum also durchaus als Wohnung begreifen, mithin als Wohnsitz eines Menschen. Die entsprechende Zwecksetzung (Verwendung der Pflanzen zum Eigenkonsum) unterstellt – hieße das: Die Vorgaben von § 9 Abs. 1 KCanG sind erfüllt. Der Cannabisanbau im Haftraum wäre dann straffrei.
Der Konjunktiv ist jedoch verräterisch. Die vorstehenden Erwägungen bleiben wohl erst einmal graue Theorie. Denn: Wie Patzak (a.a.O) zutreffend ausführt, kann die Anstalt den Anbau von Cannabis über die Hausordnung verbieten. Ob ein generelles Verbot insofern sinnvoll ist, ist ein eigenes Thema, bei dem auch Resozialisierungsfragen eine Rolle spielen.
Zitiervorschlag: Bode, Lorenz, Cannabispflanzen im Haftraum – jetzt legal?, JuWissBlog Nr. 43/2024 v. 11.07.2024, https://www.juwiss.de/43-2024/.
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