Gülle und Recht – Oder: Ein Blick auf das Revival der materiellen Präklusion?

von MARVIN KLEIN und MIMOZA BECIRI

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster hat jüngst über eine Verpflichtungsklage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu entscheiden gehabt. Das Gericht hat nach seiner Presseerklärung am 25.01.2024 die Verpflichtungsklage unter Berufung auf die materielle Präklusion abgewiesen und so der Hoffnung auf ein strengeres Vorgehen der Regierung gegen die Nitratbelastung einen Dämpfer erteilt. In diesem Beitrag wird das umweltrechtliche Thema unter rechtlichen Gesichtspunkten eingeordnet.

Nitrat: Wirtschaftsdünger und Umweltgefahr

Bevor wir auf den rechtlichen Rahmen zur Verwendung von Nitrat eingehen können, soll zunächst dessen wirtschaftliche sowie umweltrechtliche Bedeutung dargestellt werden. Bei Nitrat handelt es sich um eine Stickstoffverbindung, die sowohl in der Form als mineralisches Düngemittel als auch als organisches Düngemittel, etwa in der Form von Gülle, in der landwirtschaftlichen Praxis angewandt wird. Dass Nitrat als Düngemittel für die Landwirtschaft essenziell ist, lässt sich nicht leugnen. Nitrat gehört wie auch Kalium, Phosphor und Magnesium zu einer Gruppe von Nährstoffen, die für das Wachstum von höheren Pflanzen benötigt werden. Obschon Böden von Natur aus über eine Vielzahl von Mineralien verfügen, ist eine künstliche Zuführung erforderlich, da mit jeder Nutzung des Bodens diesem großen Mengen an Nährstoffen entzogen werden und für eine erneute Aussaat wiederhergestellt werden müssen.

Zwar dient der Einsatz von Nährstoffen der Wiederherstellung des ökologischen Mineralhaushaltes und liegt somit nicht nur im Agrar- sondern auch im Umweltinteresse, allerdings gerät die Aussaat bei einer intensiven Nutzung ebenso mit verschiedenen Aspekten des Umwelt- und Gesundheitsschutzes in Konflikt. Zum einen kann die Zuführung von zu vielen Nährstoffen zu einem Bodenungleichgewicht und dieses wiederum zu umweltschädlichen Konsequenzen wie etwa einer Übersäuerung der Böden führen. Zum anderen kann eine Überdüngung mit Nitrat entsprechende Einlagerung in Pflanzen zur Folge haben und geht ferner mit der Gefahr einher, dass der Stoff in das Grundwasser und in Oberflächengewässer gelangt. Auch wenn Nitrat an sich für den Menschen nicht ohne Weiteres gefährlich ist, kann im Rahmen bakterieller Prozesse giftiges Nitrit entstehen.

Die rechtlichen Grenzen

Wegen der mit einer Boden- und Wasserbelastung einhergehenden Risiken durch Nitrat wird der Einsatz von Düngemitteln rechtlich sowohl durch Europarecht als auch durch nationales Recht limitiert. Auf nationaler Ebene zu nennen wäre das Düngegesetz (DüngG) zusammen mit der Düngemittelverordnung (DüMV) und der Düngeverordnung (DüV), die etwa vor Einsatz von Düngemittel eine Ermittlung und Aufzeichnung des Nährstoffbedarfs vorgeben. Auf der Ebene des Europarechtes greifen hier die zentrale EU-Düngemittelverordnung sowie mittelbar die Grundwasserschutzrichtlinie, die Trinkwasserrichtlinie und die Nitratrichtlinie.

Pflichten aus der Nitratrichtlinie

Die Nitratrichtlinie (Richtlinie 91/676/EWG) zielt darauf ab, die Gewässerverunreinigung zu verringern und vorzubeugen, indem sie eine Belastungsgrenze von 50 mg/l Nitrat im Grundwasser festlegt. Mitgliedstaaten müssen Aktionsprogramme für gefährdete Gebiete aufstellen, um die Ziele der Nitratrichtlinie umzusetzen. Diese Pläne müssen alle vier Jahre aktualisiert werden und bestimmte Mindestvorgaben erfüllen, einschließlich Regeln der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft und Vorgaben zur Lagerung und Ausbringung von Düngemitteln (Art. 4 der Nitratrichtlinie i.V.m. Anhang II und Anhang III). Inwieweit die Bundesrepublik Deutschland diese Vorgaben umgesetzt hat, beschäftigte die Gerichte nicht nur im aktuellen Fall. Der EuGH stellte bereits im Jahr 2018 (Urt. v. 21.06.2018 (Az. C-543/16)) fest, dass Deutschland gegen Art. 5 Abs. 5 der Nitratrichtlinie verstoßen habe, da trotz Zielverfehlung des Aktionsplans keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen wurden. Nach mehreren Überarbeitungen des Düngerechts sowie der Einleitung eines zweiten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland durch die Kommission im Juni 2019 wurden zumindest ab dem Jahr 2020 strengere Regeln im Düngerecht, insbesondere in der DüV, eingeführt, welche u.a. ein Düngeverbot für gefrorenen Boden, längere Sperrfristen für das Düngen, Ausweisung weiterer besonders belastender Gebiete und strengere Regelungen zur Düngung geneigter Flächen umfassen. Das Bundeskabinett hat am 31.05.2023 zusätzlich die Änderung des Düngegesetzes beschlossen, mit Blick auf die Datenverfügbarkeit für das Wirkungsmonitoring zur Düngeverordnung sowie die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Stoffstrombilanzverordnung.

Bewertung im vorliegenden Verwaltungsgerichtsverfahren

Nach Ansicht der DUH sei die Bundesrepublik Deutschland trotz der Novellierungen der DüV den Verpflichtungen aus der Nitratrichtlinie nicht nachgekommen. Daher reichte die DUH im Mai 2018 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein, um die Düngegesetzgebung zu verschärfen. Sie forderte, dass Deutschland verpflichtet wird, den düngebezogenen Teil des Nationalen Aktionsprogramms zum Schutz von Gewässern vor Verunreinigung durch Nitrat weiter fortzuschreiben. Die DUH behauptet insbesondere, die (geplanten) Maßnahmen seien nicht entsprechend den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen umgesetzt worden und es seien keine effektiven zusätzlichen Maßnahmen ergriffen worden, um die Ziele der Nitratrichtlinie zu erreichen.

Das OVG Münster hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das OVG in seiner Pressemitteilung vom 25.01.2024 zum noch nicht abgesetzten Urteil (Urt. v. 26.01.2024 – 20 D 8/19.AK) aus, dass die Argumente der Klägerin gem. § 7 Abs. 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) präkludiert seien. Die Klägerin hätte ihre Argumente bereits in der Öffentlichkeitsbeteiligung vorbringen müssen. Gerade für Umweltorganisationen gelten strengere Anforderungen.

Das OVG Münster entschied somit nicht über die materiellrechtliche Fragestellung, sondern berief sich auf eine materielle Präklusionsnorm. Dies bedeutet, dass ein Beteiligter mit seinem, auch mit mitunter erfolgsversprechenden Vorbingen, insbesondere auch in einem Gerichtsprozess ausgeschlossen wird. Präklusionsregelungen können Individuen als auch Verbände im Rahmen von Verbandsklagen wie im hiesigen Fall betreffen.

Dass sich das OVG Münster für diesen Schritt ohne entsprechende Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschied, ist bemerkenswert, da die Unionskonformität des § 7 Abs. 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) nicht gänzlich unumstritten ist (ausführlich nur die Stellungnahme von Prof.in Dr. Schlacke). Diese Regelung gilt neben der Missbrauchsklausel (§ 5 UmwRG) als Überbleibsel materieller Präklusionsregeln der Novelle des UmwRG aus dem Jahr 2017, die als Folge des Urteils des EuGH aus dem Jahr 2015 (C-137/14) die alten, unionsrechtswidrigen Präklusionsregelungen strich.

Allerdings hat der EuGH bisher nur Präklusionsvorschriften untersagt, die gegen Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention verstoßen. Diese betreffen Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen der Mitgliedstaaten, jedoch nicht Pläne und Programme gemäß § 1 Abs. 4 UmwRG. Dennoch wirft das Vorgehen des OVG Münster rechtliche Bedenken auf. Auch ohne konkreten Bezug auf die Aarhus-Konvention dürfte eine solch materielle Präklusionsvorschrift sich nicht mit dem europäischen und völkerrechtlichen Ziel des effektiven Rechtsschutzes vereinbaren lassen. Art. 9 Abs. 4 Aarhus-Konvention legt die völkerrechtliche Verpflichtung fest, faire, gerechte und zügige Verfahren zu gewährleisten. Es erscheint daher angebracht, die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention auch auf hiesige Fälle auszudehnen, da ansonsten wesentliche europarechtliche Fragestellungen der Entscheidung durch Gerichte entzogen werden. Eine solche materielle Präklusion ist daher aus Sicht des effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG bedenklich.

Das OVG Münster hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. Es bleibt somit abzuwarten, ob das BVerwG selbst oder mit Unterstützung des EuGH die Frage der Zulässigkeit des § 7 Abs. 3 UmwRG klären wird. Nur wenn die materielle Präklusionsvorschrift des § 7 Abs. 3 UmwRG unangewendet bleiben muss, kommt es auch zu einer Klärung der materiellen Frage inwieweit Deutschland den Anforderungen der Nitratrichtlinie gerecht wird.

 

Zitiervorschlag: Klein, Marvin/Beciri, Mimoza, Gülle und Recht – Oder: Ein Blick auf das Revival der materiellen Präklusion?, JuWissBlog Nr. 22/2024 v. 28.03.2024, https://www.juwiss.de/22-2024/.

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Aarhus-Konvention, DUH, Nitratrichtlinie, OVG-NRW, Präklusion, Umweltrecht
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