JuWiss-Schwerpunkt zu Familie und Diversität
von HANNAH MAUTNER
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kam es in den Bereichen Ehe und Familie zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Diversität in partnerschaftlichen und familiären Strukturen findet stärkere soziale Akzeptanz und wird zunehmend auch offen gelebt. Im Zuge dieser Entwicklungen schritt vor allem in den letzten Jahren sowohl die gesellschaftliche als auch die rechtliche Anerkennung und Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und sogenannter „Regenbogenfamilien“ rasant voran.
Von besonderer Bedeutung war dabei zunächst die Einführung der eingetragenen Partnerschaft mit 1. Jänner 2010. Die Gesetzesmaterialien machten zwar deutlich, dass dieses alternative Rechtsinstitut klar von der Ehe abzugrenzen sei, doch war es ihr schon im Zeitpunkt seiner Entstehung stark angeglichen. Der bedeutendste Unterschied lag damals darin, dass im EPG keine Bestimmungen enthalten sein sollten, die sich auf Kinder beziehen. Im Laufe der darauffolgenden Jahre wurden zahlreiche der zunächst vorgesehenen Benachteiligungen, auch betreffend Familiengründungsrechte, zunehmend beseitigt – vielfach durch höchstgerichtliche Judikatur, teils auf Eigeninitiative des Gesetzgebers. So beurteilte der EGMR im Jahr 2013 das Verbot der sogenannten Stiefkindadoption durch gleichgeschlechtliche Paare als Verstoß gegen Art 14 iVm Art 8 EMRK. Noch im selben Jahr stellte der VfGH die Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses von Frauenpaaren von der Möglichkeit der medizinisch unterstützten Fortpflanzung fest. Darauf folgte das Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015. Ende 2014 schließlich erkannte der VfGH auch das Verbot der gemeinsamen Annahme eines Wahlkindes (sogenannte Fremdkindadoption) durch eingetragene Partner als grundrechtswidrig. Weitere Angleichungen an die Ehe durch Erkenntnisse des VfGH erfolgten in den Bereichen der nachträglichen Namensänderung für eingetragene Partner und der Möglichkeit der Begründung der eingetragenen Partnerschaft auch außerhalb der Amtsräume der Bezirksverwaltungsbehörde. Ohne Impuls von Seiten der Höchstgerichte wurde der Gesetzgeber bei der Beseitigung der Differenzierungen in der Behördenzuständigkeit und in der Bezeichnung des gemeinsamen Namens („Nachname“ bzw „Familienname“) tätig. Diese Entwicklungen führten letzten Endes zu einer massiven Annäherung der beiden Rechtsinstitute. Die wenigen Unterschiede, die überhaupt verblieben sind, sind überwiegend von geringer praktischer Bedeutung. Nichtsdestotrotz hielt der Gesetzgeber an der Trennung in zwei Rechtsinstitute fest. Zwar wird der Ehedefinition des § 44 ABGB, die vor dem rezenten Erkenntnis des VfGH unverändert in der Stammfassung des Jahres 1811 stand, schon lange nur noch überwiegend programmatische Bedeutung zugeschrieben. So ist etwa das im Wortlaut enthaltene Eheelement der Unzertrennlichkeit seit Einführung der Scheidung ohne Bedeutung. Doch das ebenfalls ausdrücklich festgeschriebene Merkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit war bis zu seiner Aufhebung unbestritten von normativem Gehalt.
Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mit 1. Jänner 2019 erfolgte schließlich durch ein Erkenntnis des VfGH vom 4. Dezember 2017. In diesem hob er die Wortfolge „verschiedenen Geschlechtes“ in § 44 ABGB wegen Verletzung des Gleichheitssatzes auf. Da die jeweiligen Zugangsbeschränkungen komplementär seien, öffnete das Höchstgericht gleichzeitig die eingetragene Partnerschaft für verschiedengeschlechtliche Paare, um die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu gewährleisten. Diese Entscheidung des VfGH ist nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur auf unterschiedliche Reaktionen gestoßen. Befürworter begrüßen sie als großen Schritt in der Gleichstellungsentwicklung; Kritiker monieren vielfach die ihres Erachtens dogmatisch schwache Begründung. Angesichts der ablehnenden Vorjudikatur und der Rechtsprechung des EGMR, in der dieser (bislang) keine Verpflichtung zur Öffnung der Ehe aus Art 12 oder Art 8 EMRK abgeleitet hat, ist nachvollziehbar, dass das Erkenntnis viele überraschte. Ein genauer Blick auf die Begründung des Gerichtshofs in Verbindung mit der rasanten gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklung in diesem Bereich macht jedoch deutlich, dass sie sowohl in ihrem Ergebnis als auch in der Begründung durchaus überzeugend ist. Ein Widerspruch zu den vorangegangenen Erkenntnissen, in denen der VfGH den Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der Ehe noch als verfassungskonform beurteilt hatte, besteht nur vermeintlich. Zuvor konnte die vorgenommene Differenzierung aufgrund der sexuellen Orientierung – die immer nur durch besonders schwerwiegende Gründe gerechtfertigt werden kann – auf ein traditionelles Ehe- und Familienverständnis gestützt werden, dessen Kern in der Ausrichtung der heterosexuellen Ehe auf Familiengründung bestand. Solange eingetragenen Partnern Möglichkeiten der Familiengründung verwehrt waren, war dieses traditionelle Eheverständnis durch die Trennung in die beiden Rechtsinstitute verwirklicht. Nunmehr stehen jedoch auch eingetragenen Partnern sämtliche zulässigen Familiengründungsrechte zu.
In dem Jahr, das dem Gesetzgeber eingeräumt war, um auf das Erkenntnis zu reagieren, blieb dieser gänzlich untätig. Somit traten mit 1. Jänner 2019 die vorgenommenen Aufhebungen in Kraft und sowohl Ehe als auch eingetragene Partnerschaft stehen seither gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren gleichermaßen offen. Ein Tätigwerden des Gesetzgebers war zwar nicht zwingend notwendig, wäre jedoch aus rechtspolitischer Sicht wünschenswert (gewesen). Die Formulierung des § 44 ABGB etwa mutet mit der normativ längst bedeutungslosen Erwähnung der Unzertrennlichkeit und des Willens, Kinder zu zeugen, anachronistisch an und birgt die Gefahr, Verwirrung hinsichtlich des Eheverständnisses de lege lata zu stiften. Eine zeitgemäße Fassung der Ehedefinition sollte auf diese Elemente endgültig verzichten und von einem Partnerschaftsmodell mit Fokus auf gegenseitigen Beistand und Loyalität ausgehen. Die eingetragene Partnerschaft hat in ihrer beinahe gleichen Ausgestaltung keinen Wert als Alternative zur Eheschließung. Eine Abschaffung im Sinne einer Nichtzulassung von Neubegründungen eingetragener Partnerschaften läge daher auf der Hand. Problematisch ist darüber hinaus, dass keine gesetzliche Übergangsregelung für Paare geschaffen wurde, die vor 2019 eine eingetragene Partnerschaft eingegangen sind und nunmehr auf eine Ehe wechseln möchten. Kurz vor Inkrafttreten der Aufhebung erging hierzu zumindest eine Durchführungsverordnung des Bundes. Dieser zufolge ist § 9 EheG nach übereinstimmender Ansicht des BMI und des BMVRDJ verfassungskonform so zu interpretieren, dass eingetragene Partner eine Ehe schließen können, ohne dass die eingetragene Partnerschaft zuvor aufgelöst werden muss. Die Eheschließung habe die Folge, dass eine bestehende Partnerschaft in der Ehe aufgehe und damit aufgelöst sei. Diese Lösung entspricht jedenfalls praktischen Bedürfnissen. Nichtsdestotrotz wäre eine ausdrückliche gesetzliche Regelung im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen. Nach wie vor nicht zufriedenstellend ist die aktuelle Rechtslage für binationale Paare, bei denen im Herkunftsland eines der Partner keine gleichgeschlechtliche Ehe vorgesehen ist. Für diese ist eine Eheschließung den Vorgaben des Innenministeriums zufolge auch in Österreich nicht möglich. Hier ist eine entsprechende Anpassung der Regelungen des internationalen Privatrechts dringend angeraten. Die Gleichstellungsentwicklung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, die durch die Erkenntnis des VfGH ihren Höhepunkt gefunden hat, sollte nicht weiter eingeschränkt, sondern ein ermöglichender Rahmen für die fortschreitende gesellschaftliche Diversität im Bereich Partnerschaft und Familie geschaffen werden.
Zitiervorschlag: Hannah Mautner, Ehe für alle auf Österreichisch, JuWissBlog Nr. 58/2019 v. 31.5.2019, https://www.juwiss.de/58-2019/
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