Generisches Maskulinum, Gerundium oder Sternchen? Assistent*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen oder junge Wissenschaft? Die sogenannte Namensdiskussion gehört für viele mittlerweile zur „Assistententagung Öffentliches Recht“ (ATÖR) wie Laugengebäck in der Pause und Kabarett am Abschlussabend: Sie trägt zum Charakter der Tagung bei, aber die meisten wären sich zweifellos einig, dass der Markenkern der Tagung – wissenschaftlicher Austausch unter dem Nachwuchs des öffentlichen Rechts – auch ohne auskäme. Warum also wird seit mittlerweile Jahrzehnten über eine Umbenennung diskutiert? Und (wie) kann es gelingen, diese festgefahrene Diskussion in produktivere Bahnen zu lenken?
Um diese Fragen zu beantworten, waren auch in der Vorbereitung eines entsprechenden Arbeitskreises für die Trierer Tagung 2020 zunächst drei Punkte zu klären: Gibt es überhaupt eine einheitliche Namenstradition auf der ATÖR? Welche Gründe haben dazu geführt, dass sich trotz lebhafter Diskussionen bislang faktisch wenig getan hat? Und warum sollte eine Beschäftigung mit gendergerechter Sprache ausgerechnet im konkreten Umfeld der ATÖR erfolgen?
Was ist und zu welchem Zwecke betreibt man eine Namensdebatte?
Bei einer Lektüre alter Tagungsberichte wird klar, dass früher die am Lehrstuhl angestellten Doktorand*innen oft einen (noch) geringeren Stellenwert hatten. Die Bezeichnung als „Assistent“ (eines Professors) drückt diese Position aus. Gerade dieser Situation traten die Gründer der ATÖR selbstbewusst entgegen, indem sie sich, losgelöst vom wissenschaftlichen Establishment und doch in stolzer Anlehnung an die „große“ Staatsrechtslehrertagung, trafen und Wert auf den Austausch und eine solidarisch gemeinte gegenseitige Kritik legten. Seither werden die Habilitierten mit Ertönen des berühmten Konferenzgongs aufgefordert, den Raum zu verlassen, damit sich der Nachwuchs ungestört austauschen kann.
Es erscheint fraglich, ob im heutigen Universitätsbetrieb der Begriff „Assistent*in“ automatisch noch die Assoziation eines*r „Mittelbauers*in“ hervorruft, und ob er ausreichend Identifikationsmöglichkeiten für alle Teilnehmer*innen (teils ja auch Referendar*innen, Akademische Rät*innen, Juniorprofessor*innen, etc.) bietet. Ein Vergleich etwa mit dem „Jungen Forum Rechtsphilosophie„, dem „Jungen Strafrecht“ oder der „Gesellschaft Junge Zivilrechtswissenschaft e.V.“ lässt vermuten, dass andernorts bereits eine Entscheidung zu Gunsten der Materie als Hauptidentifikationsmerkmal gefallen ist.
Der streitigere Punkt ist die Frage nach einem inklusiveren, gendergerechten Namen, also beispielsweise einer „Sternchen“-Variante. Schließlich haben sich die Anteile der Geschlechter unter den Vortragenden und Teilnehmer*innen in den letzten Jahren erfreulich angeglichen – auch ohne Namensänderung. Kann und sollte der Konferenztitel dies trotzdem reflektieren? Scheinbar stehen sich hier Tradition und Wandel gegenüber. Doch gibt es überhaupt eine stabile Namenstradition?
Konstruierte Kontinuität?
Es ist nicht leicht, herauszufinden, unter welchem Namen die unterschiedlichen Tagungen „offiziell“ stattfanden. Der Begriff der „Assistententagung“ bestand oftmals inoffiziell fort, auch wenn es phasenweise Änderungen gab, was seine fortwährende Beliebtheit (mit)erklärt. Es lässt sich jedoch feststellen, dass es in der sechzigjährigen Tagungsgeschichte den „einen“ Namen nicht gab. So wird die erste Ausgabe in Hamburg 1961 als informelles „Assistententreffen“ erinnert. Dagegen traf sich beispielsweise 1970 in Wien die „Arbeitstagung der wissenschaftlichen Assistenten der Fachrichtung öffentliches Recht“, während in Berlin 1974 die „Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung Öffentliches Recht“ stattfand. Unter gleichem Namen erfolgte die Zusammenkunft in Tübingen 1982. Wiederum in Berlin, dieses Mal 1983, gab es eine „23. Tagung der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen der Fachrichtung ‚Öffentliches Recht'“.
Osnabrück kehrte sich 1989 von dem Langtitel ab bzw. verschob ihn in den Untertitel, um sich den Begriff „Assistententagung“ wieder ganz oben auf die Plakate zu schreiben; Bremen fügte 1991 dem Untertitel die „wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen“ hinzu. Bei letzterer Form ist es mehrheitlich seitdem geblieben und sie bildet den Gegenstand der aktuellen Diskussionen. Ausnahmen finden sich in der Schweiz: Zürich berühmte sich 1999 einer „Assistierendentagung“, Luzern 2003 dann einer „AssÖR“.
Bereits Gießen 2000 verzeichnete daraufhin das Gefühl eines „Konflikts“ um eine „vierzigjährige Tradition“. Nach der „ersten“ Umbenennung durch die Schweizer*innen habe sich das Gießener Organisationskomitee „erstmals“ mit der Namensfrage vor einer „politischen Hintergrundfolie“ konfrontiert gesehen. (Alles im Detail nachzulesen in der Festschrift zur 50. ATÖR.)
Wandel ohne Verfassung?
Neben diese Unklarheiten tritt ein für die ATÖR in ihrem aktuellen Aggregatzustand charakteristisches Problem. Obgleich zu Recht von einer rasanten Professionalisierung der Tagung die Rede ist, hat sich nie eine Vereinsstruktur o.Ä. herausgebildet. Je größer aber die Aufgaben werden, denen sich die jeweiligen Organisationsteams stellen müssen, desto mehr lähmt sie die Unfähigkeit, langfristige und allgemeinverbindliche Entscheidungen zu treffen. So werden dann leidenschaftliche Debatten ohne konkrete Ergebnisse geführt.
Einen ersten Schritt in Richtung eines produktiveren institutionellen Umfelds stellt der Vorstoß des Trierer Organisationsteams dar, einen „AK Gender“ auszuschreiben, der die Diskussion vorbereiten und konkrete Vorschläge machen kann.
What’s in a name?
Doch selbst, wenn es ginge – was spräche dafür, den Tagungsnamen inklusiver zu gestalten? Jurist*innen arbeiten stets mit Sprache und wissen, dass sie sich die Bedeutung der Worte, die sie in der Rechtssprache verwenden, nicht aussuchen können. Und sie können ihre Arbeit nur dann gut machen, wenn sie im Auge behalten, dass diese Worte – durch eine Rechtsprechungsänderung, durch eine Wendung in der Dogmatik, durch den Einfluss des Europarechts – ihre Bedeutung ändern können.
Sprachwandel im Alltag verläuft etwas anders. Seitdem diskutiert wird, ob Sprache abbilden sollte, dass nicht nur Männer in Gruppen vertreten sind, wird als ein Argument für die maskuline Form für Gruppenbezeichnungen angeführt, dass diese nach dem Sprachverständnis Menschen anderen Geschlechts „mit-meine“. Dagegen stehen Erkenntnisse der empirischen Forschung, nach denen die Sprache die wahrgenommene Realität mit-formt.
Sprache lenkt unser Denken. So fallen Menschen eher Sänger ein, wenn sie nach ihrem „Lieblingsmusiker“ gefragt werden, als Sängerinnen. Denkt man das Beispiel auf einen beruflichen oder akademischen Kontext weiter („Wer ist Ihrer Ansicht nach der qualifizierteste Wissenschaftler in diesem Fachgebiet?“), sind reale Auswirkungen vorstellbar.
Sprache kann sogar Vorstellungen von dem beeinflussen, was erreichbar ist. Werden Kinder mit geschlechtlich festgelegten Berufsbezeichnungen konfrontiert, können sie sich nur dann vorstellen, dass diese Tätigkeit ihnen einmal offenstehen wird, wenn sie sich ebenfalls dem jeweiligen Geschlecht zuordnen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum ausgerechnet das Maskulinum hier als repräsentativ wahrgenommen wird, während davon ausgegangen werden darf, dass die Bezeichnung als „Assistentinnentagung“ eine gewisse Irritation hervorrufen würde. Es liegt nahe, dass dies kein rein neutraler oder zufälliger Mechanismus ist.
Auf die nächsten 60 Jahre?
Die Wissenschaft des öffentlichen Rechts ist ein „geschlossener Mikrokosmos„, aus dem selten große gesamtgesellschaftliche Impulse dringen, und die ATÖR repräsentiert selbst hiervon nur einen kleinen Ausschnitt. Allerdings ist das Publikum auf den Tagungen jüngeren Datums diverser als in den frühesten Jahren. Gerade weil nicht von allen Teilnehmer*innen die wissenschaftliche Karriere angestrebt wird, erhöht sich womöglich die Chance, auf viele Jahre über das unmittelbare Tagungsgeschehen hinaus Impulse zu setzen. Die Teilnehmer*innen sind in der Regel nicht ohne Verantwortungssinn für ihre Rolle in der Welt und nehmen von der ATÖR vielseitige Anregungen mit. Deshalb ist es wichtig, dass die Tagung selbst über die Tagung redet und reflektiert. (N.B.: Die „große“ Staatsrechtslehrertagung hat bislang noch nie über die Namensfrage debattiert.)
Die lange Geschichte der ATÖR bietet bei näherer Betrachtung mehr Bruchstellen und Diversität, als es zunächst scheint. Es wäre begrüßenswert, wenn die Tagung sich die Diskontinuitäten ihrer Geschichte auch bei ihrer Namensgebung zu eigen machen und diese Heterogenität als Chance begreifen könnte. Zusammen mit einer Verfestigung der äußeren Strukturen, die diese und ähnliche Debatten in produktivere Bahnen lenkt, könnte dies den Blick für die Gemeinsamkeiten freimachen, namentlich die Begeisterung für die Wissenschaft im öffentlichen Recht.
Dieser Bericht beruht auf Recherchen für einen Beitrag, der in der Festgabe zur 60. ATÖR erscheinen wird (Sebastian Bretthauer/Christina Henrich/Berit Völzmann/Leonard Wolckenhaar/Sören Zimmermann, Hrsg.: Wandlungen im Öffentlichen Recht. Festschrift zu 60 Jahren Assistententagung Öffentliches Recht, i.E., 2020).
Zitiervorschlag: Isabel Lischewski, „60 Jahre mitgemeint? Ein Werkstattbericht zum ‚AK Gender‘ der ATÖR 2020′“, JuWissBlog Nr. 15/2020 v. 19.2.2020, https://www.juwiss.de/15-2020/
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Sehr schöner Beitrag – nach den Informationen hatte ich zum teil schon länger gesucht, wunderbar sie hier in so ansprechender Form beisammen zu haben.