Die designierte Kanzlerkandidatin der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, schlug hohe Wellen mit ihren neusten Äußerungen. Sie spricht von der Gefahr der „Meinungsmache vor den Wahlen“, und möchte diese unterbinden.
Der vorliegende Beitrag zeigt die verfassungsrechtliche Wurzel dieses Arguments auf. Dies soll anhand zweier Entscheidungen geschehen. Denn auf staatlicher Ebene ist diese Problematik nicht neu. So dürfte Kramp-Karrenbauer die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zurückhaltung der Regierung in Wahlkampfzeiten vor Augen gehabt haben. Für Parteien, Medien – und erst recht für Bürger – gelten allerdings andere Maßstäbe.
Öffentlichkeitsarbeit – Das Gebot größter Zurückhaltung
Das Bundesverfassungsgericht leitet aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG iVm Art. 38 Abs. 1 GG und aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 und 2 GG das „Gebot größter Zurückhaltung“ der Regierung vor Wahlkämpfen ab. Wie bei BVerfG 44, 125 nachzulesen ist, gilt es zunächst zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Wahlwerbung zu differenzieren.
Öffentlichkeitsarbeit stellt dabei ein notwendiges Mittel dar um Bürger*innen zu informieren. Nur durch ordnungsgemäße Information sind diese in der Lage eine fundierte Wahlentscheidung zu treffen. Die Informationen müssen aber „sachgerechte, objektiv gehaltene Informationen“ darstellen.
Diese Feststellung kollidiert zunächst mit Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Die Legitimationskette läuft folglich „von unten nach oben“. Staatsorgane sind dementsprechend in jedem Fall zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Anderenfalls besteht die Gefahr einer unzulässigen Beeinflussung der Wähler*innen.
Streitträchtiger sind jedoch die inhaltliche Ausgestaltung von Wahlwerbung und Fragen der Kontrollkompetenz und Kontrolldichte. Ob Wahlwerbung vorliegt, ist durch eine umfassende Zusammenschau von Form, Inhalt und Aufmachung zu ermitteln. Ist der Informationsgehalt eher dünn und die Form reklamehaft, so wird nicht mehr ausschließlich dem Informationsinteresse der Bürger*innen gedient.
Die Differenzierung fällt mitunter schwer und ist undurchsichtig. Klar ist nur, dass im zeitlich engen Vorfeld der Wahl selbst Informationskampagnen unzulässig sind. Wenn qualitativ und quantitativ positive Berichte über die Regierungsarbeit veröffentlicht werden, so ist dies ein Verstoß gegen das „Gebot äußerster Zurückhaltung“ in der Vorwahlzeit. In dieser „heißen Phase“ ist dem Bürger ein geschützter Raum zur finalen Wahlentscheidung zuzugestehen.
Fraglich ist damit nur noch, ab wann das Gebot überhaupt Anwendung findet. Hierzu ist die Wahlanordnung des Bundespräsidenten (§ 16 BWahlG) wohl die äußerste Grenze.
Öffentlichkeitsarbeit durch Private – Die Hirtenbriefentscheidung
Ursprünglich hatte das VG Minden sich mit folgendem Sachverhalt auseinanderzusetzen: Ein Pfarrer in Istrup verliest einen Hirtenbrief, in welchem die Wahl „christlicher Parteien“ nahegelegt wird. Die SPD sieht hierin eine unzulässige Wahlwerbung und Einflussnahme auf die Wahlentscheidung der Wähler*innen. Hier spricht ein Dritter eine definitive Wahlempfehlung aus. Diese wird auch begründet, wobei die Begründung zulasten anderer Parteien ausfällt.
Die Ausführungen des BVerwG zum Fall erweisen sich auch für unsere Konstellation als hilfreich:
„Auch Persönlichkeiten, die sich nicht selbst um einen Sitz bewerben, dürfen in den Wahlkampf eingreifen, an der Unterrichtung der Wähler mitwirken, gewisse Bewerber empfehlen und vor anderen warnen. Solche Äußerungen sind nach Art. 5 GG erlaubt und für die Vorbereitung der Wahl unentbehrlich. Sie bedeuten keine unerlaubte Beeinflussung der Wahl und verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG).“ (BVerwG VII C 50.62, Rn. 22).
Eine zeitliche Eingrenzung wird hier eindeutig nicht vorgenommen. Der Hirtenbrief wurde vorliegend sogar kurz vor der eigentlichen Wahl verlesen.
Bürger und ihre Schriften sind nicht wie der Staat zu behandeln
Es erscheint mir, als wollte Kramp-Karrenbauer die eingangs erwähnten Grundsätze für Regierungshandeln auf die Schriften von Bürger*innen (YouTubern, Journalisten usw.) anwenden. Allerdings ist der Staat Adressat der Neutralitätspflicht, nicht der Bürger. Die Konsequenzen erscheinen tiefgehend: Quasi jede Zeitung dürfte politisch eingefärbt sein und mit bestimmten Positionen sympathisieren. Eine solche Berichterstattung müsste dann – nimmt man die Einlassung Kramp-Karrenbauers beim Wort – im Vorfeld der Wahl unterbunden werden.
Eine derartige Neutralitätspflicht für Presseorgane ist aber nicht ableitbar. Presseorgane werden zwar gerne als „vierte Gewalt“ bezeichnet, sind jedoch gerade nicht grundrechtsverpflichtet, sondern als Bürger oder nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4 GG grundrechtsberechtigt. Im Rahmen von Art. 5 GG verbietet sich allerdings eine Übertragung des Maßstabs für Regierungshandeln bereits im Ansatz.
Das bedeutet aber nicht, dass eine Regulierung nicht vorstellbar ist. In jüngster Zeit hat die Diskussion über „Fake News“ hier einiges ins Rollen gebracht. Aufgrund der sehr weiten Definition der Meinung im verfassungsrechtlichen Sinne genießen auch diese in aller Regel den Schutz der Verfassung. Eine inhaltliche Regulierung wird damit schnell an ihre Grenzen stoßen. Geht man nun von der „Schaukeltheorie“ zur Meinungsfreiheit aus und berücksichtigt die überragende Bedeutung der Meinungsfreiheit gerade für den repräsentativ-demokratischen Staat, so wird klar, dass Einschränkungen gerade auf dem Gebiet der politischen Meinungsbildung wirklich sehr hohen Anforderungen gerecht werden müssen. Im Regelfall sind auch die sich widerstreitenden Interessen klarer (z.B. Ehrschutz vs. Meinungsfreiheit). Welches Rechtsgut hier genau geschützt werden soll, bleibt aber fraglich. Aus dem Grundgesetz ist jedenfalls kein allgemeines „Beeinflussungsverbot durch Private“ ableitbar, welches hier eine taugliche Schranke darstellen könnte.
Schlussendlich könnte auch die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in Relation zu YouTube einschlägig sein. Einige Interpreten postulieren hier sogar ein neues, ungeschriebenes Grundrecht der „Internetdienstfreiheit“ (Holznagel, Bernd/Schumacher, Pascal: Netzneutralität in der Informationsgesellschaft, S. 59). Ungeachtet dessen ist der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit aber auch eröffnet. YouTube selbst übernimmt zwar für seine Programme keine direkte redaktionelle Verantwortung, ist aber als Intermediär ebenfalls geschützt (siehe hierzu auch die ‚Presse-Grosso-Entscheidung des BVerfG‘).
YouTuber*innen sind allerdings – ungeachtet der Einzelheiten – als Telemedientreibende einzuordnen und damit bereits jetzt schon zumindest rudimentär reguliert. Ihre Arbeit muss nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 S. 1 RStV „anerkannten journalistischen Grundsätzen […] entsprechen“, sofern das Angebot journalistisch-redaktionell gestaltet ist. Verfassungskonform ausgelegt ist hierbei aber ein sehr weiter Spielraum einzuräumen. Nicht jede teilweise fehlerbehaftete Berichterstattung begründet bereits einen Verstoß.
Die Landesmedienanstalten haben diesbezüglich die etwaige Durchsetzungskompetenz. Problematisch ist hier, dass Ordnungswidrigkeitentatbestände nach § 49 RStV bei Verstößen gegen § 54 RStV nicht greifen. Mithin kann keine ordnungsrechtliche Geldbuße verhängt werden. Wer weiteres hierzu erfahren möchte, dem sei dieser Artikel empfohlen. Ob der Gesetzgeber hier nachbessern sollte, kann durchaus debattiert werden.
Schutzmöglichkeit der Parteien
Die hier erarbeiteten Punkte stellen auch eine interessengerechte Lösung dar. Parteien bleiben weiterhin Interventionsmöglichkeiten presserechtlicher Natur vorbehalten. Wenn die Schwelle zur inhaltlichen Falschaussage überschritten wird, stellt das Presserecht sowohl der Partei als auch dem privat betroffenen Politiker Möglichkeiten zur Richtigstellung und Unterlassung zur Verfügung.
Fazit
Die von Kramp-Karrenbauer angestoßene Debatte lässt auf strategische Mängel der CDU schließen. Anstelle die Konfrontation mit dem YouTuber ‚rezo‘ und dessen viral gegangenem Video zu suchen, scheint Kramp-Karrenbauer ein „rezo 2.0“ verhindern zu wollen. Der Vorstoß kommt erst auf den zweiten Blick als gut gemeinte „Anti-Verunsicherungshilfe“ zugunsten des Bürgers daher. Gut gemeint ist aber nicht immer gut umgesetzt. Die Aussage lässt einen mit verwundertem Blick auf das Demokratie- und Presseverständnis der CDU-Vorsitzenden zurück. Hier werden der legitime Meinungskampf und Diskussionen zum Gefahrenabwehrfall, ja sogar zum Kriegsfall (asymmetrische Wahlkampfführung), erklärt.
Wenngleich die Probleme der heutigen Zeit immer komplexer werden, vertraut das Grundgesetz auf die Mündigkeit des Einzelnen und dessen Entscheidungsfreiheit. Der Kampf um das bessere Argument ist damit essentiell, nicht aber dessen Verhinderung.
Zitiervorschlag: Jaschar R. A. Kohal, Wahlwerbung und der Schutz vor unzulässiger Beeinflussung: Der Unterschied zwischen staatlichen und privaten Akteuren, JuWissBlog Nr. 61/2019 v. 12.6.2019, https://www.juwiss.de/61-2019/
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