Gegen Hassrede braucht es mehr als Strafrecht – Zur Novellierung des NetzDG

Von AMÉLIE HELDT

Über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wurden nicht viele positive Worte verloren – außer vielleicht von autokratischen Regimen, die das NetzDG als Vorbild für die Regulierung von Meinungsäußerungen sehen. Das Gesetz wurde 2017 zur Bekämpfung von „Hasskriminalität und strafbaren Falschnachrichten auf Plattformen“ verabschiedet und es verpflichtet, soziale Netzwerke ab einer Nutzerzahl von zwei Millionen Beschwerdemöglichkeiten zur Meldung rechtswidriger Inhalte einzurichten und über den Umgang mit Beschwerden Bericht zu erstatten. Mit dem NetzDG wurden keine neuen Straftatbestände geschaffen, sondern es soll die Verbreitung von verletzenden und aggressiven Inhalten, die in den Anwendungsbereich gemäß § 1 Abs. 3 NetzDG fallen, unterbinden.

Lange Liste an Kritikpunkten

Das NetzDG wurde seit dem ersten Entwurf kritisiert und von mehreren Stimmen aus der Wissenschaft und der Praxis sogar für verfassungswidrig befunden. Problematisch waren unter anderem die Nichtvorgabe der Gestaltung von Meldewegen, die mangelnde Pflicht die Entscheidungsgrundlage zu nennen und die damit verknüpfte Unvergleichbarkeit der Berichte. Das hatte zur Folge, dass man die Geeignetheit und Erforderlichkeit dieses Gesetzes nicht abschließend bewerten konnte – ein Mangel, der angesichts der einschränkenden Wirkung des Gesetzes, gravierend ist.

Nutzerfreundlichkeit der Meldewege

Laut dem RefE vom BMJV würde § 3 Abs. 1 S. 2 NetzDG n.F. wie folgt lauten: „Der Anbieter muss Nutzern ein bei der Wahrnehmung des Inhalts leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares, leicht bedienbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung stellen.“ (Änderungen d. RefE kursiv). Wichtig ist hier der Zusatz „bei der Wahrnehmung des Inhalts“, denn bisher läuft das Notice-And-Take-Down-System in zwei Stufen ab: wenn Nutzer*innen in Deutschland einen Inhalt melden, können sie zunächst einen Meldegrund nach den Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerks aussuchen und im zweiten Schritt (entweder als Zusatz oder als Ersatz) einen Meldegrund „nach NetzDG“ angeben. Üblicherweise geschieht das in derselben „Meldemaske“, also das Fenster, das sich öffnet, wenn man einen Inhalt anstößig findet und auf „melden“ drückt. Facebook hingegen hat in der Vergangenheit den NetzDG-Meldeweg „versteckt“, d.h. nach dem Melden von Inhalten gemäß den Gemeinschaftsstandards wurde Nutzer*innen nicht das NetzDG als zweite Möglichkeit angezeigt, sondern man musste beim Impressum danach suchen. Facebook‘s Beschwerdezahlen waren die niedrigsten aller sozialer Netzwerke, die in den Anwendungsbereich des NetzDG fallen – nicht nur relativ sondern auch absolut. Ein Zusammenhang mit dem Meldeweg ist folglich nicht ernsthaft auszuschließen.

Erhöhung des Informationsgehalts und der Vergleichbarkeit der nach § 2 NetzDG einzureichenden Berichte

Die Änderung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 RefE d. NetzDG sieht eine zusätzliche Berichtspflicht über den Einsatz von automatisierten Verfahren und über die Entscheidungsgrundlage vor. Bisher blieb es den sozialen Netzwerken überlassen zu entscheiden, auf welcher Grundlage sie rechtswidrige Inhalte entfernen. Das ist auch soweit in Ordnung, weil das NetzDG eine zusätzliche Beschwerdemöglichkeit für Nutzer*innen einführen soll, aber keine Beschwerdepflicht. Das Löschen auf der Grundlage von Gemeinschaftsstandards erlaubt es den sozialen Netzwerken außerdem, unerwünschte Inhalte wie Hassrede auf globaler Ebene zu entfernen. Keine Berichtspflicht über die Entscheidungsgrundlage bedeutet aber, dass Inhalte, die dem Begriff der Hassrede zuzuordnen sind und zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen von Straftatbeständen erfüllen, bisher „nur“ als Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards entfernt werden konnten und somit aus den Berichten gemäß § 2 NetzDG nicht erkennbar wurde, ob sie auch in den Anwendungsbereich des NetzDG gefallen wären. Diese Intransparenz verhindert eine Vergleichbarkeit der Berichte und somit eine fundierte Evaluierung des Gesetzes (vgl. S. 14 RefE). Der im RefE vorgeschlagene § 2 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG sieht nun drei Darstellungsebenen vor: die von „Mechanismen zur Übermittlung von Beschwerden“, die der „der Entscheidungskriterien für die Entfernung und Sperrung von rechtswidrigen Inhalten“ und die „des Prüfungsverfahrens einschließlich der Reihenfolge der Prüfung“.

Dabei ist auch die Korrelation zwischen nutzerfreundlichen Meldewegen (s.o.) und der Berichtspflicht gemäß § 2 NetzDG relevant. Bisher soll die Gefahr des Overblockings, also des übermäßigen Entfernen von nutzgenerierten Inhalten aus Angst vor finanziellen Sanktionen durch Bußgelder, nicht eingetreten sein, d.h. soziale Netzwerke löschen nicht mehr als vor dem Inkrafttreten des NetzDG, aber das liegt vor allem an der mangelnden Datengrundlage. Die vorgeschlagenen Darstellungsebenen könnten diesen Mangel beheben und durch die neuen Nummern 11 bis 15 ergänzt werden. Auch der Zusatz für die Erfassung der automatisierten Inhaltemoderation ist angesichts des Einsatzes algorithmischer Filterung von Inhalten richtig. Dennoch ist der Gesetzesentwurf in vielen Punkten ungenau: was ist mit „Gruppen von Nutzern“ in § 2 Abs. 2 Nr. 12 u. 13 RefE NetzDG gemeint? Wie steht der Hinweis auf Strafanzeigemöglichkeit in § 3 Abs. 2 Nr. 5 c) RefE NetzDG im Verhältnis zur Antragsberechtigung gemäß § 77 StGB? Und wie wird gewährleistet, dass die gesammelten Informationen nicht missbraucht werden?

Quo vadis?

Die Überarbeitung des NetzDG muss im Kontext des Gesetzespakets gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität in sozialen Netzwerken betrachtet werden – idealerweise sollten sich die verschiedenen Gesetzesnovellierungen ergänzen. Doch die Verschärfung des Strafrechts in solchem Maße, sowie die Ausweitung der Zugriffsrechte auf Nutzerdaten sind nicht begrüßenswert und gleichen eher einer Überreaktion (vgl. Stellungnahme v. ichbinhier e.V. und HateAid). Es drohen Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit, aber auch in die informationelle Selbstbestimmung, die schlichtweg nicht erforderlich sind, um „das friedliche Zusammenleben in einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft zu fördern“ (S. 20 RefE, vgl. BT-Drs. 18/12356, S. 15). Experten fordern seit jeher mehr Ressourcen für die Ermittlungsbehörden, statt mehr Zuständigkeiten und Aufgaben (vgl. Meldepflicht gemäß § 3a RefE NetzDG und Änderungsvorschläge f. BundeskriminalamtG u. TMG im Gesetzespaket des BMJV, S. 8-13).

Die Verschärfung des Strafrechts kann nur bedingt zu einer Verbesserung der Lage beitragen. Zum einen weil diejenigen, die gezielt Hass im Netz verbreiten wollen, Strategien entwickelt haben, um stets an der Grenze der Strafbarkeit zu bleiben. Auf der Webseite D-Gen.de gibt der Beitrag „Shitposting 1×1“ zehn Tipps wie man „trollt“ ohne sich strafbar zu machen, eine detaillierte Anleitung hierfür enthält das „Handbuch der Medienguerilla“, das in rechtsextremen Milieus propagiert wird. Die Entwicklung solcher Taktiken könnte durch eine Verschärfung des Strafrechts zwar erschwert werden, sie zeigt aber vor allem, dass Hassrede und toxische Inhalte für die Betroffenen auch dann verletzend sind, wenn sie nicht strafbar sind. Einschlägige Tatbestände zu erweitern oder sogar abgeschaffte Paragraphen zu reaktivieren ist daher kein überzeugender Weg. Zum anderen nimmt die geplante Gesetzesänderung die eigentlichen Probleme nicht in Angriff, wie Rechtsextremismus und Cybermobbing. Stattdessen müsste der Gesetzgeber auf Bildungsangebote und Programme für den gesellschaftlichen Zusammenhalt setzen. Denn die Rechtswissenschaft dient zwar der Standardisierung von Normen für das Leben in einer Gesellschaft und somit der Verhaltenssteuerung, aber sie liefert keine Antworten auf soziale Probleme.

Zitiervorschlag: Amélie Heldt, Gegen Hassrede braucht es mehr als Strafrecht – Zur Novellierung des NetzDG, JuWissBlog Nr. 31/2020 v. 23.3.2020, https://www.juwiss.de/31-2020/

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