Volksverhetzung unter dem Deckmantel der Wahlwerbung vs unrechtmäßige Vorzensur – Was darf Wahlwerbung und wer darf es kontrollieren?

von JULIA K. ESSWEIN

Der Kampf eines ertrinkenden Kindes gegen die erdrückenden Wassermassen, eine Aufforderung, Schutzzonen für Deutsche gegen gefährliche Ausländer einzuführen – auch der Wahlkampf zur Europawahl 2019 führt erneut zum Muskelspiel zwischen Wahlkampfführenden und Rundfunkbetreibern. Kein neues Bild, sondern ein immer wieder auflebender Konflikt zweier Rechtsträger, die beide auf grundrechtliche Privilegien verweisen können, und welcher wiederkehrend die Gerichte beschäftigt, meistens in der Ausprägung des Vorwurfs der unrechtmäßigen Vorzensur vs. Volksverhetzung unter dem Deckmantel der Wahlwerbung. Der vorliegende Beitrag beleuchtet diesen Konflikt anhand aktueller Fälle im Vorfeld der Europawahl.

Begriff der Wahlwerbung

Wahlwerbung ist der Oberbegriff jeder Maßnahme der politischen Parteien und anderen Wahlwerbenden, um den Bürger zur Stimmabgabe in der kommenden Wahl zu motivieren. Hierunter fallen insbesondere Wahlsendungen. Bei diesen handelt es sich um von den Parteien eigenverantwortlich hergestellte Beiträge, die für die Verbreitung in Hörfunk und Fernsehen produziert werden. Der Begriff wird vom Bundesverfassungsgericht traditionell weit ausgelegt und hierunter alles gefasst, das einen konkreten Bezug zur Wahl und einem angestrebtem Wahlerfolg aufweist.

In der laufenden Kampagne zur Europawahl kam es zu dem seltenen Fall der verweigerten Ausstrahlung eines gar nicht als Wahlwerbung anerkannten Spots durch das ZDF. Die Entscheidung betraf den Spot der Sartirepartei „Die Partei“. In diesem war in seiner ursprünglichen Form ein ca. achtjähriger, gegen das Ertrinken kämpfender Junge auf dem offenen Meer zu sehen. Seine Bemühungen und das letztendliche Scheitern stellen neben einem kurzen Ab- und Vorspann den gesamten Spot dar. Im Abspann wurde sodann ein Schriftzug eingeblendet unter Bezeichnung einer Organisation für Seenotrettung. Die werbende Partei und ihr Kürzel wurden zu keinem Zeitpunkt gezeigt.

Im Hinblick auf die vorgenannten Kriterien lässt sich das Verneinen der Einstufung als Wahlwerbung gut begründen, denn zum einen ist dem Spot keine Aufforderung zur Stimmabgabe zu erkennen und weiterhin ist der filmischen Sequenz lediglich das Anliegen einer privaten Organisation zu entnehmen und keine Werbung für eine Partei.

Inhaltliche Schranken der Wahlwerbung

Streitträchtiger ist jedoch die inhaltliche Ausgestaltung von Wahlwerbung und die Frage, wer und in welchem Maße hierbei zur Kontrolle berechtigt ist.

Das Zusammenspiel der Parteifreiheit aus Art. 21 Abs. 1 GG mit der Meinungs- und Verbreitungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG erlaubt es den Parteien, Wahlkampf zu betreiben und in dessen Rahmen ihre politischen Meinungen öffentlich kundzutun. Auch wenn sich die Parteien auf die Meinungs- und Äußerungsfreiheit berufen können und die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) eine der Meinungsbildung dienende Freiheit ist, folgt hieraus kein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Erteilung von Sendezeit innerhalb des Programms des Rundfunks und somit auf Verbreitung der eigenen Meinung in Hörfunk und Fernsehen. Vielmehr gehören Wahlwerbesendungen, ebenso wie andere Drittsendungen, also fremdproduzierte Beiträge, zum Schutzbereich der Rundfunkfreiheit, welche jede Art der Sendung erfasst und somit auch gerade solche, für deren Inhalt der Rundfunkveranstalter keine Verantwortung trägt. Hierzu sogleich mehr.

In jahrelanger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Gewährung von Wahlsendezeiten durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, soweit sie nicht auf Vorschriften der Rundfunkgesetze beruht, den Terminus der „Freiwilligkeit“ verwendet und somit die Gebotenheit eines uneingeschränkten Zugangsrechts der Parteien verneint. Dieser eingeräumten Freiheit kommt heute allerdings kaum noch praktische Bedeutung zu, da in fast alle Anstaltsorganisationgesetzen ein Anspruch der Parteien auf Ausstrahlung von Wahlwerbung aufgenommen wurde (z.B. § 11 Abs. 1 ZDF-StV).

Für den privaten Rundfunk findet sich eine solche einfachgesetzlich normierte Verpflichtung zur Einräumung von Sendezeit für Wahlwerbespots in § 42 Abs. 2 RStV.

Dass die Rundfunkunternehmen für Wahlwerbesendungen nur eine begrenzte Verantwortung tragen, ist die Kehrseite der eingeschränkten Kontrollrechte bezüglich der Inhalte der Wahlwerbesendungen. Hierbei sind diese auf die Überprüfung beschränkt, ob der in Rede stehende Beitrag tatsächlich unter den oben ausgeführten Begriff der Wahlwerbung fällt und, ob sie gegen allgemeine Gesetze verstoßen. Zur Zurückweisung solcher Wahlspots sind die Veranstalter indessen nur dann befugt, wenn der Verstoß gegen die allgemeinen Gesetze evident ist und nicht leicht wiegt. Relevante allgemeine Gesetze sind hierbei insbesondere Strafgesetze. Hierbei ist der häufigste Anwendungsfall die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StGB.

Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StGB macht sich strafbar, wer im Rundfunk in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Die Beurteilung, ob ein böswilliges Verächtlichmachen vorliegt, kann sich bei einem Wahlwerbespot aus der Gesamtschau des visuellen und auditiven Inhalts ergeben.

Eine solche Gesamtschau von Tonspur und Bild wurde auch Gegenstand der von vielen Gerichten in Ausschöpfung des Instanzenzuges durchgeführten Bewertung des Wahlwerbespots der NPD zur Europawahl 2019. In seiner ursprünglichen Form liefen eingangs vor dunklem Hintergrund Blutspritzer am Bildschirm herunter, während man das Laden einer Waffe und einen Schuss hörte. Es folgten immer schneller werdende Einblendungen von Tatorten und Namen von Opfern von Gewaltdelikten. Aus dem Off wurde folgender Text gesprochen: „Seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung werden Deutsche fast täglich zu Opfern ausländischer Messermänner. Migration tötet!“ Sodann wurde die Aussage „Migration tötet“ in großen roten Lettern eingeblendet. Es folgt der gesprochene Text: „Jetzt gilt es zu handeln, um Schutzzonen für unsere Sicherheit zu schaffen.“

Das ZDF verweigerte die Ausstrahlung aufgrund der Annahme eines evidenten Verstoßes gegen § 130 StGB und wurde in seiner rechtlichen Bewertung im gerichtlichen Instanzenzug und schließlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Hierbei waren sich die Gerichte einig, dass sich für den Durchschnittsbeobachter als Kern der Aussage herausbildete, Ausländer – insbesondere die ab dem Jahr 2015 Eingereisten – seien sämtlich gefährliche Straftäter, die eine akute Bedrohung für Leib und Leben der deutschen Bevölkerung darstellten und einen von der deutschen Gesellschaft abzugrenzende Bevölkerungsgruppe bildeten.

Interessant ist hierbei, dass sich die Verwaltungsgerichte, Obergerichte und Rundfunksender (mittlerweile u.a. auch noch ARD, RBB, HR und BR betroffen) auch nach Änderung des Spots überwiegend für eine Verweigerung der Ausstrahlung aussprachen, während das Bundesverfassungsgericht die folgende Neufassung für ausreichend hielt, um die pauschal diffamierende, menschenverachtende Message des ursprünglichen Formats nun als behoben anzusehen:

Der Wahlwerbespot beginnt nun mit den Worten „Seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung werden Deutsche fast täglich zu Opfern“, was bildlich weiterhin mit der Einblendungen von Tatorten und Namen von Opfern von Gewaltdelikten unterlegt wird. Sodann wirbt die NPD damit, dass sie durch die Einrichtung von „Schutzzonen“ den Deutschen wieder ein Gefühl der Sicherheit geben werde.

Das Bundesverfassungsgericht sah hierbei als Kernaussage nunmehr das Bild der „Deutschen“ als „vermeintlichen Opfern“, wobei bezüglich des Ursprungs von deren Bedrohung eher abstrakt auf der „Massenzuwanderung“ und der „willkürlichen Grenzöffnung“ verwiesen würde.

Liegt das Bundesverfassungsgericht mit dem alleinigen Abstellen auf den Inhalt des Spots zwar richtig, so vermag die im Vergleich zum ursprünglichen Werbefilm gegenteilig ausfallende Entscheidung nicht zu überzeugen: Zugestanden werden muss, dass der Unterton der Nachricht durch das Weglassen der Bezeichnung „Messermänner“ und „Migration tötet!“ an Schärfe verliert. Allerdings bleibt die Aussage, eine Bedrohung für Deutsche bestehe durch zugewanderte Ausländer, bestehen. Damit dem Rundfunksender eine Verweigerung der Ausstrahlung verwehrt bleibt, bedürfte es vorliegend einer Zweideutigkeit der Kernaussage, bei der es sodann unter Würdigung der grundrechtlichen Position der Partei und ihrem verfassungsunmittelbaren Anspruch auf chancengleichen Wahlwettbewerb geboten wäre, die nicht volksverhetzende Wertung zugrunde zu legen. Eine alternative Deutung führt das Bundesverfassungsgericht jedoch vorliegend nicht an, sondern sieht die nunmehr seiner Ansicht nach, lediglich “abstrakt“ vollzogene kausale Verknüpfung von Migration und Bedrohung von Deutschen als “nicht zwingend volksverhetzenden“ Inhalt an. Dem Durchschnittsleser wird jedoch weiterhin suggeriert, Migranten und Asylsuchende stellten aufgrund der von ihnen begangenen Straftaten, die sie an Bürgern mit deutscher Staatsangehörigkeit begingen, eine Bedrohung dar. Weiterhin bleibt es zudem bei der Bewertung, auf dem Bundesgebiet gäbe es eine Spaltung zwischen der Gesellschaft derjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit und denen ohne diese, und es sei im Sinne der erstgenannten Gruppe, diese Trennung aufrecht zu erhalten.

Fazit

Es bedarf einer einerseits kritischen, auf der anderen Seite auf evidente Verstöße gegen allgemeine Gesetze begrenzten Kontrolle von Wahlwerbesendungen, um Rundfunkfreiheit und Freiheit der Parteien im System des deutschen Grundgesetzes zu garantieren. Hierbei muss es möglich sein, drastische, kreative, und manchmal auch schmerzliche Elemente und Stilmittel zu verwenden. Ein Anspruch besteht jedoch unverändert nicht verfassungsunmittelbar, sondern durch die Verpflichtungen des privaten Rundfunks im RStV und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in dem jeweils für die Rundfunkanstalt geltenden Staatsvertrag.

Zitiervorschlag: Julia Eßwein, Volksverhetzung unter dem Deckmantel der Wahlwerbung vs unrechtmäßige Vorzensur – Was darf Wahlwerbung und wer darf es kontrollieren?, JuWissBlog Nr. 53/2019 v. 23.5.2019, https://www.juwiss.de/53-2019/

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