von DORIS LIEBSCHER
Deutliche Worte fand das Landgericht Aachen Ende Mai für Fitnessstudios, die systematisch Kund*innen aufgrund rassistischer Zuschreibungen ausschließen: Eine solche Praxis lasse „auf eine in besonderem Maße verwerfliche Einstellung schließen.“ Auch deshalb seien 2500,00 Euro Entschädigung angemessen. Das ist die bisher höchste Summe, die ein Gericht im Bereich Waren- und Dienstleistungsverkehr nach § 19 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entschieden hat. Doch die Bemessung der Schadenshöhe wirft auch die grundsätzliche Frage auf, wie Diskriminierung grund- und europarechtlich zu bestimmen ist.
Die Beweisfrage war unproblematisch. Der Beklagte, der mehrere Fitnessstudios betreibt, gab recht unverblümt zu, dass Ablehnungen wegen eines nichtdeutsch klingenden Nachnamens, nichtdeutscher Staatsangehörigkeit oder Herkunft und nicht-typisch-deutschem Aussehen Teil seiner Geschäftspolitik sind. In der Vergangenheit war er zudem bereits viermal zu Entschädigungssummen nach dem AGG zwischen 500,00 und 1000,00 Euro verurteilt worden. Er hatte Kundinnen, die ein religiöses Kopftuch trugen, „aus Imagegründen“ bzw. „weil derartige Bekleidung dem Gedeihen unseres Geschäfts nicht förderlich ist“ die Mitgliedschaft gekündigt. Die Verurteilungen hatten keine Einsicht und keine Verhaltensänderung bewirkt, im Gegenteil, die Geschäftsführung hatte regelmäßige geringfügige Entschädigungszahlungen bereits in die betriebliche Kalkulation einbezogen.
Nun hatte ein Mann mit sierraleonischer Staatsangehörigkeit geklagt, dessen Antrag auf Mitgliedschaft zunächst mit der Begründung abgelehnt wurde, es gäbe einen Aufnahmestopp. Nachdem ein Testing ergeben hatte, dass das nur vorgeschoben war, teilte ihm der Betreiber schließlich mit, „aufgrund der schlechten Zahlungsmoral von männlichen Mitgliedern mit Migrationshintergrund“ könne eine Annahme nur gegen Vorauszahlung eines Jahresbeitrages erfolgen. In der mündlichen Verhandlung nannte der Beklagte das „Bonitätsprüfung“, für die Betroffenen und das Gericht ist es schlicht: Diskriminierung i.S.v §§ 1, 2, 19 Abs. 3 AGG.
Entschädigung hat zwei Ziele: Genugtuung und Abschreckung
Interessant ist das bisher unveröffentlichte Urteil (liegt der Verfasserin vor) vor allem wegen der Ausführungen zur Entschädigungshöhe. Das Gericht legt detailliert dar, wie eine Entschädigung nach § 21 Abs. 2 S. 3 AGG bemessen wird. Im Sinne der AGG-Gesetzesbegründung, der Vorgaben in Art. 15 RL 2000/43/EG und Art. 14 RL 2004/113/EG sowie der Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung muss diese effektiv und abschreckend sein, also in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen und über einen symbolischen Schadensersatz hinausgehen. Das Landgericht stellt in einer Zusammenschau dieser europarechtlichen Vorgaben und der nationalen Grundsätze des Geldentschädigungsanspruchs die Höhe eines solchen Anspruchs bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fest.
Im Vordergrund steht erstens die Genugtuungsfunktion angesichts der „durch die Benachteiligung zugefügten Herabsetzung und Zurücksetzung“. Die Schwere der Benachteiligung bemisst sich objektiv und subjektiv. Objektiv bedeutet Dauer, Häufigkeit und Intensität des diskriminierenden Verhaltens, aber auch die Bedeutung des Schuldverhältnisses für die benachteiligte Person. Subjektiv können der Verschuldungsgrad und eine eventuelle Diskriminierungsabsicht eine Rolle spielen. Zweitens hat die Entschädigung aber auch eine generalpräventive Funktion; hier ist insbesondere die wiederholte oder sogar einkalkulierte Verletzung des Diskriminierungsverbotes zu berücksichtigen. Angesichts des diskriminierenden Vorverhaltens des Beklagten rücke der „Präventionsgedanke vorliegend zunehmend in den Vordergrund.“ 2500,00 Euro hielt das Gericht deshalb für angemessen.
Klagen gegen Diskriminierung sind kein Geschäft – sondern sehr anstrengend
Der Antidiskriminierungsverband Deutschland, der die Klage begleitete, begrüßte das Urteil und hofft, dass die Ausführungen des Landgerichts zur Schadenshöhe richtungsgebend für ähnliche Verfahren sind. Einige Ausführungen des Gerichts zur Schadenshöhe machen jedoch skeptisch. Denn zwei Dinge klarzustellen, war den Richter*innen wichtig: Erstens dürften die generalpräventiven Erwägungen nicht dazu führen, dass die übrigen Bemessungskriterien im Vergleich zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu unverhältnismäßig hohen Entschädigungen führten. Zweitens dürfe „Diskriminierung nicht zu einem Geschäft des Geschädigten werden“. So hatte auch schon das OLG Stuttgart in einem ähnlichen Fall entschieden.
Diese damit gefestigte Rechtsprechung ist Ausdruck einer grundsätzlichen rechtspolitischen und dogmatischen Auseinandersetzung um Antidiskriminierungsrecht. Seit der Einführung des AGG vor mehr als zehn Jahren warnen Gegner*innen des Gesetzes vor dessen Missbrauch und bringen die Entschädigungsansprüche in Verbindung mit punitive damages, der Zivilstrafe, ein Rechtsinstitut, welches das deutsche Zivilrecht nicht kennt. Bei den Gerichten entsteht so ein Rechtfertigungsdruck, der bislang zu im europäischen Vergleich immer noch erstaunlich niedrigen Entschädigungssummen geführt hat. Es gehe nicht um Strafschadensersatz und es dürfe nicht ums Geschäftemachen gehen, betonen deutsche Gerichte immer wieder. Eine Zumutung gerade für Betroffene von Alltagsdiskriminierung, die für Entschädigungssummen, die bisher 1000,00 Euro nie überstiegen, den Stress und das Prozessrisiko eines gerichtlichen Verfahrens auf sich nehmen.
Würde und Gleichheit gehören zusammen
Die primäre Orientierung am allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei der Bestimmung der Schadens lässt zudem einen gewichtigen Faktor außer Acht: die Gleichheit. Der EuGH hatte bereits 1993 in der Sache Marshall II entschieden, dass sich Sanktionen auch zu einer Wiederherstellung der verletzten Gleichheit eignen müssen. § 21 AGG geht damit über die Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinaus. Wie unzureichend eine Betrachtung von Diskriminierung als Würdeverletzung ist, hat Susanne Baer schon 1995 am Recht gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gezeigt, damals noch im Beschäftigtenschutzgesetz, in einem der Vorläufer des AGG, geregelt. Baer kam zu dem Ergebnis, dass deutsches Recht aufgrund seines Bezugs auf das Grundrecht der Menschenwürde nicht angemessen auf eine Rechtsverletzung, reagieren kann, „die in ihrer Dynamik so kollektiv bezogen ist.“
Darauf hat das AGG in Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien reagiert. Diskriminierungsschutz heißt beides: Schutz vor Ausgrenzungen und Schutz vor persönlichen Herabwürdigungen. Nur letztere bilden sich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab. Das zeigt sich auch daran, dass auch mittelbare Diskriminierungen, nicht vorsätzlich begangene Diskriminierungen oder subjektiv nicht als Würdeverletzung wahrgenommene Benachteiligungen einen immateriellen Schaden hervorrufen, den es auszugleichen gilt. Die Frage „Würde oder Gleichheit“ ist insofern eine rhetorische, als dass Diskriminierung nicht nur eines, sondern immer beide dieser zentralen Grundrechte zugleich verletzt. Der Anspruch auf Nichtdiskriminierung ist keine Frage der Ehre, sondern eine von Würde und Gleichheit.
Diskriminierung verletzt das Inklusionsinteresse – das ist mehr als eine Persönlichkeitsrechtsverletzung
Diskriminierung hebt sich vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab, weil in ihr immer auch eine Beeinträchtigung des Inklusionsinteresses liegt. Damit ist nicht nur das gesamtgesellschaftliche Interesse an Teilhabegerechtigkeit und Inklusion angesprochen. Benachteiligungen beeinträchtigen auch das individuelle Interesse, nicht vom Markt und nicht aus dem sozialen Leben ausgeschlossen zu werden und nicht an den Rand beziehungsweise in eine stigmatisierte Ecke gedrängt zu werden. Eine rassistische Beleidigung oder eine ungerechtfertigte Benachteiligung, die wie im vorliegenden Fall auf rassistische Zuschreibungen zurückgeht, wiegt insofern schwerer als eine Beleidigung oder Benachteiligung, die jeden Menschen treffen kann. Weil hinsichtlich der Vertragsfreiheit von Personen, die Diskriminierung erfahren, neben Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG auch Art. 3 GG gilt, muss das Inklusionsinteresse als weiterer Faktor für die Bestimmung der Entschädigungshöhe berücksichtigt werden. Entschädigungen im vier- oder fünfstelligen Bereich erscheinen dann nicht unverhältnismäßig, sondern grund- und europarechtlich angemessen.