von TIMO LAVEN und LORENZ WIELENGA
Es könnte der erste Fall einer (vermeintlichen) cancel culture sein, der innerhalb kürzester Zeit zu einer „Entlassung“ aus einer Tätigkeit für einen öffentlichen Träger führte. Anders als in den üblichen Situationen sind es jedoch nicht Konservative, die das Schreckgespenst der cancel culture heraufbeschwören, sondern die Unterstützer:innen von Bahar Aslan, Lehrbeauftragte an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Gelsenkirchen (HSPV NRW). Aslan hat am 20. Mai auf Twitter Angst vor rassistisch motivierten Polizeikontrollen geäußert und dabei von „braunem Dreck“ gesprochen. Die schnell geäußerten straf- und disziplinarrechtlichen Forderungen haben die Autoren in einem separaten Beitrag eingeordnet. Darauf aufbauend wird an dieser Stelle den grundrechtlichen und rechtspolitischen Erwägungen zum Fall Bahar Aslan nachgegangen.
Während schon eine möglicherweise entstehende Drohkulisse Implikationen für die Meinungsfreiheit bedeuten kann, kann in Form der Beendigung des Lehrauftrags auch in die Berufs- sowie die Wissenschaftsfreiheit eingegriffen worden sein. Auf Letztere kann sich Aslan als Lehrbeauftragte zwar grundsätzlich berufen, die private, polemische und nicht in erkennbarem Zusammenhang mit Forschung stehende Äußerung ist davon allerdings nicht umfasst. Aufgrund der über den Fall hinausgehenden Wirkung steht die Meinungsfreiheit daher im Zentrum.
Ein chilling effect für die Meinungsfreiheit
In einem Tweet hatte die türkischstämmige Lehrerin, die Mitglied bei den Grünen ist, ihre Gefühle in Polizeikontrollen beschrieben: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund:innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land.“
Kein Mensch ist Dreck. Dass der Tweet zumindest auch die Interpretation zulässt, einen relevanten Teil der Polizeibeamt:innen zu diffamieren, macht die Wortwahl kritikwürdig. Gleichzeitig zeigt der Zuspruch zu den Worten Aslans, was schon lange bekannt ist: Zahlreiche migrantisch gelesene Menschen in Deutschland haben Angst vor der Polizei. Nach zahlreichen Skandalen über rechte Chatgruppen in Polizeibehörden, Debatten um Racial Profiling und strukturellen Rassismus stellt sich inzwischen auch in den Sicherheitsbehörden zunehmend Offenheit für den Umgang mit Problemen um strukturellen Rassismus ein. Die Einstellung Bahar Aslans sollte gerade ein Beitrag zu Förderung interkultureller Kompetenz sein, indem junge Polizeianwärter:innen in antirassistischem Verhalten geschult und für die Perspektive von Rassismusbetroffenen sensibilisiert werden.
Wenn in allen gesellschaftlichen Bereichen Elemente eines strukturellen Rassismus bestehen, findet sich dieser auch innerhalb der Polizeibehörden. Angesichts des staatlichen Gewaltmonopols sind Rassismusbefunde in der Polizei allerdings besonders dramatisch. Kritisiert nun ein:e Polizeidozent:in für interkulturelle Kompetenz die interkulturelle Kompetenz der Polizei in dramatischen Worten, muss sie um ihren Job fürchten.
Die Entscheidung der staatlichen Hochschule hat Auswirkungen jenseits von Bahar Aslan. Nicht nur ihr:e Nachfolger:in, sondern alle Personen in vergleichbaren Positionen werden sich nun die Frage stellen, mit welcher Freiheit sie noch von ihrem Meinungsäußerungsrecht Gebrauch machen können. Die drohende hemmende Wirkung auf die Unbefangenheit des Grundrechtsgebrauchs wird als „chilling effect“ bzw. Einschüchterungseffekt bezeichnet (st. Rspr. des EGMR, erstmals EGMR v. 27.3.1996, App. no. 17488/90 Rn. 39; BVerfGE 120, 378, 402). Im Einzelfall kann dies dazu führen, dass von Rassismus betroffene Polizeidozent:innen etwaige private Negativerfahrungen nicht frei öffentlich kritisieren können. Gesamtgesellschaftlich sind „chilling effects“ besonders dann problematisch, wenn es sich – wie bei der Debatte um Rassismus in der Polizei – um kontrovers geführte Aushandlungsprozesse handelt.
Natürlich sind Kommunikationsfreiheitsrechte den in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Beschränkungen unterworfen (vgl. etwa Art. 10 II EMRK). Schranken finden sich oftmals insbesondere im Strafrecht. Ein „chilling effect“ kann also sinnvoll sein, wenn dadurch etwa die Begehung zukünftiger Straftaten verhindert wird und kann so dem Strafzweck der negativen Generalprävention dienen. Wie auf diesem Blog besprochen, war ihr Tweet allerdings strafrechtlich unerheblich. Mithin taugt ein „chilling effect“ im vorliegenden Fall nicht zur Verhinderung künftiger Straftaten. Im Gegenteil wirkt er sich abschreckend auf die Äußerung von Kritik aus, die die Schwelle der Strafbarkeit gerade nicht überschreitet. Aus grundrechtlicher Sicht ist dieser Befund des „chillings effects“ auf Aslans Nachfolger:in und Personen in vergleichbaren Funktionen problematisch.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, nimmt man verbeamtete Hochschuldozent:innen und Schullehrer:innen in den Blick. Deren Grundrechte können zwar angesichts der Sonderstatuslehre weiterhin grundsätzlich einfacher eingeschränkt werden als die Rechte von Personen ohne gesteigerte Bindung an den Staat. Im Rahmen des die organischen Angelegenheiten betreffenden Betriebs-/Dienstverhältnisses werden staatliche Maßnahmen mitunter nicht als Eingriff eingeordnet. Dies gilt indes nicht für Regelungen, die in die persönlichen Rechte und damit das Grundverhältnis der Person eingreifen. In diesem Bereich gelten die Grundrechte ohne jede Einschränkung. Die Sanktionierung einer privaten Meinungsäußerung – die darüber hinaus außerhalb des Dienstes auf einem privaten Kanal der sozialen Medien veröffentlicht wird – tangiert ohne Weiteres das Grundverhältnis.
Eine verpasste Chance für Sicherheitsbehörden
Diese grundrechtlichen Implikationen, die über die Person Aslans hinausgehen, gewinnen an Brisanz, ordnet man die Geschehnisse in einen politischen Kontext ein. In den andauernden Diskussionen um Rechtsextremismus in deutschen Sicherheitsbehörden ist gerade die Frage, ob diese Geschehnisse Einzelfälle oder Zeichen eines strukturellen Problems sind, Teil der politischen Auseinandersetzung. Die eigentliche Problematik liegt damit außerhalb der Sphäre des Rechts. Inmitten einer angespannten Situation wird eine Drohkulisse geschaffen, die die Thematisierung von Missständen und damit eine offene Debatte erschwert.
Wenn gleichzeitig ein Mitgründer des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik, der Vorträge vor Mitgliedern des NSU gehalten hat, weiterhin im Amt bleiben darf, scheint das ohnehin schon problematische Hufeisen endgültig verbogen. Dabei bot der Fall Aslan eine mustergültige Chance für ein souveränes und reflektiertes Auftreten der Sicherheitsbehörden, für ein Signalisieren von Gesprächsoffenheit bei gleichzeitiger Zurückweisung der konkreten Formulierung. So hätte die Hochschule ihrem Ziel, Rassismus innerhalb der Sicherheitsbehörden aufzuarbeiten, effektiv durch eine öffentliche Debatte über die Erfahrungen Bahar Aslans nachkommen können. Stattdessen führte der Fall zu einer Verschiebung des Diskurses: Das eigentliche Thema wurde auf teils floskelartige Bekenntnisse gegen Rassismus reduziert; was Aslan und ihren Freund:innen widerfahren ist, ob oder inwieweit ihre Angst berechtigt ist, wurde nicht thematisiert. Damit hat die Causa Aslan der Debatte einen Bärendienst erwiesen, indem sie vom Thema abgelenkt und Fronten verhärtet hat. Gerade von Polizeihochschulen als Ort der internen wissenschaftlichen Reflektion der Sicherheitsbehörden wäre daher ein unaufgeregterer und weniger obrigkeitlicher Umgang mit Fällen wie diesem zu wünschen. Eine Vertragsverlängerung hätte gezeigt: Kritische, selbst polemisch geäußerte, migrantische Perspektiven auf die Polizeiarbeit in Deutschland werden konstruktiv angenommen, nicht ausgeschlossen.
Zitiervorschlag: Laven, Timo/Wielenga, Lorenz, Über den Umgang mit Bahar Aslan: Die verbogene Hufeisentheorie, JuWissBlog Nr. 37/2023 v. 15.06.2023, https://www.juwiss.de/37-2023/
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Es ist schon erstaunlich, was für einen Aufwand die Verfasser betreiben, um die Entgleisung Aslans klein zu reden und stattdessen den Umgang mit ihr zu skandalisieren.
Die Sorge vor einem „chilling effect“ erscheint hier reichlich konstruiert. Selbstverständlich können sowohl Normalbürger als auch Beamte sich zu angeblichem Rassismus bei der Polizei äußern. Wer das tut, wird im gegenwärtigen politischen Klima ohnehin eher mit Beifall als mit Einschüchterung rechnen dürfen. Äußerungen wie die hier in Rede stehende sind jedoch ersichtlich nicht geeignet, irgendeinen sinnvollen Diskussionsbeitrag zu leisten; im Mittelpunkt steht allein die pauschale Diffamierung. Wenn Bürger und besonders Beamte (Mäßigungsgebot!) von derartigen Äußerungen zukünftig Abstand nehmen, ist dies nur zu begrüßen.
Bemerkenswert ist auch, wie einseitig die Sorge vor einem „chilling effect“ von den Autoren instrumentalisiert wird. Die Autoren sprechen selbst von „zahlreichen Skandalen über rechte Chatgruppen in Polizeibehörden“. Sicherlich ist ihnen auch bekannt, dass diesbezüglich eine Vielzahl an Disziplinarverfahren, zT sogar Strafverfahren laufen. Hier kommen die Autoren bemerkenswerterweise nicht auf den Gedanken, dass auch etwa konservative Kritiker der Asylpolitik durch die Verfahren eingeschüchtert werden könnten und von öffentlichen (sachlichen) Meinungsäußerungen künftig absehen. Die Meinungsfreiheit ist offenbar nur dann in Gefahr, wenn es um bestimmte, den Autoren zustimmungsfähig erscheinende Meinungen geht.
Zur Causa um den „Mitgründer des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik“ sei schließlich angemerkt, dass dieser die Organisation bereits kurz nach der Gründung – und damit viele Jahre vor [!] der Einstufung durch den Verfassungsschutz – wieder verlassen hat. Warum er für die weitere Entwicklung der Organisation etliche Jahre nach seinem Ausscheiden noch verantwortlich sein soll, erschließt sich nicht. Aber mit solchen Details muss man sich natürlich nicht auseinandersetzen, wenn man von vornherein weiß, auf welcher Seite die Guten und auf welcher Seite die Bösen zu finden sind.