von TINA WINTER
An diesem Montag war es soweit: Das Forschungsprojekt “Verfassungsblog: Perspektiven der Wissenschaftskommunikation in der Rechtswissenschaft” nahm seine Arbeit auf. Zum Auftakt diskutierten Rechtswissenschaftlerinnen und Journalisten über die Bedeutung des Verfassungsblogs sowie des Bloggens für die Rechtswissenschaft und für die politisch interessierte Öffentlichkeit. Diskutiert wurde über das „wie“ und „ob“ des Zusammenwirkens von Rechtswissenschaft und Öffentlichkeit sowie die Unterschiede zur amerikanischen rechtswissenschaftlichen Blog-Kultur. Im Mittelpunkt der Diskussion, durch die Maximilian Steinbeis führte, stand die Frage nach dem Nutzen, den Chancen und Risiken des Bloggens für die Rechtswissenschaft.
Gretchenfrage der Rechtswissenschaft in neuem Gewand
Die Initiatoren des Forschungsprojekts machten im Verlauf der Diskussion deutlich, dass sie ein ambitioniertes Anliegen verfolgen. Die Spannbreite der wissenschaftlichen Fragestellungen spiegelt sich schon in der personellen Ausstattung des Projekts. Einerseits soll eine Ethnologin kulturelle Probleme rechtswissenschaftlichen Publizierens in den Blick nehmen. Andererseits soll eine Rechtswissenschaftlerin im Selbstversuch bloggen und dabei Veränderung reflektieren, die das Bloggen in ihr bewirken. Wissenschaftlich angeleitete Selbstbeobachtung auf einer Meta- und auf einer subjektiven Ebene stehen somit im Mittelpunkt des Projekts. Dieser experimentell-interdisziplinäre Ansatz wird dem Novum der Fragestellung gerecht. Auch wenn es nicht ausbleiben wird, dass der ein oder andere gestandene Rechtswissenschaftler genau deswegen das Projekt wohl eher mit Stirnrunzeln betrachten wird.
Dass das rechtswissenschaftliche Selbstverständnis durch das Bloggen auf die Probe gestellt wird, wurde auch im Verlauf der Diskussion deutlich. Wie eigentlich nicht anders zu erwarten war, schimmerte die aus anderen Kontexten gut bekannte Gretchenfragen der Rechtswissenschaft immer wieder durch: Ist das Wissenschaft, was hier passiert – wenn nein, ist es gefährlich und müssen wir es deswegen meiden? Die Frage mag vielen inzwischen als leidig erscheinen. Für die Akzeptanz des Mediums des rechtswissenschaftlichen Blogs wird man sich mir ihr dennoch befassen müssen.
Das Meinungsspektrum: Fast Food Culture, Appetizer, „Kosteklecks“
Das Meinungsspektrum zu dieser Frage kam kulinarisch daher. Franz C. Mayer erinnerte daran, dass einer seiner – ebenfalls bloggenden – wissenschaftlichen Ziehväter Joseph H.H. Weiler vom Bloggen stets als eine Art „Fast Food Culture“ sprach. Schnelllebigkeit und Subjektivität stellten in gewisser Weise Gefahren für eine ernsthaft betriebene Wissenschaft dar. Katja Gelinsky blieb bei ihrer Replik im kulinarischen Bild, sah aber im Bloggen eher eine „Appetizer Culture“. Das rechtswissenschaftliche Bloggen stelle eine Möglichkeit dar, Diskussionen in Gang zu bringen, die anschließend in der Wissenschaft vertieft behandelt werden. Martin Eifert schließlich versuchte die Problematik mit der aus dem KiTa-Sprech bekannten Fachvokabel des sog. „Kosteklecks“ zu konkretisieren: Der Blogbeitrag nimmt den „Geschmack“ eines rechtswissenschaftlichen Themas auf. Er ist aber nicht die Wissenschaft selbst, sondern vielmehr geeignet, Lust auf die Auseinandersetzung mit der eigentlichen rechtswissenschaftlichen Debatte (= dem Dinner) zu machen, die aber jenseits des Blogs stattfindet.
Etwas pragmatischer gesprochen, ging es darum, ob das Bloggen dem Anspruch von Wissenschaft auf Objektivität und hohen Wahrheitsgehalt gerecht werden kann. Die prägenden Merkmale des Bloggens – Schnelligkeit, Vergänglichkeit und Subjektivität – erscheinen auf den ersten Blick tatsächlich als eine Antithese zu diesem wissenschaftlichen Anspruch. Christoph Möllers und andere Podiumsteilnehmer setzten diesem eher klassischen Standpunkt von Martin Eifert jedoch entgegen, dass gerade in den Geisteswissenschaften Subjektivität und Schnelligkeit nicht (mehr) wegzudenken sind, um relevante Forschungsgegenstände auffinden oder mögliche Argumentationslinien vordenken zu können. Einig waren sich die Diskutanten darin, dass das Bloggen kein Ersatz für herkömmlich Publikationsformen in der Rechtswissenschaft sein kann, sondern eine Ergänzung ist, die – folgt man Alexandra Kemmerer – eine neue Art der rechtswissenschaftlichen Gesprächskultur werden kann und in dieser Funktion den rechtswissenschaftlichen Diskurs anreichert.
Suchbewegung
(Rechts-)Wissenschaft zeichnet sich sicherlich nicht nur durch Ergebnisse aus, sondern wird auch durch den Prozess geprägt, der zu diesen Ergebnissen führt. Das rechtswissenschaftliche Bloggen ist ein neues Element mit Veränderungspotential für diesen wissenschaftlichen Prozess. Durch die Unmittelbarkeit des Bloggens können wissenschaftliche Themen schneller besetzt, mögliche Argumentationslinien vorgezeichnet und die Akteure des Diskurses greifbarer gemacht werden. Für die Öffentlichkeit bietet sich die Möglichkeit, bislang eher abgeschottete Prozesse der rechtswissenschaftlichen Ergebnisfindung besser nachzuvollziehen. Umgekehrt können Themen, deren rechtswissenschaftliche Bearbeitung wünschenswert oder notwendig ist, den Rechtswissenschaftlerinnen schneller zugespielt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es der Rechtswissenschaft auf diese Weise besser als bislang gelingt, am Puls der Zeit und kooperativer zu forschen. Ob die rechtswissenschaftliche Gesprächskultur vom Bloggen profitiert, wird sich zeigen und kann nun im Rahmen des Projekts erforscht werden.