Mit der New Yorker Erklärung vom 19. September 2016 haben sich die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, den Schutz von Migrant*innen und Flüchtlingen weltweit zu verbessern. Ziel war und ist es bis September 2018 zwei globale Pakte zu verabschieden, mit denen die bestehenden internationalen Verpflichtungen festgehalten und gleichzeitig eine bessere weltweite Koordination und Kooperation sichergestellt werden soll. Einer der beiden Pakte ist der globale Pakt für Flüchtlinge, der unter anderem zum Ziel hat, die Erstaufnahmestaaten zu entlasten und mehr Lösungen in Drittstaaten zu ermöglichen. Dieser Prozess ist in den europäischen Diskussionen zu Asyl und Migration weitgehend unbeachtet geblieben. Im Folgenden werden die wichtigsten Entwicklungen im Hinblick auf den globalen Pakt für Flüchtlinge beschrieben und einer vorläufigen Bewertung unterzogen.
Die New Yorker Erklärung
Die New Yorker Erklärung betont einleitend die Notwendigkeit, mit einer Erklärung der Vereinten Nationen auf das „beispiellose Ausmaß an menschlicher Mobilität“ zu reagieren. Der erste, inhaltliche Teil (II.) umfasst Verpflichtungen, die sich gleichermaßen auf Migrant*innen wie auf Flüchtlinge beziehen, z.B. die Verpflichtungen, Leben zu retten, auf besondere Bedürfnisse zu reagieren, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken und Menschenhandel zu bekämpfen. Dieser Teil betont das Recht aller Menschen, vor dem Gesetz gleich zu sein und durch es geschützt zu werden. Im Folgenden werden die spezifischen „Verpflichtungen zugunsten von Migranten“ (III.) und „Verpflichtungen zugunsten von Flüchtlingen“ (IV.) dargelegt. Der nächste Teil (V.) legt Eckpunkte für Evaluierungen und Berichte im UN-System fest, „um die systematische Weiterverfolgung und Überprüfung aller Verpflichtungen sicherzustellen“, die mit der Erklärung eingegangen wurden. Die beigefügten Anhänge skizzieren die Elemente eines „umfassende[n] Rahmenplans für Flüchtlingshilfemaßnahmen“ (Anhang I) und des Weges „zu einem globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ (Anhang II).
Der globale Pakt für Flüchtlinge
Mit der New Yorker Erklärung haben die Staaten anerkannt, dass Flüchtlingsschutz eine gemeinsame internationale Verantwortung ist. Aus dieser Erkenntnis sollen innerhalb des globalen Paktes für Flüchtlinge (Global Compact on Refugees) zwei Hauptinstrumente geschaffen werden, die dabei helfen sollen, den Verteilungsprozess zu verbessern. Zum einen ist die (weitere) Ausarbeitung des umfassenden Rahmenplans für Flüchtlingshilfemaßnahmen (Comprehensive Refugee Response Framework – CRRF) vorgesehen und zum anderen soll ein Maßnahmenprogramm (Programme of Action), erarbeitet werden, dass mit dem CRRF eng verbunden ist.
Die vier wichtigsten Ziele des globalen Paktes für Flüchtlinge sind (1) die (Erst-)Aufnahmeländer zu entlasten, (2) die Eigenständigkeit der Flüchtlinge zu erhöhen, (3) die Lösungen zur Aufnahme in Drittstaaten auszuweiten und (4) in den Herkunftsländern die Bedingungen für eine Rückkehr in Sicherheit und Würde zu fördern.
Der Stand des Konsultationsprozesses
Mit der Ausarbeitung des Entwurfs für einen globalen Pakt sowie des Rahmenplans wurde UNHCR beauftragt. Zur Ausarbeitung des globalen Paktes für Flüchtlinge hat UNHCR eine Roadmap vorgelegt und in dieser unter anderem fünf thematische Diskussionen zwischen Juli und November 2017 sowie eine umfassende Bestandsaufnahme zum globalen Pakt anlässlich des jährlichen Dialogs des Hochkommissars zu „Protection Challenges“ im Dezember 2017 vorgesehen.
Die fünf thematischen Diskussionen befassten sich mit Verantwortungsteilung (1), großen Fluchtbewegungen (2), Zugang zu Grundrechten (3), dauerhaften Lösungen (4) und mit Querschnittsthemen sowie der Einbettung der geplanten Vorschläge in den globalen Flucht- und Migrationskontext (5).
Mit diesen Themen wurde ein breiter Konsultationsprozess mit Staaten begonnen, in den eine „Vielzahl von Interessenträgern eingebunden werden [sollte], darunter nationale und lokale Behörden, internationale Organisationen, internationale Finanzinstitutionen, regionale Organisationen, regionale Koordinierungs- und Partnerschaftsmechanismen, Partner aus der Zivilgesellschaft, einschließlich religiöser Organisationen und der Hochschulen, der Privatsektor, die Medien und die Flüchtlinge selbst.“ Dadurch wurden die Meetings, zu denen auch der Autor als Experte eingeladen war, zu einer oft langwierigen Abfolge von Statements, was zu teilweise deutlicher Kritik am Prozess selbst geführt hat, unter anderem da die Einflussmöglichkeiten nichtstaatlicher und praktisch tätiger Akteure und Organisationen sowie von Flüchtlingen auf den Prozess sehr beschränkt waren und sind: Der Entwurf des globalen Pakts soll von UNHCR vorgelegt und ab Februar 2018 in formellen Staatenkonsultationen besprochen werden. Eine überarbeitete Entwurfsversion soll UNHCR mit seinem Jahresbericht an die Generalversammlung vorlegen, damit diese den Entwurf bei der 73. Tagung der Generalversammlung im Herbst 2018 behandeln kann. Dies allerdings ist eine grundsätzliche Herausforderung des Systems der Vereinten Nationen und wohl für eine Staatenvereinbarung nur schwer zu ändern. Trotzdem wäre es sicherlich möglich und wünschbar, den Prozess inklusiver und diskursiver zu gestalten.
Dieser Kritik ist auch inhaltlich zu entgegnen, dass unter anderem über die online verfügbaren, schriftlichen Statements durchaus Diskussionen zustande kamen, die zukunftsweisend sein könnten, da sie thematisch gebündelt sind und teilweise best practice Modelle enthalten. Gleichzeitig werden in den Statements aber auch die starke Fokussierung der Staaten auf einzelne Themen wie Kontrolle und Rückkehrmöglichkeiten sowie die unterschiedlichen regionalen Herausforderungen sehr deutlich. Die europäische Diskussion unterscheidet sich eben doch sehr stark von der Diskussion in den Nachbarländern Syriens, in denen im Wesentlichen die Versorgung und der Zugang zu Schulbesuch und Arbeitsmarkt, sowie Möglichkeiten für Resettlement aus diesen Ländern im Vordergrund stehen, oder in den Staaten in Ostafrika, die mit immer wieder aufflammenden kriegerischen Konflikten in der Region umgehen müssen und daher ein hohes Interesse an robusten Strukturen für eine schnelle, internationale Nothilfe haben
Und Europa?
Obwohl sowohl die EU als auch viele ihrer Mitgliedstaaten an diesen Treffen teilnahmen und mündlich wie schriftlich Input lieferten, fand der Prozess in Europa insgesamt kaum Beachtung. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die Diskussionen zum Umgang mit und den Konsequenzen aus der „Flüchtlingskrise“ weitgehend auf der innereuropäischen Ebene und insbesondere auf der jeweiligen nationalen Ebene geführt wurden. Die Diskussionen über innereuropäische Verantwortungsteilung, die auch nach der EuGH-Entscheidung zur Rechtmäßigkeit der Verteilungsbeschlüsse der EU-Kommission weiter anhalten sowie der ungebrochene (Irr)Glaube an nationale Spielräume bei der Schutzgewährung, haben den Blick auf die internationalen Entwicklungen verstellt.
Ein weiterer Grund für die weitgehende Nicht-Beachtung ist sicherlich die rechtspositivistische Tradition in Europa. Soft Law Instrumente, also Rechtinstrumente die nicht direkt durchsetzbar sind, gelten in Europa als wenig aussagekräftig beziehungsweise sind selten handlungsleitend. Hier setzt auch regelmäßig die Kritik an dem Prozess an: die Zielsetzung (lediglich) eines globalen Paktes ohne rechtlich bindenden Charakter könne nur sehr wenig zum Schutz der Flüchtlinge weltweit beitragen.
Inhaltliche Herausforderungen
Die inhaltliche Kritik an der gewählten Rechtsform bezieht sich im Wesentlichen darauf, dass mit dem globalen Pakt lediglich Prinzipien bestätigt werden und der verbindliche internationale Rechtsrahmen für den Flüchtlingsschutz unverändert bleiben soll. Eine möglichst starke Verbindlichkeit des Endproduktes, eine bessere Verbindung der Verhandlungen zu den beiden Pakten miteinander und ein besserer Einbezug der Perspektive der betroffenen Personen wurden ebenso angemahnt wie eine stärkere Orientierung auf Rechte (statt auf Management und Kontrolle). Dies würde erfordern, Verantwortlichkeiten für bestimmte Teilbereiche des Flüchtlingsschutzes und für die Finanzierung der Maßnahmen klarer festzulegen, überprüfbar zu machen und die Effekte der eingesetzten Gelder regelmäßig zu evaluieren. Nur so könnte die angestrebte bessere weltweite Verantwortungsteilung erreicht werden.
Fazit
Trotz der genannten Kritik an Inhalt und Prozess des bisherigen Weges zu einer besseren weltweiten Verantwortungsteilung, bleibt letztlich ein positives Fazit. So hatten beispielsweise – durch den Fokus auf einzelne Initiativen und Flüchtlingssituationen in den Panels – viele Inputs während der thematischen Diskussionen eine starke Praxisorientierung. Dadurch ergaben sich klare Anknüpfungspunkte für konkrete Verbesserungen, die – wenn sie durchgesetzt werden können – mehr als nur punktuell wirken können. Dazu ist es erforderlich, die industrialisierten Staaten beim Wort und in die Pflicht zu nehmen, und beispielsweise einzufordern, dass tatsächlich mehr legale Zugangswege zur Verfügung gestellt werden. Auch die immer wieder kolportierte Bekämpfung der Fluchtursachen darf nicht bei (meist wirkungslosen) offenen oder verdeckten militärischen Eingriffen enden, sondern muss eine nachhaltige Friedenspolitik in den Blick nehmen. In der fünften thematischen Diskussion zur Einbettung in den globalen Flucht- und Migrationskontext und beim gerade zu Ende gegangenen Dialog des Hochkommissars wurde diese Notwendigkeit stärker beleuchtet und insbesondere auch vom Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi nochmals deutlich hervorgehoben.
Trotz der rechtlichen Schwäche des globalen Paktes sollten weder der Prozess noch das Ergebnis unterschätzt werden. Eine Selbstverpflichtung aller Staaten auf die Prinzipien der Flüchtlingskonvention ist in den aktuellen Zeiten durchaus keine Selbstverständlichkeit, wie nicht nur der Rückzug der USA aus dem globalen Pakt für Migrant*innen gezeigt hat. Bisher ist aus dem globalen Pakt für Flüchtlinge noch kein Staat ausgeschert und es besteht die berechtigte Hoffnung, dass dies so bleibt. Das dadurch deutlich werdende Bekenntnis zum internationalen Schutz für Flüchtlinge kann in den aktuellen politischen und rechtlichen Diskussionen als zusätzliches Argument gegen nationale und regionale Alleingänge aufgerufen werden und hat das Potential, auf lange Sicht tatsächlich zu einem stärker an einer weltweiten Verantwortungsteilung orientierten Politikansatz der Vereinten Nationen beizutragen. Damit ist noch kein wirklich neuer Umgang mit Fluchtmigration verbunden, der globale Pakt für Flüchtlinge kann aber als ein möglicher Einstieg in einen solchen neuen – stärker an individuellem Schutz und internationaler Verantwortungsteilung orientierten – Umgang gesehen werden.
———
Veröffentlicht unter CC BY NC ND 4.0.