Pro-russische Versammlungen – neue Herausforderung für das Versammlungsrecht?

von STEFAN VASOVIC

Als pro-russisch eingeordnete Versammlungen beschäftigten die Bundesrepublik in den vergangenen Tagen. Politisch werden sie als Zumutungen eingeordnet, versammlungs- und strafrechtlich ein hartes Vorgehen gegen sie gefordert. Doch ob dies rechtlich möglich ist, erscheint äußerst fraglich. Viele Argumentationsansätze hierfür stehen auf tönernen Füßen.

In den vergangenen Tagen fanden unter dem Motto „Gegen Hetze und Diskriminierung russischsprachiger Menschen/Gegen Krieg – Für Frieden“ angemeldete Versammlungen statt, welche zumeist als pro-russisch eingeordnet wurden. Die jeweiligen Versammlungsbehörden verfügten gegenüber diesen Versammlungen Auflagen, welche eine Unterstützung oder Billigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verhindern sollten. Durch diese Auflagen wurde zumeist das Zeigen des „Z“-Symbols wie auch des Georgsbandes untersagt, ebenso wie das Verunglimpfen des ukrainischen Staates oder seiner Bevölkerung sowie das Befürworten des russischen Vorgehens in der Ukraine.

Zweifelhafte Bestimmtheit

Versammlungsrechtliche Auflagen müssen zunächst dem Bestimmtheitsgebot genügen und den Adressaten erkennen lassen, was von ihm gefordert wird. In dieser Hinsicht sind die Auflagen, eine Verunglimpfung der Ukraine zu Unterlassen, rechtlich höchst fragwürdig. Es ist bereits nicht erkennbar, inwiefern das Verunglimpfen der Ukraine – mangels eines derartigen Straftatbestandes im einzig in Betracht kommenden Abschnitt zu Straftaten gegen ausländische Staaten des StGB – untersagt sein soll. Unklar bleibt zudem, was als derartige Verunglimpfung angesehen werden würde: Zwar könnte zur Definition des Verunglimpfens auf die Rechtsprechung zu §§ 90 ff. StGB zurückgegriffen werden. Jedoch bestehen bereits bei diesen Strafnormen besondere Abgrenzungsprobleme hinsichtlich verschiedener mit dem Strafzweck in Konflikt geratender Grundrechte. Die Normen verfolgen auch verschiedene Strafzwecke, sodass der Begriff des Verunglimpfens jeweils unterschiedlich ausgelegt wird. Insoweit bleibt für die Adressaten derartiger Auflagen letztlich offen, welche Äußerungen als Verunglimpfung angesehen würden, womit die Definition des Verunglimpfens faktisch der jeweiligen Behörde überlassen wird, was mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.07.2011 – 11 LA 101/11).

„Z“ und Georgsband als Verstöße gegen die Rechtsordnung?

Das „Z“-Symbol wurde vom russischen Staat als Logo seines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine eingeführt und ausschließlich damit assoziiert, da der lateinische Buchstabe Z im russisch-kyrillischen Alphabet nicht vorhanden ist. Wer demnach im Kontext einer Versammlung mit Russlandbezug das „Z“ zeigt (Abkürzung vornehmlich für за победу – Für den Sieg), bringt hierdurch seine Unterstützung des russischen Vorgehens zum Ausdruck, da keine andere plausible Deutungsmöglichkeit für dieses Zeichen mehr verbleibt. Folglich wird hierdurch ein Angriffskrieg im Sinne von § 140 Nr. 2 StGB gebilligt.

Zwar ist das Führen eines Angriffskriegs im Ausland durch Ausländer nach § 1 S. 2 VStGB nicht strafbar. § 140 Nr. 2 StGB schützt jedoch den öffentlichen Frieden innerhalb der Bundesrepublik, indem vermieden werden soll, dass den gebilligten Taten entsprechende Taten auch in Deutschland begangen werden oder das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Sicherheit erschüttert wird. Daher kann das Billigen einer nach deutschem Recht straflosen Tat im Ausland auch bei hinreichendem Inlandsbezug den öffentlichen inländischen Frieden stören und als Anknüpfungspunkt für eine Pönalisierung dieser Billigung dienen. Nur wenn ausgeschlossen ist, dass die befürworteten Taten Inlandwirkung entfalten können scheidet § 140 Nr. 2 StGB aus, da dann sein Schutzzweck nicht tangiert wird (BGH, Beschl. v. 20.12.2016 – 3 StR 435/16). Angesichts der großen Zahl ukrainischstämmiger Personen in der Bundesrepublik und der weitgehenden Missbilligung des russischen Angriffskriegs in der deutschen Gesellschaft ist dabei von einem hinreichenden Inlandsbezug auszugehen. Insoweit dürfte das Zeigen des „Z“ wohl untersagt werden.

Als problematisch erweist sich indes die Untersagung des Georgsbandes. Das Band geht auf den im 18. Jahrhundert im Russischen Kaiserreich gestifteten Orden des Heiligen Georg zurück. Nachdem der Georgsorden mit der kommunistischen Machtübernahme abgeschafft worden war, etablierte die Sowjetunion seine Farben – schwarz und orange – bei vielen Orden im Zweiten Weltkrieg erneut. Der Georgsorden selbst wurde 1992 wieder eingeführt. In Russland ist die Verwendung der Farben des Georgsbandes angesichts des Gedenkens an den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland allgegenwärtig.

Aufgrund der militärischen Konnotation des Georgsbandes sowie der Unterstützung seiner Verwendung durch die gegenwärtige russische Regierung wird das Band auch als explizite Unterstützung russischer Politik verstanden. Insoweit kommt bei einer derartigen Deutung auch hier die strafbare Billigung eines Angriffskrieges in Betracht. Jedoch würde eine derartige Interpretation den besonderen Stellenwert des Bandes in der russischen Erinnerungskultur verkennen sowie, dass das Band auch jahrelang von verschiedenen postsowjetischen Staaten innerhalb ihrer Erinnerungskultur verwendet wurde.

Zwar kann bei der nach § 15 Abs. 1 VersG vorzunehmen Gefahrenprognose – etwa wenn das Georgsband gemeinsam mit dem „Z“ gezeigt wird oder die Veranstalter entsprechender Versammlungen als bekannte Unterstützer russischer Politik gelten – alles für eine Billigung des Ukrainekrieges sprechen. Fehlen derartige Anzeichen, muss angesichts der Ambivalenz dieses Symbols, welches sowohl von militärischen, monarchistischen, kommunistischen und pro-Putin’schen Akteuren verwendet wurde bzw. wird, im Zweifel nicht davon ausgegangen werden, dass das Zeigen des Georgsbandes vor allem das russische Vorgehen in der Ukraine billigt. Vielmehr kann es auch nur als Symbol Russlands oder als Zeichen der Verbundenheit mit den russischen Streitkräften an sich gedeutet werden.

Gegen eine den Angriffskrieg in der Ukraine billigende Deutung des Mitführens des Georgsbandes spricht in tatsächlicher Hinsicht auch, dass die Versammlungen bisher unter dem Motto des Friedens angemeldet wurden. Zudem wurde retrospektiv während bisher stattgefundener pro-russischer Versammlungen zumeist auf das Zeigen ausdrücklich kriegsbilligender Symbole wie des „Z“ verzichtet. Insoweit fehlten bereits von Anfang an in die Gefahrenprognose einzustellende eindeutigere Anhaltpunkte für eine Billigung des Angriffskrieges durch die Versammlungen, womit auch das Georgsband nicht zwingend in diesem Sinne gedeutet werden muss. Eine solche Auslegung der Verwendung des Georgsbandes wird auch durch die Rechtsprechung des BVerfG zur strafrechtlichen Auslegung von (Meinungs-)Äußerungen gestützt, wonach in Zweifelsfällen diejenige Deutung zu wählen ist, welche die Straflosigkeit ermöglicht (BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a.).

Aus den genannten Gründen scheidet auch ein drohender Verstoß gegen die nach § 130 Abs. 1 StGB strafbare Volksverhetzung aus, da angesichts der genannten Deutungsmöglichkeiten nicht zwingend davon ausgegangen werden muss, dass das Zeigen des Georgsbandes zu Hass, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Ukrainer aufruft oder sie in ihrer Menschenwürde angreift.

Bedenkliche Renaissance der öffentlichen Ordnung

Neben der zuvor genannten Betroffenheit der öffentlichen Sicherheit wird auch von einer Tangierung der öffentlichen Ordnung durch das Zeigen bestimmter Symbole ausgegangen. Insbesondere das Zeigen des Georgsbandes oder der Flagge der Sowjetunion sollen hiergegen verstoßen, da sie einen russischen Expansionswillen suggerieren, welcher sich auf die sämtliche ehemalige Sowjetunion beziehe.

Eine Berufung auf die öffentliche Ordnung erscheint aber angesichts der unter Strafe gestellten Billigung eines Angriffskrieges ausgeschlossen: Das BVerfG hat klargestellt, dass meinungsbezogene Beschränkungen von Versammlungen auf Grundlage der öffentlichen Ordnung unzulässig sind, da Strafgesetze insoweit abschließende Regelungen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit darstellen (BVerfG, Beschl. v. 07.04.2001 – 1 BvQ 17/01). Das Billigen eines Angriffskrieges ist unter Strafe gestellt, sodass auch hier nicht die Straflosigkeit des Zeigens des Georgsbandes oder der sowjetischen Flagge über einen angeblichen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung umgangen werden kann.

Ausblick: Untersagung des Zeigens der russischen Flagge?

Letztlich steht auch angesichts der verfügten Verbote des Zeigens sowjetischer Flaggen im Raum, dass das Zeigen der russischen Flagge an sich irgendwann noch als unzulässige Billigung des Angriffskriegs auf die Ukraine angesehen werden könnte. Zwar wird dies noch weitgehend abgelehnt, jedoch drohen derart ausufernde Interpretationen der strafbaren Billigung eines Angriffskriegs oder der öffentlichen Ordnung angesichts der Bezeichnung pro-russischer Versammlungen als „unerträglich“ durch führende Politiker.

Aufgrund des zuvor konstatierten bedenklichen rechtlichen Fundaments zahlreicher Auflagen stehen die Versammlungs- und Sicherheitsbehörden insgesamt vor der wenig beneidenswerten Aufgabe, die von der Politik gewünschte Härte gegenüber Unterstützern des russischen Angriffskrieges und die Wahrung ihrer Grundrechte rechtskonform auszubalancieren. Infolge immer radikaler werdender Forderungen, gegen jegliche als pro-russisch eingeordnete Versammlungen vorzugehen, bleibt zu hoffen, dass die Versammlungsbehörden dabei nicht in politisch motivierten Aktionismus verfallen.

Zitiervorschlag: Stefan Vasovic, APro-russische Versammlungen – neue Herausforderung für das Versammlungsrecht?, JuWissBlog Nr. 23/2022 v. 26.4.2022, https://www.juwiss.de/23-2022/

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