Konfrontation, Konstitutionalisierung, Zurückhaltung

von ANDREJ LANG

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Das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) bewegt die Bürger in Europa. Im Zentrum der politischen Debatte steht dabei die Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS). Während die Vorzüge und Nachteile dieses völkerrechtlichen Streitbeilegungsmechanismus im Bundestag und im Europäischen Parlament, in der Bundesregierung und in der Europäischen Kommission, in der Zivilgesellschaft und in NGOs heftig debattiert werden, steht der EuGH in diesem Prozess bislang an der Seitenlinie. Das wird sich voraussichtlich ändern:

Jedenfalls hat die Juncker-Kommission in Hinsicht auf das Handelsabkommen zwischen der EU und Singapur, das ein Investitionsschutzkapitel enthält, den früheren Beschluss der Barroso-Kommission bestätigt, dem EuGH einen Gutachtenantrag nach Artikel 218 Abs. 11 AEUV über die Vereinbarkeit dieses Abkommens mit den europäischen Verträgen zu stellen. Schon wegen der unverkennbaren inhaltlichen Parallelen der ISDS-Kapitel im Singapur-Abkommen und in CETA, dürfte das Gutachten des EuGH erhebliche Ausstrahlungswirkung auf TTIP und CETA haben. Welche Position der EuGH zu ISDS einnimmt, wird maßgeblichen Einfluss darauf haben, welches Modell die Europäische Union zum internationalen Investitionsschutz entwickelt und wie sie ihre durch den Lissabon-Vertrag hinzugewonnene Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf dem Gebiet der Direktinvestitionen ausüben kann.

In meinem Vortrag wird es nicht darum gehen, die Legalität dieser präferenziellen Freihandelsabkommen zu beurteilen, sondern darum, grundlegender die Rolle des EuGH bei der gerichtlichen Kontrolle der ISDS-Kapitel in diesen Abkommen zu reflektieren. Auf welche Weise soll der EuGH als supranationales Verfassungsgericht auf die Ausgestaltung der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit einwirken? Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle dieser Schiedsgerichte durch den EuGH? Konkret werde ich im Hinblick auf den EuGH drei konkurrierende Herangehensweisen unterscheiden, die sich an den gegenwärtigen Konfliktlinien über die Gestalt des ISDS orientieren. Hinter der Frage, welchen dieser Ansätze der EuGH seiner Prüfung des ISDS zugrunde legen sollte, stehen grundlegendere Fragen zur Rolle und Legitimität des EuGH in der europäischen Außenpolitik.

Konfrontation

Zunächst könnte der EuGH ein Konfrontationsmodell wählen und es unter Berufung auf die Autonomie des Unionsrechts und seine ausschließliche Zuständigkeit gemäß Artikel 344 AEUV ablehnen, dass Fragen der Interpretation des einschlägigen Freihandelsabkommens exklusiv auf Investitionsschutztribunale übertragen werden. Die Blaupause für ein solches Modell lässt sich im Gutachten 2/13 des EuGH zum EMRK-Beitritt der EU erblicken, in dem der Gerichtshof den Beitrittsvertrag als unvereinbar mit dem Unionsrecht bewertete und durch strenge rechtliche Vorgaben die Realisierung des geplanten EMRK-Beitritts in Zweifel stellte.

Hinter diesem Ansatz steht folgende Erwägung: Investor-Staat-Schiedstribunale interpretieren im Rahmen bilateraler Investitionsschutzverträge (BITs) regelmäßig unionsrechtliche Bestimmungen, was zu spillover-Effekten auf die Unionsrechtsordnung führen kann; darüber hinaus kann es zu Normkonflikten zwischen dem Investitionsschutzrecht und dem Unionsrecht kommen, etwa im Bereich des europäischen Beihilferechts, wie das Micula-Verfahren zeigt (dazu Tietje/Wackernagel). Unter Berücksichtigung der wachsenden Kritik an der Investor-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit, die vom Vorwurf des Sonderrechts für private Investoren, hin zur übermäßigen Beschneidung der Regulierungsprärogative der Gaststaaten reicht, könnte der EuGH zu dem Schluss kommen, dass er nicht bereit ist, auch nur eine faktische Beeinträchtigung der Autonomie des Unionsrechts und seines unionalen Rechtsprechungsmonopols zugunsten von ISDS zu akzeptieren.

Allerdings würde die Obsession des EuGH mit dem Schutz der Autonomie des Unionsrechts und seiner ausschließlichen Zuständigkeiten im Fall der ISDS zu weit gehen. Im Kern geht es bei der EuGH-Rechtsprechung zur Einbindung der EU in völkerrechtliche Streitbeilegungsmechanismen (siehe Gutachten 1/91, 1/00, 1/09) darum, dass kein internationales Gericht verbindlich das Unionsrecht auslegen oder über die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten entscheiden darf. Weit über diese Kernaspekte hinaus sollte der Topos der Autonomie des Unionsrechts aber nicht herangezogen werden, um die politisch gewollte Anerkennung eines völkerrechtlichen Streitbeilegungsmechanismus zu vereiteln. Beides wird im Rahmen von TTIP oder CETA durch die ISDS aber nicht bewirkt: Anwendungsbereich, Gegenstand und Zweck der materiell-rechtlichen Regelungen in diesen Handelsabkommen unterscheiden sich erheblich vom Unionsrecht.

Konstitutionalisierung

Das zweite Modell besteht darin, durch ein abgestuftes Kontrollmodell a la Bhosporus und Solange die Konstitutionalisierung des internationalen Investitionsschutzes voranzutreiben. Mit anderen Worten könnte der EuGH die Akzeptanz von Schiedssprüchen davon abhängig machen, dass die schiedsgerichtlichen Verfahren in Fragen der Richterbesetzung, der Verfahrenstransparenz und der hinreichenden Berücksichtigung öffentlicher Belange des Gaststaates bestimmten legitimatorischen Mindeststandards genügen. Der Reiz an diesem Ansatz liegt darin, dass bestimmte Vorzüge des Investitionsschutzes, wie die Bekräftigung einer internationalen rule of law und der Schutz ausländischer Unternehmen vor willkürlichen Diskriminierungen, gewährleistet bleiben, gleichzeitig aber auf die stärkere Berücksichtigung konstitutionalistischer Belange hingewirkt wird.

Dieser Ansatz begegnet allerdings zwei Einwänden: Auf der einen Seite liegt in der Existenz eines unparteilichen Entscheidungsforums zur Lösung völkerrechtlicher Konflikte gerade der Witz der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarbeit – dieser droht verloren zu gehen, wenn sich die Gerichte einer Vertragspartei vorbehalten, schiedsgerichtliche Entscheidungen bei mangelnder Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Prinzipien ihrer Rechtsordnung nicht zu akzeptieren. Auf der anderen Seite zeigen Erfahrungen mit Judizialisierungsprozessen in anderen Bereichen, dass die Einspeisung konstitutionalistischer Gesichtspunkte in die richterliche Entscheidungspraxis tendenziell zur Ausweitung der Macht des richterlichen Entscheiders führt. Vielleicht liegt aber die Legitimationsproblematik der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gerade darin, dass sie sich immer weniger darauf beschränkt, nur den Willen der staatlichen Vertragsparteien nachzuvollziehen und einen Mindestschutz für ausländische Investoren zu gewährleisten, sondern auf prekärer Legitimationsgrundlage verstärkt eine Governance-Funktion übernimmt. Würde dieses Problem durch Konstitutionalisierungsprozesse nicht verschärft?

Zurückhaltung

Zuletzt könnte sich der EuGH in richterlicher Zurückhaltung üben und zumindest die Investitionsschutz-Kapitel in den von den zuständigen politischen Institutionen ausgehandelten und beschlossenen Handelsabkommen absegnen. Dafür spricht einerseits, dass die gerichtliche Kontrolle bereits ausgehandelter völkerrechtlicher Verträge problematisch ist, weil sich der geschlossene zwischenstaatliche Kompromiss regelmäßig nicht mehr ohne politische Verwerfungen wieder aufschnüren lässt. Andererseits beruhen zumindest die Vertragsverhandlungen zu TTIP auf einer breiten öffentlichen Debatte unter Einbindung der Parlamente, durch die den Legitimationsdefiziten des internationalen Investitionsschutzregimes möglicherweise effektiver begegnet werden kann als durch ein Gericht. Außerdem ist zu bedenken, dass ein ablehnendes Gutachten des EuGH nichts an der Existenz von ISDS in tausenden BITs ändern würde, die in der Regel weit hinter dem Standard von CETA zurückbleiben. Die Europäische Union strebt mit CETA und TTIP u.a. die Entwicklung eines Modells für einen modernen Investitionsschutz an, der öffentliche Belange stärker berücksichtigt. Ein solches könnte eine Ausstrahlungswirkung weit über Europa hinaus entfalten und sich als ein Motor für notwendige Reformen im internationalen Investitionsschutz erweisen.

Der Beitrag ist Teil unseres Online-Symposiums „Freihandel vs. Demokratie 2.0“, das wir zusammen mit dem Völkerrechtsblog organisieren. Parallel zu diesem Post erscheinen auf dem Völkerrechtsblog der Beitrag von Roland Hoffmann zum gleichen Thema sowie auf dem JuWissBlog der Beitrag von Patricia Wiater zum Einfluss des Föderalismus auf die demokratische Bewertung von Freihandelsabkommen.

 

#trademocracy, Andrej Lang, Autonomie, EuGH, Freihandel vs. Demokratie, Unionsrecht
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