von ANNA WEININGER

Auch in Privatgärten darf man nicht einfach tun, was man möchte: Der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat am 17.1.2023 entschieden, dass die Bauaufsichtsbehörden einschreiten dürfen, wenn dem Gebot, die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke als Grünflächen auszugestalten, nach § 9 Abs. 2 NBauO nicht entsprochen wird. Erste Reaktionen sind Begeisterung ob des zu erwartenden Verschwindens von Schottergärten von dem Naturschutzbund (NABU) Niedersachsen und Entsetzen bei dem Landesverband Haus und Grund in Niedersachsen, der von einem starken Eingriff in das Eigentumsrecht ausgeht. Tatsächlich ist das Sterben von Schottergärten in der ganzen Bundesrepublik zu erwarten.

Schottergärten in Niedersachsen

Nach § 9 Abs. 1 S. 1 NBauO müssen nicht überbaute Flächen von Baugrundstücken so hergerichtet und unterhalten werden, dass sie nicht verunstaltet wirken und auch ihre Umgebung nicht verunstalten. Nach Abs. 1 S. 2 gilt dies auch für die nicht im Außenbereich gelegenen, nach öffentlichem Baurecht bebaubaren Grundstücke. Die vorliegend entscheidende Normierung findet sich in § 9 Abs. 2 NBauO: „Die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke müssen Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind.“ Die Auslegung des Begriffs Grünflächen war Dreh- und Angelpunkt des Rechtsstreits.

Dabei komme es auf die wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls an. Nach der Auffassung des Gerichts ist der Schwerpunkt der Gartengestaltung entscheidend: Grünflächen dürfen durch Kies ergänzt werden, eine Grünfläche liegt aber nicht vor, wenn einzelne Pflanzen den Kies ergänzen. Auch kann in die Regelung nicht hineingelesen werden, dass die unbebauten Flächen nur überwiegend als Grünflächen ausgestaltet werden müssen. Der Garten ist nicht insgesamt zu betrachten und hinsichtlich seiner Begrünung zu bilanzieren, sondern jegliche unbebaute Fläche muss grundsätzlich als Grünfläche angelegt werden. Mit diesem Verständnis stellen Schottergärten einen Verstoß gegen § 9 Abs. 2 NBauO dar.

Daraus folgt, dass eine Gemeinde gegen Grundstückseigentümer, die Schottergärten anlegen, bauaufsichtlich vorgehen kann. Im vorliegenden Fall hatte die zuständige Gemeinde unter Androhung eines Zwangsgelds vom Eigentümer verlangt, den Kies zu entfernen. Gestützt war die Anordnung auf § 79 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 4 NBauO. Bereits das VG Hannover hatte dem Kläger nicht Recht gegeben, nun hat auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil abgelehnt. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Verfassungsrechtliche Einordnung

Nähere Ausführungen zu Art. 14 GG sind in dem Beschluss nicht zu finden, es liegt aber auch kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie vor. Art. 14 GG schützt nicht nur den Bestand der Eigentumsposition an sich, sondern auch die Nutzung (siehe nur: Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 2022, Art. 14 Rn. 16). Dabei ist die konkrete Schutzdimension von der gesetzlichen Ausgestaltung abhängig, da Art. 14 GG ein normgeprägtes Grundrecht ist (siehe nur: Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 2022, Art. 14 Rn. 18). In § 9 Abs. 2 NBauO ist nicht vorgesehen, dass um jeden Preis Grünflächen unterhalten werden müssen; Ausnahmen greifen, insofern die unbebauten Flächen für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind. Beispiele für eine solch alternative Nutzung sind Zufahrten, Gartenwege oder Stellplätze. Selbst wenn man einen Eingriff in Art. 14 GG annimmt, wäre dieser rechtfertigbar. Immerhin möchte der Gesetzgeber mit der betreffenden Regelung eine Versteinerung der Stadt so weit als möglich verhindern. Dies ist im Hinblick auf den Schutz von Insekten, die Versickerung von Wasser und Aufrechterhaltung von Kaltluftschneisen ein zulässiger Belang. Die Verpflichtung, Kies und Steine nur als Beiwerk der Gartengestaltung zu verwenden, ist keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Nutzungsinteressen des Eigentümers.

Sofern durch die erwähnten negativen Auswirkungen wie beispielsweise den Beitrag zu den hohen innerstädtischen Temperaturen Gesundheitsbeeinträchtigungen für Bürger:innen entstehen, so sind auch diese in Form des Art. 2 Abs. 2 GG in die Interessenabwägung einzustellen.

Zuletzt könnte auch Art. 20a GG eine gewisse Relevanz entfalten. Laut der Staatszielbestimmung Art. 20a GG schützt der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere. Angesichts des Konnexes von Schottergärten und Artenvielfalt sowie Stadtklima, wird dieser Schutzauftrag auch durch Begrünungsnormierungen wie beispielsweise § 9 Abs. 2 NBauO verwirklicht. Natürlich ist die besondere Stellung von Staatszielbestimmungen zu beachten. Dieser begründet keine subjektiven Rechte, kann aber ergänzend zu Grundrechten hinzutreten und kann Beschränkungen von Grundrechten legitimieren (siehe nur: Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 2022, Art. 20a Rn. 2, 15 f.).

Weder die Normierung noch die Anordnung noch das Urteil stellen somit einen Grundrechtsverstoß dar, die (verfassungsrechtlichen) Einwände der Schottergärtner greifen nicht durch.

Reichweite der Entscheidung

Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts bezieht sich nur auf § 9 Abs. 2 NBauO. Dabei ist das Verbot von Schottergärten mitnichten eine niedersächsische Besonderheit. Vielmehr kann aus allen landesrechtlichen Normierungen, die die Ausgestaltung von unbebauten Flächen als Grünflächen anordnen, das Verbot von Schottergärten abgeleitet werden.

In Bayern findet sich beispielsweise Art. 7 BayBO. Nach Art. 7 Abs. 1 S. 1 BayBO sind die nicht mit Gebäuden oder vergleichbaren baulichen Anlagen überbauten Flächen der bebauten Grundstücke wasseraufnahmefähig zu belassen oder herzustellen (Nr. 1) und zu begrünen oder zu bepflanzen (Nr. 2), soweit dem nicht die Erfordernisse einer anderen zulässigen Verwendung der Flächen entgegenstehen. Einschränkend stellt S. 2 fest, dass S. 1 keine Anwendung findet, soweit Bebauungspläne oder andere Satzungen Festsetzungen zu den nicht überbauten Flächen treffen.

Auch in Baden-Württemberg gibt es eine entsprechende Normierung, denn § 9 LBO legt fest, dass die nichtüberbauten Flächen der bebauten Grundstücke Grünflächen sein müssen, soweit diese Flächen nicht für eine andere zulässige Verwendung benötigt werden. Ist eine Begrünung oder Bepflanzung der Grundstücke nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, so sind die baulichen Anlagen zu begrünen, soweit ihre Beschaffenheit, Konstruktion und Gestaltung es zulassen und die Maßnahme wirtschaftlich zumutbar ist.

Jede dieser Normierungen – und es gibt neben den beispielhaft genannten noch weitere – etabliert eine Pflicht zur Unterhaltung von Grünflächen, auch wenn sie teilweise eingeschränkt wird. Mit den durch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen stellen Schottergärten auch in allen anderen Bundesländern mit einer vergleichbaren Regelung einen Verstoß gegen die Bauordnung dar. Sollte die Rechtsdurchsetzung nicht am Personalmangel scheitern, so dürfte in der gesamten Bundesrepublik das Verschwinden von Schotterflächen zu erwarten sein.

Zitiervorschlag: Weininger, Anna, Adieu, Schottergärten!, JuWissBlog Nr. 5/2023 v. 09.02.2023, https://www.juwiss.de/5-2023/.

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Baurecht, Grundrechte, Grünflächen, Schottergärten
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