von Jana Lipinski und Johannes Maurer
Seit 2002 findet vor Bundestagswahlen ein Kanzler:innenduell statt. Die Praxis entstammt damit einer Zeit großer Volksparteien, die spätestens seit der letzten Bundestagswahl vorüber ist. Es wird Zeit, die parteipolitische Realität anzuerkennen und Kanzler:innenduelle abzuschaffen, auch wenn dies nicht rechtlich indiziert ist.
Ärger um den Zugang
Im Dezember 2024 kündigten ARD und ZDF ein TV-Duell zwischen Scholz (SPD) und Merz (CDU) an. Habeck (Grüne) forderte seine Teilnahme an diesem Format und sagte zugleich ein „Trostpreis-Duell“ mit Weidel (AfD) ab. ARD und ZDF reagierten mit einer zusätzlichen Sendung, in der Scholz, Merz, Habeck und Weidel nun im Quartett antreten sollen. Auch wenn die Sender bemüht sind, das Duell zwischen Scholz und Merz nicht als Kanzlerduell zu bezeichnen, erhält das Format durch das Framing diesen Anstrich. Es suggeriert das Aufeinandertreffen der aussichtsreichsten Kandidaten und stellt damit unausgesprochen den Anspruch in den Raum, Kanzlerduell zu sein. Die Teilnahme an einem solchen Duell lohnt sich. Es bietet die Möglichkeit, sich einer Vielzahl potentieller Wähler:innen zu präsentieren und unterstreicht zusätzlich den Eigenanspruch, Kanzlerkandidat:in zu sein. Gerade für die SPD, die nach Umfragen als dritt- oder sogar nur als viertstärkste Kraft ins Rennen geht, dürfte das von großer Bedeutung sein. Zudem deuten empirische Untersuchungen der Kanzler:innenduelle zumindest auf Mobilisierungs- und Verstärkungs-, zum Teil aber auch auf Konversionseffekte hin (s. z.B. Faas/Maier, ’Miniature Campaigns‘ in Comparison: The German Televised Debates, 2002-2009), wenngleich die Auswirkungen auf Wahlergebnisse unklar bleiben.
Gibt es einen Anspruch darauf, eingeladen zu werden?
Habeck und Weidel hätten beide gerne (auch) an der Sendung mit Merz und Scholz teilgenommen. Angesichts der potentiellen Bedeutung des Kanzler:innenduells verwundert das nicht – und wirft die Frage auf, ob sogar ein rechtlicher Anspruch auf eine Einladung bestehen könnte.
11 Abs. 1 ZDF-StV bzw. § 68 Abs. 2 MStV scheiden als Anspruchsgrundlage aus. Sie verlangen lediglich, dass den Parteien angemessene Sendezeit eingeräumt wird, meinen damit aber Wahlwerbespots der Parteien. Kanzler:innenduelle sind als durch die Rundfunk- und die daraus resultierende Programmfreiheit der Redaktionen geschützte Sendeformate keine Wahlwerbung in diesem Sinne, unterfallen den genannten Vorschriften also nicht. Genauso wenig ergibt sich aus den in § 5 ZDF-StV und § 26 Abs. 2 MStV verankerten Grundsätzen der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung sowie der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Angebote ein individualisierbarer Rechtsanspruch auf Teilnahme an einer bestimmten Sendung. Hieraus kann lediglich abgeleitet werden, dass Parteien im Gesamtprogramm der Rundfunkanstalten angemessen berücksichtigt werden müssen (vgl. Bethge, ZUM 2003, 253, 257).
Auch aus § 5 Abs. 1 PartG ergibt sich kein Anspruch auf Teilnahme, da es sich bei einem Kanzler:innenduell vor Bundestagswahlen um eine „redaktionell gestaltete […] Sendung [handelt], die trotz einer von ihr möglicherweise ausgehenden Werbewirkung nicht als Wahlwerbesendung qualifiziert“ werden kann und aus diesem Grund nicht dem Begriff der öffentlichen Leistung aus § 5 Abs. 1 S. 1 PartG unterfällt.
Ein Anspruch auf Teilnahme am Kanzler:innenduell kann sich daher nur aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Auch das BVerfG hält einen solchen Anspruch für denkbar, denn ein redaktionelles Konzept, das die Erfolgsaussichten von Beteiligten am Wahlwettbewerb nachhaltig mindern kann, dürfe nicht ohne Rücksicht auf diesen Umstand durchgesetzt werden. Daraus ergibt sich auch die Bindung öffentlicher Rundfunkanstalten an die Chancengleichheit der Parteien trotz ihrer primär grundrechtsberechtigten Stellung. Kürzlich erkannte zudem das OVG NRW im einstweiligen Rechtsschutz einen Teilnahmeanspruch in einer einzelnen Sendung an. Insoweit konfligiert die Chancengleichheit der Parteien potenziell mit dem aus der Programmfreiheit folgenden Recht der Rundfunkanstalten, Sendungen zu Wahlen nach eigenen redaktionellen Maßstäben zu gestalten.
Maßstabsbildung anhand des Grundsatzes abgestufter Chancengleichheit
Damit liegt es in der redaktionellen Freiheit der Rundfunksender, unterschiedliche Formate zur Information über Wahlen zu produzieren. Diese Freiheit inkludiert Sendungen, in denen nur Kandidat:innen mit ernsthaften Chancen auf die Kanzlerschaft eingeladen werden, auch wenn das aus den USA stammende Format zum auf Parteien ausgerichteten Wahlsystem des Grundgesetzes nicht gut passt. Solche Sendungen sind ebenso zulässig wie die im Vorfeld zwingende Bewertung der Erfolgschancen einzelner Kandidat:innen durch die Rundfunksender. Die Bewertung der Erfolgschancen kann aber, wie sich aus der Rechtsprechung des BVerfG ergibt, nicht völlig frei vorgenommen werden.
Um diese Chancen zu ermitteln, könnte an das in § 5 Abs. 3 PartG niedergelegte Prinzip der abgestuften Chancengleichheit der Parteien angeknüpft werden. Ausgangspunkt der Bewertung sind damit die Ergebnisse der letzten Wahl, von denen eine Vermutung ausgeht, die allerdings durch hinreichend dauerhafte und stabile demoskopische Erhebungen widerlegt werden kann (Hahn-Lorber/Roßner, NVwZ 2011, 471, 473). Ähnliche Bedeutung kann Umfragen zur Beliebtheit einzelner Kandidat:innen zugemessen werden. Allerdings hält sich die Aussagekraft von Umfragen generell in Grenzen, gerade wenn die Wahl noch Monate entfernt ist. Als alleiniger Maßstab hätten sie beispielsweise 2021 die Einladung vom späteren Kanzler Scholz zum Triell nicht rechtfertigen können. Neben den Wahlergebnissen und Umfragen kann es aber auch andere Gründe geben, die für oder gegen reelle Chancen auf die Kanzlerschaft sprechen. So ist Weidel (AfD) zwar Kanzlerkandidatin der in Umfragen derzeit zweitstärksten politischen Kraft. Da aber alle größeren Parteien eine Zusammenarbeit auf Koalitionsebene ausgeschlossen haben, ist eine Kanzlerin Weidel politisch ausgeschlossen. Keine Auswirkungen kann hingegen die Selbstwahrnehmung von Spitzen- als Kanzlerkandidat:innen haben. Dies würde den rechtlich nicht determinierten Begriff „Kanzlerkandidat:in“ überbewerten und rein strategische Benennungen privilegieren. Auf eine bestehende Kanzlerschaft kann es bei der Bewertung der Erfolgsaussichten ebenfalls nicht ankommen. Wahlen sind nicht darauf ausgerichtet, Amtsinhaber:innen zu bestätigen. Das Argument der Kanzlerschaft geht vollständig in der durch Umfragen widerlegbaren Vermutung durch den letzten Wahlausgang auf.
Fazit: Weiter Spielraum für ein überholtes Format
Die Suche nach (zwingenden) Gründen für oder gegen eine Einladung zum Kanzler:innenduell erweist sich als unergiebig. Als Grundlage für rechtliche Argumente taugen nur vorherige Wahlergebnisse, aktualisiert durch Umfragen sowie andere tatsächliche Umstände wie beispielsweise Koalitionsmöglichkeiten. All diese Faktoren sind aber weich und ständig in Bewegung. Dies müssen die Rundfunksender zwar berücksichtigen. Je unklarer die Erfolgschancen sind, desto mehr Spielraum haben die Sender aber bei deren Bewertung. Gibt es nicht zwei objektiv klar hervorstechende Favorit:innen kann in Abwägung mit der Rundfunkfreiheit nicht mehr als ein Willkürverbot hinsichtlich des einzelnen Sendungskonzepts gelten. Selbst wenn ARD und ZDF das Duell zwischen Scholz und Merz offen als Kanzlerduell bezeichnet hätten, wäre dies also rechtlich nicht zu beanstanden, solange – und das ist der Fall – anderen Parteien ausreichend die Möglichkeit gegeben wird, sich zu präsentieren.
Dennoch ist das Kanzler:innenduell ein Beispiel dafür, das nicht alles, was rechtlich möglich ist, auch sinnvoll ist. In Zeiten einer sich immer weiter diversifizierenden Parteienlandschaft wird es zunehmend schwer, klare Favorit:innen auf die Kanzler:innenschaft zu identifizieren. In der rechtlichen Wertung führt dies, wie gezeigt, zu einem Patt, das Format an sich verliert dennoch an Legitimität. Das geplante Duell zwischen Scholz und Merz unterstreicht diesen Aspekt. Vom heutigen Stand aus betrachtet ist es schwer zu argumentieren, warum die Chancen auf eine Kanzlerschaft von Scholz wesentlich höher als die von Habeck sein sollen. An den Umfragen orientiert müssten jedenfalls beide eingeladen werden. In diesem Kontext sei erneut daran erinnert, dass Scholz 2021 zum Triell geladen wurde, als die SPD in Umfragen weit hinter den Grünen und der CDU zurücklag. Dass er die Kanzlerschaft gewonnen hat, zeigt, dass die Umgestaltung zum Triell richtig war, stellt die nun getroffene Entscheidung aber umso mehr in Frage. So rückt das Format zusätzlich in ein schlechtes Licht, weil der Eindruck entsteht, SPD und CDU würden qua (ehemaligem) Status als Volksparteien quasi immer höhere Erfolgschancen unterstellt. Die Ära nach den Volksparteien verlangt nach neuen redaktionellen Konzepten – vom Kanzler:innenduell sollten sich die Sender lösen.
Zitiervorschlag: Lipinski, Jana/Maurer, Johannes, Das Kanzler:innenduell: Zwischen redaktioneller Freiheit und Chancengleichheit der Parteien, JuWissBlog Nr. 5/2025 v. 22.01.2025, https://www.juwiss.de/5-2025/
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