von FLORIAN ZUMKELLER-QUAST
Jens Milker und Tobias Brings-Wiesen sind in juwiss.de-Beiträgen auf verfassungsrechtliche Fragen eingegangen, die die Nutzung von sogenannten Socialbots (Meinungsrobotern) aufwerfen.
Ein Augenmerk legen beide dabei auf den Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG.
Die Aussagemodalität der Identität des Äußernden
Dabei stellen sie darauf ab, dass Socialbots den Rezipienten ihrer Interaktionen vorspiegelten, eine direkt handelnde Person zu sein. Diese Täuschung über Modalitäten der Meinungsäußerung führe zwar nicht wie bei bewusster, inhaltlicher Täuschung zu einem Wegfall des Schutzbereiches von Art. 5 I 1 GG (vgl. BVerfGE 99, 185, <197> – Scientology), bedinge aber eine Würdigung im Rahmen der Abwägung, die letztlich einem Berufen auf die Meinungsfreiheit entgegenstehe, da die bewusste Täuschung über die Identität des sich Äußernden zumindest weniger schützenswert sei. Im Ergebnis macht diese Wertung die objektive Wahrheit über die Identität des Äußernden zu einem geschützten Verfassungsgut. Einer derartigen Wertung möchte ich entgegentreten.
Nach meinem Dafürhalten steht diese Wertung in einem Widerspruch zu anerkannten Modalitäten des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. So ist Milker und Brings-Wiesen zuzustimmen, dass der Kontext einer Meinungskundgabe diese prägt, insbesondere hinsichtlich des Verständnisses des Empfängers. Zum Kontext der Meinungsäußerung gehört auch die sie kundgebende Person. Eine Meinung steht in der Rezeption nie ganz frei von der sie äußernden Person, im Gegenteil kann die selbe Aussage geäußert von zwei unterschiedlichen Personen entgegengesetzt aufgenommen werden.
Anonyme und Pseudonyme Meinungsäußerungen
Allerdings garantiert Art. 5 I 1 GG auch aus diesem Grund nicht nur die Meinungskundgabe persönlich Identifizierbarer, sondern auch die Meinungskundgabe persönlich nicht Identifizierbarer: Anonyme und pseudonyme Meinungsäußerung sind von Art. 5 I 1 GG gleichwertig geschützt (BGH, Urt. v. 23.06.2009, Az.: VI ZR 196/08, Rn. 38 = BGHZ 181, 328 – spickmich.de). Es ist somit auch grundrechtlich geschützt, am Diskurs teilzunehmen, ohne die eigene Identität offenzulegen.
Aber nicht nur der Schutz der Identität der sich äußernden Person und somit die Freiheit, ob eine Person eine gewisse Meinung kundgibt, wird durch das Grundgesetz garantiert. Gerade auch weil die Identität der sich äußernden Person in einer veränderten Wahrnehmung des Aussageinhalts niederschlagen kann, ist die Angabe einer abweichenden Identität mittels der pseudonymen Meinungsäußerung genauso geschützt. Dabei darf eine teilweise oder gänzlich erfundene Identität genutzt werden, um die Identität der sich äußernden Person zu verschleiern und somit die Freiheit, ob und wie eine Meinung geäußert werden kann, vollständig zu garantieren.
Daher ist die Wahl des Äußernden, sich anonym, pseudonym oder identifiziert zu äußern, damit auch Teil des Rechts, diejenigen Formen und Umstände zu wählen, die der Äußerung eine größtmögliche Verbreitung oder stärkste Wirkung sichern (vgl. BVerfGE 93, 266, <289> – Soldaten sind Mörder).
Jede Nutzung eines Pseudonyms beinhaltet inhärent ein verfälschende oder falsche Angabe über die Identität des sich Äußernden. Somit sind bewusst falsche Angaben oder die bewusste Erfindung einer Identität zur Meinungsäußerung, deren einziger Zweck ist, die Empfänger der Meinungsäußerung über die tatsächliche Identität der sich äußernden Person zu täuschen, nicht nur zulässig, sondern explizit grundrechtlich von Art. 5 I 1 GG geschützt.
Dieser Schutz würde aber nicht nur unterlaufen, es würde ihm geradezu elementar widersprechen, wenn die Inanspruchnahme der anonymen oder pseudonymen Meinungsäußerung im Rahmen einer Abwägung negativ ausgelegt werden würde. Das von Milker erwähnte Beispiel aus Trumps Wahlkampf wäre somit von Art. 5 I 1 GG geschützt.
Der Effekt der Zurechnung der Aussage zum Botbetreiber
Dass der konkrete, einzelne Kommunikationsakt von einem Socialbot ausgeführt wurde, spricht gerade nicht gegen den Schutz der Meinungsfreiheit.
Richtigerweise bejahen Milker und Brings-Wiesen die Eröffnung des persönlichen Schutzbereiches der Meinungsfreiheit, indem sie dem Botbetreiber die Aussagen zurechnen. Ein Socialbot wird vom Betreiber aus der Motivation genutzt, gewünschte eigene (politische) Einstellungen zu äußern, zu verbreiten und zu stärken. Entsprechend werden die Kommunikationsakte des Bots sich auch an die Vorgaben und damit Meinung des Betreibers halten, letztlich hat er sie also verursacht. Art. 5 I 1 GG ist hinsichtlich des Kommunikationsaktes technologieneutral, die Nutzung von Maschinen zur Verbreitung darf daher nicht zur Verneinung des persönlichen Schutzbereichs führen. Der einzelne Kommunikationsakt daher als eigene Handlung im persönlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit gelten.
Diese Zurechnung des Kommunikationsakts zum Botbetreiber muss dann auch konsequent eingehalten werden. Die Benutzung einer programmierten Maschine stellt lediglich die Nutzung eines Hilfsmittel oder Werkzeuges dar, welches den konkreten Kommunikationsakt erleichtert oder gerade erst ermöglicht. Die Technikneutraliät des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung erfordert daher gerade, dass eine derartige technische Unterstützung der Meinungsäußerung zulässig ist. Der Vorwurf einer Täuschung darüber, dass der einzelne Kommunikationsakt nicht direkt von einem Menschen stamme, sondern über einen programmierten Automatismus erfolge, würde aber gerade die Zulässigkeit der Benutzung von technischen Hilfsmitteln und vor allem die Zurechnung des Kommunikationsakts zum Botbetreiber unterlaufen.
Die Suggestion realitätsabweichender Meinungsbilder
Auch die von Brings-Wiesen angeführte Herbeiführung eines fehlerhaften Eindrucks über den tatsächlichen Rückhalt einer Meinung durch die technische Multiplizierung von (pseudonymen) Identitäten (‚quantitative Legitimität‘) ist selbst nicht von einem besonderen Einfluss. Grundsätzlich ist ein derartiges Vorgehen schon mindestens solange möglich, wie es schriftliche Meinungsäußerung gibt.
Um einmal Zeitungen als Beispiel zu nehmen: Niemand streitet ernsthaft ab, dass Zeitungsredaktionen politische Färbungen haben. Gerade in einer Zeitung wird durch notwendige redaktionelle Auswahl und immanent journalistisch-subjektive Sichtweise immer vorsortiert. In dieser Funktion als zentraler Informationsfilter (Gatekeeper) spiegeln sich die Überzeugungen der Redakteure, Verleger und Herausgeber wieder. Dass die Präsentation der einzelnen Zeitung die Meinung der Gesamtbevölkerung der Welt, der Bundesrepublik oder auch nur einer einzelnen Region nicht akkurat abbildet, ist daher selbstverständlich.
Warum aber jetzt für Medien, in denen ein derartiger Gatekeeper wegfällt, ein anderer Maßstab angelegt werden sollte, ist nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich beeinflussen die sich aktiv Äußernden und der Inhalt von deren Äußerungen die weitere gesamte Meinungsbildung stärker als der schweigende Rest. Nur weil der technische Prozess die reichweitenstarke Meinungsäußerung erleichtert hat, ist es meiner Ansicht nach nicht haltbar, direkt hieraus einen negativen Abwägungsfaktor abzuleiten.
Die Überschwemmung des Diskursraumes mit Botäußerungen
Die Nutzung von Socialbots kann durch die automatisierte Frequenz an Meinungskundgaben (Inhalt) und Varianz an Meinungskundgebenden (Pseudonymen) einen Einfluss erreichen, der den Diskurs in ein Ungleichgewicht bringt. So wird die Diskursteilnahme anderer Grundrechtsberechtigter erschwert und ein essentieller Kern des Instituts der Meinungsfreiheit, die Gewährleistung eines freien Diskurses, in Frage gestellt.
Ab wann allerdings ein an sich legitimer Einsatz von Socialbots zum Zwecke größtmöglicher Verbreitung bzw. der stärksten Wirkung unzulässig wird, ist nicht einfach beantwortbar. Die Grenze wird erst sicher überschritten, wenn durch eine Überschwemmung des Diskurses Meinungskundgaben Dritter gänzlich unsichtbar werden und somit faktisch eine Meinungskundgabe anderer Grundrechtsberechtigter verhindert wird.
Eine frühere Grenzziehung ließe sich eventuell dadurch herleiten, dass auch Dritte das Recht auf größtmögliche Verbreitung und stärkste Wirkung für sich in Anspruch nehmen können und insofern ein Ausgleich mit der Rechtsausübung des Betreibers eines Socialbots notwendig wird. Dieser wäre aber immer ein an der Willkür balancierender Drahtseilakt, da das Grundgesetz lediglich die Gleichheit vor dem Recht garantiert, nicht aber die Gleichheit durch das Recht. Allerdings läuft schon eine absichtlich in diese Richtung zielende Nutzung von Socialbots konträr zum institutionellen Ziel der Meinungsfreiheit, die einen freien (politischen) Diskurs sichern will, und könnte somit vor Überschreiten der absoluten Grenze in eine Abwägung einbezogen werden.
Im Ergebnis…
…muss daher die Frage, ob eine Äußerung von der Meinungsfreiheit geschützt ist, dahingehend beantwortet werden, dass die Nutzung von Socialbots als solche auf diese Frage keinen rechtlichen Einfluss hat. Ein Wertung der Nutzung von Socialbots als „Identitätstäuschung“ ist aufgrund des Rechts auf anonyme und pseudonyme Meinungsäußerung und der Zurechnung der Aussage zum Botbetreiber unzulässig. Nur das Erreichen der faktischen Verhinderung der Meinungsäußerungsmöglichkeit Dritter stellt eine Grenze der Meinungsfreiheit dar. Diese Grenze zu ziehen fällt schwer, vorher kann lediglich die massive Flutung eines Diskurses mit botbasierten Meinungskundgaben, die die Sichtbarkeit von Meinungskundgaben Dritter absichtlich verdecken und so deren Teilnahme am Diskurs faktisch verhindern soll, in die Abwägung einbezogen werden.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Lieber Florian,
vielen Dank für Deinen Anschlussbeitrag, der nochmals einige interessante neue Aspekte zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG in die Debatte einbringt.
Viele von Dir vorgebrachte Argumente halte ich für allgemein und für sich betrachtet stimmig und richtig, gleichwohl scheinen sie mir persönlich auf den Sachverhalt der Socialbots nicht ohne weiteres übertragbar, zumindest jedoch nicht das Abwägungsergebnis zu erschüttern:
(1) Ja, Anonymität und Pseudonymisierung sind unter Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG grundsätzlich schutzwürdig – aber nicht absolut.
Vorweg ist im Blick zu halten, dass Anonymität hier – auch nach den von mir aufgeführten Maßstäben – wohl gar kein Problem darstellt: Anonymität suggeriert nichts – ein Bezug zur Person kann praktisch nicht hergestellt werden, was vielleicht für einen umfassenden Diskurs bedauerlich sein mag, aber keinesfalls schädlich. Gleiches mag über weite Strecken auch für Pseudonymisierung gelten, die ja nicht notwendigerweise in Verbindung mit der Vorspiegelung grundlegend falscher Tatsachen zur Person stehen muss.
Tut sie dies indes doch, ist meiner Meinung nach Augenmaß erforderlich. Auch der BGH hat in der von Dir zitierten „spickmich.de“-Entscheidung nicht aus den Augen verloren, dass die Pseudonymisierung einem bestimmten wichtigen Zweck dienen soll: „Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde nicht nur im schulischen Bereich, um den es im Streitfall geht, die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden.“ Wo dies nicht der Fall ist, stellt sich wohl die Frage anderer legitimer Zwecke einer Pseudonymisierung stellen: Diese mögen zweifelsohne existieren, ich vermag sie allerdings in der bisher hier diskutierten Nutzungsweise von Socialbots nicht zu erkennen. Diese Differenzierung macht dann letztlich eine schwierige Abgrenzung im Einzelfall erforderlich, die mir jedoch in der Abwägung gut aufgehoben zu sein scheint.
Eine solche differenzierte Betrachtung scheint mir auch in Konformität mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zu den Umständen der Äußerung zu stehen. Es mag richtig sein, dass ich meiner Äußerung über die Wahl der Modalitäten eine größtmögliche Verbreitung oder Wirkung sichern darf, dies indes nicht um jeden Preis. Als Gegenbeispiel: Eine starke Wahrnehmung erreiche ich auch, indem ich sie mit einer aufsehenerregenden inhaltlichen Lüge garniere – diese Lüge erachten wir aber zu Recht als nicht, zumindest jedoch weniger grundrechtlich schutzwürdig.
An dieser Stelle würde ich dann auch abschließend sagen: Ja, in gewisser Weise macht diese Wertung die objektive Wahrheit über die Identität des Äußernden zu einem relativ(!) geschützten „Verfassungsgut“. Aber der Schutz der objektiven Wahrheit ist uns im Kontext von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ja gerade nicht fremd.
(2) Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist – wie praktisch alle Kommunikationsfreiheiten – selbstredend technologieneutral. Aber auch hier stellt sich die wichtige Wertungsfrage: Darf ich alles, was ich (technisch) kann? Die Zulässigkeit technischer Hilfsmittel kann eben ihre Grenzen finden.
Es kommt dann letztlich auch nicht zu einem dogmatischen Bruch: Eine Zuordnung jeder Aussage zu ihrem Urheber hinter dem Bot ist möglich, der persönliche Schutzbereich – je nach Position zu einer Schutzbereichsausnahme – eröffnet, aber nur weil ich diese Zuordnung konsequent durchhalte, ist mir eine spätere, differenzierende Bewertung angesichts der bewussten Täuschung nicht verwehrt.
(3) Zuletzt möchte ich auf Deine Ausführungen zur „quantitativen Legitimität“ eingehen. Hier halte ich den Vergleich mit Zeitungen für unpassend.
Denn will man einmal diese traditionellen Kategorien im Onlinebereich bemühen, so haben die Socialbots nichts mit einer Zeitung zu tun. Dies ist im hier relevanten Kontext wiederum ihrer Funktionsweise und der einhergehenden falschen Suggestion geschuldet: Die Zeitungen stehen – erkennbar – für die Meinung einer Person oder einer Redaktion; die Bots suggerieren die Meinung (Aber-)Tausender. Dies hat dann auch gerade nichts mit der Frage des Gatekeeping zu tun: Die Erleichterung des Erreichens individueller Wahrnehmung ist klasse und sie wird über Blogs und YouTube-Channels täglich unzählbar praktiziert. Aber auch hier muss ich wiederholend feststellen: Gerade die Funktionsweise von Bots zeigt mir, dass Multiplikation und Reichweite nicht um jeden Preis erzielt werden können und sollten.
Letztlich verfolgen wir dann aber ein Ziel: die Vermeidung einer nachhaltigen Störung des öffentlichen Diskurses. Ich würde die Schwelle dazu allerdings nicht erst bei einer lähmenden Überschwemmung des Diskursraumes ansetzen, sondern wie in meinem Text dargestellt durchaus niedriger. Denn ich gebe Dir zwar insofern Recht, als dass unser Kommunikationsprozess solche Phänomene wie Socialbots bis zu einer gewissen Schwelle aushalten können muss. Dies bedeutet für mich indes noch nicht, dass diese Phänomenen unterhalb dieser Schwelle einen gleichgewichtige Grundrechtsschutz genießen (müssen), der ein Vorgehen gegen sie verfassungswidrig erscheinen ließe.
Abschließend bleibt mir aber nun nur zu sagen: Vielen Dank für Deinen anregenden Beitrag!
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