von OLE LUEG
Das Abstammungsrecht wird den Interessen weiblicher Paare nicht gerecht. Kann ein Mann die zweite Elternstelle kraft Ehe, Anerkennung oder gerichtlicher Feststellung besetzen (vgl. § 1592 BGB), bleibt der sog. „Mit-Mutter“ ein solch einfaches Einrücken in die Elternposition verwehrt. Mit dem Scheitern der „Ampel-Koalition“ schien eine Reform des geltenden Abstammungsrechts in die Ferne gerückt. Das galt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund erstarkender konservativer Strömungen in Deutschland. Am 9.12.2024 hat das BMJ allerdings den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Abstammungsrechts („Abstammungsrechtsreformgesetz-E“) veröffentlicht. Dieser Entwurf wurde ursprünglich als Referentenentwurf ausgearbeitet und nach dem Scheitern der „Ampel-Koalition“ und der Entlassung des ehemaligen Bundesjustizministers Dr. Marco Buschmann zu einem „Diskussionsentwurf“ transformiert. Am 17.12.2024 hat die FDP-Fraktion zudem den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Familienrechts (Familienrechtsreformgesetz-E) in den Bundestag eingebracht, welcher unter anderem die Regelungsgedanken des BMJ zum Abstammungsrecht aufgreift.
Die Entwürfe des BMJ und der FDP-Fraktion werfen bezogen auf die Besetzung der beiden Elternstellen allerdings Fragen auf und entfernen sich von früheren – überzeugenden – Reformgedanken. § 1591 BGB-E und § 1592 BGB-E sollten daher in der aktuellen Form keinen Einzug in das deutsche Recht erhalten. Vollzogen wird auch nicht eine überfällige Abkehr vom „Abstammungs“-Begriff.
Der lange Weg zur Mit-Mutterschaft im geltenden Recht
Nach der geltenden Rechtslage ist ein zeitaufwendiges Verfahren der Adoption zur Begründung von Mit-Mutterschaften unumgänglich. Dass derartige Hürden abgebaut werden sollten, liegt auf der Hand: Eine weibliche Elternschaftsaspirantin, die ggf. sogar für die Zeugung des Kindes mitverantwortlich ist, hat in aller Regel die Schwangerschaft der Geburtsmutter intensiv begleitet und verfügt regelmäßig über einen starken – präkonzeptionellen – Wunsch, Elternverantwortung für das Kind zu tragen. Ihr unmittelbar nach der Geburt eine rechtliche Elternschaft und etwa daraus folgende umfassende Sorgerechte zu versagen, erscheint nicht interessengerecht. Nichtsdestotrotz hat der EGMR am 12.11.2024 entschieden, Art. 8 EMRK sei nicht verletzt, wenn die Geburtsmutter rechtliche Kindesmutter wird, ihre eingetragene Lebenspartnerin, die zugleich genetisch mit dem Kind verwandt ist, jedoch nur im Wege der Stiefkindadoption rechtlicher Elternteil werden kann (eingehend dazu Lucy Chebout im Verfassungsblog).
In der Literatur und Rechtsprechung wird eine z. B. analoge Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB (Vaterschaft kraft Ehe) auf die Mit-Mutter abgelehnt. Diese Auffassung vermag auch zu überzeugen. Es fehlt, wie bereits der BGH im Beschl. v. 10.10.2018 – Az. XII ZB 231/18 betont hat, schlicht an einer planwidrigen Regelungslücke. Mit der Frage, ob die geltende Fassung des § 1592 Nr. 1 BGB tatsächlich verfassungsgemäß ist, hat sich aktuell auch das BVerfG zu befassen. Das OLG Celle (Beschl. v. 24.3.2021 – Az. 21 UF 146/20) legte ihm diese Frage etwa bereits im Jahr 2021 zur Entscheidung vor. Es begründete überzeugend, § 1592 BGB sei nicht mit Art. 6 II GG i. V. m. Art. 3 I GG vereinbar und verletze das Recht des Kindes auf Gewährleistung von Pflege und Erziehung durch seine Eltern gem. Art. 2 I GG i. V. m. Art. 6 II 1 GG. Der lange, immer noch andauernde Entscheidungszeitraum deutet darauf hin, dass das BVerfG wohl mit einem vorgezogenen politischen Lösungsvorschlag gerechnet hat.
Die Forderungen nach einer Reform des geltenden Abstammungsrechts
Der Gedanke, das Abstammungsrecht einer Reform zu unterziehen, ist nicht neu. Ein politischer Vorstoß erfolgte bereits durch die Einsetzung eines „Arbeitskreises Abstammungsrecht“ durch den damaligen Justizminister Heiko Maas. Der Arbeitskreis legte im Jahr 2017 einen Abschlussbericht vor, der zu einer wesentlichen Grundlage für Reformdiskussionen avancierte. Aufgegriffen und berücksichtigt wurden die Gedanken des Arbeitskreises auch in einem „Diskussionsteilentwurf“ zur Reform des Abstammungsrechts, den das BMJV im Jahr 2019 veröffentlicht hat und der bereits konkrete Regelungsvorschläge enthielt. Auf den Diskussionsteilentwurf folgte mit größerem zeitlichen Verzug die Veröffentlichung eines sechzehnseitigen Eckpunktepapiers zur Abstammungsrechtsreform im Januar 2024 durch das BMJ. Den Höhepunkt aktuellen Reformwillens stellen der Diskussionsentwurf des BMJ sowie der Vorschlag der FDP-Faktion vom Dezember 2024 dar.
Begrenzte Bürgerfreundlichkeit des Diskussionsentwurfs und keine Abkehr von der Bezeichnung „Abstammungsrecht“
Betrachtet man den Diskussionsentwurf des BMJ, fällt der bedeutend große Umfang von 257 Seiten auf. Zum Vergleich fanden im Diskussionsteilentwurf aus dem Jahr 2019 Regelungsentwürfe sowie deren Begründung auf 62 Seiten Platz. Der Umfang des Diskussionsentwurfs offenbart das Anliegen, sämtlichen Unsicherheiten in der Rechtsumsetzung von vornherein durch eine gründliche Ausarbeitung zu begegnen, was ihn jedoch wenig schlank und bürgerfreundlich erscheinen lässt.
Der Diskussionsentwurf hält zudem an den Bezeichnungen „Abstammung“ und „Abstammungsrecht“ fest. Bereits der Arbeitskreis Abstammungsrecht betonte jedoch zurecht, die Formulierung „Abstammungsrecht“ erwecke „zu Unrecht die Assoziation, es gehe […] ausschließlich um Personen, die genetisch miteinander verwandt sind“ (S. 19). Der Gesetzgeber beabsichtigte bei der Mutterzuordnung gem. § 1591 BGB vielmehr ausdrücklich, dass selbst bei einem Auseinanderfallen von genetischer und biologischer Mutterschaft allein die gebärende Person Elternteil des Kindes werden soll (BT-Drs. 13/4899, S. 82 f). Auch bezogen auf den Vater mögen die „Ehe“ in § 1592 Nr. 1 BGB oder „Anerkennung“ gem. § 1592 Nr. 2 BGB zwar gewisse Wahrscheinlichkeiten einer Zeugung modellieren – eine besonders starke Indizwirkung, dass der Vater kraft Ehe oder Anerkennung das Kind tatsächlich gezeugt hat, kommt ihnen aber nicht zu. Eine Reform des geltenden Abstammungsrechts sollte sprachlich mithin bei der Umbenennung in das „Recht der Eltern-Kind-Zuordnung“ beginnen.
Die Zuordnung des Kindes zu Geburtsmutter und Vater oder Mit-Mutter im Entwurf
Nach § 1591 BGB des geltenden Rechts ist Mutter die Frau, die das Kind geboren hat. § 1592 BGB sieht als Vater des Kindes den Mann vor, welcher mit der Geburtsmutter zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet ist (Nr. 1), der die Elternschaft anerkannt hat (Nr. 2) oder dessen Elternschaft gerichtlich festgestellt wurde (Nr. 3). § 1591 BGB-E gliedert sich nunmehr in fünf Absätze und enthält überwiegend deskriptive Bestimmungen zur Mutter- und Vaterschaft. § 1591 I BGB-E erinnert an die geltende Fassung des § 1591 BGB und definiert die „Geburtsmutter“, als die Frau, welche „das Kind geboren hat“. Ist „der zweite Elternteil ein Mann, ist er Vater“ (Abs. 2) – wenn der zweite Elternteil jedoch eine Frau ist, „ist sie ebenfalls Mutter“ (Abs. 3). Darauf aufbauend wird in Abs. 4 die „Elternschaft der Mutter“ als „Mutterschaft“ und die „Elternschaft des Vaters“ als „Vaterschaft“ definiert.
1592 BGB-E enthält maßgeblich Zuordnungsbestimmungen. Erster Elternteil des Kindes wird gem. Abs. 1 die „Geburtsmutter“ (vgl. § 1591 I BGB-E). Zweiter Elternteil können entweder ein „Vater“ (vgl. § 1591 II BGB-E) oder eine „Mutter“ (vgl. § 1591 III BGB-E) sein. Die Elternschaft dieses zweiten Elternteils lässt sich wie im geltenden Recht kraft Ehe, Anerkennung oder gerichtlicher Feststellung begründen. Neu ist die Möglichkeit, auch kraft einer Vereinbarung Elternteil des Kindes zu werden (§ 1592 III BGB-E).
Das Zusammenspiel von § 1591 BGB-E und § 1592 BGB-E erscheint wenig intuitiv und lässt sich kaum als minimalinvasiven Eingriff in das bestehende Normgefüge verstehen. Insbesondere § 1591 I BGB-E (Legaldefinition „Geburtsmutter“) und § 1592 I BGB-E (Geburtsmutter als erster Elternteil) erscheinen unnötig gedoppelt. Es stellt sich die Frage, wieso der Diskussionsentwurf nicht bloß § 1591 BGB oder § 1592 BGB um einen Absatz ergänzt, der die Elternschaft der „Mit-Mutter“ durch Ehe, Anerkennung oder gerichtliche Feststellung zum Gegenstand hat. Einen Schritt in Richtung vollständiger Gleichberechtigung trans- und intergeschlechtlicher Elternteile würde aber ohnehin nur die geschlechtsneutrale Formulierung der Zuordnungsnormen (z. B. „Elternteil“, „Person“) bedeuten.
Ist eine Reform des Abstammungsrechts in dieser Legislaturperiode noch denkbar?
Justizminister Dr. Volker Wissing ließ eine über das Portal „abgeordnetenwatch.de“ gestellte Bürgeranfrage vom November 2024 bislang (Stand: 14.1.25) unbeantwortet, ob die Reform des Abstammungsrechts auf der „Agenda für die restliche Regierungszeit“ stehe. Durch die Veröffentlichung verschiedener Diskussionsentwürfe – neben dem Abstammungsrecht auch zum Kindschaftsrecht und Unterhaltsrecht – im Dezember 2024 zeigt das BMJ, die lebendige Debatte zum Familienrecht aufrechterhalten zu wollen. Sehr zu begrüßen war der Impuls der FDP-Fraktion, die zahlreichen Reformgedanken gebündelt in einem Antrag in den Bundestag einzubringen.
Ob eine Umsetzung in dieser Legislaturperiode noch erfolgen wird, ist allerdings fraglich. Bereits die derzeitige Gestaltung der §§ 1591, 1592 BGB-E sowie die Fortverwendung der Bezeichnung „Abstammung“ müssten genauer in den Blick genommen werden. Die Zeit dafür würde merklich knapp. Immerhin könnte in dem Kontext auf den weit fortgeschrittenen Reformdiskussionsstand in der Literatur rekurriert werden. Dass eine umfassende Reform des Familienrechts bestenfalls noch in dieser Legislaturperiode erfolgen sollte, zeigen die aktuellen Wahltrends: Würden CDU und CSU bei der nächsten Bundestagswahl stärkste politische Kraft in Deutschland, drohte der aktuelle Regelungszustand konserviert zu werden. In deren Wahlprogramm (insb. S. 62) finden sich keine Hinweise, moderne Familienformen auch rechtlich abbilden zu wollen.
Zitiervorschlag: Lueg, Ole, Kommt die Reform des Abstammungsrechts noch? Die Mit-Mutterschaft im Diskussionsentwurf des BMJ vom Dezember 2024, JuWissBlog Nr. 4/2025 v. 21.01.2025, https://www.juwiss.de/4-2025/
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